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E-Book

Christian Kracht und die Entwicklung der Popliteratur

AutorStefanie Udema
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783640511013
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität zu Köln (Institut für deutsche Sprache und Literatur), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit der Aussage 'Ich habe keine Ahnung, was das sein soll: Popliteratur' antwortet der Schriftsteller und Jungautor Christian Kracht in einem Interview der ZEIT kurz nach der Veröffentlichung der Anthologie Mesopotamia auf die Frage, ob er Popliteratur schreibe. Sein Schriftstellerkollege und Interviewpartner Benjamin von Stuckrad Barre setzt sogleich die Antwort Christian Krachts wie folgt fort: 'Jeder, der ein ernst zu nehmendes Verhältnis zu Pop hat, würde dieses nichts sagende Wort gebrauchen. Ich würde es nicht Popliteratur, sondern allenfalls Literatur-Pop nennen'. Derartige Aussagen der befreundeten Schriftsteller und Jungautoren Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre verweisen in aller Deutlichkeit auf die Schwierigkeit einer Definition der literarischen Strömung Popliteratur. Unwissenheit seitens Christian Kracht, Wortspiel seitens Benjamin von Stuckrad-Barre. Die Umkehrung des Kompositum Popliteratur zu Literatur-Pop trägt eher zum Wirrsal denn zur Klärung des Begriffes bei und präsentiert das immer noch vorhandene Dilemma eines literarischen Genres, dass sich unter dem Namen Popliteratur subsumieren lässt. Georg Paul Thomann erklärt die Abwendung der Autoren von dem institutionalisierten Format Popliteratur mit folgendem Argument: 'Die Vagheit des Begriffs erklärt den Zwang notorischer 'Popautoren', sich die Bezeichnung zu verbitten' und verweist auf den 'gruseligen, selbstnegierenden Terminus' selbst. Die vorliegende schriftliche Hausarbeit im Rahmen des ersten Staatsexamens präsentiert unter Einbeziehung historischer Aspekte die Entwicklung einer literarischen Strömung, die unter dem schillernden Begriff 'Popliteratur' avanciert. Diese wird, das belegen sowohl eine Fülle an Forschungsberichten als auch zahlreiche Rezensionen popliterarischer Texte selbst, in den Literaturwissenschaften heftig diskutiert. Mittels chronologischen Einordnung der Geschehnisse innerhalb des Literaturbetriebes von den sechziger Jahren bis heute soll die dem Begriff Popliteratur beiwohnende Konfusion organisiert und in einen historischen Kontext gestellt werden.

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Leseprobe

3 Diedrich Diedrichsen: Kategorisierung Pop I und Pop II


 

3.1. Das Wandlungsphänomen Pop


 

 Pop ist immer Transformation, im Sinne einer dynamischen Bewegung, bei der kulturelles Material und seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu gestalteten und bis dahin fixe Grenzen überschreiten.[65]

 

Diedrich Diedrichsen, einer der führenden Medien- und Populärkulturforscher, der sich aufgrund seiner langjährigen Arbeit mit Popkultur und Popliteratur sowie dem Musikbusiness einen Namen gemacht hat, begleitet die Entwicklung der Popliteratur seit geraumer Zeit. In seinem Buch Der Lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt[66] kategorisiert er erstmals die so genannte Popliteratur in zwei Bereiche und präsentiert die Begrifflichkeiten Pop I und Pop II. Im Folgenden soll auf die Bedeutung der von Diederichsen gewählten Definition näher eingegangen werden:

 

Pop wird seinerseits nicht nur als kulturelles Phänomen, sondern als eine „Subsumption unterschiedlichster Phänomene aus den Bereichen Öffentlichkeit, Medien“[67] betrachtet. Pop wird, von den Anfängen der sechziger Jahre bis heute, Diederichsens Definition nach in den spezifischen und in den allgemeinen Pop entzweit. Der spezifische Pop begreift den Pop der sechziger bis achtziger Jahre, der allgemeine Pop spezifiziert den Pop der neunziger Jahre. Somit entwirft der Pop-Theoretiker Diederichsen zur Darstellung der gesamten literarischen Strömung Popliteratur die Kategorien Pop I und Pop II, was sich schematisch folgendermaßen darstellen ließe:

 

 

In den folgenden Kapiteln wird eine dezidierte Beschreibung der von Diederichsen eingeführten und von anderen Literaturwissenschaftlern übernommen und angewandten Kategorien vorgenommen. Die spezifische Terminologie Diederichsens beinhaltet je nach Zugehörigkeit verschiedene Kriterien, die innerhalb seines Aufsatzes häufig gegenüber gestellt werden oder nebeneinander erscheinen. Ich orientiere mich daher ausschließlich an Diedrichsens Werk Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, insbesondere das fünfte Kapitel Die 90er, und dahinter die Unendlichkeit mit dessen vorangestellter Frage Ist was Pop?.[68]

 

3.1.1 Das Feld des Spezifischen Pop / Pop I


 

Die Kategorie Pop I bezieht sich auf den zeitlichen Rahmen der frühen sechziger bis Ende der achtziger Jahre und fungiert in erster Linie als Gegenbegriff zum etablierten Kunstbegriff.[69] Da Pop I als konkrete Literatur immer in grenzüberschreitenden Bewegungen verwickelt ist, gilt Pop I als wirkungsmächtiger Vorläufer zu Pop II.[70] In Abgrenzung vom vorher Gewesenen beinhaltet Pop I ein oder mehrere Elemente aus dem Sektor einer Gegenkultur, Subkultur bzw. dem Untergrund und erzeugt oftmals ein subkulturelles Zusammengehörigkeitsgefühl.

 

Subversion sowie politische Inhalte und Zeichen stehen häufig mit Pop I in Verbindung. Im Mittelpunkt steht das Authentische in jeder Hinsicht, Pop I erhebt einen enormen Anspruch auf Authentizität, unabhängig von konkreten Inhalten. Pop I verkörpert eine oppositionelle Struktur und begreift sich somit in erster Linie als Gegenkultur, und zwar in erster Linie als Gegenkultur zum vorherrschenden System. Gegenkulturelle Tendenzen, Dissidenz und Widerstand als Merkmal von Pop I erkennt auch Moritz Baßler:[71]

 

3.1.2 Das Feld des Allgemeinen Pop / Pop II


 

Diese Kategorie setzt Diederichsen zeitlich an den Anfang der neunziger Jahre.

 

Pop II steht im Gegensatz zur Politik, wobei der Pop-Theoretiker den Begriff Politik durch Öffentlichkeit zu ersetzen wünscht, weil er der „passendere Gegenbegriff zu Politik“[72] sei. Pop II habe das Potential, in jeden kulturellen Sektor einzugreifen und daher versperre sich kein Terrain mehr dessen Invasion.[73] Anders als zu vorangegangenen Zeiten wird jedoch keine Grenze mehr überschritten, Pop II bleibt bodenständig. Pop II ist geprägt von einem neuen Modell der Öffentlichkeit, bei der so gut wie jeder Mensch Zugang zu Verstärkermedien hat. Diesem „Öffentlichkeitstypus“[74] liege aber auch zu Grunde, dass der einzelnen Stimme weitaus weniger Resonanz zugestanden wird. Im Pop II lässt sich demnach eine weitaus höhere Medienpräsenz verorten als im Pop I. So wie dem Kriterium der Medienvielfalt wird dem Begriff Pop II häufig etwas „Massenhaftes“ zugeschrieben, da sich Pop II dem Mainstream hingebe, Affirmation verkörpere und die Dekadenz proklamiere.[75]

 

Im Pop II seien keine festen Modelle mehr vorhanden, vielmehr setze sie sich aus bohemien-artig unabgeschlossenen Modellen zusammen, die nebeneinander existieren können oder sich teilweise überlagern.

 

Die neuen Popkulturen arbeiten mit Dialektik aus Inklusion und Exklusion[76], dass heißt einerseits aus klassisch bildungsbezogenen, andererseits aus gegenstandsbezogenen Voraussetzungen (Hipness), womit die Treue zum Gegenstand gemeint ist. Präsenz und Selbstinszenierung der Autorkategorie treten besonders in Pop II in den Mittelpunkt, auch wenn diesbezüglich bereits im Pop I Tendenzen auftreten.

 

Die sich überlagernden Kulturfelder repräsentieren den Versuch, Flexibilisierung zu gewinnen. Die Gesamtheit der einzelnen kulturellen Symptome ist auffälliger als ihre einzelnen Phänomene.

 

Diedrichsen merkt an, dass die formalen Reglementierung von Pop II selten beschrieben worden ist. Zwar wird der Gegenstand der Beschreibung unterzogen, selten aber dessen Form oder Struktur.

 

Mittlerweile ist Pop ein System, das immer stabilere Regeln und Hindernisse entwickelt hat, eine Matrize für alles innerhalb und außerhalb Erscheinende.

 

Entgegen vieler Meinungen ist Diederichsen dennoch der Ansicht, Pop II beinhalte noch immer ein Teil des emanzipatorischen Potentials aus der Vorgängergeneration Pop I, die sich in Form kultureller Subversion präsentiert.[77]

 

3.1.3 Analogien zwischen den Feldern


 

Es handelt sich sowohl bei Pop I als auch bei Pop II um neuartige kulturelle Felder, wobei Johannes B. Pankau anmerkt, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung eher in den neunziger Jahren Konjunktur hatte[78]. Zu Zeiten Brinkmanns und Rygullas ist die Bearbeitung ihrer literarischen Texte und der zugehörigen Theoriebildung eher gering.[79] Die wissenschaftsinternen Untersuchungen neuartiger kultureller Gebilde tendiert eher, und das belegen zahlreiche Aufsätze beispielsweise zur Popliteratur, im Feld Pop II zur Beschleunigung.

 

Sowohl das Feld Pop I als auch das Feld Pop II arbeiten intensiv mit dem Argument der Abgrenzung, in welcher Gestalt auch immer. Ob sich die jeweilige Subkultur nun von der 68er Generation damals oder von der Markenwelt heute distanziert, handelt es sich doch immer um ein ähnliches Verhaltensmuster. Nicht nur Verhalten, sondern auch die Durchsetzung der von den Beteiligten als selbstentwickelte, autochtone und angemessen empfundene Sprechweise[80] ist ein Merkmal dieser Abgrenzung. Mark Terkessidis und Tom Holert entwerfen diesbezüglich den Terminus Mainstream der Minderheiten[81].

 

Marvin Chlada und Marcus S. Kleiner verweisen ebenfalls in Alles Pop? Kapitalismus und Subversion auf die Kategorisierung Diederichsens und fassen dessen zwei „semantische Felder“ wie folgt zusammen: Pop I als authentisch, ehrlich, glaubwürdig, grenzüberschreitend, umstürzlerisch, subkulturell, provokant, aktiv, echt, sozial und sprachkritisch und setzen Pop I mit Konfrontation und Subversion gleich. Pop II wird mit Konsum, Party, Profit, Unterhaltung, Lifestyle und Mainstream assoziiert und als Marken - bzw. Warenartikel deklariert[82]. Demzufolge wird Pop II als Affirmation begriffen, wobei diese radikale Beschreibung Gefahr läuft, mögliches subversives Potential innerhalb des semantischen Feldes Pop II zu verkennen und auf bloße Affirmation zu reduzieren.

 

Sowohl Pop I als auch Pop II stellen einen Rahmen, in dem individuelle Absichten und Interessen Austausch und Gegenüber finden. Die Attraktivität liegt sowohl in den ‚Sechzigern als auch in den Neunzigern wohl in der ständigen Möglichkeit zur Überschreitung von Grenzen, welcher Gestalt sie auch sein mögen. Ein Nachteil ist laut Diederichsen die Perfektion der Entleerung.[83]

 

Pop I und Pop II stehen in einem dynamischen Verhältnis zueinander, da sie sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede aufweisen. Diederichsen macht in seinen Ausführungen darauf aufmerksam, entgegen des wissenschaftlichen Diskurses um Status und Selbstverortung von Hoch- und Subkultur, dass „Pop-Kultur [...] noch nie eine Konkurrenz für individuelles Kunstwollen oder politische Organisation“[84] war. Die Hochkultur im klassischen Sinne bleibt daher immer nebenher bestehen. Des Weiteren ist das Phänomen „Pop“, und dass ist demnach eines der wichtigsten...

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