1.4 Warum ein neuer Ansatz nötig ist
Der Wandel hat positive Konsequenzen für alle: In vielen Change-Konzepten ist als Aufgabe für die Führungskräfte zu lesen, „den Mitarbeitenden die Chancen des Wandels darzustellen“. Als ob es DIE Chance gäbe, die alle Mitarbeitenden motivieren könnte. Tatsächlich entsteht Motivation aus den unbewussten Bedürfnissen und bewussten Motiven der jeweiligen Person. Sie entsteht also individuell und ist innerhalb einer Belegschaft sehr unterschiedlich. Change-Management sollte darstellen, welche emotionale Bedeutung die Fakten für die Mitarbeitenden haben, also warum sie ihnen ein gutes Gefühl verschaffen: Welches gute Gefühl bringt die neue Qualitätsoffensive? Das gute Gefühl, beständige Produkte herzustellen, mit denen sich der Kunde sicher fühlt? Welches gute Gefühl geht vom neuesten Produkt aus: Faszination? Stärke? Sicherheit? Typische Aussagen wie „Wir wollen weltweiter Marktführer sein“ sind für die meisten Mitarbeitenden ziemlich bedeutungslos.
Konsequenz: Die Chancen des Wandels sind individuell. Unser Vorgehen sollte dies berücksichtigen.
Subjektive Bewertung und die Folgen
Befürchtungen und Ängste bei Veränderungen
- Was bedeuten die Veränderungen für mich und meinen Arbeitsplatz?
- Wie sehr werden sich meine Aufgaben ändern?
- Werde ich dem Neuen gewachsen sein?
- Bringen mir die neuen Aufgaben auch Vorteile?
- Muss ich mich auf einen neuen Chef, auf neue Kollegen, auf eine neue Arbeitsumgebung einstellen?
... die Verarbeitung
- Der Betroffene hat die Ziele, Hintergründe und Motive einer Maßnahme nicht verstanden.
- Er hat verstanden, um was es geht, aber er glaubt nicht daran.
- Er hat verstanden und glaubt auch daran, kann für sich aber keine positiven Folgen dieser Maßnahmen erwarten.
... die Reaktionen
- Wird das Projekt als destruktiv empfunden, erfolgt eine totale Ablehnung.
- Wird das Projekt als bedrohlich empfunden, werden Widerstände aufgebaut.
- Erscheinen die Auswirkungen unklar, wird das Projekt toleriert.
- Wird „positive Unsicherheit“ empfunden, wird das Projekt akzeptiert.
- Wird das Projekt uneingeschränkt positiv empfunden, wird es unterstützt; man macht mit.
... die Folgen
- Die Arbeit kommt nur mühsam und zähflüssig voran. Sitzungen werden lustlos geführt. Entscheidungen stocken.
- Es wird geblödelt, es findet keine vernünftige Diskussion statt, der rote Faden fehlt.
- Es gibt peinliche Schweigepausen, selbst engagierte Mitarbeitende halten sich zurück, es herrscht Ratlosigkeit.
- Auf klare Fragen kommen unklare Antworten.
- Hoher Krankenstand, hohe Fehlzeiten und Fluktuation.
- Unruhe, Intrigen, Gerüchtebildung.
- Papierkrieg.
- Hoher Ausschuss, Reibungsverluste, Pannen.
Wandel ist eine bewusste Entscheidung: Zahlen, Daten, Fakten – Change wird meist aus Sicht der bewussten Wahrnehmung diskutiert. Jedoch weisen Wissenschaftler wie Elisabeth Wehling darauf hin, dass wir nur etwa zwei Prozent bewusst verarbeiten (Wehling, 2016). Nur der geringste Teil unserer Wahrnehmungen dringt in unser Bewusstsein ein. Bewusst sind alle geistigen Tätigkeiten, die ein Mensch bei sich selbst wahrnimmt und über die er Auskunft geben kann, wenn er danach gefragt wird. Wie mächtig das Unbewusste in unserem Gehirn ist, vergleicht der Sozialpsychologe Timothy Wilson (2007) mit einem Eisberg, der einen winzigen Schneeball als Spitze hat (das Bewusstsein). Wie das Unbewusste arbeitet, wird bei einem angekündigten Stellenabbau deutlich. Fühlen sich Menschen bedroht, aktiviert das Gehirn wieder sein Stresssystem und wirft die alten, einfachen Notfallprogramme an: Angriff, Flucht, Erstarrung. In der wahrgenommenen Gefahr verringert das Gehirn die Informationsmenge, die es zu verarbeiten hat. Das Gehirn will der Gefahr entkommen und hält sich möglichst an die einfachsten Muster wie
- Flucht: „Ich gehe sofort woanders hin“
- Konfrontation: „Ich werde es schon schaffen“, „Da müssen wir durch“
- Verleugnung: „Mich wird es schon nicht treffen“.
Die Prüfung, ob der Mitarbeitende den Wandel will oder nicht, erfolgt also unbewusst; sein Bewusstsein ist nicht informiert, wie die Bewertung und die Entscheidung zustandekommen. Er kann das Ergebnis lediglich spüren, und zwar daran, ob er etwas will oder nicht. Kaum ein Change-Konzept geht auf die unbewussten Prozesse des Bewertens und Entscheidens ein. Wichtig für das Einbeziehen des Unbewussten sind Bilder und Geschichten.
Konsequenz: Wir müssen unbewusste Bewertungs- und Erwartungsprozesse einbeziehen und hierfür Bilder und Geschichten schaffen.
Jeder Change-Prozess ist ein Neuanfang: Meist beginnen die Manager einen Change-Prozess im Glauben, dass etwas Neues für sie und die Mitarbeitenden beginnt. Das ist falsch. Fast immer haben die Mitarbeitenden bereits Erfahrungen mit früheren Change-Prozessen gemacht. In der Beratungspraxis zeigt sich, dass die Erfahrungen fast immer negativ waren. Solche früheren Erfahrungen sind danach gespeichert, was geschehen ist (kognitiv), wie sich die Mitarbeitenden gefühlt haben (affektiv) und wie sie körperlich auf den Wandel reagiert haben (somativ) – nämlich mit Verspannungen oder dauerhaften Magenbeschwerden. Im Fall des neuen Change-Prozesses rufen die Mitarbeitenden solche Erfahrungen ab, um aus ihnen zu schließen, wie der neue Prozess aussehen wird. Diese Erfahrungen laufen wie innere Filme ab – fast gleichzeitig und meist unbewusst.
Konsequenz: Wir müssen frühere Erfahrungen der Mitarbeitenden berücksichtigen, weil sie neue Erfahrungen verhindern können.
Motivation entsteht aus Angst vor einer schlimmen Zukunft: Viele der Botschaften der Manager im Wandel erzeugen Angst und Unsicherheit: „Wir müssen uns verändern, sonst gehen wir unter“, „Wir müssen Arbeitsplätze abbauen für die langfristige Sicherung unserer Arbeitsplätze“. Oder gar: „Wenn wir nicht kreativer und innovativer werden, wird uns der Wettbewerb überholen.“ Solche Botschaften können kurzzeitig mobilisieren; langfristig erzeugen sie eine permanent von Angst und Unsicherheit geprägte Stimmung. Die Mitarbeitenden können sich zwar vorübergehend selbst für die korrekte Ausführung der Arbeitsanforderungen kontrollieren. Aber sie müssen sich ständig kontrollieren (Selbstkontrolle), dass sie die Ziele verfolgen, die vom Unternehmen vorgegeben sind und die sie eigentlich gar nicht wollen. Das macht auf Dauer krank, wie die dramatisch gestiegenen Zahlen von Depressionen oder Burnout zeigen. Die von sich selbst heraus bestehende intrinsische Motivation, die aus dem eigenen tiefen Wollen um der Arbeit selbst willen entsteht (Selbstregulation), wird zurückgedrängt.
Konsequenz: Wir brauchen ein Vorgehen, das die innere Überzeugung jedes Mitarbeitenden erzeugt – den inneren Antrieb der Mitarbeitenden (Motivation).
„Einbeziehung der Mitarbeitenden“: Umsetzungshinweise wie „Einbeziehung der Mitarbeitenden“ und „Mitarbeitenden die Chancen des Wandels aufzeigen“ sind abstrakt. Unklar bleibt, wie die Mitarbeitenden konkret einbezogen werden und wie hierdurch ihre Motivation steigen soll. Chancen des Wandels sind individuell, gruppen- und gemeinschaftsbezogen und müssen auch je nach Unternehmen, Branche und Umfeld angepasst sein.
Konsequenz: Wir brauchen ein Change-Programm, das konkrete Hinweise für die Umsetzung enthält.
Die Ziele des Wandels müssen klar und spezifisch sein: Ziele von Change-Prozessen sollen konkrete Ergebnisse sein, wie zum Beispiel „fünf Prozent Umsatz steigern“ oder „drei Innovationen pro Jahr entwickeln“. Hierfür erarbeiten die Manager die erforderlichen Handlungsziele, zum Beispiel konkrete Gewinnziele durch realisierte Innovationen. Indes fehlt ein Haltungsziel beziehungsweise eine Einstellung, das beziehungsweise die die erforderliche Energie für die Zielerreichung freisetzt. Beispiel Serviceorientierung: Um stärkere Kundenorientierung zu erlangen, kann das Unternehmen konkretes Verhalten festlegen, beispielsweise im Umgang mit Beschwerden. Dies ist jedoch sehr aufwändig, weil für die einzelnen Fälle spezifisches Handeln erforderlich ist. Kaum ein Mitarbeitergespräch ohne SMART-Zielvereinbarung, also nach der Regel „spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch, mit Termin“. SMARTE Ziele sind sinnvoll, wenn Motivation schon vorhanden ist und es sich um ganz einfache, klar strukturierte Aufgaben handelt, wie zum Beispiel „mache täglich fünf Neukundenanrufe“. Wenn aber das Ziel im Verkauf lautet: „Begrüße jeden Kunden mit einem Lächeln“, dann zeigt sich, dass Kundenorientierung nicht auf der Verhaltensebene funktioniert, weil dies oft aufgesetzt wirkt; stattdessen sind Haltungs- oder Einstellungsziele erforderlich, die sich ganzheitlich auf Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeitenden auswirken. Ein Haltungsziel wäre das Dach über den Ergebniszielen: „Wenn mein Kunde zufrieden ist, dann hüpft mein Herz.“ Natürlich hat der Mitarbeitende nicht immer in der Hand, ob der Kunde glücklich ist oder nicht, aber seine Haltung beziehungsweise Einstellung zielt auf dessen Zufriedenheit ab.
Konsequenz: Wir brauchen eine Haltung quasi als Dach über den konkreten und spezifischen Zielen.
Change ist für die Erfolgreichen: Change-Management...