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E-Book

Das Fahrrad

Eine Kulturgeschichte

AutorHans-Erhard Lessing
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783608108699
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Eine Kulturgeschichte des Glücks auf zwei Rädern und einer genialen Technik Hans-Erhard Lessing erläutert und erzählt, wie das Fahrrad vor 200 Jahren weltweit eine nie gekannte Euphorie auslöste. Zum ersten Mal konnten sich alle individuell bewegen und sich das »Glück auf zwei Rädern « leisten. Eine Kulturgeschichte des Zweirads voller Überraschungen - vom Ausbruch eines Vulkans am Beginn bis zur 'Fliegenden Taube' in fast jedem Haushalt Chinas. Kein Verkehrsmittel ist auf der ganzen Welt so weit verbreitet. Keines ist so zahlreich vorhanden. Keines hat eine solche rasante Entwicklung durchgemacht: Von der Laufmaschine über das Hoch- und Niederrad, vom Tret- zum Rennrad und Elektrobike hat sich das Fahrrad gegen alle Konkurrenten durchgesetzt und ist das weitverbreitetste Verkehrsmittel. Etwa 12-14 Milliarden Fahrräder wurden seit seiner Erfindung gebaut und 72 Millionen werden allein in Deutschland bewegt. Das Fahrrad ist für jedermann erschwinglich, wie gerade seine Verbreitung in Indien oder China heute oder in Europa und Nordamerika im 19. Jahrhundert belegt. Auch die gesellschaftliche, ja kulturelle Veränderung, die das Fahrrad ermöglichte, ist beeindruckend. Die anstehende E-Bike-Revolution lässt heute schon erahnen: Bald werden Jung und Alt mobil wie noch nie sein, und der individuelle Verkehr in den Städten wird sich von Grund auf verändern - dank des Fahrrads, das seit seiner Erfindung keinen Tag gealtert ist.

Hans-Erhard Lessing, geboren am 26. Februar 1938 in Schwäbisch Gmünd, ist Physiker, Technikhistoriker und einer der weltweit führenden Fahrradexperten. Er machte auf den Zusammenhang zwischen der Zweiraderfindung und der Klimakatastrophe von 1816/17 aufmerksam. Zahlreiche Publikationen, darunter die »Bibel für Fahrradenthusiasten« und »Bicycle Design: An Illustrated History« zusammen mit Tony Hadland.

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Leseprobe

Von Eisläufern und Draisinenreitern


Schon früh banden sich die nordischen Völker geeignete Tierknochen als Schlittschuhe unter, zum Beispiel vom Schwein die Elle, was der geschmorten Schweinshaxe die treffende Bezeichnung »Eisbein« verlieh. Eine kleine Eiszeit sorgte in der neueren Geschichte Europas für lange Winter und ließ vor allem in den Niederlanden den Eislauf zum Volkssport werden, wie die stimmungsvollen Wintergemälde holländischer Meister bezeugen. Dort in den Niederlanden durfte sogar die weibliche Bevölkerung am schnellen Gleiten teilhaben, während dies den Frauen in Deutschland oder Frankreich der Schicklichkeit halber verwehrt blieb.

Aber wie betrieben die Holländer dieses schnelle Vergnügen? In den holländischen Zeitungen des 18. Jahrhunderts findet man darüber leider kaum etwas. Doch dafür bietet uns der Gothaische Hofkalender für 1788 einen besonderen Einblick in die Welt des niederländischen Eislaufs:

Noch in der Mitte dieses Jahrhunderts waren selbst die vornehmsten Damen sehr geschickte Schrittschuhläuferinnen. Das Eis war mit Personen von beiderlei Geschlecht bedeckt. Man sah oft eine Dame von erstem Range die unter Wasser gesetzten und mit einer dicken Eiskruste bedeckten Wiesen in der Mitte von zwei Bauern durchlaufen oder einen jungen Herrn von Stande einer Bäuerin den Arm geben. Es war eine gar vorzügliche Gunstbezeugung, wenn man einer Dame die Schrittschuhe anschnallen durfte, und sie belohnte diese Mühe auf der Stelle durch einen Kuß. Allein diese Familiarität hat aufgehört, und der holländische Adel hat angefangen, dieser alten Sitte untreu zu werden. Doch gibt es noch immer viele Damen, welche dieses Vergnügen lieben; auch alle Bäuerinnen und Bewohnerinnen des Landes fahren auf Schrittschuhen,

wie die Schlittschuhe damals noch hießen. Wenn die Gewässer winters zufrieren, schafft also die Natur topfebene Flächen, wie sie der damalige Straßenbau nicht liefern konnte. Eine physikalische Eigenheit des Wassers macht dies möglich: Eis ist spezifisch leichter als das flüssige Wasser und schwimmt daher immer obenauf.

Ganz anders verhielte sich etwa ein Naphthalin-Teich auf einem fernen Planeten. Das gefrorene Naphthalin sänke unter, und die Außerirdischen müssten sodann brusthoch eingetaucht in die Flüssigkeit Schlittschuh fahren – gegen Widerstand.

Das dichte Netz von Bewässerungsgräben und Kanälen in den Niederlanden gestattete zudem einen nützlichen Geschäftsverkehr inzwischen auf stählernen Kufen:

Man sieht in Holland und in andern kalten Ländern unter anderem sogar eine große Anzahl von Milchweibern, die mit Milch gefüllten Gefäße auf dem Kopfe und Schlittschuhe an den Füßen, mit großer Schnelligkeit und Leichtigkeit – sie stricken gewöhnlich auf dem Wege – in die benachbarten Städte eilen, um ihre Waare zu Markte zu bringen. Nach vollendetem Geschäfte kehren sie auf dieselbe Weise in ihre Heimath zurück, nicht selten in Entfernungen von mehreren Meilen.

Dieser Beleg für weibliches Multitasking zeigt, dass die Niederlande bereits vergleichsweise früh über einen mechanisierten Individualverkehr ohne Pferd verfügten.

Ende des 18. Jahrhunderts erreichte diese neue Eis-Euphorie Deutschland. Briefe hatten die unerhörte Neuheit schnell zum Thema – so schrieb der Revolutionär Carl Friedrich Cramer aus Kiel:

Man zeigt sich die Stelle, wo neulich – ach! – ein Unvorsichtiger ertrank, man läuft, wetteifert, spricht von allem, was zum Eise gehört. Klopstock erzählt von seinen Reisen, wies in der Schweiz damit ist? Wie in Holland? Da laufen die Weiber mit!

Friedrich Gottlieb Klopstock war der deutsche Dichter des Eislaufs schlechthin, aber auch der junge Goethe war ein Anhänger und berichtet in seinen Lebenserinnerungen über einen etymologischen Streit mit Klopstock:

Wir sprachen nämlich auf gut oberdeutsch von Schlittschuhen, welches er durchaus nicht wollte gelten lassen: denn das Wort komme keineswegs von Schlitten, als wenn man auf kleinen Kufen dahinführe, sondern von Schreiten, indem man, den homerischen Göttern gleich, auf diesen geflügelten Sohlen über das zum Boden gewordene Meer hinschreite.

Turnvater Jahn und GutsMuths, die Pioniere der Leibesübungen, befürworteten den Eislauf trotz der Gefahr einzubrechen aufs Wärmste. Aber die jungen Frauen in Deutschland und Frankreich wagten es nicht, selbst Schlittschuh zu fahren – wie gesagt wohl aus Gründen der Schicklichkeit. Man könnte ja aus Versehen bei einem Sturz trotz der langen Röcke die Fesseln, also die Fußknöchel, entblößen … Für sie wurden eigens Stuhlschlitten gebaut, auf denen sie sitzend von dem Galan ihrer Wahl auf dem Eis herumgeschoben werden konnten. Hierzu ein Bericht aus Paris:

Jetzt kommt ein Schrittschuhläufer in großem Costüm mit einem eleganten Stuhlschlitten von Mahagony und vergoldeter Bronze-Arbeit, mit sammetnem Kissen und goldenen Fransen daran. Er ladet die Damen zum Einsteigen ein. Man acceptirt, es geht wie ein Pfeil davon, doch keine hundert Schritte sind gemacht, und ein anderer Schlitten carambolirt fürchterlich mit dem unseres Elegants, beide Damen fallen auf die Nase, die umgestürzten Schlitten sind zerbrochen, einige Schrittschuhläufer fallen ebenfalls darüber hinaus; in einem Nu ist eine gaffende Masse versammelt, die jeden Augenblick größer wird, und ganz verschämt lassen sich die zierlichen Pariser Damen, nicht ohne Mühe, durch das Gedränge bringen, en jurant que cétait pour la dernière fois, quelles se sont laissées trainer [schwörend, dies sei das letzte Mal gewesen, dass sie sich schieben ließen], und eine Viertelstunde darauf segeln sie abermals vorbei, denn man hat ihnen versprochen, sie gewiss nicht mehr umzuwerfen, aber in der andern viertel Stunde liegen sie wieder auf dem Eise, mais ça ne fait rien, on saccoutume à tout [aber das macht nichts, man gewöhnt sich an alles].

Die plane, glatte Eisfläche ermöglichte zudem ein weiteres Vergnügen, eine Art Schlittenkarussell. Ein Pfosten wurde senkrecht ins Eis getrieben und ein Drehkreuz darauf gelagert, von dessen vier Enden lange Seile zu je einem der üblichen Rodelschlitten verliefen. Für einen Groschen drehten Arbeiter das Drehkreuz, bis die Schlitten mit den darauf Sitzenden rasant im Kreis herumgewirbelt wurden. Das Ganze wurde dann als »Radfahren« bezeichnet. Dieses Wort, das deutsche Sprachschützer 1885 für das britische »cycling« einführten, existierte also schon fast hundert Jahre zuvor, allerdings mit einer völlig anderen Bedeutung. Auf der Suche nach dem Missing Link stößt man auf die Veloziped-Karusselle der 1870er Jahre, die wohl unterschwellig die neue Namensfindung ermöglichten.

Natürlich wollte man den fashionablen Zeitvertreib des Schlittschuhfahrens auch auf der Theaterbühne simulieren, die damals noch die Funktion der Wochenschau im Kino und der heutigen Tagessschau wahrnahm. Das war die Geburtsstunde der Rollschuhe, indem man nämlich an den Schlittschuhen ganz einfach Rollen anbrachte. Dies funktionierte auf dem glatten Bretterboden der Bühne wunderbar, nicht so aber draußen im Freien. Zumindest damals noch nicht. Dass aus dem 18. Jahrhundert nur vier Quellen dafür bekannt sind, zeigt, wie neu das alles noch war: Im Londoner Drury-Lane-Theater soll es 1743 ein solches Theaterstück mit simuliertem Schlittschuhfahren gegeben haben. Der Londoner Mechanikus John Joseph Merlin soll Rollschuhe gebaut und in seinem Kuriositätenmuseum ausgestellt haben. Und laut dem Gothaischen Hofkalender von 1790 soll der Bildhauer und Medaillenschneider Maximiliaan Lodewijk van Lede bei einer Vorführung in London auf seinen Rollschuhen ungebremst in einen teuren Wandspiegel gekracht sein. Die einzige bildliche Darstellung ist auf dem Ankündigungszettel eines Soldaten der Schweizergarde erhalten, der 1791 auf seinen Rollschuhen heroisch von Den Haag nach Scheveningen fahren wollte. Sie waren gebaut wie moderne Inline-Skates, nur mit zwei Rollen und noch ohne Stopper, doch die Verwandtschaft ist augenscheinlich. Über einen Erfolg des soldatischen Manövers ist nichts bekannt, und Eingang in...

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