Am Ende, oder: Klimawandel als
Kulturwandel
It's the end of the world as we know it.
R. E. M.
Weltuntergang? Nein, nicht die Welt gerät aus den Fugen, wie man in letzter Zeit lesen konnte, wohl aber die Strukturen und Institutionen, die der Welt, wie wir sie kannten, Namen und Halt gaben: kapitalistische Märkte, zivilisatorische Normen, autonome Persönlichkeiten, globale Kooperationen und demokratische Prozeduren. Als moderne Menschen sind wir gewohnt, linear und progressiv zu denken – nach vorne offen. Sicher gab es auf dem Weg von Wachstum und Fortschritt Zäsuren und Rückschläge, aber unterm Strich ging es immer weiter aufwärts. Die Denkfiguren von Kreislauf und Abstieg gerieten in Misskredit, Endlichkeit wurde undenkbar.
Das war die Welt, wie wir sie kannten: Märkte expandierten über ihre periodischen Krisen hinweg in eine gefühlte Unendlichkeit, Staaten sicherten die soziale Ordnung und den Weltfrieden, der flexible Mensch verwandelte Naturgefahren per Technik und Organisation in beherrschbare Risiken. Nur manchmal und dann vorübergehend schien die Leitidee des Fortschritts außer Kraft gesetzt zu sein. Selbst ein Zivilisationsbruch wie der Holocaust und ein Völkermord wie in Darfur konnten die Grundüberzeugung nicht erschüttern, auf dem besten aller Wege zu sein. Globale Mobilität und Kommunikation machten die Welt klein und zugänglich, auch die Demokratie vollendete 1989 ihren Siegeszug. Die Welt wurde uns damit immer bekannter.
Dass sie so, wie wir sie kannten, nicht mehr wiederzuerkennen ist, liegt nicht an der Natur, die bei aller Gesetzlichkeit immer Sprünge gemacht hat, sondern an dem von Menschen verursachten Wandel des Klimas. Das Weltklima kann an tipping points mit unkalkulierbarer Dynamik gelangen und umkippen, wenn nicht rasch – genau genommen: im kommenden Jahrzehnt – radikal anders gewirtschaftet und umgesteuert wird. Die kurze Spanne bis 2020 – nur zwei, drei Legislaturperioden, einen kurzen Wirtschaftszyklus, zwei Sommerolympiaden weiter – entscheidet über die Lebensverhältnisse künftiger Generationen.
Damit ist eine Perspektive der Endlichkeit in den linearen Fortschritt eingezogen, die dem modernen Denken fremd, geradezu ungeheuerlich ist. Risiken verwandeln sich zurück in Gefahren. Nicht nur die Rohstoffe sind endlich, mit ihnen könnten auch die großen Errungenschaften der westlichen Moderne zur Neige gehen, als da sind: Marktwirtschaft, Zivilgesellschaft und Demokratie.[1] Der Klimawandel ist somit ein Kulturwandel und ein Ausblick auf künftige Lebensverhältnisse. Das meint nicht »in the year 2525«, es betrifft eine überschaubare Zeitgenossenschaft. Wer 2010 zur Welt kommt, kann das Jahr 2100 noch erleben; ohne rasches und entschlossenes Gegensteuern wird die globale Durchschnittstemperatur dann um vier bis sieben Grad Celsius gestiegen sein und unsere Nachkommen eine Atemluft vorfinden, wie sie heute nur in engen und stickigen Unterseebooten herrscht.
Während wir – das sind in diesem Fall die Bewohnerinnen und Bewohner der Länder des atlantischen Westens – noch glauben, das Zentrum der Weltgesellschaft zu bilden und ihre Zukunft nach Belieben gestalten zu können, driften wir längst aus diesem Zentrum heraus, und andere Mächte rücken in die Mitte. Der wirtschaftliche und machtpolitische Einflussgewinn von Ländern wie China, Indien, Brasilien, Russland wird sich trotz ihrer aktuellen Probleme fortsetzen, und auch andere {11}werden dieser Aufstiegsbewegung folgen. Die Figuration der Weltgesellschaft verändert sich und damit die Rolle, die wir in ihr spielen. Und Probleme, die vorerst nur die europäische Peripherie – Island, Lettland oder Ungarn – plagen, zeigen dem Zentrum seine eigene Zukunft.
Unser Selbstbild und unser Habitus sind, nach 250 Jahren überlegener Macht, Ökonomie und Technik, noch an Verhältnisse gebunden, die es so gar nicht mehr gibt. Dieses Nachhinken unserer Wahrnehmung und unseres Selbstbildes hinter der Veränderungsgeschwindigkeit einer »globalisierten Welt« findet sich auch auf anderen Ebenen unserer Existenz – etwa in Bezug auf die Energie-, Umwelt- und Klimakrisen. Obwohl es nicht den geringsten Zweifel daran gibt, dass die fossilen Energien endlich sind und die zunehmende Konkurrenz um Ressourcen bei gleichzeitigem Rückgang der verfügbaren Mengen zuerst zu Konflikten, wahrscheinlich auch Kriegen führen wird und dann zu einer Welt ohne Öl, pflegen wir politische Strategien und Lebensstile, die für eine Welt mit Öl entwickelt worden sind. Während das Artensterben in beispielloser Geschwindigkeit voranschreitet, die Meere radikal überfischt und die Regenwälder gerodet werden, wird unser Handeln von der Vorstellung geleitet, es handele sich dabei um reversible Prozesse. Die Zerstörung wird mit illusionären Korrekturvorstellungen bemäntelt, und trotz der Evidenz des Klimawandels bleibt das Gros der Politiker – das gängige Krisenmanagement zeigt es – auf kurzatmige und illusionäre Reparaturziele fixiert. Wer im Blick auf Quartalsbilanzen und Wahltermine vor allem Arbeitsplätze in scheiternden Industrien bewahren will, betreibt eine Politik von gestern.
Die Geschichte kennt Beispiele von Zivilisationen, die länger erfolgreich waren als die Kultur des Westens. Sie sind untergegangen, weil sie an Strategien, die für ihren Erfolg und Aufstieg gesorgt hatten, unter veränderten Umweltbedingungen zäh festgehalten haben. ›Was mag‹, fragte Jared Diamond, {12}›derjenige gedacht haben, der auf der Osterinsel den letzten Baum gefällt und damit den unaufhaltsamen Untergang einer 700 Jahre lang erfolgreichen Kultur besiegelt hat? Wahrscheinlich, dass Bäume schon immer gefällt wurden und dass es völlig normal sei, wenn auch der Letzte fällt.‹ [2] Wir sind alle Osterinsulaner: Würde man nach einer schlichten Überlebensregel selbstverständlich davon ausgehen, in einem Jahr nur soviel an Ressourcen zu verbrauchen, wie die Erde per annum zur Verfügung stellen kann, dann müssten wir diese Jahresration auf 365 Tage verteilen und dürften sie nicht vor dem 31.Dezember ausgeschöpft haben. Der Tag, an dem man so zu rechnen begann, war Silvester 1986, der erste Earth Overshoot Day. Nur zehn Jahre später wurden bereits 15 Prozent mehr des Jahresbudgets verbraucht, der Scharniertag fiel also in den November, und 2008 war dieser Zeitpunkt bereits am 23.September erreicht.[3]
Bei Fortschreibung des aktuellen Verbrauchs wird das Budget 2050 schon nach sechs Monaten aufgezehrt sein. Wir hängen keinen romantischen Naturvorstellungen an, aber solche scheinbar naiven Rechnungen entlarven den vermeintlichen Realismus, der den frivolen Zukunftsverbrauch der kapitalistischen Wachstumsökonomie auszeichnet. An dem waren eben nicht nur gedankenlose Banker beteiligt. Die größte Massenbewegung nach dem »Ausbruch« der Finanzkrise im September 2008 war der Ansturm auf die Showrooms der Autohäuser, um die Abwrackprämie kassieren zu können.
Gerade in Deutschland dreht sich alles um einen Industriezweig, der in Zukunft gar nicht mehr die Rolle spielen darf, die er in der Vergangenheit einmal hatte. Wer die Automobilindustrie päppelt (und dann auch noch mit so unsinnigen Maßnahmen wie mit einer Verschrottungsprämie), gibt für Überlebtes Geld aus, das für die Gestaltung einer besseren Zukunft nicht mehr verfügbar ist. Solche Rettungspläne folgen der Auto-Suggestion, eine Welt mit mehr als neun Milliarden {13}Bewohnern könnte so aussehen wie Europa heute, mit achtspurigen Straßen und ausufernden Parkplätzen.
Wir müssen heraus aus den Pfadabhängigkeiten und Vergleichsroutinen. Die akute Weltwirtschaftskrise wird mit der Großen Depression der 1930er Jahre verglichen und überschreitet bereits deren Parameter! Doch das verkennt noch den Ernst der Lage. Die Welt durchlebt nicht nur eine historische Wirtschaftskrise, ihr steht auch die dramatischste Erwärmung seit drei Millionen Jahren bevor. Es mag sich bombastisch oder alarmistisch anhören: Aber die Große Transformation, die ansteht, gleicht in ihrer Tiefe und Breite historischen Achsenzeiten wie den Übergängen in die Agrargesellschaft und in die Industriegesellschaft.
Der Klimawandel ist deswegen ein Kulturschock, weil es immer schwieriger wird, zu ignorieren, wie stark sich unsere Wirklichkeit bereits verändert hat und wie sehr sie sich noch verändern muss, um zukunftsfähig zu sein. Was Techniker decarbonization (Entkohlung) nennen und Ökonomen als Low Carbon Economy (karbonarme Wirtschaft) ausmalen, kann nicht auf die Veränderung einiger Stellschrauben der Energiewirtschaft beschränkt bleiben – 80 Prozent unseres komfortablen Lebensstils ruhen auf fossilen Energien. Am Horizont der Großen Transformation steht eine postkarbone Gesellschaft mit radikal veränderten sozialen, politischen und kulturellen Parametern.
Eine Gesellschaft, die die Krise verstehen und meistern will, kann sich nicht mehr auf Ingenieurskunst, Unternehmergeist und Berufspolitik verlassen (die alle gebraucht werden), sie muss – das ist die zentrale These unseres Buches – selbst eine politische werden: Eine Bürgergesellschaft im emphatischen Sinn, deren Mitglieder sich als verantwortliche Teile eines Gemeinwesens verstehen, das ohne ihren aktiven Beitrag nicht überleben kann. Auch wenn diese Zumutung so gar nicht in die Zeit hineinzupassen scheint: Die Metakrise, mit der wir {14}zu kämpfen haben, fordert...