OLMEKEN –
IM ZEICHEN DES JAGUARS
Die erste Hochkultur des Alten Mexiko in vorklassischer Zeit – mehr Fragen als Antworten
La Venta ist sicher ein frühe – vielleicht die früheste – Manifestation fortgeschrittener Plastik, und es beeinflusste zweifellos die Klassik in ganz Mittelamerika; es gibt jedoch keine Beweise, dass es in sonstiger Hinsicht bahnbrechend gewirkt hat.
Dies schrieb 1954 kein Geringerer als der damals führende Maya-Forscher Eric Thompson2. Mittlerweile gilt die olmekische Kultur von La Venta als Mutterkultur Mesoamerikas, die alle folgenden Kulturen stark beeinflusst hat. Das erste Schrift-, Zahlen- und Kalendersystem sowie die ersten hervorragenden Kunstwerke in Amerika überhaupt – dies alles gilt als Verdienst der Olmeken. Die Hochkultur der Olmeken ist nicht nur die erste, sondern bis heute auch die geheimnisvollste des Alten Mexiko – lange vor der Zeit der Maya und Azteken, ungefähr gleichzeitig mit Echnaton, Nofretete und Tutanchamun im Neuen Reich des Alten Ägyptens. Die Zeit der Olmeken, 1500 v. Chr. bis zur Zeitenwende, wird als Vorklassik bzw. Präklassik bezeichnet.
Im Unterschied zu den Maya oder Azteken weiß man wenig über diese Kultur. Von den Tempelanlagen und Palästen sind uns buchstäblich nur Überreste geblieben. Erhalten aber sind die meisterhaft gearbeiteten, einzigartigen Kunstwerke aus Stein: So vor allem riesige, bis zu drei Meter große Köpfe, deren Gesichter mehr denen von Afrikanern als Indianern ähneln, und viele andere Skulpturen von Menschen und Jaguaren sowie Mischwesen aus Mensch und Jaguar. Für die Archäologen gibt es zur olmekischen Kultur mehr Fragen als Antworten. Wer waren die Träger bzw. die Menschen dieser Kultur? Wo kamen sie her? Die afrikanisch anmutenden Gesichter, vor allem die der Kolossalköpfe, geben wiederum neue Rätsel auf: Waren die Olmeken die einheimische Bevölkerung des Gebietes, wo sie ihre Spuren hinterließen, oder waren sie vielleicht eine eingewanderte Gruppe, die als Minderheit über die einheimische Bevölkerung herrschte? War es überhaupt ein einziges Volk, dessen Kultur- und Machtbereich sich über weite Teile Mesoamerikas ausbreitete und das die anderen Völker beeinflusste? Oder war es ein gemeinsamer, universaler Kunststil verschiedener Völker mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen? Ist die olmekische Gesellschaftsordnung als Häuptlingstum, Reich, Staat oder Theokratie anzusehen? Die Frage, wer die Olmeken wirklich waren, wird letztlich wohl nie geklärt werden. Sie selbst nannten sich jedenfalls nicht Olmeken und auch die Stämme aus späterer Zeit mit diesem Namen haben nichts mit ihnen zu tun. Der Name wurde von Archäologen aus der Sprache der Azteken übernommen und bedeutet »Leute aus dem Kautschukland«. So nannten die Azteken damals schlicht und einfach die Bewohner der Golfküste von Veracruz und Tabasco, dem Gebiet, das das Zentrum der olmekischen Kultur war.
Wie aus dem Nichts scheint sich die olmekische Hochkultur ohne Vorläufer entwickelt zu haben. Sicher ist: Die olmekische Kultur beeinflusste entscheidend alle anderen nachfolgenden Hochkulturen in Mexiko, darum gilt sie als »Mutterkultur« Mesoamerikas. Denn schon in der olmekischen Kultur sind erstmals alle typischen Merkmale der mexikanischen Hochkulturen nachweisbar, wie beispielsweise Stadtanlagen mit Tempeln, Schrift, Zahlen- und Kalendersystem oder das Ballspiel. Während die Kultur der Maya im 19. Jahrhundert »wiederentdeckt« und ihre Leistungen entsprechend anerkannt wurden, dauerte es bei den Olmeken fast 100 Jahre länger, ehe sie als eigenständige Kultur gewürdigt wurden. Im 19. Jahrhundert entdeckte ein Bauer einen der riesigen Olmekenköpfe, der dann 1869 erstmals von José Maria Melgar y Serrano beschrieben wurde. La Venta wurde 1925 von Franz Blom entdeckt. Aber sowohl Melgar als auch Blom ordneten die Funde der Maya-Kultur zu. Erst Matthew Williams Stirling (1896–1975), der in den 1940er Jahren Tres Zapotes und die berühmte Stele C entdeckte und dann auch in La Venta Ausgrabungen durchführte, sah in den Funden die Überreste einer eigenständigen Kultur. Der bereits erwähnte Maya-Forscher Eric Thompson beharrte aber zunächst weiterhin auf einer Zuordnung zur Maya-Kultur und Stirling kapitulierte. Erst durch Radiokarbon-Datierungen 1957 wurde das wahre, sehr viel höhere Alter der Funde nachgewiesen und diese einer eigenständigen Kultur, eben den Olmeken zugeordnet.
Die olmekische Kultur umfasst den Zeitraum der vorklassischen Zeit (1500 v. Chr. bis zur Zeitenwende). In der späteren Vorklassik folgte dann noch die epi-olmekische Zeit (bis ca. 300 n. Chr.). Der Höhepunkt der olmekischen Kultur (1200–600 v. Chr.) ist durch zwei Phasen und zwei Orte gekennzeichnet: San Lorenzo Tenochtitlán im Bundesstaat Veracruz (1200–900 v. Chr.) und La Venta im Bundesstaat Tabasco (900–600 v. Chr.). Diese beiden Orte an der Golfküste waren das Kernland der Olmeken. Das Einflussgebiet der Olmeken zu ihrer Blütezeit, aber auch noch danach, in der Zeit der Epi-Olmeken, reichte bis zum westlichen Mexiko und zentralen Hochland Mexikos, bis Oaxaca sowie bis zu den Küstenzonen in Chiapas und Guatemala. Als Orte, wo Funde die Spuren des olmekischen Einflusses nachweisen, sind z. B. zu nennen: Tres Zapotes, Chalcatzingo, Tlatilco, Las Bocas, Tlapacoya, Juxtlahuaca oder Monte Albán.
Im Kerngebiet der Olmeken ist aufgrund des sehr niederschlagsreichen Klimas die Ernte von Mais und anderen Pflanzen während des ganzen Jahres möglich. In der Regenzeit (Mai bis November) werden die niedriggelegenen Landstriche vom Hochwasser der Flüsse überflutet, das beim Zurückgehen der Flut eine fruchtbare Uferschlammschicht zurücklässt. Die deshalb reichhaltige Ernte, die mehr als den Tagesbedarf deckte, war die Voraussetzung für die olmekische Kultur bzw. dafür, dass nicht mehr die gesamte Bevölkerung mit der Nahrungsbeschaffung beschäftigt war. Und dies wiederum war die Voraussetzung dafür, dass unterschiedliche gesellschaftliche Schichten und entsprechende spezialisierte Berufe wie z. B. Handwerker oder Künstler entstanden, die die besonderen Bau- und Kunstwerke schufen. Die Kunst der Olmeken ist gekennzeichnet durch Monumentalskulpturen, wie z. B. die Kolossalköpfe, Figuren, Stelen und Altäre aus Stein wie Basalt, Andesit oder Travertin, kleine Jadefiguren sowie Masken und Wandmalereien. Die Keramik der Olmeken war in weiten Teilen Mexikos verbreitet, was auf einen intensiven Handel hindeutet. In dem tropisch-feuchten Klima haben sich nur die Kunstwerke aus Stein erhalten, nicht die aus Holz, Stoff oder anderen Materialien. Und aus demselben Grund gibt es auch keine Skelettfunde in den Gräbern.
Im Zentrum olmekischer Macht:
San Lorenzo, La Venta und Tres Zapotes
Wie erwähnt, sind zwei Zeremonialzentren im Kerngebiet der Olmeken hervorzuheben: San Lorenzo Tenochtitlán und La Venta. San Lorenzo Tenochtitlán, kurz San Lorenzo genannt, wurde schon seit ca. 1500 v. Chr. besiedelt und hatte seine Blütezeit in der Zeit von 1200 bis 900 v. Chr. Es war ein Zeremonialzentrum auf einer künstlich errichteten Plattform von 50 m Höhe mit zwei großen, mit Erde aufgefüllten Pyramiden im Norden und Süden. Ein künstlich angelegtes Bewässerungssystem, unterirdische Drainagen aus Basaltsteinen in U-Form, sind Beleg für einen hohen Entwicklungsstand von Wirtschaft und Gesellschaft der Olmeken. Es wird vermutet, dass das Bewässerungsystem im Zusammenhang mit dem Kult des Regengottes stand. Auch Reste von Hauswällen hat man gefunden. Die schätzungsweise 1000 Bewohner waren wohl die Oberschicht mit ihren Familien, vor allem Herrscher und Priester; die übrige Bevölkerung lebte im Umland von San Lorenzo. Das Ende vor San Lorenzo kam plötzlich, vielleicht durch Aufstände oder durch Eroberung von außen. Jedenfalls hörte man auf zu bauen, verstümmelte die Steinskulpturen in ritueller Weise, vergrub sie und verließ den Ort.
La Venta, eine Insel im Sumpfgebiet von Tabasco, trat die Nachfolge von San Lorenzo an. Es war die zweite Phase der olmekischen Kultur in der Zeit zwischen 1000 und 475 v. Chr. Auch La Venta war ein Zeremonialzentrum. Entlang einer Nord-Süd-Achse wurden mehrere Plätze, umgeben von Tempel- und Palastgebäuden, angelegt. Der bedeutendste Bau von La Venta war eine Pyramide, heute »nur« noch ein Erdhaufen von ca. 33 m Höhe mit einem Volumen von ca. 900 000 m3 festgestampfter Erde. Die Pyramide hatte eine Kegelform und eine Grundrissgröße von 70 x 130 m. Die Pyramide besaß, im Unterschied zu anderen Pyramiden, keine Treppe. Auf der Pyramide stand der nicht mehr erhaltene Tempel aus Holz. Der Pyramide vorgelagert war ein großer, rechteckiger Platz, der an beiden Seiten durch ca. 90 m lange Erdwälle eingrenzt war. Es war sehr wahrscheinlich ein Ballspielplatz, der sich in dieser Grundform auch bei den späteren Kulturen Mesoamerikas findet3. Reste eines weiteren Platzes, von Erdwällen und Basaltsäulen eingegrenzt, gehörten vielleicht zu einem Herrscherhaus bzw. einer Palastanlage. Außerdem fand man eine Reihe von Gräbern, darunter auch größere Grabkammern sowie einen...