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Die Evolution des CDS-Marktes
1.1 Credit Default Swaps (CDS) als Antwort auf die Savings & Loan-Krise in den USA
Wie so oft in der Geschichte des Finanzmarktes, war auch für die Entwicklung von Kreditderivaten eine Krise der maßgebliche Auslöser. Ende der 1980er- bis Mitte der 1990er-Jahre kamen sogenannte Savings & Loan Associations, auf die Vergabe von Krediten und Bereitstellung von Depositen spezialisierte amerikanische Kreditinstitute, angesichts zunehmenden Wettbewerbs und damit verbundener Ausdehnung der Kreditvergabe auf riskantere Schuldner, einer verfehlten Regulierung und einem sich verschlechternden ökonomischen Umfeld unter Druck. Insgesamt musste knapp die Hälfte aller S&L-Institute geschlossen werden. Dafür war vor allem der große Anteil zunehmend ausfallgefährdeter Immobilienkredite verantwortlich. Die Problematik der Konzentration von Kreditrisiken kann als ursächlich für die grundsätzliche Idee zur Entwicklung von Instrumenten zum Risikotransfer verstanden werden.
Die ersten Kreditderivate wurden demnach auch in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre entwickelt und gehandelt. Vor allem die Großbank JP Morgan hat damals CDS eingesetzt, um Kreditrisiken in ihrer Bilanz aktiv zu managen. Hierbei hat sie auch erste strukturierte Kreditderivate konzipiert, die als Vorgänger von Collateralized Debt Obligations (CDOs) gesehen werden können. Die zwei zentralen Vorteile von Kreditderivaten lagen hierbei auf der Hand. Erstens konnten Banken durch den Einsatz von Kreditderivaten ihr Kreditausfallrisiko vermindern und so auch eine Trennung zwischen dem klassischen Kreditgeschäft und dem bisher dafür notwendigen Risikobehalt in ihren Bilanzen umsetzen. Das bedeutet, dass Banken einerseits aktiv ihre Kreditvergabe erhöhen konnten, ohne dafür regulatorisch notwendiges Risikokapital vorzuhalten. Das ist der zweite große Vorteil, der mit dem Einsatz von Kreditderivaten verbunden ist: Es kann regulatorisch gebundenes Kapital freigesetzt werden.
Das grundlegende Funktionsprinzip eines CDS-Kontrakts ist analog zu einer Versicherung zu verstehen (vgl. Kapitel 2). Es stehen sich zwei Vertragspartner gegenüber: der Versicherungskäufer (»protection buyer«) und der Versicherungsverkäufer (»protection seller«). Der Käufer der Kreditausfallversicherung hat eine laufende Prämienzahlung (den CDS-Spread) in vorher vereinbarter Höhe bis zur Fälligkeit des Vertrags an den Verkäufer zu bezahlen – in dem Fall, dass kein Kreditereignis eintritt (das sogenannte »Premium Leg«). Kommt es indes zu einem Kreditereignis – also einem Ereignis, das in der ISDA-Dokumentation als Versicherungsfall definiert ist –, muss der Sicherungsverkäufer dem Käufer den entstandenen Schaden ersetzen (das sogenannte Default Leg). Hierbei beläuft sich der entstandene Schaden aus Sicht des Anleihenhalters auf den Nominalbetrag der Obligation abzüglich der im Insolvenzprozess zu erzielenden Verwertungsquote. Das ist der Anteil des Nominalbetrags, den der Anleihenhalter durch den Verkauf der Vermögenswerte des Unternehmens erhält, wobei diese sogenannte Verwertungsquote zwischen 0 und 100 % liegt. Die Feststellung eines Kreditereignisses und die Ausgestaltung des Abwicklungsprozesses liegt hierbei in den Händen des ISDA Credit Determinations Committees, während die Verwertungsquote durch einen standardisierten Auktionsmechanismus ermittelt wird. So können die Kontrakte zeitnah abgewickelt werden und es muss nicht auf die Beendigung des Insolvenzprozesses gewartet werden. Wir werden später noch detailliert auf die Feinheiten dieses Prozesses eingehen. An dieser Stelle beschränken wir uns auf die Beschreibung der grundlegenden Funktionsweise.
Abb. 1.1: Grundlegendes Funktionsprinzip eines Credit Default Swaps
Der Ursprung von Kreditderivaten geht folglich nicht auf deren Einsatz als Instrument zur Umsetzung von Spekulationsstrategien zurück, sondern vielmehr auf deren Funktion als Absicherungsinstrument. Mit Hilfe von CDS konnten erstmals Kreditrisiken von den in der Kreditvergabe aktiven Banken an andere Banken und auch Nicht-Banken weitergereicht werden. Somit konnten Banken einerseits ein aus Risikogesichtspunkten effizienteres Kreditportfolio aufbauen, indem sie Konzentrationsrisiken reduzierten bzw. ihre Portfolien durch die Aufnahme anderer Kreditrisikoprofile diversifizierten. Vor allem Versicherungen konnten neben Anleihen erstmals Kreditrisiken in Form von Derivaten als Beimischung zu ihrer klassischen Anlagestruktur einsetzen und bekamen somit Zugang zu einer Assetklasse, die sie sich aus ihrer originären Geschäftstätigkeit nicht erschließen konnten. Ein Vorteil von CDS im Vergleich zu Anleihen besteht darin, dass die Versicherung nicht durch die spezifische Laufzeit einer Anleihe oder ihr Volumen beschränkt ist, sondern das eingegangene Kreditrisiko individueller gestaltet werden kann. Bis Ende der 1990er-Jahre war JP Morgan der dominante Akteur auf dem CDS-Markt, der bis zum Jahr 2000 ein Volumen von ca. 900 Milliarden US-Dollar erreicht hatte.
Aufgrund des starken Wachstums des Marktes stieg der Bedarf nach einer Standardisierung und der Etablierung einheitlicher Regeln, um u. a. den bilateralen Charakter der Kontrakte zu reduzieren und damit auch die Liquidität des Marktes weiter zu fördern. Bisher beruhten Derivate-Transaktionen im nicht-regulierten »Over-the-Counter«-Markt (OTC-Markt) auf dem von der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) 1985 veröffentlichten sogenannten Master Agreement, das von der überwiegenden Mehrheit der Kontrahenten im Markt für OTC-Derivate bereits verwendet wurde. Dieses Master Agreement ist der zentrale Baustein der gesamten ISDA-Dokumentation und regelt die generellen Grundlagen einer Derivate-Transaktion. Hierzu gehören alle die Transaktion betreffenden juristischen, technischen und dokumentatorischen Details. Es wird einmalig von den Kontrahenten unterzeichnet und findet damit nachfolgend Verwendung für alle Transaktionen. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des CDS-Marktes wurden 1999 die speziell auf CDS anzuwendenden ISDA Credit Derivatives Definitions veröffentlicht.1 Hierin finden sich neben den allgemeinen für die Transaktion relevanten Grundlagen u. a. auch die detaillierte Definition aller möglichen Kreditereignisse (»credit events«), die Beschreibung der lieferbaren Anleihen (»deliverable obligations«), relevante Garantiebeziehungen bei einer Referenzentität und die exakte Beschreibung des Settlement-Prozesses. Diese detaillierte dokumentatorische Ausgestaltung der CDS-Kontrakte stellte somit einen Meilenstein in der Entwicklung des Marktes dar, da nun eindeutige standardisierte Regeln durch eine unabhängige Institution die notwendige Etablierung einheitlicher Marktstandards (von den exakten Eigenschaften der Kontrakte bis hin zur Abwicklung) ermöglichte. Darüber hinaus konnten nun auch generelle Modelle zur Bewertung von CDS entwickelt werden, die nicht nur eine weitere Vereinfachung des Handels, sondern auch eine exakte Quantifizierung des mit einem CDS-Kontrakt einhergehenden Kreditrisikos möglich machte.
Durch den wachsenden Markt und die wachsende Nachfrage nach Versicherungsverkäufern änderte sich um die Jahrtausendwende allmählich die Marktstruktur. Der nach wie vor dominierenden Rolle von Banken als Verkäufer von Kreditrisiko standen immer mehr Asset Manager und Hedgefonds gegenüber, die den spekulativen Charakter von CDS als Risikokäufer in aktiv gemanagte Strategien eingebunden haben. Die Entwicklung des CDS-Marktes, der bis dahin vor allem eine amerikanische Domäne war, wurde durch die Entstehung eines europäischen Kreditmarktes mit der Einführung des Euro als Verrechnungswährung in dieser Zeit komplementiert und es entwickelte sich schrittweise ein globaler CDS-Markt.
Nach dem Platzen der Technologieblase an den globalen Aktienmärkten, welche der CDS-Markt weitgehend unbeschadet überstanden hat, änderte sich langsam auch die Finanzierungsstruktur großer Unternehmen in Europa. Die zunehmende Emission von Unternehmensanleihen führte natürlicherweise zu einer steigenden Nachfrage nach Absicherungsinstrumenten, während viele Asset Manager die Vorteile des CDS gegenüber Anleihen als Anlageinstrument erkannten. Während die Manager von Anleiheportfolien bisher der Fälligkeitsstruktur der Emittenten ausgesetzt waren, konnten mit individuell vereinbarten CDS-Kontrakten laufzeitadäquate Kreditrisiken eingekauft werden. Da Kreditderivate im Vergleich zu Anleihen ein sehr viel geringeres Zinsrisiko aufweisen,2 mussten die mit Anleihen verbundenen Zinsrisiken nicht mehr separat gemanagt werden. Die Standardisierung des CDS-Marktes brachte außerdem zwei weitere Vorteile mit sich: Erstens war damit eine einheitliche Dokumentation vorhanden und zweitens entwickelte spezifisch das auf Unternehmen referenzierende Segment des CDS-Marktes (Corporate CDS) eine höhere Liquidität als der zugrundeliegende Anleihemarkt, was mit einer größeren Markttiefe und -breite und somit niedrigeren Transaktionskosten als im Anleihemarkt üblich einherging.
1.2 Der CDS-Markt wird erwachsen: Die Etablierung der 2003er-Definitionen und die Entwicklung eines CDS-Indexuniversums
Nach dem Platzen...