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Immer wenn ich den Sinn des Lebens gefunden habe, ist er schon wieder woanders

Ein Philosophieverstehbuch

AutorDaniel Klein
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492973335
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Als junger Philosophiestudent notierte sich Daniel Klein 40 Zitate großer Denker in einem Notizbuch und hoffte so Antworten darauf zu finden, wie sich ein gutes Leben gestalten lässt. Diese Weisheiten greift er nun nacheinander auf und erweitert sie um Erkenntnisse, die er in seinem späteren Leben gesammelt hat. Von Aristoteles und Epikur über Emerson und Camus bis Aldous Huxley nähert sich Klein humorvoll und zugleich tiefgründig großen philosophischen Ideen an. Er leitet daraus mögliche Lebensweisheiten für den sinnsuchenden Leser ab und schickt ihn auf eine spannende und erhellende Entdeckungsreise zu sich selbst.

Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Nach einer kurzen Station als Gagschreiber beim Fernsehen arbeitet er seit vielen Jahren als Autor und Ghostwriter. Er ist Koautor des Buches 'Plato und Schnabeltier gehen in eine Bar', das in 26 Sprachen übersetzt wurde. Klein lebt mit seiner Familie in New England.

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17


»Estragon: Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir existieren, nicht wahr, Didi?

Wladimir: Ja, ja. Wir sind Zauberer.«

Samuel Beckett, irischer Romancier und Dramatiker (1906 – 1989), Absurdist

Ah, die bittere Süße des kosmischen Witzes. Sie überkommt mich jedes Mal. Gorgias begründete mit seiner nihilistischen Schlagfertigkeit eindeutig einen Trend. Und keiner verabreicht uns diesen bittersüßen Humor mit so viel Schärfe und Witz wie Samuel Beckett, vor allem in seinem mittlerweile klassischen Drama Warten auf Godot. Dieses Theaterstück, das mit Ernsthaftigkeit und Ironie, Hoffnung und Verzweiflung jongliert, ist eine nihilistische Varietévorstellung und der Inbegriff des Absurden Theaters. Wenn wir dem urkomischen Geplapper von Estragon und Wladimir zuhören, lachen wir köstlich – bis uns plötzlich ganz schwer ums Herz wird, weil das Leben der Figuren (und letzten Endes auch unser eigenes) so unausweichlich sinnentleert ist. Und dann lachen wir erneut, wenn auch nicht mehr ganz so ausgelassen.

Warten auf Godot habe ich erst gesehen, nachdem ich mein Notizbuch schon lange weggelegt hatte, aber das Stück machte einen so starken Eindruck auf mich, dass ich mir sofort die Buchfassung kaufte und las. Später trug ich die obigen Zeilen ins reaktivierte Notizbuch ein. Es war nicht nur die vernichtende, aber auch komische Sichtweise auf die condition humaine – das Drama berührte mich ganz persönlich. Es beschwor eine süße und seltsame Erinnerung herauf.

Als mein Freund Tom und ich am College waren, saßen wir manchmal bis in die Nacht hinein auf den Steinstufen seines Wohnheims und gaben uns spontan fantasievollen Improvisationen hin. Ich weiß nicht mehr, wie dieses Spiel einmal begonnen hatte, aber wir waren dabei nie betrunken, nur sehr müde und auf die Art junger Leute verrückt. Wahrscheinlich könnte man unsere Nummer als improvisierte Therapie deuten: In jener Zeit machten Tom und ich uns beide große Sorgen darüber, wie es uns ergehen würde, wenn wir erst einmal richtig in der Welt der Erwachsenen aufschlugen. Dieses Spiel nun war eine Art Jonglieren mit unseren Ängsten. Tom beabsichtigte damals, Theologie zu studieren, war sich aber nicht sicher, ob er das Zeug zum Pfarrer hatte; ich hingegen hatte überhaupt keine Pläne.

Als wir nun im vorletzten Winter während der Prüfungswoche auf jenen Stufen saßen, begannen wir plötzlich imaginäre Weihnachtsbriefe herzusagen, die wir uns in Zukunft einmal schreiben würden.

»Lieber Danny!«, fing Tom an. »Jetzt, wo wir uns in unserem Haus eingerichtet haben und ich alle Mitglieder meiner neuen Kirchgemeinde kennenlernen konnte, fühle ich allmählich, dass etwas daraus werden kann … Stimmt es übrigens, dass du jetzt in der Spielzeugbranche arbeitest? Mir wurde zugetragen, dass du eine Art Spiel erfunden hast, das man beim Schlafen spielen kann.«

»Lieber Tommy! Nicht nur, dass ich in der Spielzeugbranche bin – ich wohne jetzt gleich neben meiner eigenen Paddleballfabrik in New Jersey. Mein Vater ist natürlich stolz bis zum Gehtnichtmehr. Ich sage mir immer, dass es nur ein Zwischenschritt zu irgendetwas Spannenderem ist, aber wozu? Beachball? Auf jeden Fall danke ich dir für deine Predigt über die Hoffnung, die du mir letztes Jahr mitgeschickt hast. War echt inspirierend – aber ich glaube auch, dass Hoffnung nur komplett ist, wenn sie sich auf einen Gegenstand richtet, auf einen Sportwagen beispielsweise oder eine Reise nach Hawaii oder einen persönlichen Besuch von Gott. Aber einfach nur Hoffnung mit nichts drumherum? Die ist mir noch nicht übern Weg gelaufen.«

Und so machten wir immer weiter mit diesen erfundenen Weihnachtsbriefen und reisten durch unsere zukünftigen Jahre mit Ehen, Kindern, neuen Jobs und Heimen. Nach und nach wurden die ausgedachten Lebensläufe immer gewöhnlicher, weil uns das Verlangen nach Aufregendem verließ. Und dann fing Tom mit einem Brief an, der sich als der letzte in unserer kleinen Improvisation erweisen sollte: »Lieber Danny! Es ist still geworden ums Pfarrhaus herum, seit unser Tom von uns gegangen ist.«

An diesem Punkt begannen wir beide zu weinen. Ich glaube nicht, dass uns die Tränen nur wegen der Vorstellung kamen, Tom werde in ferner Zukunft irgendwann sterben, und es lag auch nicht bloß an unserer Erschöpfung in der Prüfungsperiode, obwohl die sicher ihren Anteil daran hatte. Es war unser Gefühl, dass das vor uns liegende Leben sinnlos sein würde – ein von uns beiden tief gefühltes »Und das ist alles?!«. Aber unser kleines Spiel hatte auch etwas Komisches an sich – etwas Absurdes. Während wir auf jenen Steinstufen saßen, spotteten wir über uns selbst und über die Zwickmühle, in der wir steckten. Für ein paar Minuten im Winter 1959 waren wir selbst Estragon und Wladimir geworden.

Viele Romane und Theaterstücke verleihen dem Absurden so treffend Ausdruck, wie es kein philosophischer Essay jemals könnte. Nur durch individuelle menschliche Stimmen kann ein Schriftsteller adäquat vermitteln, wie man mit der Sinnlosigkeit des Lebens konfrontiert wird und dann verzweifelt aufstöhnt, weil man mit dieser Sinnlosigkeit einfach nicht fertigwerden kann. Das Absurde ist nicht nur eine Vorstellung vom Lauf der Welt – es ist die Art und Weise, wie diese Vorstellung gegen unsere Leben klatscht. Samuel Beckett konnte das umwerfend ausdrücken.

Wir wollen ja nicht respektlos sein, aber schauen wir uns zum Vergleich einmal an, wie Søren Kierkegaard, der Pate des Absurden aus dem 19. Jahrhundert, an dieses Phänomen heranging: »Das Absurde ist, dass ich […], ein Vernunft-Wesen, in dem Falle handeln soll, wo mein Verstand, meine Reflexion mir sagt: Du kannst ebenso gut das eine wie das andere tun, das heißt, wo mein Verstand und meine Reflexion mir sagen: Du kannst nicht handeln – dass ich da dennoch handeln soll.«

Ich begreife dieses Argument, aber nachfühlen kann ich es nicht. Natürlich hat der dänische Philosoph sich hier ein Sprungbrett gebaut, mit dem er vom Absurden zum Glauben an Gott springen konnte – und nicht etwa zum verzweifelten Gelächter über die Sinnlosigkeit von einfach allem. Nichtsdestotrotz sehne ich mich, wenn ich Kierkegaard lese, nach Estragon und Wladimir.

Albert Camus war der erste moderne Philosoph, der unsere Konfrontation mit dem Absurden zu einem zentralen Problem der Philosophie erklärte. In seinem bahnbrechenden Essay Der Mythos des Sisyphos schrieb er, das Absurde entspringe der Dissonanz zwischen dem natürlichen Bedürfnis des Menschen, in seinem Leben einen Sinn zu finden, und der Unmöglichkeit, diesen Sinn auf irgendeine rationale Weise zu entdecken. Die Absurdität liege nicht in einem logischen, sondern in einem existentiellen Widerspruch; sie sei das Urrätsel der menschlichen Existenz. Wir sehnen uns nach Sinn, können aber keinen finden.

Laut Camus gibt es drei grundlegende Antworten auf die Konfrontation mit dem Absurden: 1. Selbstmord zu begehen (Das Leben ist sinnlos und nichtig, also wer braucht es schon?), 2. einen Kierkegaard’schen Glaubenssprung in Richtung Gott zu machen (Es ist genauso irrational wie alles Übrige, also warum nicht nach etwas wirklich Großem streben?) oder 3. die allumfassende Absurdität anzuerkennen und trotzdem weiterzumachen.

Camus wählte die dritte Option. Sie gewährte einem Menschen die radikale Freiheit, seinen eigenen Sinn zu entwerfen, von Grund auf sein eigenes Leben zu schaffen. Existentiell hört sich das zweifellos aufregend an, aber trotz der tragikomischen Ironie, die in der sich endlos wiederholenden und zwecklosen Aufgabe des Sisyphos liegt, steigt in mir dabei nicht einmal das kleinste existentielle Kichern hoch.

Im Französischen wie im Englischen oder Deutschen bezeichnet das Wort absurd eine Sachlage, die »auf lachhafte Weise inkongruent« ist. Wahrlich ein passender Terminus für diese Philosophie: Was könnte inkongruenter sein als unser Bedürfnis nach Sinn und die Unmöglichkeit, welchen zu finden? Aber wie steht es mit dem »Lachhaften«? In Camus’ Essay scheint es verloren gegangen zu sein. Da aber hat Samuel Beckett seinen Auftritt. In Warten auf Godot steht der kosmische Witz ganz und gar im Mittelpunkt.

Die meisten Humortheoretiker glauben, dass Inkongruenz den Kern eines jeden guten Gags ausmacht. Was ist lustig an einem Clown, der übergroße Schuhe trägt? Dass seine Schuhe keine normalen Schuhe sind: Sie sind inkongruent. Gleiches gilt für ein Schnabeltier, das in eine Bar spaziert; Schnabeltiere machen keine Kneipentouren. Manchmal denke ich, in ganz praktischem Sinne hat sich das Philosophiestudium für mich besonders ausgezahlt, indem es mich darauf vorbereitete, Gags für Comedians zu schreiben. Die Philosophie steckt voll von diesen wilden Inkongruenzen, die man unter dem Namen »Paradoxa« kennt. Manche meiner alten Lieblingswitze sind bis ins Mark hinein absurd, zum Beispiel dieser hier über Sascha auf dem Bahnhof von Sankt Petersburg:

Sascha geht auf einen anderen Mann zu und sagt: »Kennen wir uns nicht?«

Der andere Mann erwidert: »Nein. Wir sind uns nie begegnet.«

»Moment mal«, meint Sascha, »sind Sie schon einmal in Minsk gewesen?«

»Nein«, sagt der andere Mann.

»Ich auch nicht«, sagt Sascha. »Dann müssen das zwei andere Männer gewesen sein.«

Aber der ultimative absurde Gag ist der über den Menschen, der nach dem Sinn des Lebens sucht, obwohl da nichts zu finden ist. Es brauchte...

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