Worte des Grauens
Es gibt Worte, deren bloße Aussprache ausreicht, um Journalisten das Entsetzen ins Gesicht zu zeichnen. Das Wort »Bronchialkarzinom« etwa hört man selten von lächelnden Lippen weichen, und auch wenn Reporter im History Channel vom »Holocaust« berichten, sind ihre Gesichtszüge in aller Regel so lebendig wie die Exponate der paläontologischen Museen. Die drei Silben »Israel« zählen ebenfalls zu den Klassikern dieser Worte des Grauens. Nimmt sie ein Nachrichtensprecher in den Mund, klingt es immer gleich: sehr, sehr besorgt. Egal ob Wolf Blitzer von CNN oder Jan Hofer von der Tagesschau ‒ wenn es um Israel geht, bebt die Stimme der TV-Journalisten, und eine Sorgenfalte ziert ihre Stirn. Denn über Israel sprechen heißt, über jüdisches, arabisches, über menschliches Elend zu sprechen. Der einzige Ort auf dieser Welt, an dem mir derlei Befindlichkeiten mit diesen Wörtern bislang nicht aufgefallen sind, ist ausgerechnet das Land, in dem das vermeintliche Elend tagtäglich durchlitten wird. Israel selbst. Während sich der ganze Globus um Israel grämt und sorgt, während in New York, Brüssel und Berlin Heerscharen von Diplomaten, Staatschefs und Friedensforschern schlaflose Nächte damit verbringen, komplizierte Friedensfahrpläne zu entwerfen, wird zwischen Haifa und Eilat die eigene Misere allenfalls als amüsante Sitcom aufgefasst, in der man durch einen glücklichen Zufall die Hauptrolle spielen darf.
Der Autor und Journalist Sayed Kashua hat genau das aus dem Nahostkonflikt gebastelt: eine Sitcom. Und eine erfolgreiche noch dazu. In vier Staffeln und dreiundvierzig Folgen erzählt die Show Awoda Aravit von den Vorurteilen, mit denen die Hauptprotagonisten, der arabische Journalist Amjad und seine Familie, tagtäglich im Staat der Juden zu kämpfen haben. Obwohl sich Serienheld Amjad redlich müht, seinen Platz in der jüdischen Mehrheitsgesellschaft zu finden, scheitert er ein ums andere Mal. Bei den israelischen Zuschauern und Kritikern kam die Sendung gut an: Die Zeitung Haaretz verglich Kashuas Humor mit dem von Ephraim Kishon und Woody Allen und attestierte der Show, sie zeige »jüdischen Humor vom Feinsten«. Kashua, das sei dazugesagt, ist muslimischer Araber und somit so jüdisch wie das Schweinchen namens Babe.
Die Scherze der Sendung sind dabei so bitterböse und politisch unkorrekt, dass sich Tagesschau-Sprecher Jan Hofer wahrscheinlich noch im dunklen Keller ein Kichern verkneifen würde. Schon mit dem Serientitel macht sich Kashua über das Bild lustig, das jüdische Israelis von ihren arabischen Landsmännern und Landsfrauen haben: »Arabische Arbeit«, so die deutsche Übersetzung, ist ein geflügeltes Wort im Hebräischen, das immer dann angewandt wird, wenn (wie etwa im Fall der Familie Oz) der Putz von den Wänden blättert, die Tür klemmt oder sonst wie schlampig gearbeitet wurde. Die Rollenverteilung in Awoda Aravit ist von der ersten Sendeminute klar: Misstrauische Juden treffen auf Araber, die bestenfalls als Billiglöhner mit ausgeprägtem Hang zur Schludrigkeit wahrgenommen werden. Im schlimmsten Fall aber als potenzielle Selbstmordattentäter gefürchtet werden müssen.
Dieser Duktus durchzieht die gesamte Serie. In der zweiten Staffel sucht Amjads Nachbar händeringend nach einem Käufer für sein Apartment. Die Käufersuche wird dadurch erschwert, dass er mit Amjads Familie zwar freundliche, aber eben auch arabische Nachbarn hat. Für den Durchschnitts-Israeli jedoch sind Araber im eigenen Haus das, was dem Durchschnitts-Deutschen ein Atomkraftwerk im Vorgarten ist: ein Sicherheitsrisiko und damit ein justiziabler Grund zur Kaufpreisminderung. Eine Umfrage des Thinktanks »Israel Democracy Institute« aus dem Jahr 2013 ergab, dass beinahe die Hälfte der israelischen Juden (achtundvierzig Prozent) sich keine arabischen Nachbarn wünscht. Die Abneigung ist dabei keineswegs einseitig: Auch einundvierzig Prozent der befragten Araber würden es lieber vermeiden, Tür an Tür mit Juden zu leben.
Diese realen Ressentiments zeichnet Kashua in seiner fiktiven Sitcom-Welt nach. Um die Wohnung doch noch verkauft zu bekommen, bittet der Nachbar Amjad darum, sich möglichst unauffällig zu verhalten oder, besser noch, ganz zu verschwinden. Amjad, der um eine gute Nachbarschaft bemüht ist, geht auf die Bitte seines Nachbarn nicht nur ein, sondern geht sogar so weit, mit Kippa auf dem Kopf und strikter Einhaltung der jüdischen Feiertage seine arabisch-muslimische Identität zu verschleiern.
Es braucht keinen Sherlock Holmes, um herauszufinden, dass Kashua sich in Awoda Aravit seiner eigenen Biographie bedient und mit Amjad sein Alter Ego geschaffen hat. Geboren und aufgewachsen ist er in Tira, einem kleinen Nest in Zentralisrael, dessen Bevölkerung sich nach Angaben des israelischen Statistikamtes zu neunundneunzig Komma sechs Prozent aus sunnitischen Arabern zusammensetzt und wo es nach Auskunft Kashuas zwar »harmonisch« zugehe, gleichzeitig aber auch »sterbenslangweilig« sei. Als Kashua zum Teenager wurde, fand sein unaufgeregtes Leben als Teil einer ethnischen Majorität schlagartig ein Ende. »Meinem Vater war es wichtig, dass ich die bestmögliche Bildung bekomme.« Im arabischen Provinznest sei daran aber nicht zu denken gewesen: »Wenn es um das Bildungsbudget der arabischen Bevölkerung geht, sind die israelischen Behörden verdammt knauserig«, sagt er. Sein Vater gab sich pragmatisch; wenn die Bildung nicht zu den Arabern kommt, dann kommen die Araber eben zur Bildung, dachte er sich und steckte seinen Sohn kurzerhand auf ein jüdisches Internat in Jerusalem.
Es sah dabei anfangs nicht so aus, als würde sich eine innige Liebesbeziehung zwischen Kashua und der israelischen Hauptstadt entwickeln. Ganz im Gegenteil: »Ich habe die Stadt gehasst, als ich sie zum ersten Mal betrat.« Schon auf der Busfahrt nach Jerusalem musste er herausfinden, dass er in Tira zwar zur ethnischen Bevölkerungsmehrheit, im Restland aber zur Zwanzig-Prozent-Bevölkerungsminderheit zählt. »Ein Soldat stieg in den Bus und brauchte keine Minute, um mich als Araber zu identifizieren und herauszuwinken.« Kashua hatte es ihm leicht gemacht, wie er selbstkritisch gesteht: »Ich trug Klamotten, die sich kein Jude anziehen würde, und auf meiner Oberlippe sah man einen dünnen Bart, den sich nur Araber wachsen lassen.« Kashua musste seine erste Reise nach Jerusalem daher für seine erste Leibesvisitation durch die israelische Armee unterbrechen.
Um künftig derlei Unannehmlichkeiten zu vermeiden, entledigte sich Bildungsflüchtling Kashua bald nach seiner Ankunft seines Bleistiftbartes und kleidete sich fortan in neue, koschere Gewänder. Und in der heiligen Stadt Jerusalem begann er von all den sündigen Köstlichkeiten zu kosten, von denen man in Tira noch nicht einmal zu träumen wagt. »Ich war jung und begann die Dinge zu tun, vor denen ich immer gewarnt worden war: Ich entdeckte die Kneipen für mich und begann mit dem Trinken.« Und er begann mit dem Rauchen, auch das sollte nicht unerwähnt bleiben. Denn Kashua raucht so viel, dass selbst der Marlboro-Cowboy besorgt den Kopf schütteln würde.
Die Anstrengungen, seine Identität äußerlich zu kaschieren, haben sich gelohnt. Lange bevor ich Kashua zum Interview traf, legte mir eine Freundin ein Foto Kashuas vor und gleich daneben ein Bild des israelischen Schauspielers Norman Issa, der in Awoda Aravit die Rolle des Amjad spielt. Wer von beiden der Araber, wer der Jude sei, fragte mich Yarden listig. Es kam, wie es kommen musste, den Juden dachte ich in Kashua zu erkennen, den Araber in Issa. Doch nicht nur äußerlich ist der Bildungsflüchtling Kashua auf dem Internat jüdischer geworden, ist zum koscheren Araber mutiert. Neben der Sitcom hat er mittlerweile vier Bücher geschrieben, allesamt in Hebräisch. Eines davon war so erfolgreich, dass es mit dem Literaturpreis ausgezeichnet wurde, der vom israelischen Premierminister gestiftet wird. Aus dem Araberjungen aus einfachen Verhältnissen ist ein gefragter und preisgekrönter israelischer Intellektueller geworden.
Herzl und der zionistische Muslim
Mehr noch, mit Kashua ist auch Herzls Dichtung ein Stück weit zur Wahrheit geworden. Denn es war der Österreicher, der in Altneuland prophezeite, dass der Staat der Juden dereinst nicht nur der jüdischen Bevölkerung eine Heimat sein werde, sondern auch die ortsansässigen Muslime schon bald lernen würden, den Zionismus zu lieben. Mit den Zionisten, so die simple Rechnung Herzls, würde im hinterwäldlerischen Palästina endlich die Moderne Einzug halten. Nach Tausenden Jahren im öden Wüstensand plötzlich Eisenbahnen, Fabriken und Kaiserschmarrn direkt vor die Haustür geliefert zu bekommen ‒ wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben? Ein gewisser Reschid Bey, der einzige muslimische Protagonist in Altneuland, jedenfalls nicht. Bey sei »ein schöner Mann von etwa fünfunddreißig Jahren« gewesen, schwärmte Herzl. Ein Mann, der zur »dunklen europäischen Kleidung« den traditionellen osmanischen Hut, den roten Fez, trug.
Herzl war sichtlich bemüht, Bey wie eine Chimäre aus Karl Mays Hadschi Halef Omar (mit vollem Namen: Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah) und Arthur Schopenhauer zu zeichnen. Als ein Mischwesen aus muslimischem Halbwilden einerseits und europäischem Intellektuellen andererseits. »Er grüßte nach orientalischer Art, indem er mit der Rechten den Luftschnörkel machte, der das Aufheben und Küssen des Staubes bedeutet«, schwadronierte Herzl in der Tradition des sächsischen Abenteuerautors. Doch Bey war nicht nur ein schicker, er war auch ein gescheiter Mann: Ein paar Sätze weiter kam Herzl auf...