KAPITEL 1
SCHEITERN HAT KEINE VORHERSAGEKRAFT
Die Geschichte v0n Bob Gibson
Am 15. April 1959 spielte Bob Gibson sein erstes Baseballspiel in der Major League. Er kam als Auswechselspieler für den Pitcher der Cardinals, als sie 3:0 gegen die Dodgers zurücklagen. Beim ersten Batter, dem er gegenüberstand, ließ er einen Homerun zu – eine Schmach, die in der Baseballgeschichte bisher erst 65 Pitcher erlitten haben.1 Im nächsten Inning ließ Gibson einen weiteren Homerun zu. Am nächsten Abend bekam er die Chance, sich zu rehabilitieren, denn er wurde wieder eingewechselt, aber wieder versetzten ihm die Dodgers einen schweren Schlag. Zwei Abende danach wurde Gibson gegen die Giants eingewechselt, bei zwei Outs und zwei Runnern im achten Inning, und prompt ließ er einen Double zu. Nach diesem Spiel saß Gibson eine Woche lang auf der Ersatzbank und wurde dann in die zweite Mannschaft zurückgeschickt. Einen entmutigerenden Anfang kann man sich kaum vorstellen.
Doch trotz seines miserablen Einstands wurde Gibson später einer der besten Pitcher der Baseballgeschichte. Er gilt als einer der 20 besten Pitcher aller Zeiten. Er spielte 17 Saisons in der Major League, gewann 251 Spiele mit 3.117 Strikeouts und einem ERA (Earned Run Average) von 2,91. Im Jahr 1968 schaffte er einen unglaublich niedrigen ERA von 1,12 – den niedrigsten seit 1914. Er gewann zweimal den Cy Young Award, wurde zweimal zum MVP (Most Valuable Player) der World Series gekürt, spielte in neun All-Star-Teams und wurde im ersten Jahr, in dem er dafür zugelassen war, in die Baseball Hall of Fame gewählt.
Wenn man beim ersten Mal scheitert
Es gehörte zu meinen Überraschungen beim Schreiben der „Magier der Märkte“-Bücher, wie viele dieser spektakulär erfolgreichen Trader am Anfang gescheitert sind. Geschichten vom Ruin oder gar vom mehrmaligen Ruin waren keine Seltenheit. Ein klassisches Beispiel dafür ist Michael Marcus.
Michael Marcus ließ sich im vorletzten Jahr seines Collegestudiums vom Futures-Handel verführen. Er lernte auf dem College John kennen – den Freund eines Freundes, der mit der Aussicht lockte, sein Geld im Rohstoffhandel innerhalb von zwei Wochen zu verdoppeln. Marcus fiel auf das Angebot herein, engagierte John für 30 Dollar die Woche als Anlageberater und eröffnete mit dem Geld, das er mühsam zusammengespart hatte, ein Futures-Depot.
Als Marcus auf dem Besucherbalkon der Brokerfirma stand und die klickenden Preise an der Rohstoff-Tafel sah (wir schrieben noch die 1960er-Jahre), wurde ihm schnell klar, dass sein „Berater“ keine Ahnung vom Traden hatte. Marcus machte mit jedem Trade Verlust. Dann kam John auf die Idee, den Tag zu retten, indem er den Verlust auf einen Schlag wieder hereinholen würde. Er kaufte im August fällige Schweinebäuche und verkaufte im Februar fällige Schweinebäuche, weil der Preis-Spread zwischen den beiden Kontrakten größer war als die Finanzierungskosten (die gesamten Kosten für die Annahme des nächstfälligen Kontrakts, die Lagerung des Rohstoffs und erneute Andienung in Form eines Forward-Kontrakts). Das sah nach einem Trade aus, der einfach keinen Verlust bringen konnte. Nachdem sie den Trade platziert hatten, gingen Marcus und John essen. Als sie zurückkamen, war Marcus schockiert, dass sein Depot fast vollständig ruiniert war. (Später stellte Marcus fest, dass im August fällige Schweinebäuche gar nicht gegen den Februar-Kontrakt lieferbar waren.) Da warf Marcus John vor, dieser wisse seiner Meinung nach genauso viel wie er selbst – nämlich gar nichts –, und feuerte seinen Berater.
Marcus schaffte es, weitere 500 Dollar zusammenzukratzen, die er ebenfalls verlor. Da er nicht bereit war, aufzugeben und sich sein Scheitern einzugestehen, beschloss er, sich die 3.000 Dollar aus der Lebensversicherung auszahlen zu lassen, die ihm sein Vater hinterlassen hatte. Er war gestorben, als Marcus 15 war. Durch Lesen informierte er sich über den Getreidehandel und erzielte mit einigen Trades Gewinn. Im Jahr 1970 kaufte er auf die Empfehlung eines Newsletters hin, den er abonniert hatte, Mais. Durch schieres Glück wurde 1970 die Maisernte durch Mehltau beeinträchtigt. Am Ende des Sommers hatte Marcus die 3.000 Dollar in 30.000 verwandelt.
Im Herbst nahm Marcus sein Universitätsstudium auf, war aber so sehr mit Traden beschäftigt, dass er es gleich wieder abbrach. Er zog nach New York und wenn er gefragt wurde, wovon er lebe, sagte er recht prahlerisch, er sei „Spekulant“.
Im Herbst 1971 kursierte die Theorie, der Mehltau habe den Winter überstanden und werde die Maisernte erneut schädigen. Marcus glaubte diese Geschichte und wollte daraus Kapital schlagen. Er lieh sich von seiner Mutter 20.000 Dollar und legte sie auf seine 30.000 drauf. Dann kaufte er von den gesamten 50.000 Dollar so viele Mais- und Weizenkontrakte, wie er auf Margin bekommen konnte. Eine Weile hielt sich der Markt aufgrund der Mehltau-Befürchtungen stabil, aber er stieg nicht. Dann erschien eines Morgens im Finanzteil folgende Schlagzeile: „Mehr Mehltau im Chicago Board of Trade als auf den Maisfeldern im Mittelwesten“. Der Maismarkt eröffnete deutlich tiefer, fiel recht schnell und schloss limit down.2 Marcus war wie gelähmt. Er hoffte, der Markt würde wieder zurückkommen, und sah zu, wie er unter dem Limit blieb. Da er seine Position auf Margin gekauft hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als am nächsten Morgen alle Positionen zu liquidieren. Bis er den Ausstieg geschafft hatte, hatte er die gesamten 30.000 Dollar und dazu noch 12.000 von den 20.000 Dollar verloren, die ihm seine Mutter geliehen hatte.
Ich blickte auf und fragte: „Bin ich denn wirklich so dumm?“ Und mir kam es vor, als hörte ich eine deutlich vernehmbare Antwort: „Nein, du bist nicht dumm. Du musst bloß dranbleiben.“ Und das tat ich dann auch.
– Michael Marcus
Ich fragte Marcus, ob er angesichts all dieser Fehlschläge jemals daran gedacht habe, einfach aufzugeben. Er antwortete: „Manchmal dachte ich, ich sollte einfach mit dem Trading aufhören, weil es so schmerzhaft war, immer wieder zu verlieren. In ‚Anatevka‘ gibt es eine Szene, wo die Hauptfigur aufblickt und mit Gott spricht. Ich schaute auf und fragte: ‚Bin ich denn wirklich so dumm?‘ Und mir kam es vor, als hörte ich eine deutlich vernehmbare Antwort: ‚Nein, du bist nicht dumm. Du musst bloß dranbleiben.‘ Und das tat ich dann auch.“
Das tat er wirklich. Irgendwann machte es klick und alles lief glatt. Er besaß eine angeborene Begabung als Trader. Sobald er diese Fähigkeit mit Erfahrung und Risikomanagement kombinierte, war er erstaunlich erfolgreich. Er nahm eine Stelle als Trader bei der Commodities Corporation an. Zunächst finanzierte die Firma sein Konto mit 30.000 Dollar und stockte es ein paar Jahre später auf 100.000 Dollar auf. Innerhalb von rund zehn Jahren machte Marcus aus diesen bescheidenen Zuteilungen 80 Millionen Dollar! Und das, obwohl die Firma in manchen Jahren bis zu 30 Prozent von seinem Gewinn abzog, um ihre wachsenden Kosten zu bestreiten.
„One-Lot“ setzt sich durch
Zwar fingen viele Magier der Märkte mit einem gewissen Maß an Fehlschlägen an, aber wohl niemand erreichte den gleichen Grad der Niedergeschlagenheit wegen Verlusten wie Tony Saliba. Am Anfang seiner Laufbahn war er Büroangestellter auf dem Parkett und ein Trader gab ihm 50.000 Dollar Startkapital. Saliba ging long auf Volatilitäts-Spreads (Optionspositionen, die Gewinn bringen, wenn die Volatilität des Marktes zunimmt). In den ersten zwei Wochen wuchs sein Konto auf 75.000 Dollar an. Saliba hielt sich für ein Genie. Ihm war allerdings nicht klar, dass er für die Optionen sehr hohe Prämien bezahlte, weil er sie kurz nach einer sehr volatilen Phase kaufte. Dann lief der Markt seitwärts – sowohl die Volatilität als auch die Optionsprämien brachen ein. Innerhalb von sechs Wochen hatte Saliba das Depot auf 15.000 Dollar heruntergewirtschaftet.
Als er diese Episode erzählte, sagte er: „Ich hatte Selbstmordgedanken. Erinnern Sie sich an den Absturz der DC-10 auf dem O’Hare-Flughafen im Mai 1979, bei dem viele Menschen starben? Da kam ich am Tiefpunkt an.“
„War das eine Metapher für Ihre Stimmung?“, fragte ich.
„Ja“, sagte Saliba. „An jenem Tag hätte ich gern mit einem der Passagiere getauscht. Mir ging es schlecht. Ich dachte: ‚Das war’s, ich habe mein Leben ruiniert.‘ Ich kam mir vor wie ein Versager.“
Aber trotz dieses schlechten Starts besaß Saliba etwas, das für ihn sprach: Beharrlichkeit. Nach dem katastrophalen Anfang war er nahe dran, die Welt des Tradings zu verlassen, aber irgendwann beschloss er, es trotzdem weiterhin zu versuchen. Er holte sich Rat bei erfahreneren Brokern. Sie brachten Saliba bei, wie wichtig Disziplin ist, dass man seine Hausaufgaben macht und dass man sich eine ständige, mäßige Rentabilität zum Ziel setzt, anstatt zu versuchen, schnell reich zu werden. Saliba nahm sich diese Lektionen zu Herzen und stieg von Optionen auf die...