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»Dann bin ich ja ein Mörder!'

Adolf Storms und das Massaker an Juden in Deutsch Schützen

AutorWalter Manoschek
VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl219 Seiten
ISBN9783835327535
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Es war nicht schwer, Adolf Storms im Sommer 2008 zu finden. Der Name des ehemaligen SS-Unterscharführers stand im deutschen Telefonbuch. Am 29. März 1945 erschossen drei Angehörige der Waffen-SS-Division »Wiking' mindestens 57 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter im burgenländischen Deutsch Schützen. Einer der mutmaßlichen Täter hieß Adolf Storms. 63 Jahre nach dem Massenmord gelang es Walter Manoschek, mit Storms und zwei weiteren beteiligten HJ-Führern zu sprechen. Er interviewte Storms insgesamt 15 Stunden vor laufender Kamera, bereits zuvor verständigte er die Staatsanwaltschaft. Adolf Storms wurde im Herbst 2009 in Dortmund wegen Mordes und Beihilfe zum Mord angeklagt. Er verstarb kurz vor Prozessbeginn im Juni 2010. Die Gespräche mit Adolf Storms, den beiden HJ-Führern und drei Juden, die das Massaker überlebt haben, bilden das Grundgerüst des Buches. Der multiperspektivische Ansatz ermöglicht eine dichte Beschreibung der Vorgänge. Manoschek rekonstruiert das Mordgeschehen in Deutsch Schützen und beschäftigt sich mit dem justiziellen Umgang Österreichs mit NS-Tätern. Der beigelegte Dokumentarfilm von 2012 »Dann bin ich ja ein Mörder' lässt Täter ebenso zu Wort kommen wie Überlebende des Massakers von Deutsch Schützen.

Walter Manoschek, geb. 1957, Außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien, forscht und publiziert seit vielen Jahren zu den Themen Nationalsozialismus und Holocaust; 1995-1999 Mitgestalter der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944'. Veröffentlichungen u. a.: Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945 (Hg., 2009); Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis - Strafvollzug - Entschädigungspolitik in Österreich (Hg., 2003).

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Leseprobe

Die ersten Judenmorde der SS-Division
»Wiking« in Polen und der Ukraine
im Juli 1941


Adolf Storms hatte bereits eine typische nationalsozialistische Karriere hinter sich, als er am 1. März 1942 der Waffen-SS beitrat. Als Mitglied bei der Allgemeinen SS seit Oktober 1941, als gottgläubiges2 NSDAP-Mitglied seit Januar 1942, bedeutete sein freiwilliger Beitritt zur Waffen-SS, dass er dem NS-Regime auch mit der Waffe in der Hand im ideologisch exponiertesten Teil der kämpfenden Truppen dienen wollte.3 Er wurde Schütze bei der 8. Kompanie des SS Schützen Regiment 10, Westland, der 5. SS-Division »Wiking«.

Zu diesem Zeitpunkt war die Division bereits seit acht Monaten im Kampf gegen die Sowjetunion eingesetzt. Mit Kriegsbeginn am 22. Juni 1941 hatte sie die deutsch-sowjetische Demarkationslinie überschritten und am 30. Juni die Stadt Lemberg erreicht. Nachdem in den Lemberger Gefängnissen mehrere Hundert Opfer des sowjetischen Geheimdienstes entdeckt worden waren, hatte die ukrainische Bevölkerung ein Judenpogrom initiiert, das von den eintreffenden Wehrmachtsverbänden und einem Vorkommando des Sonderkommandos 4b der Einsatzgruppe C ausgeweitet wurde. Insgesamt wurden etwa 4000 Juden erschlagen oder erschossen, wobei sich Soldaten des Regiments »Westland« der SS-Division »Wiking« an diesem Massenmord eifrig beteiligten.4 Offensichtlich betrieben die SS-Soldaten das Judenpogrom als Freizeitvergnügen. So notierte der in Lemberg stationierte Generalstab der 17. Armee lakonisch: »Einzelne Angehörige der Division gehen inzwischen auf Juden jagen (sic!).«5

Im 130 Kilometer entfernten Tarnopol, wo etwa 18.000 Personen als Juden galten, spielten sich fast zur gleichen Zeit ähnliche Gewaltorgien gegen die jüdischen Bewohner ab, in die andere Einheiten der Division »Wiking« involviert waren. Unmittelbar nach der deutschen Besetzung der Stadt fand man die Leichen einiger Hundert Ukrainer und einiger deutscher Soldaten, die der sowjetische Geheimdienst NKWD kurz vor dem Abzug der Roten Armee ermordet hatte. Daraufhin setzten Ukrainer ein Judenpogrom in Gang, das von deutscher Seite tatkräftig unterstützt wurde. Tagelang wurden die jüdischen Einwohner der Stadt durch die Straßen getrieben. Während das Sonderkommando 4b der Einsatzgruppe C gezielt mindestens 127 jüdische Intellektuelle erschoss, ermordeten Soldaten der SS-Division »Wiking« gemeinsam mit Wehrmachtsangehörigen und einheimischen Zivilisten wahllos Hunderte von Juden. Im Bericht der Einsatzgruppe hieß es dazu: »Die durchziehenden Truppen, die Gelegenheit hatten, diese Scheusslichkeiten und vor allen Dingen auch die Leichen der ermordeten deutschen Soldaten zu sehen, erschlugen insgesamt etwa 600 Juden und steckten ihre Häuser an.«6

Dr. Aaron O., der das Morden überlebt hatte, beschrieb in einer Zeugenaussage nach dem Krieg den Ablauf der Mordaktion in Tarnopol:

Ukrainer, die sofort nach dem Einmarsch bewaffnet worden waren und die Deutschen unterstützten, holten die Juden aus den Wohnungen. Mehrere hundert Juden wurden in den Gefängnishof getrieben. Das geschah unter Schlägen und Misshandlungen. Dort mussten sie die Leichen, die die Russen zurückgelassen hatten, ausgraben. Die jüdischen Einwohner wurden zu Unrecht beschuldigt, an dem Tod dieser Opfer schuldig zu sein. Die Arbeitenden wurden misshandelt. Es wurden Handgranaten aus den Fenstern unter sie geworfen und zuletzt wurden sie erschossen. Das geschah nicht nur mit Billigung, sondern auch unter Mitwirkung deutscher Soldaten. Dazu kamen weitere Aktionen. Juden wurden aus den Häusern geholt und zu bestimmten Sammelplätzen getrieben. Solche Sammelplätze waren große Keller und Höfe, aber auch Synagogen, die eben eine größere Anzahl von Menschen aufnehmen konnten. Dort wurden sie erschossen. Eine der größten Schandtaten war die Vernichtung von mehreren hundert Juden in der Synagoge Jankeles. Die Synagoge wurde in Brand gesteckt. Die Juden, die sich durch die Flucht retten wollten, wurden zusammengeschossen. Mein einziger Bruder kam auch in dieser Synagoge ums Leben. Ich habe seine Leiche später dort gefunden. Auch mein Vater kam bei der Aktion um.7

In dem Gebiet zwischen Lemberg und Tarnopol hinterließ die SS-Division »Wiking« im Sommer 1941 eine blutige Spur der Vernichtung. So etwa in der Kleinstadt Zborow, wo sie Anfang Juli 1941 eine Massenerschießung durchführte. Ein Bericht der Einsatzgruppe C vermerkte dazu: »In Zborow von der Waffen-SS als Vergeltungsmaßnahme für die Greuel der Sowjets 600 Juden liquidiert.«8

Wenig später erschossen Angehörige der Division »Wiking« gemeinsam mit Einheiten des Einsatzkommandos 5 Ende Juli zumindest 1000 Juden in Berditschew.9 Das ideologische Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« wurde von Angehörigen der SS-Division »Wiking« schon in den ersten Tagen nach dem Überfall auf die Sowjetunion in konkrete Mordtaten umgesetzt.

Die hier beschriebenen Verbrechen an Juden zu Beginn des Russlandfeldzuges sind mit größter Wahrscheinlichkeit nur ein Ausschnitt von Taten, die diese SS-Einheit im Laufe ihres dreieinhalbjährigen Einsatzes an der Ostfront verübt hat. Da bisher die Einsatzgeschichte der Division »Wiking«, ebenso wenig wie die fast aller anderen 38 SS-Divisionen mit insgesamt etwa einer Million Soldaten,10 kritisch aufgearbeitet ist, lassen sich die von ihren Angehörigen begangenen Verbrechen nur punktuell erfassen. Erst in der Endphase des Krieges finden sich wieder Verbrechensspuren von Angehörigen dieser Division.11 Die 5. SS-Division »Wiking« hatte mit dem Judenmord bereits in den ersten Tagen nach dem Überfall auf die Sowjetunion begonnen.

Durch das Fehlen der Aufarbeitung der meisten Einsatzgeschichten der SS-Divisionen hält sich in der Öffentlichkeit zumTeil bis heute hartnäckig der hauptsächlich von SS-Veteranen selbst geschaffene Mythos, die Waffen-SS sei nicht in den Vernichtungsprozess gegen die europäischen Juden involviert gewesen. Dass die Waffen-SS vom Nürnberger Militärgerichtshof zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde, ist bis heute kaum in das öffentliche Bewusstsein gedrungen. Wurden Kriegsverbrechen der Waffen-SS thematisiert, so gingen sie kaum über die Erwähnung weniger Einzeltaten hinaus.12 Doch geht die Dimension der von Verbänden der Waffen-SS begangenen Verbrechen weit über diese Taten hinaus. Cüppers stellt dazu resümierend fest: »Nachweislich haben fast alle SS-Divisionen Massenverbrechen begangen. Sie setzten mit dem Angriff auf Polen ein und dauerten bis in die letzten Tage des NS an. Die verschiedensten Divisionen beteiligten sich an der Ermordung der europäischen Juden, sie verübten im Zuge der ›Partisanenbekämpfung‹ Verbrechen gegen die nichtjüdische Zivilbevölkerung, erschossen als ›minderwertig‹ erachtete Menschengruppen wie Sinti und Roma, als ›Asiaten‹ diskreditierte Sowjetsoldaten oder farbige Armeeangehörige der Westalliierten.«13

Die Waffen-SS-Angehörigen verstanden sich als politische Soldaten und als Weltanschauungskrieger. Wer freiwillig der Waffen-SS beitrat, tat es aus nationalsozialistischer Überzeugung. Er musste nicht erst zum Antisemiten und zum Antibolschewisten erzogen, und es mussten ihm nicht mehr die Grundlagen der NS-Weltanschauung vermittelt werden. Vielmehr hatte die Ausbildungs- und Erziehungsarbeit zum Ziel, einen »selbstlosen, fanatischen, bis zum äußersten einsatzbereiten und auch in Krisen unerschütterlichen politischen Soldaten«14 zu formen. Die kämpfende Truppe sollte sowohl soldatisch tüchtig als auch weltanschaulich gefestigt sein. Der Hass auf den Feind war der Motor für deren mörderische Effizienz. Durch die weltanschauliche Schulung, so der Kommandeur der 10. SS-Panzer-Division »Frundsberg«, Lothar Debes, »soll jeder Mann zu einem fanatischen Hasser erzogen werden. […]. Der unbändige Haß gegen jeden Gegner, sei er Engländer, Amerikaner, Jude oder Bolschewist, der jeden unserer Männer zu höchsten Taten befähigen muß.«15 In den Schulungsmaterialien war der wesentlichste Punkt des nationalsozialistischen Antisemitsmus in einem Satz zusammengefasst: »Wenn wir den Juden aus unserem Volkskörper ausscheiden, so ist das ein Akt der Notwehr.«16

Als »Akt der Notwehr« tituliert, war damit für SS-Männer die Judenverfolgung und -vernichtung moralisch nicht verwerflich, sondern als Verteidigungshandlung zum »Schutz des deutschen Blutes« legitimiert. Diese nationalsozialistische Moral sollte für die SS-Angehörigen kein abstrakter Glaubenssatz sein. Die Zielvorstellung formulierte der Chef des Rasse- und Siedlungshauptamts, Richard Walther Darré, in dem Leitsatz: »Die SS-Männer sollen nicht vom Nationalsozialismus wissen, sondern ihn leben.«17

Bei der Vermittlung von Judenhass ging es nicht um konkrete Handlungsanleitungen zum Judenmord. Vielmehr hatte die Schulung nach dem Beginn der europaweiten »Endlösung der Judenfrage« im Sommer 1941 die Aufgabe, die Vernichtungspraxis zu legitimieren und längst vorhandene und vermittelte antisemitische Grundanschauungen und Denkmuster zu verstärken und zu verinnerlichen, wobei die physische Vernichtung zumindest unterschwellig immer gegenwärtig war.18 Die ideologische Indoktrination diente dazu, bei den SS-Männern eine grundsätzliche Akzeptanz für eine als naturgesetzliche Notwendigkeit aufgefasste Judenvernichtung zu erreichen, die hinsichtlich der anzuwendenden Mittel und Methoden flexibel und für situativ unterschiedliche Praktiken offen...

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