Einleitung
Gab es je eine freundlichere Apokalypse?
Philip Rieff, The Triumph of the Therapeutic1
Der Hollywoodfilm The Pursuit of Happyness (Das Streben nach Glück, Regie: Gabriele Muccino) war 2006 ein weltweiter Kassenerfolg und spielte insgesamt 307 Millionen US-Dollar ein. Der Film beruht auf den Memoiren von Christopher Gardner, einem afroamerikanischen Handelsvertreter aus der unteren Mittelschicht, der sich aus ärmlichen Verhältnissen zum erfolgreichen Geschäftsmann, Börsenmakler und Motivationsredner hocharbeitet. Die Geschichte spielt in den frühen 1980er Jahren. Präsident Ronald Reagan hat im Fernsehen schlechte Wirtschaftsdaten verkündet – düstere Aussichten für Gardner und seine Frau Linda, die alle Mühe haben, sich und ihren fünfjährigen Sohn über Wasser zu halten. Das Geld reicht kaum für Miete und Kinderhort, Gardner aber bleibt trotzdem optimistisch. Er ist hartnäckig, talentiert und möchte im Job unbedingt nach oben.
Eines Tages steht er vor einer der renommiertesten Maklergesellschaften des Landes und schaut den Brokern dabei zu, wie sie in den Feierabend ziehen: »Alle sahen so wahnsinnig glücklich aus«, erinnert er sich später. »Warum konnte ich nicht so aussehen?« Jetzt hat Gardner ein Ziel: Er will Börsenmakler in dieser Firma werden und schafft es mit Charme und sozialem Geschick, dort ein unbezahltes Praktikum zu ergattern. Linda jedoch unterstützt ihn nicht in seinem Traum. Als er ihr von seinen Zielen berichtet, erwidert sie sarkastisch: »Wieso nicht gleich Astronaut?« Linda wird im Film als ewige Nörglerin und Pessimistin dargestellt, das genaue Gegenteil ihres Mannes. Und sie wirft hin, verlässt die Familie in dem Moment, als es scheinbar schlimmer nicht mehr kommen kann. Ohne ihre finanzielle Unterstützung ist Gardner völlig ruiniert. Er und sein Sohn fliegen erst aus der Wohnung, dann aus einem Motel und müssen schließlich in einer Obdachlosenunterkunft Zuflucht suchen.
Gardner lässt sich aber nicht unterkriegen. Bei den Leitern des Ausbildungsprogramms und seinen Ivy-League-Konkurrenten versucht er den Schein des Erfolges zu wahren. Dafür arbeitet er Tag und Nacht in zwei Jobs, büffelt für die Abschlussprüfung und kümmert sich obendrein noch liebevoll um sein Kind. Gardner ist entschlossen: »Lass dir von niemandem je einreden, dass du was nicht kannst. […] Wenn du einen Traum hast, musst du ihn beschützen. […] Wenn du was willst, dann mach es. Basta«, sagt der Vater beim Basketballspielen zu seinem Sohn. Gardner gehört zu den besten Absolventen des Programms und bekommt schließlich seinen Traumjob. »Dieser Abschnitt meines Lebens, dieser klitzekleine Abschnitt, heißt Glückseligkeit« (»this is happiness« im Original), behauptet er am Ende des Films.
Der weltweite Erfolg des Films zeigt deutlich, welchen Raum das Ideal des Glücks und das Streben nach Glück in unserem Leben einnimmt. Das Glück ist allgegenwärtig: im Fernsehen, im Radio, in Büchern und Zeitschriften, im Fitnessstudio, beim Essen und in Ernährungsratgebern, im Krankenhaus, bei der Arbeit, im Krieg, in Schulen und Universitäten, in der Technologie, im Internet, auf dem Sportplatz, zu Hause, in der Politik und natürlich in den Regalen der Geschäfte.
Das Glück hat unsere kulturellen Vorstellungswelten tiefgreifend beeinflusst, es ist heute im Alltag präsent bis über die Grenze des Erträglichen hinaus. Kurz vor dem Jahr 2000 führte Amazon noch dreihundert Bücher mit dem Wort »happiness« im Titel; heute sind es über zweitausend. Eine einfache Suche im Netz ergibt hunderttausende Treffer, von den täglichen Tweets, Instagram- und Facebook-Posts gar nicht erst zu reden. Wer wollte noch bezweifeln, dass die Vorstellung von Glück zu einem grundlegenden Bestandteil dessen geworden ist, wie wir uns selbst und die Welt verstehen und deuten? So vertraut und natürlich ist der Begriff, dass es einigermaßen abwegig, ja dreist anmuten mag, ihn in Frage zu stellen.
Doch hat die Idee des Glücks in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur enorme Prominenz erlangt, wir verstehen heutzutage auch etwas ganz anderes darunter als früher. Wir glauben nicht mehr, dass Glück etwas mit Schicksal, Lebensumständen oder der Abwesenheit von Leid zu tun hat, dass es ein tugendhaftes Leben krönt oder einfältigen Menschen mageren Trost gewährt. Nein, Glück gilt in unseren Zeiten vielmehr als eine Geisteshaltung, die sich willentlich herbeiführen lässt, als Resultat der Mobilisierung unserer inneren Stärken und unseres »wahren Selbst«, als einziges Ziel, das anzustreben sich lohnt, als der Maßstab, an dem wir den Wert unserer Biographien, die Größe unserer Erfolge und Niederlagen sowie den Stand unserer psychischen und emotionalen Entwicklung messen müssen.
Vor allem aber stellt sich das Glück heute als das zentrale Merkmal unseres Idealbilds vom guten Bürger dar. In dieser Hinsicht ist Gardners Geschichte besonders interessant: Einer der reizvollsten Aspekte an The Pursuit of Happyness ist ja nicht, was der Film über das Glück an sich zu sagen hat, sondern was er über den Typus Bürger verrät, der es »zu Recht« erlangt.2 Glück meint hier weniger irgendeine Vorstellung von Glück als vielmehr eine bestimmte Art von Person, nämlich eine individualistische Person, die sich selbst treu bleibt, Rückschläge verkraftet und die Initiative ergreift, die optimistisch und von hoher emotionaler Intelligenz ist. In diesem Sinn präsentiert der Film Gardner als perfekte Verkörperung der glücklichen Person und macht das Glück gleichzeitig zum roten Faden einer beispielhaften Geschichte, die vorführt, wie man sein »Ich« an bestimmten anthropologischen Vorannahmen, ideologischen Werten und politischen Tugenden ausrichtet und entsprechend mobilisiert.
Die Geschichte des echten Christopher Gardner war mit dem Film nicht zu Ende. Sie fand ihre Fortsetzung in den Medien, die sich für sein Leben interessierten, weil sie sein Potenzial erkannten, Millionen von Menschen für die Idee zu begeistern, dass Reichtum und Armut, Erfolg und Scheitern, Glück und Unglück letztlich eine Frage der Wahl seien. Im Entstehungsjahr des Films erklärte Will Smith, der Gardner spielt, in einer Reihe von Interviews, er möge Gardner, weil »er den amerikanischen Traum verkörpert«. Als Gast in der Oprah-Winfrey-Show sagte der Schauspieler sogar: »Was Amerika verspricht, ist eine so großartige Idee, weil es das einzige Land auf der Welt ist, in dem Chris Gardner existieren könnte«. Er erwähnte freilich nicht, dass Fälle wie der Gardners in Nordamerika genauso ungewöhnlich sind wie im Rest der Welt. Er ließ völlig außer Acht, dass die Vereinigten Staaten eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit und Ausgrenzung auf der Welt sind3 und damit eines, in dem gerade Wohlstand und soziale Aufwärtsmobilität für die Mehrheit der Bevölkerung kaum realistische Optionen darstellen. Wie Smith ebenso wenig thematisierte, ist es tief im kulturellen und nationalen Unbewussten der USA verankert, dass Gewinner und Verlierer selbst für ihr Schicksal verantwortlich sind. Diese meritokratische Voraussetzung gilt heutzutage in praktisch allen westlichen Ländern, in denen die persönliche Situation des oder der Einzelnen zunehmend als eine Frage des individuellen Verdienstes betrachtet wird, nicht mehr als Folge struktureller Prozesse.4 Der Film ist ein typisches Beispiel für diese Mentalität: Gardner wird als Selfmademan schlechthin gezeichnet und sein Leben als ein sozialdarwinistischer Kampf um den sozialen Aufstieg, an dessen Ende eine klare Botschaft steht: Die Meritokratie funktioniert, weil sich Hartnäckigkeit und persönlicher Einsatz immer auszahlen.
Der Erfolg des Films verhalf dem echten Christopher Gardner zu weltweiter Bekanntheit. In den folgenden Jahren gab er hunderte von Interviews, in denen er das Geheimnis seines Wegs zum Glück lüftete und erklärte, warum sich »Happyness« im Filmtitel mit »y« statt mit »i« schreibt: »Das ›y‹ ist dazu da, um uns alle daran zu erinnern, dass Sie (you) darüber entscheiden, welches Leben Sie führen, dass es einzig und allein in Ihrer Verantwortung liegt. Niemand wird Ihnen zu Hilfe kommen. Das müssen Sie schon selber tun.« So entdeckte Gardner, der vom erfolgreichen Börsenhändler zum...