Einführung
Charlie Munger ist nicht nur einer der erfolgreichsten Anleger, sondern auch einer der interessantesten Menschen der Welt. Bekannt ist er vor allem als der kein Blatt vor den Mund nehmende Partner von Warren Buffett bei einem sagenhaft erfolgreichen Unternehmen namens Berkshire Hathaway. »Eins plus eins ergibt bei Charlie und mir mit Sicherheit mehr als eins«, sagte Buffett einmal in Anerkennung von Mungers Beitrag.1 Auch seine Erfolge als Investor außerhalb von Berkshire Hathaway sind beeindruckend. Am interessantesten an Munger ist jedoch nicht sein Erfolg bei der Geldanlage, sondern die Art und Weise, wie er denkt und seine Emotionen unter Kontrolle behält.
Mungers Fähigkeit, mit ein paar gut gewählten Worten zum Kern einer Angelegenheit vorzudringen, ist legendär, ebenso wie sein Wunsch nach unabhängigem Denken. Eine fundamental wichtige Wahrheit über Geldanlage lautet, dass die meisten Leute dabei keine unabhängigen Entscheidungen treffen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer zu den wenigen Menschen zählt, die unabhängig denken, ihre Emotionen kontrollieren und psychologische Fehler vermeiden können, hat als Anleger Vorteile. Über Mungers Wunsch, das Denken selbst zu erledigen, hat Buffett einmal die folgende Anekdote erzählt:
Im Jahr 1985 bekam eine große Investmentbank den Auftrag, das Unternehmen Scott Fetzer zu verkaufen. Sie bot es vielen Interessenten an, allerdings ohne Erfolg. Als ich davon las, schrieb ich an Ralph Schey, damals wie heute CEO von Scott Fetzer, um mein Interesse an einer Übernahme zu bekunden. Ich hatte Schey noch nie getroffen, aber innerhalb einer Woche wurden wir uns einig. Leider sah die Auftragsbestätigung für die Investmentbank ein Honorar von 2,5 Millionen Dollar bei einem Verkauf vor, selbst wenn sie nichts mit dem Finden des Käufers zu tun hatte. Ich vermute, der leitende Banker hatte das Gefühl, er müsse für sein Geld zumindest irgendetwas tun, also bot er uns freundlicherweise ein Exemplar des hübsch gebundenen Berichts über Scott Fetzer an, den seine Bank produziert hatte. Taktvoll wie immer lautete Charlies Antwort auf dieses Angebot: Ich gebe Ihnen 2,5 Millionen, wenn ich es nicht lesen muss.
– WARREN BUFFETT, CHAIRMAN’S LETTER, 1999
Vor allem Geschichten wie diese – neben vielen schillernden Berichten über andere Äußerungen Mungers – waren der Grund dafür, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Munger ist als Person hauptsächlich deshalb so interessant, weil er, um es in einem Wort zu sagen, hemmungslos ist. Er sagt genau das, was ihm durch den Kopf geht, und interessiert sich dabei wenig für Taktgefühl oder gesellschaftliche Konventionen. Diese Offenheit ist wertvoll, denn manchmal muss einfach irgendjemand sagen, dass der Kaiser keine Kleider anhat. Doch obwohl er auf eine herausragende Erfolgsgeschichte bei der Auswahl von Aktien zurückblicken kann und ein erhebliches Vermögen angehäuft hat, meint er selbst, dass sich andere Menschen ihn alles in allem lieber nicht zum Vorbild nehmen sollten. Seiner Ansicht nach hat die Herausbildung eines eigenen Kopfes in seinem Leben eine große – vielleicht zu große – Rolle gespielt. Und durch die blinde Übernahme von Eigenheiten seiner Person (einschließlich, aber nicht nur seine Respektlosigkeit) würde man sich leicht unbeliebt machen.
Munger ist klar, dass er bei manchen Themen wie ein Blitzableiter die Kritik auf sich zieht. »Vielleicht wird man sich an mich als Klugscheißer erinnern«, sagte er einmal, wohingegen sein Anlagepartner Warren Buffett eher als Lehrer in Erinnerung bleiben werde. Von manchen Leuten bekomme ich auch zu hören, dass sie die Aufregung um Munger gar nicht verstehen können. Doch sie übersehen einen entscheidenden Punkt: Niemand anders kann Charlie Munger sein, ebenso wenig, wie jemand anders Warren Buffett sein kann. Es geht nicht darum, jemanden als Helden zu feiern, sondern darum, zu überlegen, ob Munger wie sein eigenes Vorbild Benjamin Franklin Qualitäten, Merkmale, Systeme oder Lebenskonzepte hat, denen wir nacheifern wollen, vielleicht auch nur zum Teil. Genau diese Möglichkeit ist auch der Grund dafür, warum Munger Hunderte von Biografien gelesen hat: Vom Erfolg wie vom Scheitern anderer zu lernen ist die schnellste Methode, um intelligenter und klüger zu werden, ohne dabei allzu viel selbst erleiden zu müssen.
Trotz seiner Respektlosigkeit ist Munger auf seine unnachahmliche Weise selbst ein Lehrer. Einmal sagte er:
Das Beste, was ein menschliches Wesen tun kann, ist, anderen menschlichen Wesen zu helfen, mehr zu wissen.
– CHARLIE MUNGER, BERKSHIRE-HAUPTVERSAMMLUNG 2010
Vieles von dem, was Munger interessant macht, lässt sich mit einem einfachen Satz von ihm erklären: »Ich beobachte, was funktioniert und was nicht und aus welchen Gründen.« Das Leben ereignet sich für Munger wie für jeden anderen Menschen, aber anders als die meisten anderen denkt er intensiv darüber nach, warum etwas passiert, und arbeitet hart daran, aus solchen Erfahrungen zu lernen.
Wie Warren Buffett wurde auch Munger in Omaha im US-Bundesstaat Nevada geboren und ist dort aufgewachsen. Er studierte Mathematik an der University of Michigan, doch bevor er seinen Abschluss machen konnte, kam der Zweite Weltkrieg dazwischen. Während des Krieges diente er nach einer Schulung am California Institute of Technology (Caltech) als Meteorologe beim US-Militär. Nach Kriegsende konnte er sich trotz fehlendem Abschluss an der Harvard Law School einschreiben. In seiner Zeit am Caltech hatte er Kalifornien lieben gelernt und nach der Law School gründete er dort mit ein paar Partnern eine Kanzlei, die zu einer der angesehensten des ganzen Landes werden sollte. Warren Buffett lernte er erst kennen, als er schon im kalifornischen Pasadena lebte. Auf dessen Drängen hin gab er trotz seiner großen Erfolge die Juristerei auf, um sich in Vollzeit der Geldanlage zu widmen. Von 1962 bis 1975 leitete er eine Partnership für eine Gruppe von Anlegern, die in diesem Zeitraum jährliche Renditen von fast 20 Prozent erwirtschaftete, verglichen mit weniger als 5 Prozent im Dow-Jones-Index. Munger sammelt keine Ferraris und hat auch keine riesigen Anwesen. Er ist Milliardär, doch in vielen Aspekten seines Lebens, die nichts mit Ideen oder Investieren zu tun haben, ist er ziemlich normal.
Munger ist oft als Redner aufgetreten, hat viele Essays verfasst und auf den Hauptversammlungen von Wesco Financial und Berkshire Hathaway Legionen von Aktionären unterhalten. Dennoch wurden seine Ideen bislang noch nie in einer Form präsentiert, die man als vereinheitlichte Theorie bezeichnen könnte. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass Mungers Hirn Kapriolen schlagen kann, die Leute mit, sagen wir, durchschnittlicher Intelligenz klar überfordern. Für normale Menschen ist es ausgesprochen schwierig, im Kopf mit »mehreren Modellen« zu jonglieren, wie Munger das nennt, wenn sie keinen verständlichen Gesamtrahmen für die einzelnen Ideen haben. Das Ziel dieses Buches ist, Ihnen zu aufzuzeigen, wie Sie mehr wie Charlie Munger denken können.
Wie habe ich selbst meinen Weg zu den Überlegungen von Munger gefunden? Die Entstehungsgeschichte dieses Buches beginnt in der Zeit unmittelbar vor dem Platzen der Internetblase, als viele alte Wahrheiten über Geldanlage infrage gestellt wurden. Der in Zeiten der Blase entstandene Reichtum war für jeden, der sich damit beschäftigte, geradezu unwirklich. Marc Andreessen hat sich dazu auf Twitter später so geäußert: »Das überwältigende Gefühl, das herrschte, war Panik – Panik, man könnte etwas verpassen.« Wahrscheinlich handelte es sich damals um eine Massenpsychose, doch die meisten Leute fragten sich nur, was wäre, wenn es trotzdem noch weitergeht: »Was, wenn sich die Kurse noch mal verdoppeln oder verdreifachen?« Für jeden, der wie ich in dieser verrückten Zeit nach Antworten darüber gesucht hat, was an den Märkten vor sich ging, war es nur logisch, sich mit den Meinungen von erfolgreichen und überlegt handelnden Anlegern zu beschäftigen.
Um mir einen Reim auf das Geschehen an den Märkten zu machen, charterte ich im Sommer 1999 ein Boot samt Skipper, von dem ich mich mit meiner Familie zu den San Juan Islands im Bundesstaat Washington fahren ließ. Für diese Reise packte ich alles ein, was je von und über Warren Buffett geschrieben worden war. Als ich an Deck sitzend über Buffetts Anlagemethoden las, stellte ich fest, dass es tatsächlich eher Mungers Ideen waren, die bei mir am meisten Anklang fanden. Eine konkrete Frage wollte ich zu dieser Zeit am dringendsten beantwortet haben: Wie viele meiner stark gestiegenen Aktien von Internet- und Telecom-Unternehmen sollte ich verkaufen? Meine Familie hatte viel Spaß auf dem Boot und auf den Inseln, während ich an Deck tief in Gedanken die Bücher rauf- und runterlas. Eine Woche lang tat ich fast nichts als Lesen und Nachdenken. Gegen Ende der Reise aber war ich zu einer Entscheidung gekommen: Ich wollte genau die Hälfte meiner Internet- und Telecom-Aktien verkaufen. Denn, so war ich überzeugt, auf diese Weise würde ich am wenigsten zu bereuen haben, egal was als Nächstes passierte. Angesichts des folgenden Totalcrashs war es keine optimale Entscheidung, doch ich war damals zufrieden mit ihr und bin es noch heute. Die Reise war der Beginn meines tiefen Eintauchens in die Welt des Value-Investing.
Das von Benjamin Graham entwickelte und von Munger genutzte System für Value-Investing ist für normale Anleger die beste Einzelmethode, um höhere Renditen zu erzielen als ein Marktindex. Zwar ist Value-Investing...