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E-Book

Das Glas-Universum

Wie die Frauen die Sterne entdeckten

AutorDava Sobel
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783827079510
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Es war die Zeit, in der Edison mit seiner elektrischen Glühbirne für Aufsehen sorgte, als Frauen an der amerikanischen Ostküste erstmals die Gestirne erkundeten. Ein Professor der Harvard University engagierte sie Anfang der 1880er-Jahre zunächst als »Computer« - als Rechnerinnen - am Observatorium. Darunter nicht nur Familienmitglieder von Astronomen, sondern auch Absolventinnen der neuen Frauen-Colleges und begeisterte Sternbeobachterinnen. Und sie leisteten wahrlich Erstaunliches: Die ledige Mutter und ehemalige Haushälterin Williamina Fleming etwa machte durch ihre Berechnungen allein schon an die 300 Sterne ausfindig. Die Pfarrerstochter Antonia Maury entwickelte eine eigene Klassifikation der Planeten, die heute als Grundstein der modernen Astrophysik gelten kann. Doch wenige der Harvard-Frauen fanden später die verdiente Anerkennung auf einer eigenen Forschungsstelle. Dem Wirken der ambitionierten Wissenschaftlerinnen ein Denkmal zu setzen ist daher Dava Sobels Anliegen mit ihrem neuen, spannend erzählten Buch.

Dava Sobel ist eine vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsredakteurin der New York Times. Weltweit bekannt wurde sie als Autorin des Bestsellers »Längengrad«, mit dem sie eine völlig neue und überaus erfolgreiche Form des populären Wissenschafts-Sachbuchs begründete. Im Berlin Verlag erschienen auch die Romane »Planeten« und »Galileos Tochter«. Dava Sobel lebt in East Hampton und in New York.

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Leseprobe

Kapitel 1


Mrs Drapers Absicht

Die Stadtvilla der Drapers, die nördlich der Ecke Madison Avenue/40th Street lag, erstrahlte an diesem festlichen Abend des 15. November 1882 im neuen Glanz elektrischen Lichts. Die National Academy of Sciences tagte die Woche über in New York City, und Dr. und Mrs Henry Draper hatten einige ihrer rund vierzig Mitglieder zum Abendessen geladen. Während das vertraute Gaslicht die Fassade des Hauses beleuchtete, strahlten im Innern die neuartigen Glühlampen Edisons, von denen zur Belustigung der Tischgäste einige in Schüsseln schwammen.

Unter den Gästen war Thomas Edison höchstpersönlich. Er hatte die Drapers Jahre zuvor bei einem Campingausflug ins Wyoming-Territorium kennengelernt, wo sie die totale Sonnenfinsternis vom 29. Juli 1878 beobachten wollten. Während dieses denkwürdigen Zwischenspiels mittäglicher Dunkelheit saß Mrs Draper in einem Zelt, in das sie sich zurückgezogen hatte, damit der Anblick des Spektakels sie nicht aus der Fassung bringen und sie womöglich am Zählen hindern würde. Pflichtgemäß rief sie die Sekunden der totalen Finsternis (insgesamt 165) nach draußen, wo Mr Edison und Dr. Draper wie geplant ihre Beobachtungen durchführten.

Zufrieden betrachtete die rothaarige Mrs Draper, eine reiche Erbin und berühmte Gastgeberin, ihren elektrifizierten Salon. Nicht einmal Chester Arthur im Weißen Haus beleuchtete seine Abendgesellschaften mit Elektrizität. Und der Präsident hätte keine eindrucksvollere Versammlung von Koryphäen der Naturwissenschaft aufbieten können. Unter ihnen waren der bekannte Zoologe Alexander Agassiz, der aus Cambridge, Massachusetts, angereist war, und Spencer Baird von der Smithsonian Institution, der sich von Washington auf den Weg gemacht hatte. Mrs Draper machte Whitelaw Reid von der New York Tribune, einen Freund der Familie, mit Asaph Hall bekannt, der wegen seiner Entdeckung der beiden Marsmonde weltberühmt war, außerdem mit dem Sonnenexperten Samuel Langley sowie mit den Direktoren aller bedeutenden Observatorien an der Ostküste. Kein Astronom im Land konnte eine Einladung in das Haus von Henry Draper ausschlagen.

Tatsächlich war es ihr Haus – Anna Palmer Drapers Elternhaus, das ihr verstorbener Vater, der Eisenbahn- und Immobilienmagnat Cortlandt Palmer, erbaut hatte, lange bevor die Gegend hier in Mode gekommen war. Jetzt sorgte sie dafür, dass das Haus genauso perfekt zu Henry passte wie sie selbst; die gesamte dritte Etage war in eine Maschinenwerkstatt umgewandelt worden, und auf dem Dachboden oberhalb des Pferdestalls war nun sein Chemielabor, in das er durch einen überdachten Gang gelangte, der mit dem Wohnhaus verbunden war.

Bevor sie Henry kennenlernte, hatte sie den Sternen kaum mehr Beachtung geschenkt als den Sandkörnern am Strand. Er war derjenige, der sie auf die fein abgestuften Farbtöne und Helligkeitsunterschiede der Gestirne hinwies, während er ihr im Flüsterton von seinem Traum erzählte, der Medizin zugunsten der Astronomie abzuschwören. Wenngleich ihr Interesse anfangs geheuchelt war, um ihm zu gefallen, hatte sie inzwischen ihre eigene Leidenschaft für die Materie entdeckt und sich als ergebene Partnerin sowohl bei der Himmelsbeobachtung als auch in der Ehe erwiesen. Wie viele Nächte hatte sie in Kälte und Dunkelheit neben ihm gekniet und übelriechende Emulsion auf den gläsernen Fotoplatten verteilt, die er für seine handgefertigten Teleskope verwendete?

Ein Blick auf Henrys Teller verriet ihr, dass er nichts von den Speisen des Festmahls angerührt hatte. Er kämpfte mit einer Erkältung, vielleicht sogar einer Lungenentzündung. Als er und seine alten Kameraden von der Unionsarmee vor ein paar Wochen in den Rocky Mountains auf die Jagd gegangen waren, hatte sie ein Blizzard überrascht, der sie oberhalb der Baumgrenze stranden ließ, weit entfernt von der nächsten Schutzhütte. Noch immer steckten der eisige Frost und die Erschöpfung Henry in den Knochen. Er wirkte furchtbar mitgenommen, und aus dem 45-Jährigen schien plötzlich ein alter Mann geworden zu sein. Dennoch plauderte er weiterhin freundlich mit den Gästen und erklärte unermüdlich jedem, der danach fragte, wie er mit seinem gasbetriebenen Dynamo Dauerstrom für die Edison-Lampen erzeugt hatte.

Schon bald würden sie und Henry die Stadt verlassen, um zu ihrem privaten Observatorium in der flussaufwärts gelegenen Ortschaft Hastings-on-Hudson aufzubrechen. Jetzt, wo er endlich seine Professur an der New York University niedergelegt hatte, konnten sie sich seiner bedeutendsten Mission widmen. In ihren fünfzehn gemeinsamen Jahren hatte Anna Palmer Draper miterlebt, wie ihm seine bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Astrofotografie immer wieder vielfältige Auszeichnungen eintrugen – im Jahr 1874 erhielt er die Goldmedaille des Kongresses, er wurde in die National Academy of Sciences gewählt und Mitglied der American Association for the Advancement of Sciences. Was würde die Welt wohl sagen, wenn ihr Henry das scheinbar unlösbare Rätsel um das Innere der Sterne lösen würde?

Nachdem Dr. Draper den Gästen zum Abschluss dieses glanzvollen Abends eine gute Nacht gewünscht hatte, nahm er ein heißes Bad, legte sich ins Bett und stand nicht mehr auf. Fünf Tage später war er tot.

Unter der Vielzahl von Beileidsbekundungen, die Mrs Draper nach dem Begräbnis ihres Ehemanns erreichten, befand sich eine, aus der sich ein Briefwechsel entwickelte, der ihr einen gewissen Trost spendete: Sie führte ihn mit Professor Edward Pickering vom Harvard-College-Observatorium, der als Akademiemitglied am Abend von Henrys Zusammenbruch zu Gast bei den Drapers gewesen war.

»Meine liebe Mrs Draper«, schrieb Pickering am 13. Januar 1883, »Mr Clark [von Alvan Clark & Sons, den hervorragenden Teleskopherstellern] hat mir gesagt, dass Sie sich anschicken, die Arbeit zu vollenden, mit der Dr. Draper beschäftigt war, und mein Interesse an dieser Sache möge meine Entschuldigung dafür sein, dass ich mich diesbezüglich an Sie wende. Ich muss wohl kaum meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, dass Sie diesen Schritt tun, da es sich von selbst versteht, dass Sie in keiner anderen Weise seinem Andenken ein so bleibendes Denkmal errichten könnten.«

Tatsächlich war genau das Mrs Drapers Absicht. Sie und Henry hatten keine Kinder, die sein Vermächtnis hätten fortführen können, und so hatte sie sich entschlossen, es ganz allein zu tun.

»Ich bin mir der Schwierigkeit Ihrer Aufgabe voll und ganz bewusst«, fuhr Pickering fort. »Es gibt in diesem Land keinen Astronomen, dessen Arbeit so schwer zu vollenden ist wie die Dr. Drapers. Er besaß diese außergewöhnliche Beharrlichkeit und Geschicklichkeit, die es ihm erlaubten, nach einer Vielzahl fehlgeschlagener Versuche, die jeden anderen entmutigt hätten, doch noch zu Ergebnissen zu kommen.«

Pickering bezog sich damit insbesondere auf Drapers jüngste Fotografien der am hellsten leuchtenden Sterne. Diese rund hundert Aufnahmen waren durch ein Prisma gemacht worden, welches das Sternenlicht in das Spektrum der Farben zerlegte, aus denen es sich zusammensetzte. Obwohl der fotografische Prozess die Regenbogenfarben auf Schwarz und Weiß zurücksetzte, bewahrten die Bilder das verräterische Muster von Linien innerhalb jedes Spektrums – Linien, die auf die Elemente hindeuteten, aus denen die Sterne bestanden. In den Gesprächen, die nach dem Essen bei der November-Gala geführt worden waren, hatte Pickering angeboten, Draper bei der Entschlüsselung der Spektralmuster mithilfe von Spezialmessgeräten aus Harvard zu unterstützen. Doch der Doktor hatte abgelehnt, war er doch überzeugt davon, dass seine neu gewonnene Freiheit von Lehrverpflichtungen an der Universität ihm genügend Zeit verschaffen würde, um einen eigenen Messapparat zu entwickeln. Aber jetzt war mit einem Schlag alles anders, und daher wiederholte Pickering sein Angebot gegenüber Mrs Draper. »Es würde mich sehr freuen, wenn ich etwas im Andenken an einen Freund tun könnte, dessen Talente ich stets bewunderte«, schrieb er.

»Welche endgültigen Regelungen Sie auch immer im Hinblick auf die bedeutende Arbeit, die Sie in Angriff genommen haben, treffen«, schrieb Pickering zum Schluss, »denken Sie bitte daran, dass ich, falls ich Sie in irgendeiner Weise beraten oder Ihnen helfen kann, mich für Dr. Drapers nicht zu ersetzende Freundschaft gern erkenntlich zeigen würde, wenn auch nur in einem sehr bescheidenen Maße.«

Wenige Tage später, am 17. Januar 1883, antwortete Mrs Draper auf Briefpapier mit schwarzem Rand:

»Lieber Professor Pickering,

sehr herzlichen Dank für Ihren freundlichen und aufmunternden Brief. Das Einzige im Leben, was mich jetzt noch interessiert, ist die Fortsetzung von Henrys Arbeit, aber ich fühle mich dieser Aufgabe so wenig gewachsen, dass mich manchmal mein ganzer Mut verlässt – ich verstehe Henrys Pläne und seine Arbeitsweise vielleicht besser als irgendjemand sonst, aber ich könnte ohne einen Assistenten nicht zurechtkommen, und meine größte Schwierigkeit besteht darin, eine Person zu finden, die mit Physik, Chemie und Astronomie so vertraut ist, dass sie die diversen Forschungsprojekte fortführen kann. Wahrscheinlich werde ich sogar zwei Assistenten benötigen, einen für das Observatorium und einen für die Laborarbeit, denn es ist unwahrscheinlich, dass ich eine Person mit ähnlich vielseitigen naturwissenschaftlichen Kenntnissen finden werde, wie sie Henry auszeichneten.«

Sie war bereit, gute Gehälter zu bezahlen, um die bestqualifizierten Männer als Assistenten zu gewinnen. Sie und ihre beiden Brüder hatten die riesigen...

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