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Das Gift der Väter

Ein Blick auf mein Früher

AutorElke Schweer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl370 Seiten
ISBN9783743170476
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Drei Jahre nach dem verlorenen Krieg kehrt ein junger Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurück und bleibt bei dem Mädchen, das er zu Kriegszeiten kennen- und lieben gelernt hat. Bald schon muss das Paar heiraten, weil Nachwuchs unterwegs ist. Arbeitslos und ohne Zukunftsperspektive setzt der Vater noch vier weitere Kinder in die Welt. 1958 wird das Familienoberhaupt wieder Soldat, jetzt bei der Bundeswehr. Er schwört ein zweites Mal, dem Vaterland bedingungslos zu dienen. Untergebene und Familienangehörige werden wie willenlose Wesen behandelt, herumkommandieren gehört zum Alltag. Nur das jüngste, vom Vater am meisten geliebte Kind widersetzt sich seinem Drill und flüchtet schon früh in eigene Welten. Um der ständigen Kontrolle, der häuslichen Brutalität und den sexuellen Übergriffen zu entkommen, reißt die Jüngste mit einer Leidensgenossin aus und landet in Spanien/Torremolinos im Drogen- und Prostitutionsmilieu. Durch Interpol gesucht, gefunden und wieder daheim, wird sie zur Strafe vom Vater monatelang eingesperrt. Nach der Volljährigkeit findet sich das stets bevormundete Mädchen nur sehr schwer im eigenen Leben zurecht. Nach Abbrechen der Schule und zwei Ausbildungen gelingt ihr, Dank des fürsorglichen, großen Bruders, eine Ausbildung zur Hebamme. Doch trotz ansehnlichem Beruf bleibt die junge Frau orientierungslos, beziehungsunfähig und wechselt ständig die Wohnungen, bis ein wesentlich älterer Mann in ihr Leben tritt.

Elke Schweer, geboren 1956, verbrachte ihre Kind- und Jugendzeit in einem kleinen Dorf in Norddeutschland, nahe eines großen Fliegerhorstes der Bundeswehr. Nach der Ausbildung zur Hebamme arbeitete sie einige Jahre in Oldenburg und Bremen und lernte dann einen 37 Jahre älteren Augenarzt kennen. Mit ihm und den zwei gemeinsamen Kindern verbrachte sie viele Jahre in Griechenland und übte ihren Beruf als frei praktizierende Hebamme auf der Insel Santorini aus. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie zurückgezogen in Oldenburg.

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Leseprobe

Der Vater kauft sich vom Geld der Mutter Waffen. Irgendwann will er auch einen Waffenschein machen, um weitere Gewehre legal zu erwerben und zu benutzen. Im Wandschrank liegen bereits verschiedene Pistolen und Flinten, die er nur heimlich auf dem Dachboden oder mit Genehmigung eines befreundeten Vorgesetzten auf dem Fliegerhorst verwenden kann. In Nähe der Landebahn zielt er auf streunende Katzen, wilde Kaninchen und gurrende Tauben, die für ihn allesamt den Flugverkehr stören. Zu Hause verbringt er seine freie Zeit mit Putzen der Schießeisen, ob sie gebraucht werden oder nicht.

Als er endlich einen echten Cold aus den USA ergattert, ist die Freude so groß, dass jedes Familienmitglied ihn in Händen halten und bewundern muss. Der zweitälteste Bruder, just von einer großen Seereise zurück, hilft dem Vater, nach Anleitung Patronen dafür zu gießen, mit denen das neue Schießeisen auch geladen wird.

Wir Kinder sollen mit in den Garten kommen. Ich, als jüngstes Mitglied der Familie, erhalte die Ehre, den ersten Schuss abgeben zu dürfen. Der Vater drückt mir die Waffe in die Hand. Der Seefahrer sagt noch: „Mach das bloß nicht!“ Da geht der Schuss, begleitet von einem hellen, mindestens achtzig Zentimeter langen Feuerstrahl, schon los, direkt vor mir in den Rasen. Zeitgleich schleudert mein Arm von der mächtigen Detonation nach hinten und reißt meinen ganzen Körper mit sich. Ich pralle unglücklich gegen die Hauswand. Schlimme Schmerzen, wie nach dem Stromschlag, den ich vor ein paar Tagen unten im Keller durch das defekte Staubsaugerkabel bekommen habe, schießen durch meinen Arm und meine Schulter. Unser Vater kann sich vor Lachen nicht halten.

Damit solch ein Ungeschick nicht noch einmal passiert, erteilt der Vater uns Kindern auf dem Dachboden Schießunterricht. Er meint: „Meine Familie ist wenigstens gut auf den Russen vorbereitet, wenn der erst einmal vor der Haustür steht. Wir haben schließlich nur einen Waffenstillstand und keinen Frieden! Keinen Frieden!“

Ein großer Holzkasten, gefüllt mit festem, grobkörnigem Bausand, fängt die Geschosse auf. An einer langen Schnur mit Klammer wird die Zielscheibe aus fester Pappe befestigt und nach dem Schießvorgang mit einer Winde herangekurbelt, um zu sehen, wie gut oder schlecht wir geschossen haben. Der Vater verlangt eine strenge militärische Disziplin, das heißt: Wir sollen eine geschlossene Reihe bilden, auf das Kommando „vortreten“ einen Schritt vortreten und unseren Namen nennen. Erst wenn vom Vater ein lautes und deutliches, „Rühren“ ertönt, erhält derjenige den schweren Cold und wird vorschriftsmäßig positioniert. Wir tragen alle keinen Ohrenschutz. Nach den Übungen sind wir über längere Zeit fast taub, hören nur ein Pfeifen und unsere Lungen brennen vom dicken Schmauch.

Beim Füllen der Patronen mit Schwarzpulver entzündet sich einmal das Häufchen Munitionspulver auf dem Küchentisch, verkohlt dem Vater die Augenbrauen für ewige Zeiten und färbt auch die Zimmerdecke im neuen Haus schwarz. Eine Luftpistole, die nicht im Waffenschrank liegt, dürfen wir Kinder ohne Genehmigung benutzen. Damit schießen die beiden jüngeren Brüder hinterm Haus und auf dem Schulhof auf Tauben und Spatzen. Einen ganzen Sommer lang beobachten wir einen kleinen Spatz, der nur ein Bein hat. Das Werk des zweitältesten Bruders.

Der mit der Brille und ich streiten wieder heftig. Ich wehre mich mit einem gezielten, festen Tritt und flüchte durch das kleine Pförtchen hinten im Garten Richtung Schule. Rasend vor Wut und vom Wunsch getrieben Vergeltung zu üben, greift er sich die Luftpistole vom Stubenbüffet und rennt hinter mir her, zielt, schießt und trifft mich am Oberschenkel. Abends im Bett pule ich mir das kleine Geschoss mit einer Stopfnadel aus dem Fleisch und erzähle es keinem.

Seitdem unsere Mutter aus dem Krankenhaus ist, muss immer eine von uns Mädchen zu Hause bleiben. Anfangs liegt Mutter noch viel auf dem Sofa. Wir stellen ihr den Fernseher an, damit wir nicht so viel mit ihr reden müssen und sie vielleicht auf diese Weise etwas dazulernt. Zwischendurch üben wir mit ihr Lesen, Schreiben und Rechnen. Meine Schwester bringt ihr, so gut sie es kann, weiter das Kochen bei, zeigt ihr, wie der Herd funktioniert und was für Gewürze an das Essen müssen. Das zarte, kränkliche Mädchen ist von dieser Aufgabe dermaßen überfordert, dass es psychisch und physisch immer mehr abbaut. Abends sitzt sie mit schwarzen Ringen unter den Augen am Esstisch und schreibt sich die Aufgaben für den nächsten Tag auf. Oft ist sie zu erschöpft, um nach oben ins Bett zu gehen und schläft auf dem Sofa.

Die Mutter hat durch den Unfall ihren Geschmackssinn verloren und würzt ganz nach belieben. Sie kennt nur Salz und Pfeffer und nicht selten verwechselt sie Zucker mit Salz. Meistens ist das Essen, das sie allein versucht hat zu kochen, ungenießbar. Außerdem vergisst sie jedes Mal, den Herd richtig ein- und auszustellen. Wenn wir Kinder es nicht rechtzeitig bemerken, die Kochplatte wieder einmal glüht und der Topf durchgebrannt ist, machen wir uns Vorwürfe, nicht richtig aufgepasst zu haben. Um unser Gewissen zu beruhigen, uns nicht schlecht zu fühlen, schieben wir uns gegenseitig die Schuld in die Schuhe.

Ich verschwinde, so oft es nur geht, mit dem Hund. Drücke mich irgendwo herum oder radle mit ihm in die alte schöne Siedlung, in der meine neue blonde Freundin wohnt.

Sie hätte auch gern einen Hund, so wie ich, um einen Grund zu haben, ihr Heim verlassen zu können. Sie muss ständig auf ihren kleinen Bruder aufpassen. Mitnehmen können wir den Nachkömmling leider nicht, denn meine scharfe Hündin würde das Baby genau so behandeln wie die kleinen Kätzchen des Bauern; ihn packen und erst loslassen, wenn kein Ton mehr zu hören ist.

Die schöne Blonde hat einen ebenso strengen Vater wie ich, mit dem gleichen Dienstgrad und denselben Ansichten.

Überhaupt sind sich die beiden Männer ziemlich ähnlich, auch was der Umgang mit uns Mädchen betrifft.

Einmal zeigt die Freundin mir blaue Flecke an ihren Armen und zwischen den Beinen. Ihr Vater hat sie geschlagen und auf den Küchentisch geschmissen. Angeblich hat sie sich zu auffällig geschminkt; wie eine Nutte, und so will er sie in Zukunft auch weiter behandeln. Ob er sie vergewaltigt hat, erzählt sie mir nicht. Nur, dass sie genug von ihren Eltern hat und irgendwann abhauen will.

Unsere Schäferhündin bekommt Junge von einem hübschen Bastard aus der Nachbarschaft. Der Gute ist ihr über den Weg gelaufen, als sie mir einmal entwischt ist. Die beiden kleinen Wonneproppen verschenkt unser Vater, als sie acht Wochen alt sind. Die nächste Paarung findet gezielt mit einem Deckrüden der Bundeswehr statt. Dabei kommen neun Welpen hervor. Vier lässt der Vater ihr. Ich frage ihn: „Was ist denn mit den anderen geschehen?“ „Die habe ich in den Schraubstock gesteckt.“ Ich stelle mir das vor, weiß aber, dass er es eher so getan hat, wie der Bauer mit seinen kleinen Kätzchen; sie an die Wand geklatscht, oder in einem Eimer mit Wasser ertränkt. Wir Kinder fanden nämlich solche armen, an die Wand geschmissenen Kätzchen auf dem Misthaufen und sammelten die noch lebenden ein; versteckten sie auf dem Heuboden, um sie gesund und groß zu pflegen. Doch der Bauer fand sie. Er scheuchte uns vom Hof und tötete die Kätzchen ein zweites Mal. In einem Eimer mit Wasser.

Als unsere vier Welpen alt genug sind, von der Mutter getrennt zu werden, verkauft unser Vater drei davon. Die einzige kleine Hündin behalten wir. Den dicksten Rüden holt doch tatsächlich der Vater meiner blonden, mittlerweile besten, Freundin ab.

Einige Tage später sitzt unser kleiner Welpe allein in seinem Zwinger, jaulend. Unser Vater hat seine Mutter mit in den Wald genommen, sie an einen Baum gebunden und mit einer seiner Flinten erschossen. Beim Fünf-Uhr-Tee erwähnt er ganz nebenbei: „Die war viel zu scharf.“

Die junge Hündin zeigt sich, als sie älter ist, noch viel schärfer als ihre Mutter.

Der Vater meiner blonden Freundin und unser Vater treffen sich jetzt regelmäßig zum „Hunde abrichten“. Die Tiere überklimmen bald eine zwei Meter hohe Holzwand, die extra für sie gezimmert wurde und auch alle anderen Klettergerüste des Schulhofes. Auf Kommando können sie sich tot stellen. Außerdem erweisen sie sich als „schussfest“ und sind ihrem Herrn gegenüber absolut unterwürfig, was für die Männer das Wichtigste ist.

Meine Freundin kämpft, wenn wir beide mit den Tieren allein sind, mit ihrem starken Rüden; sie vermag ihn kaum zu bändigen.

In der Nähe eines Schulhofes zu wohnen, bringt viel Lärm mit sich, besonders in den Pausen. Die spielenden Schüler stören die kurze Mittagspause unseres Vaters. Fliegt ein Ball in dieser Zeit über unseren Zaun, bekommen die Kinder ihn nicht zurück. Sie dürfen nachmittags, bitte nach Fünf, an unserer Haustür klingeln und höflich um Entschuldigung bitten. Stehen die...

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