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E-Book

Das Ende der Gerechtigkeit

Ein Richter schlägt Alarm

AutorJens Gnisa
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783451811234
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wir leben in einem Rechtsstaat. Doch tun wir das wirklich? Faktenreich und anhand anschaulicher, fast unglaublicher Geschichten aus dem Justizalltag beschreibt Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, eine schleichende Erosion des Justizsystems. Er geht den vielschichtigen Ursachen einer Entwicklung auf den Grund, die allzu oft verdrängt wird. Und damit eine der zentralen Säulen der Demokratie in Deutschland nicht weiter einknickt, macht er konkrete Vorschläge, wie die gefährliche Aushöhlung des Rechts gestoppt werden kann. Er hat ein aufrüttelndes Debattenbuch in unruhigen Zeiten verfasst, in welchen es Recht und Demokratie überall auf der Welt zunehmend schwerer haben - analytisch, leicht geschrieben, kämpferisch. Der Richter fordert in eindringlichen Worten, den Rechtsstaat jetzt zu stärken. Ansonsten droht das Ende der Gerechtigkeit. Denn täglich erlebt er, wie der Rechtsstaat durch die Politik ausgehöhlt wird und sich normale Bürger in unserem Land nicht mehr sicher fühlen. Sie misstrauen dem Staat, sehen sich aber in Kleinigkeiten drangsaliert: Falsch parken wird geahndet, Steuerbetrüger lässt man laufen; Haftbefehle werden nicht vollstreckt, das Ausländerrecht zeigt eklatante Schwächen. Gnisa schildert, wie die Unabhängigkeit des Rechtsstaates, einer der Grundpfeiler unserer Demokratie, durch mangelnde innere Sicherheit, Rechtsverstöße durch die Politik und populistische Ausweichmanöver, wenn es um die Verantwortung für die Bürger dieses Landes geht, massiv beschädigt wird. All dies erfahren nicht nur Richter bei ihrer täglichen Arbeit, auch Staats- und Rechtsanwälte und Justizangestellte. Sie bekommen nicht selten Hassmails und Todesdrohungen, weil sie tun, was zu ihren Aufgaben gehört: Urteile sprechen, Ansprüche vertreten, Recht und Gesetz Geltung verschaffen. Können sie es bald schon niemandem mehr recht machen? Und was bedeutet das dann? Das Vertrauen in ein gerechtes Miteinander ist notwendig, um eine Gesellschaft zusammen zu halten, Hass, Aggression und Neid einzudämmen. Das Gesetz soll dieses Vertrauen schützen und bewahren. Doch wie es aussieht, haben das Recht und seine sorgsame Pflege außerhalb der Justiz nur noch wenige Fürsprecher. Zugegeben: Das Recht ist unbequem, oft sperrig und häufig langsam. Aber in einer funktionierenden Demokratie ist es auch vor allem eines: unentbehrlich. Recht bedeutet nicht automatisch Gerechtigkeit, sondern ist zunächst ein Ordnungssystem, das einen Ausgleich anstrebt - zwischen verschiedenen Parteien und unterschiedlichen Rechtsgütern. Dieses System funktioniert aber nur, wenn Gerechtigkeit im Sinne der Justiz nicht mit Moral verwechselt wird. Moralische Argumente haben im Gerichtssaal keinen Platz. Denn Moral entspricht oft dem Zeitgeist. Sie ist auswechselbar, nicht verbindlich. Doch in der Öffentlichkeit werden Emotionen gezielt eingesetzt, nicht zuletzt von den Medien. Wann also wird die Politik den schrittweisen Verfall des Rechtsstaats aufhalten? Das wird nur geschehen, wenn es zu einer öffentlichen Debatte um den Zustand unseres Rechtswesens kommt und den Bürgern klar wird, welchen Diamanten unsere Gesellschaft mit ihrer Rechtsordnung besitzt. Seit einiger Zeit glänzt er an vielen Stellen nicht mehr so, wie er könnte und sollte. Und sicher muss man ihn an manchen Ecken neu schleifen und schärfen, damit unsere Demokratie jenen Herausforderungen, denen sie in immer stärkerem Maße ausgesetzt ist, auch in ein paar Jahren noch trotzen kann. Dies alles und noch viel mehr beschreibt und fordert Gnisa in seinem Buch.

Jens Gnisa, geb. 1963, setzt sich als Richter und Direktor des Amtsgerichts Bielefeld in der Öffentlichkeit seit langem für die Unabhängigkeit der Justiz und eine Stärkung des Rechtsstaates ein. Von 2016 bis 2020 war er Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, des größten Berufsverbands von Richtern und Staatsanwälten. Augenblicklich kandidiert Jens Gnisa als Landrat in seiner Heimat.

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Einleitung


Dieses Buch handelt vom Ringen der Politik und Justiz um das Recht. Zu oft sind sie dabei Gegner. Unsere Volksvertreter sind dabei, eine der wichtigsten Säulen der Demokratie, die unabhängige Rechtsprechung, einstürzen zu lassen. Wer will da noch von den Bürgern erwarten, dass sie sich an das Gesetz halten, wenn selbst die Politik es nicht mehr überzeugend schützt? Dass sie an Gerechtigkeit glauben?

Das Vertrauen in ein gerechtes Miteinander ist notwendig, um eine Gesellschaft zu befrieden, Hass, Aggression und Neid einzudämen. Das Gesetz soll dieses Vertrauen schützen und bewahren. Doch wie es aussieht, haben das Recht und seine sorgsame Pflege außerhalb der Justiz nur noch wenige Fürsprecher. Zugegeben: Das Recht ist unbequem, oft sperrig und häufig langsam. Aber in einer funktionierenden Demokratie ist es eben auch vor allem eines: unentbehrlich. Recht kann nur mit einer unbestechlichen Justiz funktionieren. Hier setzt Deutschland Meilensteine. Das unterscheidet uns von vielen anderen Staaten in der Welt, die noch um eine Justiz frei von Korruption und Manipulation ringen müssen.

Wir haben andere Probleme. Mehr und mehr verliert die Bevölkerung ihr Vertrauen in den Rechtsstaat. Sie fühlt sich ungerecht behandelt und spürt die Hilflosigkeit der Politik – im Ausländerrecht, unter der Bedrohung des Terrors oder auch angesichts moderner digitaler Kriminalität, deren Urheber anonym und schwer zu fassen sind. Der innere und äußere Schutz, das ist das Versprechen, das der demokratische Staat seinen Bürgern gibt, damit sie im Gegenzug loyale Bürger sind und Recht und Ordnung achten. Auf der Basis eines solchen Vertrags ist auch unsere Demokratie entstanden. Ist sie jetzt in Gefahr?

Es sieht so aus. Nicht nur Hilflosigkeit, sondern auch Unverständnis, gar Ablehnung prägt den Umgang unserer Politiker mit dem Recht. Wenn es sein muss, biegen sie sich dieses so zurecht, wie sie es gerade gebrauchen können. Ob das die Finanzierung der Staatsschulden ist oder die abrupt gestrichenen Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke oder der Ankauf der Schweizer Steuer-CDs – all das waren rechtswidrige Aktionen. Nur – wie lautet der alte Spruch: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Wird andererseits nach strengeren Gesetzen gerufen, dient das oft nur dazu, Defizite in der Strafverfolgung zu vertuschen. So beschloss die Bundesregierung im Frühjahr 2017, Einbrüche schwerer zu bestrafen. Doch just, als dieses Gesetz verabschiedet wurde, war die Einbruchsrate schon wieder gesunken, dort nämlich, wo Sonderkommissionen tätig wurden, man neue Software einsetzte und mehr Polizei. All dies scheint also viel sinnvoller zu sein, als eine gesetzlich geregelte Strafandrohung, die ohnehin nur selten umgesetzt werden kann, denn nur bei jedem sechsten Einbruch werden die Täter überhaupt ermittelt.

Das Beispiel zeigt im Übrigen auch: Es kostet den Staat Geld, seine Bürger wirksam zu schützen. Doch gründlich investieren will die Politik offenbar nicht. Da ist der populistische Ruf nach strengeren Gesetzen viel einfacher. In Zeiten wachsender Unsicherheiten bringt er auf jeden Fall kurzfristig Wählerstimmen. Und wenn diese Politik der scheinbaren Härte später scheitert, dann kann man die Schuld immer noch auf die andern schieben – die Justiz.

Mangelnde innere Sicherheit, Rechtsverstöße durch die Politik und populistische Ausweichmanöver, wenn es um die Verantwortung für die Bürger dieses Landes geht: Für mich besteht kein Zweifel, dass ein zentraler Eckpfeiler unserer Gesellschaftsordnung in Gefahr ist, der Rechtsstaat. Eine funktionierende Justiz, das zeigt das aktuelle Beispiel der Trumpschen USA, kann als Einzige als stabilisierender Faktor wirken, wenn politische Systeme drohen, aus dem Ruder zu laufen. Selbst der mächtige Präsident der Vereinigten Staaten kann sich einer Untersuchung, die ihm ungelegen kommt, nicht entziehen – zumindest nicht auf legalem Weg. Und die Protagonisten des bedrohlichen Rechtsrucks, der sich in vielen Ländern Europas vollzieht, suchen sich als ersten Feind die Justiz – Staatsanwälte und Richter. Auch in Deutschland bekommen diese heute schon Todesdrohungen und Hassmails – außerdem viele Zuschriften von Bürgern, welche die Logik des Rechts nicht mehr verstehen, die sich selbst nicht mehr vertreten fühlen von unseren Gesetzen, die nach mehr Gerechtigkeit verlangen und nach mehr Schutz.

Die Zuwanderung ist ein wesentlicher Faktor der Zunahme von Kriminalität in Deutschland. Doch die Politik, welche die Parole der Willkommenskultur ausgegeben hat, spricht darüber ungern. Dabei stärkt gerade diese undifferenzierte Betrachtungsweise die undemokratischen Tendenzen und die Ausländerfeindlichkeit, die angesichts des Flüchtlingsansturms wachsen. Das Asylrecht ist ein wichtiges und wertvolles Grundrecht. Bedrohten Menschen muss geholfen werden. Doch sie zu integrieren bedeutet etwas anderes, als nur die Arme zu öffnen. Es bedeutet, die Menschen auch in ihrer Unterschiedlichkeit zu sehen und wahrzunehmen. Da kann es sein, dass unter bestimmten Umständen eine in Syrien geschlossene Kinderehe hier auch juristisch anerkannt wird. Aber es kann – und darf – nicht sein, dass eine Prügelstrafe innerhalb der Familie toleriert wird.

Viele weitere Fragen stellen sich: Sollen zum Beispiel türkische Politiker bei uns Wahlkampf machen dürfen, in einem Land, wo fast drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben und arbeiten und gut die Hälfte von ihnen die türkische Staatsangehörigkeit hat und dort wahlberechtigt ist? »Ja«, sagte Sigmar Gabriel und berief sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Quatsch – befand das Bundesverfassungsgericht, natürlich juristisch korrekter formuliert, denn für Staatsoberhäupter anderer Länder gilt nur das Recht der Diplomatie. Und das »Deutsche Volk«, so antiquiert und auch unbehaglich dieser Terminus für uns sein mag, gibt es juristisch gesehen noch. Das Volk ist eben nicht, wie Angela Merkel behauptete, »jeder, der in diesem Land lebt«. Gerade zentrale Grundrechte, die nicht missbraucht werden dürfen, sind den deutschen Staatsbürgern vorbehalten. Nur sie dürfen sich nach dem Grundgesetz zum Beispiel versammeln oder Vereine bilden.

Angela Merkel hat aus humanitären Motiven den Flüchtlingen Tür und Tor geöffnet, und dabei aber nicht nur auch Kriminelle und sozial Entwurzelte ins Land gelassen. Sie hat darüber hinaus einer noch viel größeren Bedrohung den Weg gebahnt: der phasenweisen Kapitulation des Staates. Denn nichts anderes bedeutete es, dass er es weitenteils aufgegeben hatte, die Identitäten der Ankömmlinge ernsthaft zu überprüfen. Bis heute hat er es zudem nicht geschafft, dem Sozialbetrug durch Flüchtlinge einen Riegel vorzuschieben. Und er hat es vor allem nicht vermocht, diejenigen abzuschieben, die keinen echten Asylgrund haben oder aber sogar gefährlich für die Bürger Deutschlands sind. Der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri hat das auf tragische Weise deutlich gemacht.

Diese Liste weiteren Staatsversagens ist lang. So hat der Staat auch versagt, indem er zum Beispiel in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln seine Bürger nicht beschützt hat – als mehr als tausend junge Männer aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum dort vor allem Frauen belästigten, bedrängten und ausraubten. Zugegeben – es war eine bisher nicht gekannte Eskalation, doch diese Schwäche des Staates wird automatisch auch der Justiz angelastet. Die Bürger fühlen sich nicht mehr sicher in ihrem eigenen Land – das fördert das Misstrauen in den Rechtsstaat, ein erster, gefährlicher Schritt in Richtung Demokratieverlust.

Und wie steht es um den Glauben an die Gerechtigkeit? Auch er ist erschüttert. Auch hier ist die Liste der öffentlich teilweise aufgebracht diskutierten Fälle lang. War es ungerecht, die Kassiererin Emmely zu entlassen, weil sie einen Pfandbon, der ihr nicht gehörte, eingelöst hatte? Oder steckte hinter dieser Entscheidung ein ganz anderer Beweggrund, der in der Öffentlichkeit unterschlagen wurde? Hat der »Bayern«-Präsident Uli Hoeneß recht, wenn er behauptet, er sei der Einzige, der trotz Selbstanzeige ins Gefängnis musste – denn die Medien hätten Druck auf die Richter ausgeübt? Hat der »kleine« Käufer eines Golf-Diesels weniger Chancen vor Gericht als einer der VW-Vorstände? Sollten die Verursacher eines Schadens auch in Deutschland so richtig »blechen« müssen wie in den USA?

Und – wenn wir schon beim Thema Auto sind: Das deutsche Bußgeldsystem für Geschwindigkeitsübertretungen wirft in der Tat die Frage auf, wofür Strafen eigentlich gut sind: Für die Sicherheit auf den Straßen oder für die öffentlichen Kassen? In einer nordrhein-westfälischen Kommune ist ein Haushaltsloch von 500 000 Euro entstanden, als ein wütender Bürger den Blitzautomaten zerstört hatte und dieser nicht umgehend ersetzt wurde. Das zeigt, dass der Staat mit dem Fehlverhalten seiner Bürger kalkuliert, anstatt sie zur Besserung erziehen zu wollen. Es ist also dringend nötig, dieses demoralisierende Instrument zu verändern – denn hier wird der Staat zum Nutznießer des Gesetzesverstoßes.

Recht bedeutet nicht automatisch Gerechtigkeit, sondern ist zunächst einmal ein Ordnungssystem, das einen Ausgleich anstrebt – zwischen verschiedenen Parteien und unterschiedlichen Rechtsgütern. Dieses System funktioniert aber nur, wenn Gerechtigkeit im Sinne der Justiz nicht mit Moral verwechselt wird. Moralische Argumente haben im Gerichtssaal keinen Platz. Denn Moral entspricht oft dem Zeitgeist. Sie ist auswechselbar, nicht verbindlich. Doch in der...

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