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Das Haus der drei Sterne

Die Geschichte des jüdischen Friedhofs von Pfersee, Kriegshaber und Steppach bei Augsburg, in Österreich, Bayern und Deutschland

AutorYehuda Shenef
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783743145566
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der jüdische Friedhof an der heutigen Hooverstraße im Augsburger Norden hat eine sehr wechselvolle Geschichte, wie kaum ein anderer in Deutschland. Hier ruhen berühmte Gelehrte, Eisenbahnpioniere, Politiker und Bankiers, bis 1815 auch Hofagenten aus München, bis 1865 auch Augsburger. Gegründet wurde er zur Beginn des 30-jährigen Krieges in der damals österreichischen Markgrafschaft Burgau, von den Juden aus Pfersee, Kriegshaber und Steppach, just am selben Tag, als gleich daneben ein Feuerball in der Umgebung einschlug. Hundert Jahre später eskalierte der Bau eines Hauses am Friedhof beinahe zum Krieg zwischen Österreich und der benachbarten Reichstadt. Ein weiteres Jahrhundert später, übte das Militär des Königreichs Bayern neben dem Friedhof den Umgang mit Kanonenkugeln, wobei immer wieder Trauernde, Passanten und Gräber getroffen wurden. Die Nazis schändeten 1942 den Friedhof als Vergeltung für einen alliierten Bombenangriff auf die MAN-Werke am Vortag. Als nach den Zweiten Weltkrieg um den Friedhof herum eine Wohnsiedlung für US-Soldaten entstand, bildete der Friedhof eine exterritoriale Enklave, für deren Erhalt sich General Eisenhower einsetzte, der bald darauf Präsident der USA wurde. Nun steht dem lange vernachlässigten Friedhof eine russische Zukunft, als letzte Ruhestätte aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderter Juden, bevor. Die um hundert Seiten erweiterte Neuauflage des Buches bietet eine Auswahl an Grabsteinen und Inschriften nebst dem (fast) vollständig rekonstruierten Grabregister. Mit Vorworten von Dr. Arthur Obermayer, Boston (Obermayer Foundation) und Botschafter Peter R. Rosenblatt, Washington DC.

Yehuda Shenef, Journalist, Autor, Linguist und Historiker

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Leseprobe

Vorbemerkungen


Obwohl heute zwar allgemein vom „Jüdischen Friedhof Kriegshaber“ gesprochen wird, wurde er zu Beginn des 30jährigen Krieges von den Juden aus Pfersee gegründet, auf einem Gelände, das zu keinem Ort gehörte, sich aber zu Österreich gehörte. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege wurde die Umgebung bayerisch und nach dem 1870er Krieg schließlich auch deutsch. Nach der Niederlage der Nazis entstanden um den Friedhof herum Wohnungen für US-amerikanische Soldaten, die erst 1998 aufgegeben wurden und in den letzten Jahren für eine private Nutzung konvertiert wurden. Schon anhand der kurzen Skizze kann man ersehen, dass der Friedhof immer schon in sehr wechselhafte äußere Rahmenbedingungen eingebettet war. Das führte immer wieder zu Verwechslungen und Verwirrungen und ganz sicher kann man sagen, dass jedes erklärende Detail letztlich viele weitere Fragen aufwirft. Die Geschichte des Friedhofs an der Hooverstraße1 und seines Umfeld objektiv und linear zu beschreiben ist wegen der Vielfalt an Regimen, Orten, Interessen und Protagonisten nicht oder nur auf sehr oberflächliche Weise möglich. Die vielfach ineinander verschachtelten Zusammenhänge können aber in einigen wenigen Hauptsträngen auf- und entschlüsselt werden, auch wenn man invol-vierten Personen und Ereignissen, auf diese Weise nicht gerecht werden kann (doch kann man ihnen Biographien widmen).

Es mag zunächst etwas überraschen, aber trotz einiger weniger Ansätze, gibt es bis heute keine aktuelle Geschichte Kriegshabers.2 Wer aber nach Literatur zu Kriegshaber sucht, stößt früher oder später auf den Heimatforscher Louis Dürrwanger (1878-1959), der sich auch mit der Geschichte Kriegshabers und der seiner Juden befasste und dazu eine Dissertation anstrebte. Die Qualität seiner Arbeit entsprach aber nicht ganz den (zugegeben etwas schwankenden) Ansprüchen seiner Zeitgenossen, weshalb sein Werk, von ein paar Zeitungsartikeln abgesehen, in Entwürfen stecken, bzw. unveröffentlicht blieb.3

Worin auch immer die Ursachen dafür liegen mögen,4 einen Mangel an Quellen gibt es nicht. Sie sind in geradezu enzyklopädischem Umfang vorhanden, doch wurden sie bislang nur sporadisch beachtet und noch seltener einbezogen. Eines der Probleme scheint darin zu bestehen, dass die Mehrzahl der noch erhaltenen Inschriften des Friedhofs in hebräischer Sprache verfasst wurde. Glücklicherweise sind auch eine Reihe handschriftlicher Aufzeichnungen erhalten, die den Wortlaut und Hintergründe inzwischen zerstörter Inschriften wie-dergeben und erläutern. Auch sie sind überwiegend Hebräisch und umfassen je nach dem fünfzig Seiten oder eben 300. Sie befinden sich in staatlichen und privaten Archiven in Jerusalem und sind nur in kleinen Auszügen mal studiert aber nie abgetippt worden. Aber stellen Sie sich den Aufwand vor, den es bedeutet, mehrere hundert Seiten an hebräischer Handschrift zu dechiffrieren, die einige Jahrzehnte vor der Gründung des modernen Staates Israels verfasst wurden, und deshalb in vielen Fällen nicht ahnen konnten, was israelische Bildungspolitiker sich nach und nach an „verbindlichen“ Rechtschreibregeln würden einfallen lassen. Die Ergebnisse jedenfalls müssen abgeglichen werden mit „amtlichen“ Einträgen, die in alten Kanzleischriften und den vielen Vorläufern der Sütterlin-Schrift5 meist beiläufig notiert wurden und in aller Regel „deutsche“ statt „hebräische“ Namen und „christliche“ statt „jüdischer“ Datierungen verwendeten. Im Idealfall könnten aber auch Reste noch nicht vollständig zerbröckelter Grabsteininschriften oder Fragmente, bzw. alte Photographien hilfreich sein. Umso überraschender, dass diese Primärquellen wissenschaftlich noch nicht aufbereitet sind, obwohl oder vielleicht aber auch weil schon für weit anspruchslosere Einzelarbeiten Doktortitel vergeben wurden.

Zu den überlieferten Quellen zählt aber auch ein großformatiges, etwa plakatgroße 700 Druckseiten umfassendes Werk aus dem 18. Jahrhundert, das auch gebildete Zeitgenossen schon nicht lesen konnten (oder wollten), aber eine enorme Fülle an Informationen enthält. Vor etwa hundert Jahren hat ein geneigter Wissenschaftler ein paar Seiten (offensichtlich nur) durchblättert und eine Zusammenfassung darüber verfasst.6 Diese wiederum wird seitdem in neueren Bezugnahmen zum Friedhof, fast als eine Art „Primärquelle“ zitiert, mal ausführlich, mal weniger. Der Aufwand, sich mit den verfügbaren Quellen zu befassen, ist sehr hoch, keine Frage. Schon für eine Umschrift hätte man einige tausend Seiten zu abzutippen, lateinische und hebräische Passagen bedürften wohl einer Übersetzung, die meisten genannten Personen und Zusammenhänge nach drei-, oder einhundert Jahren bräuchten, falls ermittelbar, Erläuterungen und sehr viel Recherche.

Aus all dem dürfte klar sein, dass es sich bei dem vorliegenden Buch um keine akademische Arbeit handeln kann und dass sie auch keine entsprechenden Ansprüche erheben will. Es fehlte auch an Equipment, logistischer oder substantieller Unterstützung, von Mitarbeitern ganz zu schweigen. Darüber muss aber niemand traurig sein, da sich ja auch so ein paar hundert Fußnoten am Ende des Buches angesammelt haben und alle ermittelbaren Quellen genannt werden. Was nun aber möglich sein soll und der Verfasser, hofft, dass es ihm gelungen ist, wäre sozusagen Appetit zu wecken und möglichst viele Interessierte hervorzurufen, am besten intelligente und gut organisierte Leute, die sich eventuell auf den Weg machen, noch Fehlendes zu ergänzen und Falsches zu korrigieren.

Soweit eine theoretische Einführung, jedoch gibt es den Friedhof noch auf einer anderen Ebene – als reales Objekt nämlich.

* * *

Deshalb also nochmal anders:

Als der Friedhof in den frühen Jahren des 30jährigen Krieges von den Mitgliedern der Pferseer Familie Ulmo angelegt wurde (wozu es des Kaufs eines Grundstücks beim vorderösterreichischen Vogt bedurfte), befand sich dieser inmitten der sog. „Unebene“, einem in früherer Zeit dicht bewaldeten Gebiet, das um 1590 fast komplett abgeholzt und hernach, d.h. bis in die späten 1940er Jahre als Heuwiesen (sog. Rindermahd) genutzt wurde. Die Unebene, wie man sich denken kann, wurde so genannt, weil sie insgesamt eher etwas hügelig war und nach dem Kahlschlag zunächst niemandem etwas Gescheiteres einfiel, was man damit anfangen könnte. Das Gebiet lag zwischen den Dörfern Kriegshaber, Pfersee und Bergen (heute: Stadtbergen) und gehörte (größtenteils, nicht vollständig) territorial zu Österreich, bzw. ihrer Markgrafschaft Burgau, weshalb es immer „Diskussionsbedarf“ gab, sobald sich irgendjemand bewegte oder eine Idee in den Sinn kam. Zur Zeit der napoleonischen Kriege wurde Augsburg, bis dato Reichsstadt, mitsamt seiner westlichen schwäbisch-österreichischen Nachbarschaft von Napoleon den Bayern geschenkt, die zudem auch noch Franken erhielten und sich groß genug wähnten, um ein Königreich zu gründen.

Von Kriegshaber aus wurde ein fester Weg zum jüdischen Friedhof angelegt, den die christlichen Dörfler nun „Judenweg“ nannten. Als kaum ein halbes Jahrhundert später Bayern dem Deutschen Reich beitrat, hieß der Weg von Kriegshaber dann offiziell „Israelitische Friedhofsstraße“, und als Kriegshaber sich 1916 Augsburg anschloss (Pfersee tat dies 1911), wurden eine ganze Reihe von Straßennamen im Ort verändert. Die alte Hauptstraße, an deren Beginn sich die Synagoge befand, hieß nun offiziell Ulmer Straße und die Straße nach Süden zum Friedhof erhielt den Namen Hummelstraße.7 Um 1951 entstand um den Friedhof die amerikanische Siedlung „Cramerton“ mit ihren noch erhaltenen kartonartigen Gebäuden, und unmittelbar an die West- und Ostmauern des Friedhofs angrenzenden Baseball- und Kinderspielplätzen. Der jüdische Friedhof, für dessen Erhalt sich der damalige Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte und spätere US-Präsident Dwight Eisenhower (1890-1969) persönlich vor Ort ausgesprochen hatte,8 wurde nun aber eine Enklave innerhalb amerikanischen Hoheitsgebietes9 mit der Adresse Hooverstraße10, in welches sich nur wenige Deutsche trauten. In den Jahren nach dem Abzug der US-Streitkräfte aus im Juni 199811 wurden die ehemaligen Kasernen für die Augsburger Wohnbevölkerung erschlossen. Strittig mag nun allenfalls noch sein, ob der jüdische Friedhof nun tatsächlich zu Kriegshaber zu rechnen ist, wie das meistens geschieht, oder aber zu Pfersee.12 In der direkten Nachbarschaft entwickelte sich ein ziviles Wohnviertel, dem freilich Geschäfte fehlen. Die Anwohner sehen den Friedhof angesichts der ansonsten eher trostlos wirkenden Umgebung verständlicherweise als ihre „grüne Lunge“ an, ohne zu bemerken, dass die Mehrzahl der größeren Bäume marode ist und vom Efeu...

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