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E-Book

Das brauche ich bis vorgestern!

Aus dem Leben einer Assistentin

AutorBrigitte Scherer
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783864142208
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
'Die vorlaut plappernde Sklavin ist verkauft! An den Mann mit den großen Zähnen!, dachte sich Brigitte, als sie den Job als Assistenz des Abteilungsleiters bei Alpha Prime bekam. Und sie hatte keine Ahnung, wie recht sie behalten sollte ... ' Schwungvoll und treffend beschreibt Brigitte Scherer den Arbeitsalltag einer Assistentin. Und spricht damit allen aus der Seele, die jemals einen Chef hatten: Man müsste dringend ein paar Dinge klären, aber der Chef ist nie zu fassen. Und an allem, was nicht klappt, sind selbstverständlich die unfähigen Mitarbeiter schuld. Brigitte Scherer schafft ein Lesevergnügen für alle, die unter Vorgesetzten à la Stromberg zu leiden haben. Und gegen all das hilft wohl nur eines: selbst Chef werden und alles anders machen!

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Leseprobe

1. Mein Chef braucht mich!


Mittwoch, 29. November, 2.13 Uhr

Ich kann nicht schlafen. Dabei muss ich morgen – nein, oh Gott: heute schon – unbedingt topfit sein. Ich habe einen Vorstellungstermin!

Seitdem ich ins Bett gegangen bin, wälze ich mich nur herum. Erst habe ich versucht, mich mit Schäfchenzählen zu beruhigen. Dann habe ich das Fenster aufgerissen und Sauerstoff ins Schlafzimmer gelassen, das Bett aufgeschüttelt, mich wieder hineingekuschelt und immer weiter Schäfchen gezählt. Irgendwann sind die Schäfchen eingeschlafen, aber ich war immer noch wach.

Also bin ich aufgestanden, um mir zur Beruhigung einen Tee zu kochen. Dummerweise bin ich eine sehr exzessive Kaffeetrinkerin. Die eine Packung Tee, die ich aus dem hintersten Winkel meines Vorratsschrankes herausgekramt habe, war schon verfallen, als es in New York noch die Zwillingstürme des World Trade Centers gab.

So dachte ich mir: »Schreib dir halt den Stress von der Seele. Vielleicht kannst du ja dann schlafen.«

In knapp acht Stunden stelle ich mich als »Persönliche/r Assistent/in« bei der Alpha Prime GmbH vor. Ich muss diese Stelle kriegen. Es muss einfach klappen. Sonst muss ich die Stadt verlassen. Denn hier in der Gegend habe ich mich im letzten Jahr schon auf jede Stelle bei jeder Firma beworben. Sogar mal bei einer Briefkastenfirma.

Seit rund einem Jahr suche ich einen Job als Assistentin, Sekretärin, meinetwegen auch Bürohilfe. Aber ich kriege einfach keinen, obwohl ich top qualifiziert bin.

Sogar für meine Jobsuche bin ich top qualifiziert. Ich habe nämlich eingehend Bücher studiert mit Titeln wie »Die perfekte Bewerbung«, »Do & Don’t im Lebenslauf« oder »Anschreiben für Anfänger und Fortgeschrittene«. Mit den Tipps daraus habe ich mein Anschreiben und meinen Lebenslauf inklusive Foto optimiert. Letzteres mit Photoshop: Fältchen wegretuschiert, Zähne aufgehellt, Glanzlichter in die Augen gesetzt.

Und es hat funktioniert. Ich bin oft eingeladen worden. Sogar ziemlich oft. Aber leider viel zu oft, ohne dass der Chef vorher einen Blick in meine perfekten Bewerbungsunterlagen geworfen hätte. So stellte der eine Chef beim Vorstellungstermin erschrocken fest:

»Oh, ich entdecke eben erst in Ihren Unterlagen…«, die er bereits seit vier Wochen vorliegen hatte, »…dass Sie für die ausgeschriebene Stelle überqualifiziert sind – Sie wissen und können ja viel zu viel.«

»Ich kann Ihnen versichern«, habe ich angeboten, »dass es mir innerhalb kürzester Zeit gelingen wird, vieles davon zu vergessen und das meiste davon zu verlernen.«

Schließlich habe ich mich auch auf Bewerbungsgespräche top vorbereitet. Ich habe Bücher gelesen mit Titeln wie »Das perfekte Bewerbungsgespräch«, »Do & Don’t beim Vorstellungstermin« oder »Bewerbungsgespräche für Anfänger und Fortgeschrittene«. Diese empfehlen, man solle Schwächen offen eingestehen, indem man darauf hinweist, dass und wie man sie innerhalb kürzester Zeit überwinden wird. Die Stelle habe ich trotzdem nicht bekommen. Der zweite Chef übersah gnädig meine berufliche Top-Qualifikation, machte sich dafür aber Sorgen um mein privates Wohlergehen:

»Sie sind Mitte 30. Nicht verheiratet. Und ein Kind haben Sie auch noch nicht. Hmhm«, schloss er. Und warf dann einen misstrauischen Seitenblick auf meine schlanke Taille.

Auch der nächste sorgte sich vor allem um mein privates Glück, ebenso der übernächste, bis der überübernächste die Sorge um mein Privatleben auf den handfesten wirtschaftlichen Punkt brachte:

»Das Risiko, dass sie hier nur arbeiten wollen, um ein Kind zu kriegen, ist uns zu groß.«

»Eigentlich will ich hier arbeiten, weil ich mir irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen muss«, knurrte ich daraufhin. Wozu sollte ich meine Wut hinunterschlucken, wenn ich den Job auch stumm nicht bekommen hätte?

Und dann gab es da noch den Chef, der mich tatsächlich wollte: »Ich habe nichts gegen Frauen, die hoch qualifiziert sind. Wirklich nicht. Meine letzte Freundin war auch hoch qualifiziert. Sie war übrigens Ihre Vorgängerin als meine persönliche Assistentin«, zwinkerte er mir zu und schäkerte dann mit seinem Brieföffner lässig in Höhe meines Dekolletés herum. Darauf fiel selbst mir nichts ein. Außer einem »Nein, danke!«, bevor ich aufgestanden und gegangen bin. Ich wollte auf gar keinen Fall auch nur eine Sekunde länger bleiben und das Risiko eingehen, dass er mich mit seinem spitzen Ding aufspießte. Egal, mit welchem.

Lieber Gott, gib mir einen Chef, dem eine gute Qualifikation ebenso egal ist wie mein privates Wohlergehen!

Eine halbe Stunde später

Aber vor allem, lieber Gott: Lass mich endlich schlafen!

12.37 Uhr

Mann, war das ein Vorstellungsgespräch! Mir ist kotzübel davon. Muss schnell ins Ba…

Fünf Minuten später

Viel besser so. Zunächst mal: Danke, lieber Gott! Dafür, dass du mich tatsächlich hast schlafen lassen. Gut, du hast mich zu lange und zu fest schlafen lassen, sodass ich meinen Wecker überhört und voll verschlafen habe. Doch das war meine Schuld. Ich habe meinen Wunsch nicht präzise genug formuliert. Ich werde das nächste Mal genauer sein.

Aber ich hatte ja schon am Abend zuvor alles top vorbereitet – vom Frühstück im Kühlschrank bis hin zum Kostüm auf dem Bügel. Zehn Minuten nach meinem Hochschrecken saß ich geduscht, gefönt und business-perfekt gekleidet – hohe Schuhe, dunkler Rock mit Jäckchen, weiße Bluse – beim Frühstück. Ich brauche immer eine gute Grundlage, wenn ich aufgeregt bin. Und ich war sehr aufgeregt heute früh. So aufgeregt, dass die Tasse in meiner Hand zitterte. Der Kaffee darin auch. Noch dazu hatte ich mir die Tasse überaus gut eingeschenkt. Von wegen meiner zitternden Hand. Bevor ich den Kaffee an meine Lippen gebracht hatte, schwappte er klatschend auf meine Bluse.

Trotzdem konnte ich dem Pförtner bei Alpha Prime meinen Namen pünktlich auf die Sekunde des Vorstellungstermins nennen – wenn auch etwas atemlos und in einer hellblauen Bluse.

Eine bemerkenswert üppige Sekretärin holte mich unten am Empfang ab und führte mich durch eine glas- und marmorfunkelnde Lobby hoch, vorbei an kleineren Urwäldern von Ficus Benjamin. Sie klopfte an eine Tür neben dem Schildchen »Geschäftsführung«, öffnete sie, ohne auf eine Antwort zu warten, und schob mich hinein. Ich stolperte in die Mitte eines riesigen Eckbüros.

Da stand ich und fühlte mich wie eine normannische Sklavin auf dem Markt von Istanbul, denn die Blicke von vier Männern musterten mich vom Scheitel bis hinunter zu meinen Pumps. Hinter dem Schreibtisch klemmte ein großer Dicker – »Bernhard Sauter, unser Geschäftsführer«, stellte ihn mir die Sekretärin vor. Diesen Namen und seine Position konnte ich mir noch merken. Die Namen und Positionen der anderen drei, die sie mir dann viel zu rasch für mein aufgeregtes Sklavenhirn präsentierte, nicht mehr.

Auf dem Sofa rechts lümmelte ein schicker Kahlköpfiger mit schwarzer Kastenbrille, neben ihm saß mit verschränkten Armen ein mittelalter Mann im dreiteiligen Anzug. Ihnen gegenüber hatte sich ein Typ in schwarzem Polohemd, schwarzen Jeans und hippen Sneakers in einen Sessel gefläzt, und zeigte mir seine auffallend großen Zähne. Das war wohl seine Art, freundlich zu lächeln.

Ich beugte mich vor und schüttelte jedem charmant lächelnd die Hand. Ich ging auf in der Rolle der Sklavin, die zum Verkauf steht und sich möglichen neuen Besitzern optimal präsentieren will. Denn jeder der vier konnte der Mann sein, für den eine »persönliche/r Assistent/in« gesucht wurde.

Da verabschiedete der Dicke die drei. Aha, dachte ich mir, es geht also um einen Job bei ihm, dem Geschäftsführer. ›Fein!‹, freute ich mich. Statt auf irgendeinen Posten hatte ich hier sogar mal Chancen auf einen meiner Qualifikation angemessenen Top-Posten!

Der Geschäftsführer setzte sich mit mir auf das Sofa, zog ein Tischchen heran, und rief nach draußen: »Kirsten, kannst du uns zwei Frühstück kommen lassen? Danke!« Und zu mir gewandt: »Sie haben doch sicher noch nicht gefrühstückt?«, »Nein, habe ich noch nicht«, log ich höflich. Denn was rieten meine Fachbücher zum Thema Vorstellungsgespräch? Immer positiv sein! Also keine Zicken machen und das Frühstück bloß nicht nur deshalb ablehnen, weil man erst vor einer Stunde ein ziemlich umfangreiches Frühstück zu sich genommen hatte und immer noch angenehm satt war. Denn wenn der andere gut erzogen war, könnte er aus Höflichkeit darauf verzichten, vor meinen Augen allein zu essen. So etwas kann übellaunig machen – insbesondere jemanden, der so augenfällig Wert auf üppige Mahlzeiten legt, wie dieser Bernhard Sauter.

Dass er an mein leibliches Wohl dachte, war sehr nett. Aber haben Sie schon einmal versucht, eine Honigsemmel zu essen und sich gleichzeitig verbal anzupreisen? Entweder muss man mit vollem Mund sprechen, was die meisten von uns nicht so appetitlich finden. Oder man muss den Bissen halb gekaut hinunterwürgen – was der Magen nicht so gern hat.

Also entschloss ich mich, das Frühstück nur vorzutäuschen: Ich bestrich eine Semmelhälfte so spielerisch langsam mit Honig, dass unser Gespräch bestimmt beendet sein würde, bevor ich damit fertig wäre. Außerdem unterbrach ich mein Streichwerk und meine mündliche Selbstanpreisung öfter, um einen Schluck Kaffee zu trinken, – und noch einen, – und noch einen.

Während ich bereits an meiner dritten Tasse Kaffee schluckte und mit dem Messer weiter die Honigsemmel...

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