Einleitung
Coaching befindet sich seit einiger Zeit in einer zwiespältigen Situation: Zum einen hat sich diese Beratungsform für Führungskräfte mittlerweile als beliebtes Instrument der Personalentwicklung etabliert, das zunehmend globale Verbreitung findet. Dabei ist eine immer stärkere Ausdifferenzierung in neue Zielgruppen, Anwendungsfelder und Varianten zu beobachten, und im Rahmen des »Einzelcoachings« gibt es zunehmend Berührungspunkte oder sogar Überschneidungen mit der Psychotherapie. Zum anderen ist der Begriff »Coaching« nicht geschützt oder klar definiert, so dass recht beliebig jede Art von Beratung, Feedback oder Training als »Coaching« bezeichnet wird. Die Branche sieht sich somit seit einigen Jahren mit tiefgreifenden Fragen der Identitäts- und Professionsbildung konfrontiert, die bis heute nicht geklärt sind. Birgmeier (2006a) konstatiert: »Eine Konvergenz besteht allenfalls in der Heuristik, Coaching als Ober- bzw. Sammelbegriff für individuelle Formen personenzentrierter Beratung und Betreuung auf Prozessebene zu fassen.« Entsprechend steht eine Klärung und Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs und damit eine Professionalisierung von Coaching immer noch aus.
Professionalität legitimiert sich ganz wesentlich durch den Bezug zu wissenschaftlich fundiertem Wissen. Entsprechend gewinnt der Wissenschaftsbezug im Coaching einen immer größeren Stellenwert, und es beginnt sich eine Coaching-Forschung zu etablieren (Greif, 2011). Den Orientierungsgewinn einer solchen »Verwissenschaftlichung« sieht die Coaching-Theoretikerin Fietze (2011) auf drei Ebenen: Erstens entsteht durch die Kommunikation in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine fachliche Orientierung, wodurch sich letztlich das Forschungsfeld Coaching konstituiert. Zweitens wird durch den wissenschaftlichen Diskurs eine Reflexion dieser Beratungsform vorangetrieben und damit eine Klärung der professionellen Identität sowie des Zuständigkeitsbereichs von Coaching erreicht. Drittens erhalten Praktiker durch die empirische Untersuchung der Wirksamkeit konkrete, handlungsleitende Ergebnisse, die ihr professionelles Handeln optimieren können.
Für Greif (2011) übt Forschung auch eine Innovationsfunktion aus, sofern sie die Optimierung und Weiterentwicklung der in der Praxis eingesetzten Interventionsmethoden zum Gegenstand hat. Berndt (2011) sieht in der »Schaffung eines evidenzbasierten Wissensbestandes über Handlungsstrukturen und Beziehungsgestaltung« sogar die wichtigste Voraussetzung zur Professionalisierung des Coachings. Dabei orientiert er sich am Ansatz des evidenzbasierten Coachings, das von führenden Berufsverbänden der angloamerikanischen Länder propagiert wird. Die Idee dahinter ist, dass sich Theorien und Modelle, die in Coachingpraxis und -ausbildung Verwendung finden, in der empirischen Überprüfung bewähren müssen (Stober und Grant, 2006). Allerdings steht auch in den Augen führender Theoretiker die Wirksamkeitsforschung im Coaching heute eher noch am Anfang. Oft bleibt unklar, warum das, was Coaches machen oder zu machen vorgeben, funktionieren soll.
Das ist aber keineswegs nur ein Problem von Coaching und Beratung. Zwar empfehlen bekannte Coaching-Theoretiker wie Greif oder Schreyögg eine Anlehnung an »bewährte« Psychotherapieverfahren. Aber auch diese haben deutliche Defizite in der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Wirkmodelle und im Nachweis ihrer Wirksamkeit. Das schließt – wie wir im Verlauf dieses Buches zeigen werden – auch Psychotherapieverfahren ein, die vom »Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie« den Ritterschlag als »wissenschaftlich nachgewiesene Verfahren« erhalten haben und deshalb auch als »Richtlinien-Verfahren« bezeichnet werden, nämlich die Verhaltenstherapie und die psychoanalytisch und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.
Die Diskussion um einen wissenschaftlich-empirischen Wirkungsnachweis psychotherapeutischer Verfahren, die dem Coaching als Modell dienen könnten, berührt grundsätzliche Fragen. Denn es geht hier darum, ob und wie das Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen überhaupt Gegenstand wissenschaftlich-empirischer Untersuchungen sein kann. An diesem Punkt scheiden sich sprichwörtlich die Geister.
Für die einen ist eine humanistisch-geisteswissenschaftliche Haltung maßgeblich, für die sich die menschliche Psyche, ob im »Normalzustand« oder im Zustand psychischer Beeinträchtigung oder Erkrankung, grundsätzlich dem Messen und Wiegen der Naturwissenschaften entzieht. Sie ist Gegenstand des Verstehens und Erlebens, des Ein- und Nachfühlens, nicht aber des Erklärens und Experimentierens, wie dies im vorherigen Jahrhundert der bedeutende Psychiater und Philosoph Karl Jaspers im Anschluss an das von den Philosophen Edmund Husserl und Wilhelm Dilthey aufgestellte Konzept der Geisteswissenschaften vertreten hat. Das Bemühen, die Psychiatrie auf eine naturwissenschaftliche Basis zu stellen, wurde von Jaspers, wie schon vor ihm von vielen anderen Psychiatern, als »Hirnmythologie« abgetan. Ihm war das Aufkommen der Genetik und der Zell- und Molekularbiologie ein Graus, da sie seiner Meinung nach die humanistische Ausrichtung der Medizin bedrohten (Jaspers, 1958). Eine solche geisteswissenschaftlich orientierte Anschauung prägt bis heute die Mehrzahl der verschiedenen Psychotherapierichtungen, sei es beispielsweise die Psychoanalyse in ihrer Entwicklung nach Freud, die humanistische Psychotherapie oder die Familientherapie. Sie hat aber auch auf eine ganze Reihe von Coachingrichtungen abgefärbt.
Für die anderen war und ist eine Fundierung durch Methoden und Erkenntnisse der Naturwissenschaften, insbesondere der Bio- und Neurowissenschaften, die einzige Möglichkeit, der Psychiatrie und Psychotherapie Glaubwürdigkeit zu verleihen. Begonnen hat dieses Bestreben mit dem Psychiater Wilhelm Griesinger (1817–1866), der aufgrund umfangreicher psychiatrischer Erfahrungen und pathophysiologischer Untersuchungen zu dem Schluss kam, dass psychische Krankheiten immer mit Erkrankungen von Hirnstrukturen und -funktionen einhergehen, ja in ihnen sogar ihre Ursache haben. Seine Forderung war entsprechend, dass die Psychiatrie zusammen mit der Neurologie eine solide naturwissenschaftliche Basis haben müsse. Diese Auffassung erhielt große Zustimmung – und ebenso große Ablehnung, und zwar bis auf den heutigen Tag.
Die zweite große Gestalt in diesem Streit der »zwei Kulturen« – der Geistes- und Sozialwissenschaften auf der einen und der Natur- und Biowissenschaften auf der anderen Seite« – ist Sigmund Freud (1856–1939), der Begründer der psychoanalytischen Psychotherapie. Freud begann seine Laufbahn als Neurologe und Neurobiologe, nicht als Psychiater – er war also »Autodidakt«! Als Student und später als junger Neurologe arbeitete er in Wien in den Laboren von seinerzeit bedeutenden Neurobiologen und versuchte wie diese psychische und psychopathologische Phänomene mit der Aktivität bestimmter Hirnzentren in Verbindung zu bringen. Damit musste er angesichts des damals geringen neurobiologischen Wissensstandes notwendigerweise scheitern. Er brach das 1895 begonnene Manuskript zu dem Entwurf einer Psychologie enttäuscht ab. Erst 1950 wurde dieses unvollendete Werk posthum veröffentlicht. Resigniert kehrte Freud zugleich auch der neurobiologischen Forschung den Rücken, auch wenn die Hoffnung blieb, es könne sich irgendwann doch einmal eine neurobiologische Fundierung der Psychoanalyse ergeben.
Dieser Verzicht hatte für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse dramatische Folgen, denn es kam bei den Nachfolgern Freuds im engeren wie im weiteren Sinne zu einer radikalen Abkehr von einer naturwissenschaftlich-neurobiologischen Ausrichtung der Psychiatrie und Psychotherapie hin zur Auffassung von Psychoanalyse als »Geisteswissenschaft« par excellence. Diese Abkehr verwandelte sich in Deutschland in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stellenweise in eine wahre Feindschaft gegenüber den Neurowissenschaften und steigerte sich in dem Maße, wie die Neurowissenschaften zu einer vorherrschenden Wissenschaftsdisziplin wurden. Ähnliche Entwicklungen waren bei psychotherapeutischen Richtungen wie der humanistischen Psychotherapie oder der Gesprächstherapie zu beobachten, die meist der Psychoanalyse entstammen oder von ihr beeinflusst waren.
Mit einer solchen Haltung...