JOCHEN STANZL
Die große Normalisierung
Jochen Stanzl ist Mitbegründer der Münchner BörseGo AG, dem banken- und verlagsunabhängigen Anbieter von Finanzinformationen und innovativen Technologien. Sein Schwerpunkt sind die weltweiten Rohstoffmärkte, mit denen er sich seit dem Jahr 2005 intensiv auseinandersetzt. Seine ersten Gehversuche an der Börse macht er bereits im Jahr 1997. Seither beschäftigt er sich tagtäglich mit der Börse. Er ist Börsianer aus Leidenschaft. Sein Analyseansatz ist eine Kombination aus Technischer und Fundamentaler Analyse. Seine Herausforderung ist es, die Geschehnisse in der Welt richtig einzuschätzen und die passenden Anlagemöglichkeiten aufzuspüren. Die Ergebnisse seiner Arbeit stellt er allen Interessenten auf seinem Experten-Desktop in Guidants zur Verfügung: go.guidants.com/jochen.stanzl
Fachgebiet: Rohstoffmärkte
Das Interview mit Jochen Stanzl
Die Vergangenheit
Wie bist du zum Traden gekommen?
Ich kam zur Börse wie die Jungfrau zum Kind. Ich war gerade erst 15 Jahre alt, als mein Vater mich zu einem Börsenspiel anmeldete. Ich habe recht schnell Gefallen daran gefunden, die 50.000 D-Mark Spielgeld hin- und herzuschieben. Nach einem Tag waren plötzlich 60.000 D-Mark daraus geworden. Das fand ich Klasse.
Wie hast du Traden gelernt? Wie hast du dich über Börsenhandel informiert?
Versuch und Irrtum. Etwas anderes ist, glaube ich, auch gar nicht möglich. Vielleicht gibt es die Menschen, denen man sagt, die Herdplatte ist heiß, und sie fassen dann nicht mehr selbst drauf. Ich zählte nie zu denen. An der Börse muss man selbst Erfahrungen sammeln, zunächst am besten ohne echtes Geld und irgendwann, wenn man eine eigene Methodik entwickelt hat, mit echtem Geld. Erst dann wird man verstehen, dass Gier und Angst die Börse regieren und man nur erfolgreich sein kann, wenn man seinen eigenen Kopf an der Börse entwickelt. Ich veröffentliche einige meiner Handelsideen im Internet (go.guidants.com/#c/jochen.stanzl). Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen, aber wenn ich zu 90 Prozent Widerrede und Kritik für eine Idee erhalte, fühle ich mich besser. Ich werde hingegen unsicher, wenn alle schreiben: Super Idee! Denn dann geht es meistens nicht auf.
Solche Dinge findet man aber erst heraus, wenn man vieles gelesen und ausprobiert hat. Ich habe mich intensiv mit Psychologie und Massenpsychologie beschäftigt, alle wichtigen Bücher zur Technischen Analyse gelesen, mich mit Risikosteuerung und Portfoliotheorien beschäftigt, bin lange Zeit auch in verschiedenen Foren im Internet aktiv gewesen, um mich auszutauschen. Es ist für mich immens wichtig, große Händler am Markt zu beobachten und zu unterscheiden, ob sie zur Verkaufsseite (Banken, Goldhändler) oder zur Kaufseite (Vermögensverwalter, Eigenhändler) zählen. Ich versuche heute, Extreme an der Börse zu finden. Ein gutes Beispiel hierfür war die Stimmung in Griechenland im Sommer 2012. Die Börse übertreibt im positiven wie im negativen Sinne. Im Sommer 2012 war der Zeitpunkt gekommen, griechische Aktien zu kaufen. Hier wurde aber nicht zum Einstieg geläutet. Die nötige Sicherheit, die man benötigt, um dennoch zu kaufen, wenn jeder davon abrät, kann man nur durch Erfahrung und Wissen erlangen. Daher kann man gar nicht genug lesen und lernen, was Börse und Psychologie anbelangt. Die größten Gewinne liegen da, wo die Masse der Anleger sie nicht erwartet.
Was hat deine Leidenschaft für Börse und Trading geweckt? Was macht für dich den Reiz des Tradens aus?
Die Börse ist für mich die ultimative intellektuelle Herausforderung. Nichts ist komplexer und herausfordernder als dieser Wettkampf der Ideen, der dort tagtäglich stattfindet. Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich eine bessere Idee haben als – sagen wir mal – 90 Prozent der anderen. Und die Einflussfaktoren, die es zu verstehen gilt, sind in einem stetigen Fluss und verändern sich fortlaufend. Das ist für mich dermaßen interessant, dass ich sicher weiß, dass ich mich auch noch im hohen Alter damit beschäftigen werde. Und ich werde auch im hohen Alter noch morgens auf die Kurse blicken und nicht alles verstehen. Das ist der Reiz an der Sache. Und natürlich das Geld, das man verdienen kann.
Hattest oder hast du Vorbilder?
Ja, viele. Wir Menschen lernen, indem wir andere nachahmen. Anders funktioniert das nicht. Wenn ich eine Person nennen müsste, dann Jesse Livermore. Er hat eine simple Wahrheit erkannt, an der die meisten Anleger scheitern. Entweder wir fügen unserer mehr oder weniger gut ausgeprägten Begabung für das Handeln mit Wertpapieren eine profitable Vorgehensweise und die eiserne Disziplin, dieser auch treu zu bleiben, hinzu, oder uns droht ein schmachvolles Ende.
Kannst du dich noch an deinen ersten Trade erinnern?
Schmerzlich. Das war Ende der 90er-Jahre, als jeder nur am Neuen Markt und mit Internet- und Technologieaktien handelte. Ich war erst 16 und auf Geheiß meines Vaters hin habe ich mit meinem im Börsenspiel verdienten Geld in die schnöde Daimler-Aktie investiert. Nach drei Monaten hatte sie sich um geschlagene 1,5 Prozent bewegt, während es am Neuen Markt tägliche Kursbewegungen von 20 Prozent oder 30 Prozent gab. Nachdem ich meinen Vater nach drei Monaten überzeugt hatte, dass es doch bessere Chancen gibt als Daimler, habe ich sie dann endlich verkaufen können.
Was hat sich bei dir im Trading über die Jahre geändert?
Ich bleibe heute diszipliniert bei meiner Methodik, die ich über die Jahre entwickelt habe. Alles andere hat zwar Unterhaltungswert, es putscht auf, zu zocken, man kann ähnlich wie ein Klippenspringer süchtig nach dem Adrenalin werden, das der Körper ausschüttet, wenn man sich in einer überhebelten Position befindet, aber all das führt nicht dazu, dass sich das Depot dauerhaft vergrößert. Meine Methodik ist eine Mischung aus der klassischen Charttechnik, der Dow-Theorie, den Elliott-Wellen, japanischen Kerzencharts und Formationsprojektionen. Dazu kommen die Fundamentalanalyse, die Auswertung der Marktstimmung und die Betrachtung der relativen Marktbewertungen. Letztendlich ergibt das ein vielschichtiges System, nach dem ich handle. Ich reagiere heute nicht mehr impulsiv, wie ich das früher getan habe. Das führt nur ins Verderben.
Welche Tipps kannst du aus deinen Erfahrungen für Einsteiger und erfahrene Anleger weitergeben? Welche Erkenntnis willst du mit allen teilen?
Man muss an der Börse seinen eigenen Kopf haben. Und das muss man trainieren, da das gar nicht so einfach ist. Schließlich bleiben Sie bei Rot an der Ampel stehen, wenn andere auch stehen bleiben. An der Börse muss man dann kaufen, wenn alle anderen nicht mehr wollen. Das gewinnbringende Verhalten an der Börse steht damit diametral zu dem erfolgreichen Verhalten im echten Leben. Das muss man erst einmal lernen. Wenn jeder Ihnen erzählt, dass man jetzt Neue-Markt-Aktien kaufen soll oder dass der Euro morgen zusammenbrechen wird, dann ist es sehr schwer, das Gegenteil zu tun. Aber dort hält der Markt für Sie die größten Gewinne bereit. Diese Tugend gilt es ein ganzes Leben lang zu schulen und zu schärfen. Ansonsten benötigt man, wie ich oben bereits sagte, eine profitable Methodik, an der man diszipliniert festhält. Sonst wird man nie langfristig an der Börse Erfolg haben können.
Was war dein »Schwarzer Freitag« (schlimmstes Erlebnis als Trader) und was könnten andere Trader aus diesem Misserfolg lernen?
Als ich zum x-ten Male emotionalen Impulsen nachgab und damit mein ganzes, über lange Zeit aufgebautes Depot rasiert habe. Ich habe dann eine fast zwei Jahre dauernde Tradingpause eingelegt, bis ich mir sicher war, dass ich in dem Moment, wo ich wieder handeln werde, nur noch diszipliniert nach meiner Methodik handeln werde. Das war wirklich schwer und hat Überwindung gekostet, hat aber zum Ziel geführt.
Welches war dein größter Erfolg? Was hast du erfolgreich umgesetzt?
Mein größter Investitionserfolg war es, mich in der Stunde null an der BörseGo AG zu beteiligen. Wir teilen seit nunmehr 13 Jahren unsere Begeisterung für das Thema Börse mit einer riesigen Community an Tradern, Anlegern und Investoren und bieten ihnen Möglichkeiten und Informationen über die Börse, die es anderswo nicht gibt. Die BörseGo AG ist der größte Erfolg meines Lebens und ich bin mir sicher, dass wir mit der Firma noch wunderbare Dinge für unsere Community und unsere Kunden bewegen können.
Was hat sich seit deinen Anfangstagen als Börsianer/Trader an den Weltmärkten geändert? Was war früher wichtig und ist es ggf. heute nicht mehr? Was ist heute wichtig?
Man muss immer flexibel bleiben. Das ist, denke ich, eine Konstante an der Börse, und das, egal wie die Kurse gerade stehen oder welche Veränderungen es gerade an den Märkten gibt. Wer an der Börse auf seiner Meinung, die er einmal gefasst hat, beharrt, verschwindet bald von der Bildfläche. Man darf nie an den Punkt gelangen, an dem man sich sagt: Ich weiß schon alles. Die Börse wird einen dann schnell eines Besseren belehren. Die Börsen interessiert es nicht, ob Sie falschliegen. Sie werden einfach Geld verlieren, bis Sie keines mehr haben. Ich habe in den 90er-Jahren zu Neue-Markt-Zeiten die Top-Gewinner im n-tv-Teletext abends gekauft und am Folgetag verkauft. Da waren meist 20 bis 30 Prozent drin. Das ging schon bald darauf nicht mehr. Plötzlich habe ich dann über einen amerikanischen Online-Broker Nasdaq-Aktien...