Eine Dynamik hin zu bilateralen und regionalen Handelsabkommen außerhalb der WTO hat eingesetzt, weil der Königsweg über multilaterale Verhandlungen in der WTO nach wie vor versperrt ist. Die Idee einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft entsprang 2011 einer während des EU-USA-Gipfel-treffens eingerichteten „High-Level Working Group on Jobs and Growth“[62], bestehend aus Expertinnen und Experten der US-Regierung sowie der EU-Kommission, welche Optionen der Intensivierung der EU-USA-Wirtschafts-beziehungen erforschen sollte. Seit 2013 fanden bereits acht Verhandlungsrunden zwischen der EU und den USA statt. Sollten die Verhandlungen in den nächsten Jahren abgeschlossen sein, so stellt TTIP das wohl bedeutendste Freihandels-abkommen der Geschichte dar, dessen Freihandelszone rund die Hälfte des weltweiten BIP erfassen wird[63]. Ein transatlantisches Handels- und Investitions-abkommen eröffnet den zwei größten Volkswirtschaften weltweit die Möglichkeit, globale Standards für nachhaltiges Wirtschaften zu setzen. Zunächst wird in diesem Kapitel die Notwendigkeit des TTIP aufgezeigt. Danach werden die konkreten Verhandlungsziele erläutert und im Anschluss mögliche Konflikte diskutiert.
Bedeutung des TTIP gegenüber anderen Freihandelsabkommen
Die im vorherigen Kapitel veranschaulichte wachsende Anzahl an regionalen und bilateralen Freihandelsabkommen geht einher mit einer Vielzahl an geplanten und aktuell in Verhandlung stehenden Freihandelsabkommen. Staaten schließen Freihandelsabkommen aus zwei Motiven ab[64]: Einerseits erhoffen sie sich ein höheres wirtschaftliches Wachstum durch den Abschluss eines Abkommens, andererseits befürchten sie im Welthandel abgehängt zu werden, wenn sich andere Staaten dem Welthandel durch Bündnisse öffnen. Angesichts der zunehmenden Integration aufstrebender Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien in internationale Produktionsnetzwerke, nimmt der Einfluss der EU und der USA auf die Gestaltung des Welthandels stetig ab.
Besonders in der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) voll-ziehen sich maßgebliche Fortschritte bei der Realisierung einer Freihandelszone Asien-Pazifik (FTAAP). Die 21 APEC-Staaten stellen knapp die Hälfte der Welt-bevölkerung und sind eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaftsregionen der Welt. Insbesondere die aufstrebende Supermacht China nutzt die wirtschaftliche Dominanz auch bei Diskussionen zu bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen außerhalb Asiens, um dessen Position im Welthandel zu sichern und weiter auszubauen[65]. Mit der Unterzeichnung des China-ASEAN-Freihandelsabkommens im Jahre 2008 wurde der Grundstein zur größten Freihandelszone weltweit gelegt[66]. Diese soll mit der FTAAP erweitert werden, einer vor allem von China propagierten Handelsgemeinschaft, die dann rund 60% des weltweiten BIP repräsentieren würde[67]. Das Bündnis könnte die Regeln und Standards für den Welthandel von morgen vorgeben.
Derzeit beschleunigen die USA mit Japan, Kanada, Mexiko und acht weiteren asiatisch-pazifischen Staaten die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, das China bewusst ausklammert und dessen Verhandlungen parallel zum TTIP laufen, die Transpazifische Partnerschaft (TPP). Mit dem TPP planen die USA und Japan die kleinere Alternative zur FTAAP ohne China umzusetzen. Gründe dafür sind einerseits die Behauptung ihrer strategischen Position im Welthandel[68], aber auch der Schutz des geistigen Eigentums als zentralen Verhandlungspunkt, um den sich China wenig sorgt. Russland als potenzieller Partner der FTAAP wird hingegen kein Mitglied der TPP, was vor allem der aktuellen Russland-Ukraine-Krise zu schulden ist.
Die EU hingegen setzt zumeist auf bilaterale Freihandelsabkommen und stellt sich damit zunehmend selbst ins Abseits bei der Gestaltung des Welthandels[69]: In den nächsten Jahren werden mehr als 90% der weltweiten Nachfrage außerhalb der EU liegen, weshalb die EU nicht den Anschluss an solche Mega-Abkommen wie das TPP oder der FTAAP verlieren darf[70]. Zukünftige Partner der EU sind z. B. Indien, Russland, China und einzelne ASEAN-Staaten[71]. Besonders bei den ASEAN-Staaten ist es wichtig, eher auf das gesamte ASEAN-Bündnis als zukünftigen Handelspartner zu setzen, statt auf einzelne ASEAN-Mitglieder-staaten. Ein Vorteil dabei sind die aus dem Kolonialismus hervorgegangenen langfristigen, stabilen Handelsbeziehungen zwischen der EU und den ASEAN-Staaten[72]. Dennoch bieten bilaterale Abkommen, wie das 2013 unterzeichnete CETA-Abkommen, die Chance von „Spillover-Effekten“[73]: Die EU besitzt beispiels-weise ein Freihandelsabkommen mit Mexiko. Wenn die EU nun das TTIP erfolgreich abschließt, so führt dies schlussendlich zu einem umfangreichen EU-NAFTA-Freihandelsabkommen[74].
Abschließend lässt sich festhalten, dass das TTIP speziell für die EU die vielleicht letzte Möglichkeit darstellt, Anschluss an die rasante Entwicklung der Weltwirtschaft zu erlangen und aktiv bei der Gestaltung des Welthandels mitzuwirken. Mit dem aktuell noch verhandelten TPP und der geplanten FTAAP verlagern sich die Gewichte des Welthandels zunehmend in den asiatisch-pazifischen Raum. Dabei ist es wichtig, dass diese neuen Mega-Abkommen einzelne bilaterale Freihandelsabkommen und diverse, kleinere regionale Abkommen ersetzen. Die Verhandlungspartner solcher Mega-Abkommen sollten den offenen Regionalismus hin zum vorteilhafteren Multilateralismus unterstützen, indem sie kooperieren und sich nicht zu eigenständigen, konkurrierenden Handelsblöcken entwickeln, die eine Gefahr für die multilaterale Handelsliberalisierung im Sinne der WTO darstellen[75].
Chancen und Risiken des TTIP
Ziele der Verhandlungen
Die EU und die USA sind wirtschaftlich eng miteinander verbunden, so sind die USA der wichtigste Handelspartner für die EU und diese wiederum ist die wichtigste Region für US-amerikanische Direktinvestitionen. Der transatlantische Handel ist besonders intra-industriell geprägt, das heißt ähnliche Produkte werden gehandelt. In dem mittlerweile öffentlich zugänglichen TTIP-Verhandlungsmandat wird eine Leitlinie zur konkreten Zielvorstellung formuliert:
„Mit dem Abkommen wird das Ziel verfolgt, Handel und Investitionen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten auszuweiten, indem das bislang nicht ausgeschöpfte Potenzial eines echten transatlantischen Marktes genutzt wird, durch einen besseren Marktzugang und eine größere regulatorische Kompatibilität neue wirtschaftliche Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum eröffnet werden und der Weg für weltweite Standards geebnet wird.“[76]
Das TTIP soll also einen transatlantischen Markt schaffen, der den trans-atlantischen Handel vereinfacht, ohne dabei Einbußen bei den Schutzniveaus zuzulassen. Die Verhandlungsführer streben bei einem Freihandelsabkommen nach Wohlfahrtsgewinnen aufgrund zusätzlicher Exporte und durch positive Wachstums-, Effizienz-, Einkommens- und Beschäftigungseffekte für beide Wirtschaftsräume sowie daraufhin steigender internationaler Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die EU und die USA prognostizieren, dass durch ein höheres Handelsvolumen die Umsätze von Unternehmen steigen, deren Produktions-kosten allerdings sinken und demzufolge auch die Preise für Verbraucher fallen. Es kann also die Produktivität gesteigert werden und die Realeinkommen privater Haushalte steigen. Eine Zunahme an Direktinvestitionen und Produktinnovationen wird ebenfalls erwartet. In welchem Ausmaß die prognostizierten ökonomischen Wachstumseffekte konkret liegen wird Gegenstand des letzten Kapitels sein.
Kernaspekte der Verhandlungen über das TTIP sind ein verbesserter Markt-zugang durch den Abbau von Handelshemmnissen, eine verbesserte regulatorische Zusammenarbeit sowie eine verbesserte Zusammenarbeit im Bereich internationaler Regelsetzung[77]. Eine Investitionsschutzklausel und Maßnahmen zur Modernisierung bestehender Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren sind ebenfalls ein zentrales Ziel des Abkommens, was Diskriminierung von Investoren gegenüber inländischen Produzenten verhindern sowie deren Investitionen schützen soll[78].
Im verbesserten Marktzugang sollen Zölle beseitigt werden und bis auf sensible Bereiche vollkommen abgeschafft werden[79]. Die Zölle im transatlantischen Handel sind mit durchschnittlich 2,2% an den US-Grenzen und 3,3% an den EU-Grenzen zwar bereits niedrig (mit sektoralen Spitzensätzen z. B. im Agrarsektor)[80], aber bei der Intensität des transatlantischen Handels könnten sich geringfügige Zollreduzierungen bereits in spürbaren Wachstumseffekten äußern.
Weitaus höhere Zollsätze hingegen sind aktuell bei den regulatorischen Unterschieden zwischen der EU und den USA messbar. Dementsprechend gilt es speziell die nicht-tarifären Handelsbeschränkungen mittels wirksamer und effizienter Mechanismen zu beseitigen[81], um die Wettbewerbsfähigkeit von Gütern zu steigern und die Kosten für die Verbraucher zu senken. Eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) im Auftrag der Europäischen Kommission hat nachgewiesen, dass bis zu 80% der potenziell durch TTIP ermöglichten Gewinne durch die Beseitigung der nicht-tarifären...