2. Die sieben „Chains“
Den Begriff „Chain“ habe ich aus dem Englischen übernommen. Er bedeutet Kette, „anketten, verbinden, verketten“, in seiner verbalen Form „to chain“. Ganz allgemein verstehe ich darunter kognitive Selbstblockaden. Durch Chains boykottieren wir unsere Veränderungsmöglichkeiten. Sie können Ketten sein, Fußfesseln, Handschellen, Fixiergurte, Rückhaltepflocks oder irgendetwas Vergleichbares, mit dem Sie Ihre Gedanken in Schach halten und blockieren. Suchen Sie sich ein Bild aus, das am besten in Ihre Wirklichkeit passt. Lassen Sie dabei Ihrer Vorstellungskraft freien Raum, denn das ungehinderte Denken ist in Veränderungsprozessen schon eine sehr gute Voraussetzung auf dem Weg zur Lösung. Also: Entwerfen Sie Ihren eigenen Chain!
Chains sind Veränderungshemmer im Kopf.
Chains sind Veränderungshemmer im Kopf. Vielleicht haben Sie selbst schon einmal mit einer Depression zu tun gehabt oder kennen jemanden, der damit in Behandlung war. Einige Antidepressiva sind sogenannte „Serotonin-Wiederaufnahmehemmer“. Sie behindern das Andocken des „Glückshormons“ Serotonin an den „Informations-Kontaktstellen“ und sorgen dafür, dass der Serotoninlevel im Gehirn steigt. Dieses Hormon hat Einfluss auf unsere Stimmung; es dämpft die Angst und gibt uns ein Gefühl der Gelassenheit, innerer Ruhe und Zufriedenheit.
Chains wirken ähnlich hemmend, auch wenn sie uns nicht als Medikament verordnet werden und wir sie ganz von alleine „schlucken“. Sie hemmen unsere Fähigkeit, klar und lösungsorientiert zu denken. Sie hemmen unsere Glück bringenden Gedanken, weil sie wie hoch dosierte Vermeidungspillen wirken. Chains stimulieren die „Nicht-Transmitter“: „Das geht nicht. Das darf man nicht. Das klappt sowieso nicht. Das gelingt mir nicht. Ich kann das nicht. Das funktioniert bei mir nicht“ usw.
Chains sind Gedankenketten, tragische Verkettungen in unserem Kopf und folgen meistens dem Wenn-dann-Prinzip: „Wenn der andere sich änderte, dann könnte ich …“ (Chain 2 und Chain 7). Oder: „Wenn ich bloß nicht auf meinen Vater gehört hätte, dann …“ (Chain 1, Chain 4 und Chain 5). Chainees haben die Kompetenz, Glied um Glied an ihre Kette zu reihen, um sich damit immer stabilere Fesseln anzulegen. Je mehr Glieder die Kette hat, desto widerstandsfähiger wird sie. Allerdings reicht auch ein einzelner Chain vollkommen aus, um Menschen in seinem Bann zu halten (Der Bezug zur Verbannung ist hier absolut nicht zufällig, denn der Aufenthalt im „Kopf-Gefängnis“ mit Anspruch auf Vollverpflegung hat viele Parallelen).
Ich möchte Sie dazu anregen, Ihre Chains auf eine andere Stufe des Bewusstseins zu heben und sie dort handhabbar zu machen.
Mein Anliegen ist es nicht, Ihnen das Bild Ihres persönlichen „Chains“ fest im Kopf zu verankern. Damit würden Sie womöglich die Ketten, die Ihnen die Veränderung so schwer machen, nur noch fester ziehen. Ich möchte Sie vielmehr dazu anregen, Ihre Chains auf eine andere Stufe des Bewusstseins zu heben und sie dort handhabbar zu machen. Wenn Sie nach dem Lesen dieses Buches die Sensibilität für Ihren Chain geweckt haben, dann sind Sie auf dem besten Weg, ihn zu entmachten. Wenn Sie zu sich selbst sagen werden: „Aber hallo, was rede ich denn da, das geht auch anders!“, haben Sie bereits den entscheidenden Schritt in Richtung Veränderung unternommen – Ihr Denken hat sich nämlich schon verändert.
Den Untertitel „Seven Chains to Change“ habe ich gewählt, weil die englischen Wörter „change“ und „chain“ doppelte Botschaften enthalten. Das englische Wort „change“ kann nämlich auch für „Wechselgeld“ oder „Kleingeld“ stehen: „Take the change“ bedeutet so viel wie: „Hier ist das Wechselgeld.“ „Keep the change“ meint „Der Rest [Kleingeld] ist für dich.“ Veränderung hat immer etwas mit dem fälligen Preis und mit Kosten zu tun. Wie hoch ist der Preis, den ich für die Veränderung bezahle? Was kostet es mich, wenn ich es zukünftig anders machen werde? Das „Change“ ist das Wechselgeld, das Sie für Ihre Entscheidung bezahlen, egal ob Sie sich für die Dauer oder für den Wandel entscheiden.
Auch der Begriff „chain“ enthält eine Doppelbotschaft, die sich deutschen Lesern nicht direkt erschließt. Neben der Bedeutung „Kette“ steht er auch für eine Maßeinheit, um Abstände zwischen Brücken und Bahnhöfen zu messen. Und welche Bilder könnten also besser in einen Veränderungsprozess passen? Brücken als Sinnbilder des Zusammenwachsens und der Veränderung, Bahnhöfe als Bilder für Aufbruch und Reise. Chainees legen mehr oder weniger weite Strecken auf ihrem Weg des Wandels zurück. Fast automatisch kommt mir da das Lied „Über sieben Brücken musst du geh’n“ in den Kopf – wie passend für unser Thema.
Die Chains sind die Essenz meiner Coaching-Erfahrung mit etlichen Klienten in Veränderungsprozessen.
Warum sind es gerade sieben geworden, warum nicht sechs oder acht Chains? Das hat mehrere Gründe: Die Chains sind die Essenz meiner Coaching-Erfahrung mit etlichen Klienten in Veränderungsprozessen. Sehr komplexe Verhaltensweisen habe ich auf Strategien reduziert, die mir bei allen Coachees ähnlich erschienen. Wie bei Persönlichkeitstest habe ich mich auf wesentliche Punkte beschränkt, um Muster abzubilden. Sicherlich hätte man durch eine weitere Konzentration die Anzahl der Chains reduzieren können. Andererseits wäre es auch vertretbar gewesen, zusätzliche Chains zu berücksichtigen, um „Grauzonen“ abzubilden. Für mich sind es sieben geworden. Und die Zahl Sieben gefiel mir auch, weil sie einen hohen symbolischen Wert hat. Wir kennen die sieben apokalyptischen Reiter, die sieben Todsünden, die sieben himmlischen Tugenden, die sieben Werke der leiblichen Barmherzigkeit und den siebten Sinn. Im Laufe von sieben Jahren wird jede Körperzelle des Menschen ausgetauscht.
In der Veränderungsarbeit mit Klienten ist Symbolik enorm wichtig, denn Symbole wirken wie Anker. Sie rufen uns Verhaltensweisen oder emotionale Zustände in Erinnerung. Sie bringen uns in Kontakt mit unseren Energien und können dafür sorgen, dass wir Kräfte bereitstellen, die bei Veränderungen dringend gebraucht werden. Wenn Ihnen nach dem Lesen des Buches die Zahl Sieben hilft, die Chains im Bewusstsein zu halten, dann habe ich mit meinem Plan mein Ziel erreicht.
„Unchain my heart“ lautet ein Titel von Joe Cocker. Ich habe für Sie einige Textstellen ins Deutsche übersetzt, die Sie als Unterstützung für die Arbeit an Ihren Chains nutzen können:
Kette mein Herz los, Baby, lass mich in Ruh,
denn du bist mir nicht mehr zugetan – bitte, gib mich frei.
Du hast mich zugenäht wie einen Kopfkissenbezug.
Ich bin in deinem Bann – wie ein Mann in Trance.
Lass mich meiner Wege gehen.
Du bereitest mir Tag und Nacht Kopfzerbrechen.
Warum willst du mich durch ein elendes Leben führen,
wenn du dich nicht die Bohne um mich kümmerst?
Warum lässt du mich nicht gehen?
Kette mein Herz los, Baby – gib mich frei.
Chainee: mehr oder weniger bewusster Schöpfer eigener Realtitäten
Der Titel „Chainee“ drückt die aktive, prozessverantwortliche Rolle des Klienten aus. Er ist selber Gestalter seiner Lebenssituation. „Chainee“ kann man daher übersetzen mit „Verketter“ – ein Verketter mehrerer Chains. Es sind eben keine „Verkettungen unglücklicher Umstände“, sondern aktiv gestaltete, selbst konstruierte Realitäten, die als Wirklichkeit erlebt werden. Die Übersetzung „Gefesselter“ ist mir zu passiv, denn dazu gehören immer ein Opfer und ein Täter. Wenn ich im Folgenden also von „Chainee“ spreche, dann meine ich damit immer den (mehr oder weniger) bewusst Tätigen als Schöpfer eigener Realitäten.
2.1 Chain 1: Der Ärger über sich selbst
2.1.1 Wie und warum Sie sich durch Arger über sich selbst anketten
Wann haben Sie sich zuletzt geärgert: Gestern? Heute Morgen? Vor ein paar Minuten? Ärger ist für viele von uns sehr alltäglich, weil es so viele „gute Gelegenheiten“ gibt, über die man sich ärgern kann. Dabei ist Ärger gar kein Grundgefühl, wie es zum Beispiel Freude, Angst, Trauer, Ekel oder Liebe sind. Oft ist er nur ein vorgeschobenes Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit den tiefer liegenden Schichten blockiert und hinter dem Wut, Scham, Traurigkeit oder Ohnmachtsgefühle auftauchen.
Hätten wir im entscheidenden Moment Zugang zu diesen Gefühlen, könnten wir klären, was uns wirklich bewegt; könnten uns herausbewegen, wie es das lateinische Verb „emovere“, die Wurzel für den Begriff „Emotion“, nahelegt. Ärger deckelt diese Bewegung und hält sie im Inneren zurück. Das Wort Ärger findet seinen Ursprung im mittelhochdeutschen „arc“, was so viel heißt wie „sich heftig bewegen“ oder „erregt sein“. Wir kennen das heute noch aus der Steigerung „arg, ärger, am ärgsten“. Die zurückgehaltene Energie wandelt sich leider oft in Aggression um. Zielscheibe dieser Aggression können wir selbst oder unsere Umgebung sein.
Im Spiel „Mensch, ärgere Dich nicht“ wird auf die Entscheidungsfreiheit verwiesen, sich zu ärgern oder es zu lassen.
„Ich habe mich geärgert“ oder „Ich ärgere mich“: Beide Aussagen liefern schon einen wichtigen Hinweis darauf, woher Ärger kommt – aus uns, wir ärgern uns selbst. Im Spiel „Mensch, ärgere Dich nicht“ wird auf die Entscheidungsfreiheit verwiesen, sich zu ärgern oder es zu lassen. Hinter Ärger steht immer der Abgleich zwischen: „So ist es“ und: „So sollte es sein“.
Wenn wir...