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Wie schnell die Arbeitswelt sich dreht: Welche Chancen du als Angestellter heute hast
»Die Zukunft ist bereits hier, sie ist nur ungleich verteilt.«
William Gibson
Im letzten Kapitel hast du bereits zwei Geschichten von Menschen kennengelernt, die als Angestellte in ihrer Firma neben dem normalen Job ihr eigenes unternehmerisches Ding angefangen haben. Die MondayMakers entstanden auf Eigeninitiative einer Mitarbeiterin, die mit ihrer Idee bei der Unternehmens-Chefin offene Türen einrannte. Das Tolle daran: Das Team ist bunt gemischt, von der Praktikantin bis hin zum obersten Management, aber verfolgt gleichberechtigt und mit großem Einsatz eine gemeinsame Vision. Wie groß die Idee letztlich wird, ist noch nicht ganz abzusehen, doch gerade das macht auch einen Teil des Reizes aus. Das Pakadoo-Team ist hierbei schon einen Schritt weiter. Kris und Markus haben einen Teil der Unsicherheit, die zwangsläufig zu jeder Unternehmensgründung gehört, bereits hinter sich gelassen. Sie kamen im Schnellzug-Tempo von der Idee zum ersten Großkunden, gründeten ein internes Startup, bekamen eine Millionenfinanzierung und erreichten binnen kürzester Zeit Hunderttausende von Nutzern. Du siehst: Es sind zwei unterschiedlich gelagerte Fälle. Aber sie haben dennoch eine große Gemeinsamkeit.
Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind: Vor ein paar Jahren wären all solche Geschichten noch völlig undenkbar gewesen. Normale Angestellte, die neben ihrem Tagesgeschäft unternehmerische Ideen vorantreiben? Das wäre für viele Menschen ein Widerspruch in sich gewesen. Entweder man ist angestellt, oder man kündigt und wird Unternehmer. Beides gleichzeitig? Sicher nicht! So lautete jedenfalls die verbreitete Meinung. Doch so verrückt diese Geschichten noch vor einiger Zeit gewesen wären, so gern gesehen sind sie heute bereits in vielen Unternehmen.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es wird nicht mehr lange dauern, bis es in fast jedem Unternehmen ganz normal ist, dass Angestellte gleichzeitig zu einem gewissen Grad auch Unternehmer im Unternehmen sind. Genauso wie in den letzten Jahren auch Teilzeit, Vertrauensarbeitszeit, Elternzeit und Home-Office sich von »völlig undenkbar« zu »normal« entwickelt haben. Klar, das alles gibt es nicht in ausnahmslos allen Unternehmen – aber in sehr vielen eben schon! Um das Zitat von William Gibson aufzugreifen: »Die Zukunft ist bereits hier, sie ist nur ungleich verteilt«. Und manchmal muss man sich auch auf sie zubewegen, anstatt darauf zu warten, dass sie von selbst an die Tür klopft und einen vom Sofa abholt.
Tatsächlich verstehen dies immer mehr weitsichtige Unternehmenslenker. Sie modernisieren ihre Unternehmen in nie zuvor gesehenem Maße und in phänomenaler Geschwindigkeit. Dabei geben sie auch alte Denk- und Managementmodelle auf. Darunter ist allen voran auch das über viele Jahre, ja Jahrzehnte gepflegte Modell, dass »oben gedacht und unten gemacht« wird. Sie brechen verkrustete Strukturen auf und geben ihren Mitarbeitern mehr Freiraum, mehr Entfaltungsmöglichkeiten sowie mehr Verantwortung. Kurz gesagt: Sie werden zu dem, was ich smarte Unternehmen nenne.
Traditionelle Unternehmen und ihre Grenzen
Für die Modernisierung der Unternehmen gibt es, wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, starke Gründe – vor allem den Technologiewandel und die dadurch hervorgerufenen Marktveränderungen. Denn wir stecken mitten in der digitalen Revolution. Mithilfe der neuen digitalen Technologien entstehen explosionsartig immer mehr neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Das betrifft sowohl Endverbraucher – man denke nur an die Revolution in der Informationstechnologie und Telekommunikation mit Heimcomputern, Smartphones, Sozialen Medien – als auch die Industrie – zum Beispiel Biotechnologie, Künstliche Intelligenz, Algorithmen und das »Internet der Dinge«. Weil dieser Wandel gemäß des Moore’schen Gesetzes bisher immer schneller vonstattenging – die Leistung neuer Computer-Chips verdoppelte sich seit der Erfindung des Computers etwa alle 18 Monate –, sehen sich die Unternehmen gezwungen, sich in nie zuvor gesehener Geschwindigkeit zu verändern. Denn ihre traditionellen Organisationsstrukturen sind nicht dazu geeignet, mit dem Tempo der digitalen Revolution Schritt zu halten und Innovationen zu entwickeln.
Ein solches Phänomen ist an sich nichts Neues; technologischen Wandel gibt es nicht erst seit gestern. Allein in den letzten 250 Jahren gab es mehrere große Umbrüche: Die erste industrielle Revolution um das Jahr 1800 brachte Maschinen, Fabriken und die Eisenbahn, die zweite industrielle Revolution zwischen der Mitte und dem Ende des 19. Jahrhunderts die Schwerindustrie und den elektrischen Strom. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter des Automobils und der Massenproduktion. Ein technologischer Umbruch verändert immer die Gesellschaft und ihre Institutionen, vor allem aber die Unternehmenswelt. Damit geht auch stets eine Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in Institutionen und in der Wirtschaft einher. Diesen evolutionären Prozess hat der ehemalige McKinsey-Berater Frederic Laloux in seinem viel beachteten Buch Reinventing Organizations wunderbar beschrieben.
Zur Zeit der ersten industriellen Revolution waren die Märkte klar definiert und verglichen mit heute sehr ruhig, was eine langfristige Planung ermöglichte. Dazu passte eine Organisationsform, die Stabilität garantiert. Es war wichtig, wiederholbare Tätigkeiten exakt und routinemäßig auszuführen. Eine streng hierarchische, autoritäre Organisation gewährleistet das. In Unternehmen und Institutionen herrschte das Prinzip Befehl und Kontrolle vor. Die Organisation entspricht der klassischen Pyramide, in der die Anweisungen von oben nach unten gegeben werden. Der Fabrikbesitzer steht über dem Bereichsleiter, der weist den Abteilungsleiter an, dann kommen die Vorarbeiter und schließlich die Arbeiter, die die Maschinen bedienen. Auch heute gibt es solche Organisationsformen noch, sie sind nicht komplett verschwunden. Sie existieren beim Militär und der Polizei, in der Kirche und zum Teil noch im Schulwesen. Auch in Hochrisikobereichen, wo die geringste Abweichung von der Norm zu einem großen Schaden führen kann, gelten sie noch, man denke an den Betrieb eines Atomkraftwerks. Dort geht es nicht darum zu experimentieren und selbstbestimmt zu arbeiten, es geht um Sicherheit und Berechenbarkeit.
Die zweite industrielle Revolution machte ab Mitte der 1850er-Jahre mit einem ausgebauten Eisenbahnnetz und dampfgetriebenem Schiffsverkehr die Welt »kleiner«, also zugänglicher für die Wirtschaft und den Handel. Die Produktivität wuchs, der Wettbewerb wurde stärker. Unternehmen expandierten, entwickelten unterschiedliche Produktlinien und ausgefeilte Prozessketten. Innovation wurde zum Schlüssel für Wachstum. Entsprechend entwickelten sich auch die Unternehmen organisatorisch weiter. Abteilungen wie Forschung und Entwicklung, Einkauf, Verkauf, Vertrieb und Marketing differenzierten sich aus.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Beruf des Managers moderner Prägung etabliert, was der Arbeitswissenschaftler Frederick Taylor unter anderem in seinem bahnbrechenden Werk The Principles of Scientific Management dokumentierte. In dieser Zeit wurde das Leistungsprinzip zum Leitbild. Zielvorgaben dienten dazu, die Leistungen der Angestellten und Arbeiter zu kontrollieren. Wichtig war, das angestrebte Ergebnis zu erzielen, das »Wie« wurde aber nicht mehr unbedingt vorgeschrieben. Diese Organisationsform ist heute noch weit verbreitet, idealtypisch in großen multinationalen Konzernen. Derartig organisierte traditionelle Unternehmen sind gut darin, ihre bestehenden, bereits erfolgreichen Produkte und Dienstleistungen herzustellen und zu vermarkten. Sie verstehen es, komplizierte Arbeitsprozesse effizient zu planen und durchzuführen. Das Management plant, die Mitarbeiter führen aus. Es gibt klare Hierarchien und Job-Titel, die in einem Organigramm festgeschrieben sind.
Etwa zur selben Zeit entstanden auch die ersten Ideenprogramme für Mitarbeiter. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde bei Siemens erstmals das »betriebliche Vorschlagswesen« eingeführt und machte schnell Schule. In vielen Firmen gibt es heute noch solche Programme oder »Ideen-Briefkästen«. Die Vorschläge sollen entweder die Produkte verbessern, die Arbeitsprozesse optimieren oder die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen. Für Vorschläge, die die Firma tatsächlich umsetzt, gibt es häufig Geld- oder Sachprämien. Neben diesen marktorientierten Zielen soll das betriebliche Vorschlagswesen aber auch Mitarbeiter motivieren und ihre Identifikation mit dem Unternehmen steigern. Wer ist nicht stolz darauf, wenn die eigene Idee wahrgenommen und vielleicht sogar umgesetzt wird?
In den Achtziger- und Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts hatten dann moderierte Ideenprogramme Konjunktur. Sie trugen Namen wie »Kaizen«, eine aus Japan stammende Philosophie der ständigen Veränderung, die unter westlichen Managern viele Anhänger fand. Genauso wie der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) meint Kaizen eine schrittweise, inkrementelle Verbesserung der Qualität von Produkten und der Arbeitsorganisation. Mit Startup-Methoden oder Intrapreneurship-Programmen haben diese Formen der Mitarbeiterbeteiligung aber nichts zu tun. Der Unterschied ist einfach: Vorschlagswesen, KVP und Co. haben vor allem zum Ziel, die Qualität eingeführter Produkte zu erhöhen und bestehende Prozesse zu verschlanken und kostengünstiger zu machen. Es geht dabei um stetige, schrittweise erfolgende Verbesserungen, die Markus Ziegler von...