II. Gene steuern die Alterung
Langlebigkeit durch Gene
Warum Molekularbiologen so gerne mit Bakterien wie E. coli oder mit Würmern arbeiten. Wie Thomas Johnson und Cynthia Kenyon im Umkehrschluss zeigten, dass es Gene gibt, die die Lebensdauer begrenzen. Altern ist also kein passives Geschehen, verursacht durch die Zunahme von Schäden.
In den 1960er-Jahren war der Biologe Sydney Brenner auf der Suche nach einem Modellsystem, um die Funktionsweise der Nervenzellen zu verstehen. Modellsysteme sind in der biologischen Forschung von großer Bedeutung. Man sucht sich dabei Arten aus, die man im Labor untersuchen kann. Das allein schon ist kein einfaches Unterfangen, denn viele biologische Arten haben sich so perfekt an ihre Umgebung angepasst, dass sie im Labor nicht gedeihen können. Die aus dem Studium von Modellorganismen gewonnenen Ergebnisse sind dann idealerweise auch auf andere Arten übertragbar.
So hat die Molekularbiologie ihren Anfang in Untersuchungen an einfachen Phagen und Bakterien genommen. Der französische Nobelpreisträger Jacques Monod erklärte einmal: »Alles, was wahr ist in E. coli, muss auch in Elefanten wahr sein.« Und in der Tat, die Erkenntnisse, die Monod gemeinsam mit François Jacob über die Regulation der Expression von Genen in E. coli gewann, waren von grundsätzlicher Bedeutung auch für Tiere und Pflanzen. Und je mehr in den vergangenen fünfzig Jahren über die molekularen Vorgänge des Lebens bekannt wurde, desto klarer wurde es, dass nicht nur die Grundbausteine, sondern auch die Funktionsweisen von Zellen von Einzellern bis zum Menschen sehr ähnlich, also evolutionär konserviert sind.
Bakterien wie E. coli sind sehr leicht zum Wachsen zu bringen und in Kultur zu halten und waren daher vor allem in den frühen Jahren der Molekularbiologie die Forschungsobjekte der Wahl. In den Sechzigerjahren war man immer mehr dazu übergegangen an Eukaryonten wie der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, die dem Menschen schon seit Jahrtausenden zum Backen von Brot und Brauen von Bier dienlich ist, zu forschen. Hernach ist man dann von dieser Pilzzelle auf menschliche Zellkulturen übergegangen, wobei die Isolation von Tumorzellen von wichtiger Bedeutung war, denn die Krebszellen wachsen sehr schnell, auch wenn sie sich nicht mehr im Körper, sondern unter geeigneten Wachstumsbedingungen in Zellkultur befinden. Untersuchungen an all diesen Zellen hatten und haben noch heute extrem wichtige Bedeutung zur Gewinnung grundlegender Erkenntnisse.
Die molekularbiologische Untersuchung an ganzen Tieren war und ist noch immer ungleich schwieriger. Um aber komplexe biologische Funktionsweisen wie zum Beispiel das Gehirn untersuchen zu können, bedarf es Untersuchungen an ganzen Tieren. Brenner traf auf den kleinen Fadenwurm Caenorhabditis elegans [17] . C. elegans entwickelte sich zu einem außerordentlich bedeutsamen Modellsystem nicht nur für die Neurobiologie, sondern auch für eine Vielzahl anderer biologischer Teilbereiche. So verfolgte John Sulston das Schicksal jeder einzelnen Zelle, die während der Entwicklung dieses Wurmes aus der befruchteten Eizelle zum ausgewachsenen Wurm entsteht [18]. Robert Horvitz beobachtete, dass von allen während der Entwicklung entstehenden Zellen nur 959 im adulten Tier überleben, nachdem 131 Zellen durch programmierten Zelltod sterben [19]. Vom Zelltod werden wir später noch mehr lernen.
Mitte der 1980er-Jahre konzentrierte sich der Biologe Michael Klaas darauf, das weitere Schicksal eines Nematodenwurmes zu beobachten. Dabei merkte er, dass bestimmte Mutanten länger überlebten als normale oder Wildtyp-Würmer. Von Mutanten spricht man, wenn ein Lebewesen, in diesem Fall ein Fadenwurm, eine Veränderung, also eine Mutation (aus dem Lateinischen von mutatio »Veränderung«), in einem Gen trägt. Klaas nannte diese Form der Mutante age-1 – age für Alter und 1 für das erste »Alters«-Gen, auch wenn zunächst überhaupt nicht klar war, was für ein Gen (oder gar mehrere Gene) in der age-1-Mutante verändert sein mochte. Klaas ging davon aus, dass die age-1-Mutante deshalb länger lebte, weil sie weniger Nachkommen produzierte. Dieser Schluss hatte damit zu tun, dass Klaas nur solche Würmer untersuchte, die keine Nachkommen zeugen konnten. Erst als Thomas Johnson zeigte, dass der Mangel an Nachkommen nicht ausschlaggebend für das lange Leben der age-1-Mutanten war, wurde die Sache interessant [20]. Anstelle einer Umverteilung der biologischen Ressourcen – weg von der Reproduktion und hin zu der Erhaltung der Körperfunktionen – wurde nun klar, dass es ein Gen sein musste, das die age-1-Mutante lange leben ließ. Mit anderen Worten, es gibt also Gene, die die Lebensdauer begrenzen. Ein solches Gen musste defekt sein in der age-1-Mutante.
Zu Beginn der 1990er-Jahre zeigte Cynthia Kenyon, dass eine weitere Mutante, die als daf-2 bekannt war, ebenfalls doppelt so lange lebte wie ein normaler Wurm [21]. Als die normalen Würmer nach zwei bis drei Wochen nur noch erschlafft herumlagen, bewegten sich Kenyons daf-2- Würmer noch quickfidel. Im Schutze des Labors bringen es Fadenwürmer auf ungefähr 20 Tage Lebenszeit, während daf-2- Mutanten im Schnitt 42 Tage leben. Und dabei bewegen sie sich, sind agil und produzieren fast genauso viele Nachkommen wie ganz normale Würmer. Die daf-2- Würmer tragen also die fast ewige Jugend in sich.
Man mag sich nun fragen, warum nicht alle Würmer in den Genuss dieses genetischen Jungbrunnens kommen. Warum in aller Welt sollte es überhaupt solche Gene geben, die die Lebensspanne begrenzen? Wäre nicht jeder Wurm besser gestellt, fehlte ihm genau wie den daf-2- Mutanten, dieses zerstörerische Gen?
Die Antwort auf die Frage, wozu es Gene gibt, die das Leben begrenzen, muss in der Evolutionsbiologie gesucht werden. Was passiert, wenn man einen normalen Wildtyp- Wurm und eine daf-2- Mutante miteinander konkurrieren lässt? Wer gewinnt den Konkurrenzkampf? Also lassen wir einen normalen Wurm gegen eine daf-2- Mutante im Labor gegeneinander antreten. Beide Tiere produzieren Nachkommen. Diese dann wieder Nachkommen und so weiter. Nach einigen Generationen stellt man fest, dass die Population fast nur noch aus Wildtyp- Tieren besteht. Die daf-2- Mutanten verlieren, sie sterben aus. Der große Nachteil der langlebigen Tiere ist nämlich, dass sie sich länger Zeit nehmen für das Produzieren von Nachkommen. Während der normale Wurm nur wenige Tage braucht, um zwei- bis dreihundert Junge in die Welt zu setzen, braucht die daf-2- Mutante dafür sehr viel länger. Die nächste Generation der Wildtyp -Tiere steht schon wieder bereit zu expandieren, bevor die meisten Nachkommen der daf-2- Mutanten ihre Geschlechtsreife erreicht haben. Wie schon Medawar bei seinen Überlegungen erkannte, kommt es im Konkurrenzkampf der Evolution eben nicht darauf an, wie lange ein Individuum lebt, sondern wie erfolgreich es seine Gene an zukünftige Generationen weitergeben kann.
Die daf-2-Mutanten sollten aber noch sehr viel mehr Einsicht in die Biologie des Alterns ermöglichen. Zu der Zeit, als Kenyon ihre Beobachtungen machte, wusste sie bereits, dass Veränderungen im daf-2-Gen dazu führen konnten, dass Würmer während ihrer Entwicklung in ein sogenanntes Dauer-Stadium eintreten und in diesem verbleiben. Diese Dauerform können auch Wildtyp-, also normale Würmer bilden, wenn sie während ihres Wachstums nicht ausreichend Futter finden und ein »Hungersignal« von anderen Würmern aus ihrer Umgebung bekommen. Es war auch bekannt, dass eine weitere Mutation, genannt daf-16, die Ausbildung des permanenten Dauerstadiums in daf-2-Mutanten aufheben, die daf-2-Mutation somit unterdrücken oder genetisch gesprochen supprimieren konnte. Kenyon vermochte nun zu zeigen, dass die verlängerte Lebensdauer der daf-2-Mutanten durch die weitere daf-16-Mutation komplett umgekehrt wurde. Dies war der Beweis, dass die verlängerte Lebensdauer durch einen genetischen Mechanismus kontrolliert wird.
Johnsons und Kenyons Entdeckungen gelten als Revolution im Verständnis der Alterung. War man bisher davon ausgegangen, dass Alterung ein passiver Vorgang sei, der von der Zunahme von Schäden verursacht wurde, so erkannte man nun, dass es Gene gibt, die die Lebensspanne regulieren konnten. Dass aber ein einzelnes Gen einen so gravierenden Einfluss auf die Lebensdauer hatte, dass eine Veränderung auf diesem ausreichte, um die Lebensspanne zu verdoppeln, galt bis dahin als undenkbar.
Die Bedeutung der Gene bei der Festlegung der Lebensdauer lässt sich aber leicht veranschaulichen, wenn man bedenkt, dass jede Spezies eine für sie typische maximale Lebensdauer hat. Auch wenn, wie...