Vorwort
Seit der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA geht weltweit das Gespenst der Rückkehr zu Protektionismus und Begrenzung der Globalisierung um. Selbst das Androhen neuer Mauerbauten an Staatsgrenzen ist wieder salonfähig geworden. Außenhandelsüberschüsse werden kritisch bewertet, und die USA drohen führenden Exportnationen Strafzölle an.
Ausgerechnet in dieser Zeit triumphierte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Januar 2017 auf dem Davoser Wirtschaftsforum als neuer Star der freien Weltwirtschaft.1 Dabei ist China immer noch offiziell eine Planwirtschaft mit dem aktuell 13. Fünfjahresplan bis 2020.2 Der Fünfjahresplan zielt darauf ab, dass die Volksrepublik China in definierten Schlüsselbereichen eine globale Führungsposition erreicht. Dazu zählen alle signifikanten Zukunftsbereiche von der Informationstechnik, Robotik und Hightech-Ausrüstungen über die Luft- und Raumfahrt sowie modernste Schnellbahntechnik bis hin zur E-Mobilität, aber auch Biotechnologie sowie Landwirtschaftstechnik. Die wirtschaftspolitische Position der Volksrepublik China gegenüber Europa und speziell Deutschland hat sich laut offizieller Einschätzung des Auswärtigen Amtes weiter verstärkt. China ist inzwischen wichtigster Handelspartner für Europa und Deutschland.3 Zusammenfassend und diplomatisch formuliert schätzt das Auswärtige Amt die Beziehungen so ein:
„Dynamische Handelsbeziehungen, Investitionen, Umweltzusammenarbeit, forschungs- und wissenschaftspolitische Zusammenarbeit und ein intensiver hochrangiger Besucheraustausch prägen die Beziehungen. Reziproke Marktöffnung für Handel und Investitionen, Schutz geistigen Eigentums und unfreiwilliger Technologietransfer bleiben Themen des Dialogs zwischen Unternehmen und den Regierungen beider Länder.“4
Chinas Wachstum bestimmt zunehmend die Weltkonjunktur, auch wenn es sich statt zweistellig „nur noch“ um 6,5 Prozent bewegt. Das Wachstum soll nachhaltiger werden, und angekündigte Reformen vorwiegend strukturbestimmender Staatsunternehmen müssen greifen. Das betrifft vor allem den Umbau von 111 zentralstaatlichen und geschätzten rund 150.000 Staatsunternehmen auf Provinz- und lokaler Ebene.5 Im Wettstreit um die Überlegenheit von Marktwirtschaftsmodellen gegenüber Planwirtschaftsansätzen gibt es allerdings seit Längerem eher verhaltene Töne, wenn es um China geht. Chinas Wirtschaftsmodell lässt sich nicht in ein einfaches Schema einordnen, denn es gibt keine andere erfolgreiche Exportnation mit einem Fünfjahresplan und einem zentralgeleiteten Innovationssystem, aber zugleich auch starken international agierenden Unternehmen.
Im Wettstreit der internationalen Akteure hat China parallel zur zunehmenden Konfrontation des Westens mit Russland ein geopolitisches Initiativmodell der Kooperation und Entwicklung zum gegenseitigen Vorteil entworfen, das weltweit seinesgleichen sucht. Ein zentraler Bestandteil dieser Neuorientierung im freien Welthandel ist Chinas Vision der Wiederbelebung der alten Seidenstraße. Schon im Herbst 2013 hatte Xi Jinping an der Nasarbayev University in Kasachstan seine „One Belt One Road“-Initiative (kurz: OBOR) als Projekt einer „neuen Seidenstraße“ angekündigt. Diese Initiative hat neben der wirtschaftlichen und geopolitischen auch eine hohe symbolische Bedeutung, knüpft es doch an die berühmte Seidenstraße an, die China schon im 2. Jahrhundert v. Chr. über viele Zwischenstationen mit Europa verbunden hatte. Dieser Tatsache ist es geschuldet, dass in einem Anhang gesondert die Historie dieser alten Seidenstraße von Nikolaus Egel, einem Spezialisten alter Weltkarten wie der Mappamondo des Fra Mauro, skizziert wird.6
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich das „Reich der Mitte“ zu einer führenden Weltmacht aufschwingt. Noch heute hängen viele Chinesen den großen Zeiten der Han-Dynastien und der Tang-Dynastien nach, in denen China weite Teile der alten Seidenstraße dominierte. Damals waren die Römer und später die Byzantiner begierig nach den Seidenprodukten, die den alten Handelswegen durch Zentralasien und den mittleren Osten ihren legendären Namen gaben. Die Herstellung des Naturprodukts Seide zählte in China zu den bestens gehüteten Geheimnissen bis ins 16. Jahrhundert hinein, so dass der edle Stoff nur aus China importiert werden konnte, obwohl natürlich auch viele andere Güter von Gewürzen bis zu Porzellan auf dem damals weltgrößten Handelsweg transportiert wurden.
In der Tradition der Seidenstraße möchte China im 21. Jahrhundert Asien und Europa nicht nur mit modernen Straßen, Schienennetzen, Schifffahrtslinien, Häfen, Industriekorridoren und Kommunikationsnetzen verbinden, sondern auch den friedlichen Wettbewerb zum gegenseitigen Vorteil und kulturellen Austausch fördern. Die Initiative einer „neuen Seidenstraße“ knüpft in seiner Popularisierung und Vermarktung bewusst an die große Vergangenheit der Seidenstraße an und erscheint als äußerst ambitioniert. Das liegt auch daran, dass die geplante Verbindung mit Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und den Iran durch Länder führt, die heute nicht nur strukturell wenig erschlossen und voller geografischer Hindernisse sind, sondern die zudem auch zumeist politisch instabil und damit für den Handel nicht ungefährlich – und teils, wie der Iran, auch von den USA und der EU sanktioniert – sind.
Darüber hinaus ist mit der Initiative der „neuen Seidenstraße“ auch an eine ebenbürtige Ausdehnung des Seehandels durch eine maritime Route gedacht, die gleichfalls an ruhmreiche Zeiten Chinas als Seemacht anknüpft. Chinas maritime Ambitionen erinnern damit an die Unternehmungen der Portugiesen, die gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Seeweg nach Indien (die sogenannte „Gewürzroute“) auf ähnlichen maritimen Wegen eingerichtet hatten – mit der Errichtung von Häfen und Befestigungsanlagen entlang der afrikanischen Küste, um sich den Zugang zum lukrativen Gewürzhandel mit Indien und Südostasien dauerhaft zu sichern. So wurde Portugal von einer lokalen Macht zu einem der größten und mächtigsten Imperien der Frühen Neuzeit.7 Einen ähnlichen Versuch hatte China mit den Expeditionen Zheng He’s in umgekehrter Richtung bereits während der Ming-Dynastie zu Beginn des 15. Jahrhunderts unternommen.8
Die chinesische Initiative zur Wiederbelebung der Seidenstraße(n) umfasst eine – zumindest in der aktuellen Zeitgeschichte – unvergleichliche Dimension.9 Die Führung in Peking verspricht sich davon einen engeren wirtschaftlichen Austausch mit seinen Nachbarn, aber auch bis hin nach Afrika, den mittleren Osten und Europa, und darüber hinaus auch immer, zumindest in den Ankündigungen, wechselseitige Vorteile, Wirtschaftswachstum und Aufschwung. Dass die Sicherung der großen Öl-, Edelmetall- und Gasvorkommen sowie sonstigen Rohstoffe in Zentralasien ein weiteres wesentliches Motiv darstellen, liegt auf der Hand.
Die USA haben mit ihrem „Silk Road Strategie Act“10 im Jahr 1999 eine ähnliche Strategie angedacht. Die EU hatte sich bereits seit 1993 im Rahmen des TRACECA-Projekts11 (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia-, deutsch „Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien“) um einen infrastrukturellen Ausbau zwischen Europa und Zentralasien bemüht, wie zum Abschluss des ersten Kapitels näher erläutert wird.
In diesem Zusammenhang sei auch an die wiederholten Bemühungen Russlands erinnert, eine Freihandelszone von „Lissabon bis Wladiwostok“ einzurichten. Wladimir Putin hatte diesen Vorschlag bereits auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 unterbreitet, aber kein Gehör gefunden, obwohl er ihn später mehrfach wiederholte.12 Die Folgen der sich daraus ergebenden verstärkten politischen und ökonomischen Zuwendung Russlands zu China werden – wie alle Entwicklungen entlang der Seidenstraße – erst in Zukunft abzuschätzen sein.13
China wächst wirtschaftlich nach wie vor trotz aller Rückschläge mit einer hohen Geschwindigkeit. Mit China ist eine neue und selbstbewusste politische und wirtschaftliche Großmacht wiedererstanden, die in den nächsten Jahrzehnten von hoher geopolitischer Bedeutung sein dürfte. Chinas neue Seidenstraße ist dafür jene Vision, die als weltumspannende Kontinental- wie Seeverbindung das 21. Jahrhundert verändern soll. Chinas außenpolitische Rolle wächst damit aus geopolitischer Sicht und fordert die USA und Europa wie seit Langem vorhergesagt auf neue Weise nicht nur in Eurasien, sondern bis nach Afrika heraus. Der US-Politologe Joseph S. Nye spricht von einer chinesischen „Marco-Polo-Strategie“.14 Europa und den USA, ja dem gesamten Westen fehlt eine analoge Vision, wie China sie mit der neuen Seidenstraße vorgelegt hat. Im Weiteren werden dazu Licht und Schatten der neuen Seidenstraßen-Initiative im...