Kapitel 4.1.1, Mangelndes Bewusstsein für geistige Eigentumsrechte in China
Als Hintergründe für das im Vergleich zu unserer westlichen Auffassung nach rückständige Verständnis für zhishi chanquan können einerseits kulturelle Faktoren und andererseits politische Faktoren durch die Zeit des Sozialismus genannt werden.
Mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt. Erst wenn es in dieser großen Bevölkerung zu einem Anstieg des Bewusstseins für Recht und Ordnung kommt, ist das Problem der Produktpiraterie zu lösen. Während das Nachahmen von Leistungen anderer in Deutschland gesellschaftlich mit keinem Ansehen verbunden ist und von dem Kopierten nicht gerne festgestellt wird, kann davon in China nicht die Rede sein. Die Morallehren des Konfuzius sind auch heute noch weit verbreitet und Basis chinesischen Handelns. Dieser ermutigte das Lernen durch Kopieren. Nach Konfuzius ist es auch für den Lehrherren eine große Ehre, von seinem Schüler kopiert zu werden. In der chinesischen Bevölkerung gilt es daher als Kompliment, wenn ein Außenstehender eigene Werke als so bedeutend anerkennt, dass er sie kopieren möchte. Übersetzt man das chinesische Wort Xue in die deutsche Sprache, so bedeutet dies lernen und nachahmen zugleich. Durch Nachahmung erreichter Erfolg war und ist Teil des chinesischen Bildungssystems. Abgesehen von der inhaltlichen Ausgestaltung des Bildungssystems, mangelt es noch immer sehr vielen Chinesen grundsätzlich an Bildung. Dies führt dazu, dass noch immer ein Grundverständnis für geistige Eigentumsrechte, insbesondere für die daraus erzielbaren Vorteile, fehlt. Solange die Bevölkerung in China nicht darüber aufgeklärt ist, was geistiges Eigentum ist und zudem eher einen persönlichen Schaden als Vorteile damit assoziiert, bleibt es wahrscheinlich, dass diese Rechte keine große Berücksichtigung finden werden. Trotz positiver Entwicklungen, die bspw. durch Darstellungen von Gesetzesverstößen und Gerichtsfällen beeinflusst werden, besteht weiterhin eine starke Unklarheit über geistige Eigentumsrechte bei einer deutlichen Mehrheit der Chinesen.
Vor Inkrafttreten des modernen Systems für geistige Eigentumsrechte in den 80er Jahren, war China über drei Dekaden hinweg von Erfahrungen geprägt, die auf den Werten der UdSSR basierten. Um Klassenunterschiede zu beseitigen, gehörte nach der sozialistischen Ideologie jede Form des Eigentums, also auch das geistige Eigentum, dem Staat. Innovative und kreative Leistungen kamen dem Nutzen des Staates zugute. Daraus folgte, dass Registrierungen nicht benötigt wurden und das Recht auf geistiges Eigentum unbekannt blieb. Über mehrere Dekaden hinweg wurde geistiges Eigentum systemimmanent als öffentliches Gut betrachtet. Solange eine Missachtung mit einem Dienst für die Allgemeinheit einherging, wurde sie auch nicht unbedingt als verwerflich betrachtet. Dies würde bspw. auch begründen, weshalb das Strafmaß im Falle von Produktpiraterie noch heute deutlich geringer ausfällt als in Folge von Schmuggelgeschäften.
Kapitel 4.1.2, Kennzeichnung weiterer ausgewählter Ursachen für die Schwierigkeiten bei der Implementierung des TRIPS-Abkommens in der VR China: Es existieren noch eine Reihe anderer Hindernisse für eine effiziente Durchsetzung der Eigentumsrechte in China. Hierzu gehört auch das hohe Korruptionsniveau in China, wobei unter Korruption die Bestechlichkeit von Beamten und Funktionären zu verstehen ist. Diese kann als eine Begleiterscheinung der wirtschaftlichen Transformation Chinas betrachtet werden.
Bis zum Jahr 1978 war die Bevölkerung durch weit verbreitete Armut gekennzeichnet, so dass kaum Möglichkeiten zur Korruption entstehen konnten. Erst im Zuge wirtschaftlicher Entwicklungen und dem Übergang von Plan- zu Marktwirtschaft flossen den Bürgern mehr Mittel zu. Beamte mit eher dürftigen Gehältern konnten nun durch den Missbrauch ihrer Funktion Zusatzverdienste erwirtschaften, indem diese besser situierten Bürgern Vorteile verschafften. Gerade in Folge hoher Gewinnmargen der Fälschungen lassen sich hohe Bestechungsgelder finanzieren, so dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden unter Umständen ausreichende Anreize haben, die Verfolgung zu unterlassen.
Auch wenn man seit 1998 intensiv versucht, gegen Korruption anzukämpfen und daher bspw. ranghohe korrupte Politiker zum Tode verurteilt hat, so ist die Korruption dennoch zu einem Teil des Verwaltungssystems geworden. Gelingt es China zukünftig, das Korruptionsniveau zu senken, so wird dadurch auch die Produktpiraterie abnehmen.
China hat keine Tradition der Rechtsstaatlichkeit. China wird im Folgenden auf ein modernes System von geistigen Eigentumsrechten hin überprüft, für dessen Errichtung es lediglich zwei Dekaden Zeit hatte – Industriestaaten hatten hierfür durchschnittlich über hundert Jahre Zeit. Auch das Gerichtssystem ist daher noch relativ neu, was dazu führt, dass Anwälte und Richter noch Zeit benötigen, um die relevanten Erfahrungen zu sammeln. Ferner mangelt es für die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchsetzung vielen Richtern an einer adäquaten Ausbildung.
Gerade in Folge der schwerwiegenden Veränderungen des Rechtssystems konnten bisher trotz spezieller Schulungsprogramme keine ausreichenden Rechts- sowie sonstigen Fachkenntnisse für die gerichtliche und administrative Umsetzung geschaffen werden. Vor dem Hintergrund geografischer Unterschiede existieren diese unbefriedigenden Ausbildungsstände umso deutlicher, je weiter in abgelegene, weniger entwickelte Regionen des Landes gegangen wird. Erschwerend wirkt sich auch das Fehlen einer Gewaltenteilung aus, wie es sie bspw. in Deutschland gibt, so dass Gerichte anstelle eines unabhängigen Organs den Interessen lokaler Regierungen zu folgen haben. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass in China nicht nur Kleinbetriebe sondern auch große Staatsunternehmen in der Erzeugung von Fälscherware involviert sind, folgt, dass sowohl die Regierungen als auch Staatsunternehmen von der Produktpiraterie profitieren.
Ebenso spielt das Angebot auf den chinesischen Märkten ein Rolle. Besonders in strukturell schlechter entwickelten Regionen, insbesondere in Zentral- und Westchina, aber auch in speziellen Produktionsbereichen wie z.B. der Software, existieren kaum Originale. Engpässe bzw. Nachfrageüberhänge auf nationaler Ebene bestehen, da die Märkte Chinas noch immer nicht angemessen zum Weltmarkt geöffnet sind. Daher spricht die International Intellectual Property Alliance (IIPA) von einer symbiotischen Beziehung zwischen dem Kampf gegen Piraterie und der Notwendigkeit eines liberalisierten Marktzugangs, um den Vertrieb von rechtsverletzenden Gütern an die chinesischen Konsumenten zu unterbinden. Denn bei einem durch Originale nicht zu befriedigenden Bedarf existiert somit ein Zwang zur Befriedigung dieses Bedarfs durch Kopien und somit zur Rechtsverletzung. Eine effektive Verfolgung der Rechtsverletzungen ist erfahrungsgemäß jedoch nur möglich, solange die Anzahl der Verstöße beschränkt bleibt.
Ferner wird die Rechtsdurchsetzung der vereinbarten Vorgaben durch einen Koordinationsmangel zwischen den staatlichen Ämtern und Institutionen, einer mangelnden Transparenz in dem gesamten Durchsetzungsprozess sowie dessen Ergebnissen und einem lokalen Protektionismus gebremst...