Grässlich hässlich
Ich halte mich für besonders hässlich, obwohl meine Freunde immer das Gegenteil behaupten. Ein dummer Spruch von mir ist, dass meine Eltern bei meiner Geburt das Baby weggeschmissen und stattdessen die Nachgeburt aufgezogen haben. Aber irgendwie weiß ich, dass ich da völlig übertreibe.
Was mir hilft, ist, wenn ich zum Beispiel in einem Café sitze und alle vorübergehenden Männer danach beurteile, ob sie besser aussehen als ich. Dann muss ich überraschend feststellen, dass die Mehrheit der Vorübergehenden irgendwie doch weniger gut aussieht als ich: Der eine ist dick, der andere so klein, dass er «der laufende Meter» genannt werden könnte, ein Dritter hat einen grauenhaften Schnurrbart und Flächenakne, der Nächste einen ausladenden Hintern, einer besitzt kaum noch Haare auf dem Kopf … Und dennoch glaube ich nicht, dass alle diese Menschen so wenig von ihrem Aussehen überzeugt sind wie ich.
Dennis E. (27), Fahrradkurier
Einige meiner Freunde, die wahrscheinlich auch als «unattraktiv» durchgehen könnten, dafür aber penetrant geschwätzig sind und dauernd einen dummen Spruch von sich geben, haben merkwürdigerweise selten Probleme mit Frauen.
Andreas J. (19), Schüler
Man sollte meinen, dass schüchterne Menschen einen triftigen Grund haben, warum sie sich im Hintergrund halten – nämlich weil sie klein, schmächtig, übergewichtig, hässlich oder intelligenzmäßig nicht gerade die Erfinder der tiefen Teller sind. Das Erstaunliche ist aber, dass diese Dinge scheinbar wenig miteinander zu tun haben. Es besteht nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Hässlichkeit und Schüchternheit – so sind unglaublich schöne Menschen oft schüchtern und viele nicht so gut aussehende Menschen dagegen sehr gesellig und extrovertiert.
Zwar haben in der Liebe leider diejenigen am meisten Glück, die reich, schön und mächtig sind, wobei diese drei Attribute gegeneinander austauschbar sind. Man sagt, dass Erfolg sexy macht. Damit wird erklärt, dass manche hässlichen alten Männer oft eine junge, attraktive Frau abbekommen, weil sie reich und mächtig – oder aber charmant und humorvoll sind. Schüchterne Menschen sind das Gegenteil von Machtmenschen, und einer der Gründe, warum sie weniger Erfolg beim anderen Geschlecht haben, ist ihr mangelndes Selbstbewusstsein. Aber darauf führen sie ihr Versagen nicht zurück, sondern auf ihre vermeintliche Hässlichkeit.
Sven, ein durchaus nicht hässlicher junger Mann, der immer denkt, dass Liebe etwas für alle anderen ist, aber nicht für ihn, verliebt sich in eine gewisse Sandra, die auf seiner nach oben offenen Richter-Skala für Attraktivität eine 11 erhalten würde. Unbeholfen macht er sich an sie heran und bekommt eine Abfuhr. Er bestätigt sich seine Theorie, dass es mit ihm und den Frauen niemals klappen kann. Dabei übersieht er, dass eine gewisse Katharina, die immerhin eine 9 auf seiner Skala erreicht, sich für ihn interessiert.
Das unbewusste Gehirn von Sven denkt nämlich weiter: Was wäre, wenn tatsächlich ein gutaussehendes Mädchen wie Katharina auf mich eingehen würde? Würde ich ihren Ansprüchen genügen? Würde ich nicht binnen weniger Tage durch mein tollpatschiges Verhalten alles kaputt machen? Oder würde sie mich über kurz oder lang wieder verlassen, weil sie sich doch leicht einen besseren Kerl als mich angeln könnte? Diese Art von Enttäuschungsprophylaxe verhindert, dass sich Sven um Katharina bemüht, bei der er eine reelle Chance hätte. Indem er sich in eine Unerreichbare verliebt, wiegt ihn sein unbewusstes Gehirn in trügerischer Sicherheit: «Kein Wunder, dass ich bei einer so schönen Frau nicht lande.»
Schönheit ist ein außerordentlich relativer und dehnbarer Begriff. Schüchterne sind sich oft sehr unsicher, wo sie sich auf der Normalverteilungskurve der Attraktivität befinden. Besonders Jugendliche sind sich häufig völlig unschlüssig, ob sie nun wohlgestaltet oder reizlos aussehen. Hinter so manchem vermeintlich hässlichen Entlein verbirgt sich aber ein stolzer Schwan.
Gehören Sie auch zu den Menschen, die extrem unzufrieden mit ihrem Äußeren sind? Setzen Sie sich in eine U-Bahn oder einen Park und betrachten Sie alle Männer/Frauen, die Ihnen begegnen. Versuchen Sie, diese grob in Hinblick auf ihr Aussehen einzuschätzen. Verteilen Sie Schulnoten. Vielleicht stellen Sie nach einer Weile fest, dass eigentlich die meisten Passanten eine schlechtere Bewertung bekommen haben, als Sie sich vor dem Test selbst zugestanden haben. Bisher haben Sie sich vielleicht mit den George Clooneys oder den Scarlett Johanssons dieser Welt verglichen, aber nicht mit Bernd Brausepulver oder Brigitte Brammel von nebenan.
Was aber, wenn jemand objektiv hässlich und schüchtern ist? Gutes Aussehen ist für das Lebensglück ebenso entscheidend wie ein Tresorraum voller Taler – nämlich überhaupt nicht. Hässliche Menschen sind vielfach sehr beliebt, da sie versuchen, die Anerkennung der Menschen durch andere Qualitäten wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft oder Humor zu erringen. Es gibt Menschen, die wirklich unterdurchschnittlich gut aussehen, stark übergewichtig sind, die schiefe Zähne, eine Skoliose, schütteres Haar oder ein körperliches Gebrechen haben. Diese Menschen sind aber oft überhaupt nicht selbstunsicher, sondern sozial sehr kompetent. Sie haben schon früh gelernt, dass sie zwar mit ihrem Aussehen nicht punkten können, aber ihr Manko durch andere positive Eigenschaften ausgleichen können. So sind unattraktive Menschen oft sehr rücksichtsvoll und jovial. Sie haben im Lauf ihres Lebens herausgefunden: Abstoßend auszusehen und gleichzeitig arrogant zu sein ist nicht gerade die erfolgreichste Strategie, um durch das Leben zu kommen.
Hässlichkeit ist nicht etwas, was man ändern kann, aber die Schüchternheit! Denken Sie an Rolling-Stones-Stars wie Mick Jagger oder Keith Richards, die auch nicht zwingend attraktiv aussehen und dennoch nie Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht hatten.
Sie fühlen sich zu klein? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie viele prominente Stars den Olymp erklommen haben, die auffallend kurz geraten sind? Denken Sie an Madonna (1,55 Meter), Tom Cruise (1,70 Meter), Brigitte Bardot (1,60 Meter) oder Dustin Hoffman (1,65 Meter). Im Kino oder Fernsehen erkennt man meist nicht ihre Körpergröße – die überschaut man erst, wenn man die betreffenden Personen live sieht oder wenn sie bei Wetten, dass …? neben Thomas Gottschalk stehen. Kleine Menschen haben den Vorteil, dass bei Männern die Muskeln und bei Frauen die weiblichen Formen wegen der Proportionen besser aussehen. Der Schauspieler Sylvester Stallone, der auf die Darstellung von Boxern abonniert ist, schafft es, trotz seiner Körpergröße von etwa 1,60 Meter wie ein Scheinriese zu wirken.
Denise sieht aus wie ein Fotomodell. Die Romanistikstudentin hat ein ebenmäßig geformtes Gesicht, ein Erbe ihrer italienischen Mutter, intelligente, mandelförmige Augen, einen olivenfarbenen Teint, schwarze Haare und eine weibliche Figur, die die Männerwelt zu ungeahnten Phantasien anregt.
Ihre astrale Schönheit hat einen merkwürdigen Effekt auf männliche Wesen: Ihr wunderschönes Gesicht, ihr perfekter Körper und ihre makellose Erscheinung paralysieren das andere Geschlecht. Selbst erfolgsgewohnte Womanizer fühlen sich in ihrer Gegenwart gehemmt, und durchschnittliche Männer rechnen sich eine ziemlich sichere Chance aus, bei ihr eine Abfuhr zu erhalten. Denise hat eine Ausstrahlung, die bedeuten soll: «Du brauchst es gar nicht zu wagen, mich anzuquatschen, das haben schon ganz andere versucht.» Jeden Versuch, sie anzulächeln, erwidert sie mit der Abwendung des Blicks, der einen Anflug von Genervtheit hat. Auf eine Einladung zum Cappuccino-Trinken reagiert sie mit Ausflüchten. Eine Aufforderung zum Tanzen quittiert sie mit eisiger Ablehnung. Ihre Telefonnummer rückt sie nie heraus. Sie vermittelt, dass sie keinerlei Bedürfnis hat, jemanden kennenzulernen, offensichtlich, weil es da schon einen Glücklichen gibt.
Die Wahrheit ist: Es gibt niemanden, mit dem Denise reden, spazieren gehen oder kuscheln kann. Sie ist so schüchtern, dass sie übergroße Angst hat, Männer näher an sich herankommen zu lassen. Will sie jemand in ein Gespräch verwickeln, befürchtet sie, er könnte sie für dumm oder uninteressant halten. Will sich ein junger Mann mit ihr verabreden, bangt sie, sich ungeschickt, peinlich oder unreif aufzuführen. Mit den Männern, die es wagen, auf sie zuzugehen, will sie nichts zu tun haben, denn nur ...