2. Die Bilder des Cernunnos
Glücklicherweise existieren noch zehn weitere Abbildungen des Cernunnos, die man mit dem eben betrachteten Bild vergleichen kann.
A Der Kessel von Gundestrup
Das erste Bild stammt von dem Kessel von Gundestrup in Dänemark. Es wurde ca. 400 v.Chr. hergestellt.
Die Funde auf den zehn folgenden Bildern sind zum größten Teil ca. 400 Jahre jünger und stammen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert.
B Das Relief von Cirenchester
In Cirenchester fand sich eine Reliefskulptur. Dieser Ort liegt 150km nordöstlich von London und 30km vom Ende des Bristolkanals entfernt. Cirenchester war in der keltisch-römischen Zeit eine florierende Handelsstadt.
Auf dem Relief ist das Geweih des Cernunnos nur noch undeutlich zu erkennen. Er hält zwei statt einer Schlange in seinen Händen, was die Wichtigkeit dieses Helfers des Cernunnos betont.
Über den Köpfen der Schlangen bzw. neben dem Kopf des Hirschgottes befinden sich zwei Kreise, in denen sich jeweils eine fünfblättrige Blüte o.ä. befindet. Man könnte aufgrund ihrer Position auf dem Relief vermuten, daß sie wie der Torque das Ziel, also die angestrebte Qualität symbolisieren.
C Die Münze von Petersfield
In Großbritannien wurde noch ein zweites Bild des Cernunnos gefunden, das auf eine Münze geprägt ist. Sie wurde in Petersfield entdeckt, das südlich von London in der Nähe der Küste bei Portsmouth liegt.
Zusätzlich zu dem Cernunnos Kopf mit Geweih lassen sich auf der Münze drei Dinge erkennen:
Links und rechts sind je drei Kreise mit einem Punkt in der Mitte zu sehen, von denen einige zusätzlich von einem größeren Kreis aus Punkten umgeben sind. Sie könnten Darstellungen von Blüten oder der Sonne sein.
Über dem Kopf des Cernunnos befindet sich eine Leiter, die weiter nach oben führt. Sie könnte das Bestreben des Cernunnos und den Weg, den er dabei (innerlich) geht, symbolisieren.
Die Leiter führt zu einem Kreis, das wie ein Rad mit neun Speichen aussieht, die aber auffällig unregelmäßig angeordnet sind und vielleicht eher Strahlen darstellen sollen. Dieser Kreis wird das Ziel des Cernunnos darstellen.
D Die Säule von Notre Dame
Unter den Fundamenten der Kathedrale Notre Dame in Paris fand man eine Säule mit achtzehn Bildern, die aus der keltisch-römischer Zeit stammt. Eins dieser Bilder zeigt den Gott Cernunnos:
Der hier dargestellte Mann ist anhand seines Hirschgeweihs als Cernunnos zu erkennen. An seinen beiden Geweihstangen trägt er jeweils einen Torque. Dieses etwas ungewöhnliche Arrangement scheint darauf hinzudeuten, daß der Torque zu den Gaben des Cernunnos gehört.
Die „Seefahrersäule“, von der diese Abbildung stammt, wurde von den Händlern von Lutetia, wie Paris damals noch genannt wurde, gestiftet, um Schutz vor allen möglichen Gefahren bei ihren Fahrten auf der Seine sowie Wohlstand zu erhalten.
Die Anordnung der beiden Torques wie bei der Auslage auf einem Marktstand paßt recht gut zu den Stiftern dieser Reliefskulptur, die Händler waren ...
E Das Relief von Nantes
Eine weitere Reliefskulptur wurde in Indre in der Nähe von Nantes gefunden. Auch Indre geht auf eine keltisch-römische Siedlung zurück. Ihr Name stammt von „andrum“, was „Höhle“ bedeutet und sich möglicherweise auf ein Höhlen-Heiligtum bezieht.
Auf dieser Umzeichnung des Reliefs erkennt man wieder den im Schneidersitz sitzenden Cernunnos mit dem Hirschgeweih. Er trägt einen Torque um seinem Hals.
In seinen Händen hält er einen Krug. Ein zweiter Krug steht neben ihm. Links und rechts ist je eine Schlange zu sehen, auf der je ein Jüngling steht. Der eine der beiden hält einen Ring oder Kranz in seiner Hand, während der andere etwas annähernd Quadratisches hält. Mit ihrer freien Hand fassen sie an das Geweih des Cernunnos.
Die Gabe des Cernunnos scheint sich hier in zwei Krügen zu befinden. Die beiden Jünglinge sind möglicherweise symbolisch mit den Schlangen verbunden.
F Die Stele von Paris
In Paris wurde noch ein zweites Relief, das den Gott Cernunnos zeigt, in St. Germain gefunden.
Auf diesem Relief ist Cernunnos nicht die zentrale Gestalt, sondern sitzt rechts neben einer dreiköpfigen Hauptfigur. Links befindet sich eine weitere Gestalt, die auf ihrem Kopf Kuh- oder Stierhörner zu tragen scheint. Der Stiergott scheint in beiden Händen so etwas wie einen Sack zu halten, die neben ihm bis zum Boden herunterhängen. Sie könnten den beiden Krügen auf dem vorigen Relief aus Indre entsprechen und würde dann die Gaben des gehörnten Gottes enthalten.
Die Szenerie ist in einem Haus oder Tempel dargestellt, was es sehr wahrscheinlich macht, daß es sich bei den drei Gestalten um Gottheiten handelt – was in der bisherigen Betrachtung des Cernunnos noch gar nicht nachgewiesen war.
Oben im Giebel des Tempels ist noch ein Kopf mit Kuh- oder Stierhörnern zu sehen. Es könnte sich allerdings auch um eine Mondsichel handeln.
Die drei Gestalten sitzen auf einer Bank und scheinen nackt zu sein. Auf allen anderen Darstellungen ist Cernunnos hingegen bekleidet.
Die Form der Darstellung läßt vermuten, daß das Hirschgeweih des Cernunnos und die Rinderhörner der linken Gestalt entweder gleichwertig oder auf irgendeine Weise symmetrisch zueinander sind.
Der Hirschgott und der Stiergott werden dem dreiköpfigen Gott in der Mitte untergeordnet sein.
Auffällig ist auch die Haltung der Arme der drei Gestalten: Der dreiköpfige Gott hat sie in seinen Schoß gelegt; der Hirschgott hat beide Hände übereinander auf sein linkes Knie gelegt, während der Hörnergott seine Arme ausstreckt und mit seinen Händen die beiden „Säcke“ hält. Der Hörnergott ist auf diesem Relief daher der eigentlich aktive Gott, der den Menschen daher vermutlich auch am nächsten gewesen sein wird.
Alle drei Gottheiten haben die Beine von Hirschen, Stieren oder Ziegen und ihre Füße haben, soweit dies erkennbar ist, gespaltene Hufe wie Hirsch und Ziege.
G Die Stele von Reims
In Reims in Nordostfrankreich in der Nähe der belgischen Grenze wurde ein weiteres Relief gefunden, auf dem Cernunnos zu sehen ist.
Auf diesem Relief ist Cernunnos zwischen Apollo (links) und Hermes-Merkur (rechts) zu sehen. Auf dieser Darstellung trägt Hermes an seinem Helm anscheinend zusätzlich zu den üblichen Flügeln auch Hörner.
Das Geweih des Cernunnos ist deutlich ausgearbeitet – der Hirschgott ist allgemein nur durch sein Geweih erkennbar.
Cernunnos sitzt in seiner „klassischen Haltung“, dem Schneidersitz. Auffällig ist das Podest, auf dem er sitzt – es hebt ihn deutlich von seinen beiden Begleitern ab. Die Szene spielt in einem Tempel, was die drei Gestalten als Götter bestätigt.
Um seinen Hals trägt Cernunnos einen Torque. Er hält jedoch keinen Torque in seiner Hand, sondern einen gut gefüllten Sack, der entweder bis zum Boden herabhängt, oder aus dem etwas wie Wasser oder Früchte herausrinnt.
Vor dem Podest stehen rechts ein Hirsch und links ein Stier, die sich beide dem „Strom der Fülle“, der aus dem Sack des Cernunnos herausrinnt, zuwenden. Stier und Hirsch erscheinen durch diese Darstellung als ebenbürtig und in symbolischer Hinsicht wahrscheinlich identisch.
Hermes hält eine Art „Päckchen“ in seiner linken Hand, die seine Gabe sein könnte, da er dieses Päckchen gewissermaßen präsentiert.
Neben Apollo steht halbverdeckt hinter Cernunnos ein Schild. Apollo lehnt seine linke Hand auf etwas, das verlorengegangen zu sein scheint. Es könnte eine Pflanze mit Zweigen oder auch ein Stierkopf gewesen sein – man sieht noch links und rechts von seiner Hand etwas Langes, Dünnes herausragen.
Oben im Giebel des Tempels sitzt eine Maus oder eine Ratte.
H Der Grabstein aus Irland
Diese Abbildung findet sich auf einem Grabstein in Irland.
Diese Stele ist spätkeltisch, da sie sich auf einem christlichen Grabstein befindet. Cernunnos sitzt in seinem klassischen Haltung mit untergeschlagenen Beinen. Über ihm ist zusammengerollt seine Schlange zu sehen.
Die Darstellung des Cernunnos auf einem Grabstein läßt vermuten, daß Cernunnos in engem Zusammenhang mit dem Tod und der Jenseitsreise stand.
I Das Relief von Perth
Dieses Relief wurde in Meigle in der Nähe von Perth in Westschottland gefunden. Der Stil zeigt, daß es spätkeltisch ist: Die Flechtmuster, die bei den Haaren und Beinen der zentrale Gestalt zu sehen sind, treten bei frühen und mittleren keltischen Funden noch nicht auf.
Solche Flechtmuster findet sich auch auf dem irischen Grabstein...