Vorwort der Herausgeber
Wenn von Universität die Rede ist, so verbinden sich heute damit verbreitet zwei irrige, aber durchaus nachvollziehbare Vorstellungen, Interpretationen oder Begriffserklärungen. Sie gehen nicht von einer mit diesem Wort gemeinten spezifischen universitas, das heißt Gemeinschaft von Menschen, nämlich in diesem Falle von Lehrenden und Lernenden, aus. Vielmehr wird mit dem Begriff der Universität einerseits die Vorstellung von den zahlreichen in der Hochschule vereinten Wissenschaftsdisziplinen verbunden. Nicht zuletzt auch das in etlichen unterschiedlichen Übersetzungen existierende Motto über dem Eingangsportal des Rostocker Universitätshauptgebäudes (DOCTRINA MULTIPLEX – VERITAS UNA) scheint eine derartige Interpretation zu suggerieren. Andererseits lässt der Begriff Universität häufig ein Gebäude, zumeist das jeweilige Hauptgebäude der Einrichtung, als ihre äußere Hülle vor das geistige Auge des Betrachters treten, ähnlich wie das in anderen Bereichen der Gesellschaft etwa für die Begriffe Kirche, Parlament oder Theater geschieht.
So sehr abwegig ist eine solche Vorstellung keineswegs. Denn was wäre die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ohne ein Domizil? Daher sind Universitätsgebäude in der Regel fast genauso alt wie die Geschichte der Universitäten selbst. Das war und ist auch in Rostock nicht anders.
Dass der zentrale Bau, in moderner Diktion das Hauptgebäude der Universität Rostock Gegenstand dieser umfänglichen, mit zahlreichen Plänen und Abbildungen ausgestatteten Publikation ist, hat darüber hinaus noch mehrere andere Gründe.
So war und ist das Hauptgebäude seit seiner Existenz, die – wenn wir den oder die Vorgängerbauten einbeziehen – bis in die Anfänge der Universität zurückgeht, selbstverständlich untrennbar und unmittelbar – in guten wie in schlechten Zeiten – mit allen Etappen der Rostocker Universitätsgeschichte verbunden. Dies wird uns am Vorabend des 600. Jubiläums der alma mater rostochiensis besonders bewusst.
Das heutige Hauptgebäude hat seit seiner Entstehung in den Jahren 1867 bis 1870, damals lapidar als „Universitätsgebäude“ bezeichnet, auch als Baukörper selbst eine nunmehr anderthalb Jahrhunderte alte Geschichte durchlebt.
Noch vor wenigen Jahren zeugten sowohl an der Fassade als auch in den Räumen des Gebäudes viele sehr sichtbare Spuren davon, dass manche Glanzseiten des als „Wissenschaftsschloss“ konzipierten Baus dem Zahn der Zeit erheblichen Tribut gezollt hatten.
Dass nach der Wende von 1989, die auch mit der demokratischen inneren Erneuerung der Universität verbunden war, zunächst die äußere Hülle samt Fassade und Dach des Hauptgebäudes und schließlich in den Jahren 2009 bis 2013 sein Inneres umfassend restauriert bzw. erneuert wurden, gab jeweils verständliche Anlässe zur vertieften Beschäftigung mit der Geschichte dieses Baus, nicht zuletzt eben aus Gründen der Art und Weise seiner Restaurierung bzw. Erneuerung.1
Auch in dieser Hinsicht bewährte sich das Leitmotiv der Universität Rostock TRADITIO ET INNOVATIO.
Neben mancherlei nicht immer gelungenen Umbauten hat das Hauptgebäude auch vor 1989 zumindest teilweise bereits Restaurierungsarbeiten erfahren. Sie waren eine der Anlässe für die bisher ausführlichste Beschäftigung mit der Geschichte seiner Entstehung sowie bau- und kunstgeschichtlichen Bedeutung aus der Feder von Peter Palme aus dem Jahre 1983, die wegen ihres grundlegenden Stellenwertes in der vorliegenden Publikation erneut vollständig abgedruckt wird.2
Tat sich Palme mit einer positiven Gesamteinschätzung des Gebäudes schwer, so war dies nicht etwa nur oder in erster Linie den damaligen gesellschaftlichen, insbesondere auch politischen Verhältnissen in der DDR geschuldet. Zumindest partielle Kritik gab es bereits seit den Jahren der Entstehung des Hauptgebäudes. Sie haben auch das Bild seines Schöpfers, des mecklenburgschwerinschen Hofbaurates Hermann Willebrand, bis in unsere Tage verdunkelt, dessen Schaffen generell stets im Schatten des erheblich spektakuläreren Lebens und Wirkens seines Vorgängers und ehemaligen Chefs Georg Adolph Demmlers stand. Nicht nur der 200. Geburtstag Willebrands, der in das Jahr der Fertigstellung unserer Publikation fällt, sollte Veranlassung geben, auch sein Wirken angemessen zu würdigen. Wenn es heute starke Bestrebungen gibt, das Schweriner Schloss, an dessen historisierenden Um- bzw. Neubau auch Willebrand maßgeblichen Anteil hatte, in das Weltkulturerbe aufnehmen zu lassen, so darf wohl ebenso deutlich unterstrichen werden, dass er mit dem Rostocker Universitätsgebäude des Jahres 1870 ein Hauptwerk der mecklenburgischen Neorenaissance geschaffen hat, deren kunstgeschichtliche Bedeutung seit der jüngsten Vergangenheit in hellerem Lichte als früher erscheint.
Die Herausgeber haben sich das Ziel gesetzt die Bau- und Nutzungsgeschichte des Hauptgebäudes – soweit möglich – zu dokumentieren. Den Auftakt geben Nachfahren des Architekten des Hauptgebäudes der Universität Rostock Hermann Willebrand: Albrecht Willebrand mit der Darstellung von Leben und Werk, Bernd Schultze-Willebrand mit einem Dokumentarfilm über Hermann Willebrand, der diesem Band auf einer DVD beigelegt ist. Die bereits erwähnte Abhandlung über das Hauptgebäude von Peter Palme wird in diesem Band – leicht überarbeitet – wieder abgedruckt. Der Text ist auf neue Rechtschreibung umgestellt, die Abbildungen sind – soweit erreichbar – durch aktuelle Bilder ersetzt. Den Vorbildern der Neo-Renaissance des Hauptgebäudes im Johann-Albrecht-Stil geht Ernst Münch an Bauten des 16. Jahrhunderts nach: dem Schweriner Schloss und dem Wismarer Fürstenhof. Einem dritten Bauwerk, das als Vorbild diente – das Gadebuscher Schloss – widmet Frank Braun seine Untersuchung. Das politische Kräftespiel im Spannungsfeld zwischen der Ehre des Landesherrn und der Zierde für die Stadt während der Entstehung des Hauptgebäudes analysiert Ernst Münch. Die seit 1833 überlieferten Pläne für ein neues Hauptgebäude und die darin dokumentierten Raumprogramme sowie ihre Veränderungen bis 1989 untersucht Kersten Krüger. Zwei Studien von Emanuel Hollack stellen zum einen den Bau des Hauptgebäudes von 1867 bis 1870 dar, zum anderen die aktuelle von 2009 bis 2013 durchgeführte Sanierung.
Bei unterschiedlicher Überlieferungsdichte sind Quellen – Texte und vor allem Bilder – so reichlich vorhanden, dass den Aufsätzen im ersten Band ein Anhang im zweiten Band folgt. Im Textteil des Anhangs werden die Baubeschreibung Hermann Willebrands aus dem Jahr1866 und die Zeitzeugengespräche mit den die Sanierung 2009-2013 leitenden Bauingenieuren, Holger Kotermann vom Dezernat Technik, Bau und Liegenschaften der Universität Rostock, und Uwe Sander vom Betrieb für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern, veröffentlicht. Letztere sind von besonderem Wert, weil die Akten der Sanierung noch nicht zugänglich sind und es noch lange nicht sein werden.
Die Abbildungen stammen sowohl aus früherer Zeit wie aus der Gegenwart. Sie sind so zahlreich, dass es angemessen erschien sie in fünf getrennten Abteilungen zu präsentieren. Unter Hauptgebäude allgemein erscheinen die 21 wichtigsten alten und neuen Abbildungen sowohl der äußeren wie der inneren Gestalt. Den Fassaden mit ihren geradezu überbordenden Ausschmückungen ist eine eigene Abteilung gewidmet, die auch Entwürfe aus der Bauzeit enthält. Der zentrale Raum des Hauptgebäudes, die Aula, ist in ihrer schlossähnlichen Gestaltung in einer besonderen Abteilung dokumentiert. Die von 1833 bis 1962 überlieferten Pläne der Grundstücke und Gebäude – meistens mit Raumnutzungen versehen – befinden sich ebenfalls in einer eigenen Abteilung. Den Abschluss bilden die aktuellen Geschosspläne, verbunden mit einer Tabelle der gegenwärtig gültigen Raumnutzungen.
Der Film von Bernd Schultze-Willebrand über seinen Vorfahren ist auf einem Datenträger dem Band 2 beigefügt, dort befinden sich auch die Pläne 1833-2016. Ihr Druckbild auf Papier geriet notwendigerweise recht klein, so dass vergrößerte Betrachtung am Bildschirm ermöglicht wird.
Allen Beteiligten ist an dieser Stelle Dank abzustatten: den Nachfahren Hermann Willebrands; den Zeitzeugen des Betriebes für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern sowie des Dezernats Technik, Bau und Liegenschaften der Universität Rostock; den Archiven – Bundesarchiv in Berlin, Landeshauptarchiv in Schwerin, Universitätsarchiv in Rostock –; dem IT- und Medienzentrum der Universität und nicht zuletzt, sondern vor allem den Autoren, die mit ihren Beiträgen die vorliegende Dokumentation der Geschichte und Gegenwart des Universitätshauptgebäudes erarbeitet haben.
Das Hauptgebäude der Universität Rostock zählt zu den schönsten Gebäuden der Hansestadt Rostock. Es verdient Beachtung, Achtung und die...