4 Was solche Journalisten können sollten
Und wie kommt man zu besseren Journalisten? Kann man denn Menschen klüger machen, als sie sind? Und wenn nicht: Inwieweit lässt sich Journalismus lernen? Ist es nicht vielmehr ein reiner Begabungsberuf, wie viele Leute, ja gerade viele Journalisten behaupten?
Zunächst, vor aller Begabung: Es gibt einige Grundeigenschaften, die einer mitbringen sollte, der Journalist werden will – vor allem gute Nerven, Arbeitsdisziplin und ein Quantum Selbstvertrauen. Der Zeitdruck ist groß und allgegenwärtig, selbst in Monatszeitschriften, wenn der Redaktionsschluss naht; und in der Tageszeitung sind die letzten Minuten vor dem Abschluss oft die reine Nervenmühle.
Arbeitsdisziplin bedeutet: Wenn der Auftrag lautet, bis 18 Uhr 60 Zeilen geschrieben zu haben, so hat er ausgeführt zu werden, auch bei Kopfschmerzen, privatem Ärger oder dem Gefühl «Heute ist einfach nicht mein Tag».
Selbstvertrauen ist nötig: im Außendienst, weil der Journalist bereit sein muss, fremde Menschen zum Reden zu bringen und Politikern peinliche Fragen zu stellen; am Schreibtisch, weil der Redakteur fortlaufend Entscheidungen zu treffen hat, obwohl ihm oft nur unzulängliche Informationen vorliegen oder sein Hintergrundwissen dafür nicht ausreicht oder Platznot ihn zwingt, heute auch Minderwertiges zu drucken, morgen auch Wichtiges wegzulassen.
Die Langsamen, die Mimosen und die Schüchternen also sollten den Beruf wohl nicht ergreifen. Nun zu dem, was man im engeren Sinn als «Begabung» bezeichnet.
Natürlich: Ohne Begabung ist alles nichts. Aber ohne Lernen ist auch nichts. Selbstverständlich hätte Goethe nicht auf Anhieb eine gute Schlagzeile formulieren können, und auch Mozart war gut bedient damit, dass er einen Vater hatte, der ihm das Klavierspielen beibrachte. Noch besser bedient war Paganini: Der erwies sich nämlich als zu faul, um auf der Geige zu üben, und sein Vater zwang ihn dazu mit Schlägen und mit Essensentzug.
Woraus man sieht: Auch ein Genie muss noch lernen – und auch Nichtgenies können sehr viel lernen. Diese Einsicht ist die Basis einer seriösen Journalistenausbildung. Sie geht davon aus, dass guter Journalismus sich aus vier verschiedenen Quellen speist: der Begabung, dem Charakter, dem Wissen und dem Handwerk.
Begabung: Das ist ein Quantum Intelligenz, ein Quantum Sprachtalent und ein hurtig arbeitender Verstand. Diese Eigenschaften sind überwiegend angeboren, jedenfalls einem Erwachsenen nicht mehr zu vermitteln.
Charakter: Da braucht der Journalist vor allem fünf Eigenschaften, die teils angeboren sein, teils sich in der Kindheit entwickelt haben mögen:
Neugier lautet meist die erste Antwort von Chefredakteuren auf die Frage «Was braucht ein Journalist?» Werner Holzer, langjähriger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, forderte «angeborene und durchtrainierte Neugier auf alles, was geschieht».
Aber auch Streitlust braucht der Journalist, Harmonie darf nicht sein oberstes Bedürfnis sein; lieber soll er Zwietracht säen, als versöhnliches Geschwätz zu produzieren.
Und Rückgrat soll er haben. Für Verleger und Intendanten ist das sicher manchmal unbequem, aber für Leser und Hörer ist es großartig, wenn der Journalist den vielfältigen Versuchungen und Pressionen widersteht, die auf ihn eindringen; wenn er bereit ist, sich Feinde zu machen und auch zu seinen Freunden kritische Distanz zu wahren, sobald er über sie schreibt.
Misstrauen ist eine zu selten geübte Königstugend. Der bereits angesprochene Rinderwahnsinn (BSE) von 2001 wie auch die Schweinegrippe von 2010 waren Seuchen, die nicht durch Viren und Bazillen, sondern durch Journalisten verbreitet wurden. An BSE starb in Deutschland nicht ein Mensch, aber Millionen lebten in Angst, ja im Januar 2001 galt den Deutschen der Rinderwahnsinn als ihre größte Sorge, vor der Arbeitslosigkeit.
An der Schweinegrippe starben weit weniger Deutsche als an der einheimischen Wintergrippe, und frühzeitig tauchten Indizien auf, dass die Pharma-Industrie hier eine Hysterie anheizte, um sich Milliarden in die Taschen zu schaufeln. Niemals gab es einen seriösen Grund, eine der beiden Nachrichten aufzumachen; ins Vermischte hätten sie gehört. In Kapitel 28 («Die meisten Journalisten sind unkritisch») wird das Thema noch einmal aufgegriffen.
Schließlich sollte der Journalist frei von Hochmut sein. Es gibt ungeheuer hochmütige Redaktionen, machen wir uns da nichts vor. Redakteure gibt es, die es nur schwer ertragen können, dass sie nicht im Nebenberuf auch noch Bundeskanzler sind; Redakteure, die in den Spiegel schauen und zu sich selber sagen wie Nestroys Holofernes: «Ich möcht’ mich einmal mit mir selbst zusammensetzen, nur um zu sehen, wer der Stärkere ist – ich oder ich.»
Das also waren erwünschte Talente und Charaktereigenschaften. Ehe der Journalist sein eigentliches Handwerk erlernt, sollte er aber schon zweierlei erworben haben: Fachkenntnisse und Weltkenntnis.
Fachkenntnisse werden nach einem verbreiteten Vorurteil an den Universitäten erworben. Gegen diese Ansicht vieler Chefredakteure haben wir drei Einwände.
Erster Einwand: Längst ist unser Erziehungssystem imstande, den ungebildeten Akademiker zu produzieren. Unter den Kandidaten in der Endauswahl zur Hamburger Journalistenschule haben im Durchschnitt drei Viertel einen akademischen Grad; aber auf die Wissensfrage «Welcher der drei Kriege, die Bismarck führte, war der wichtigste, und wann fand er statt?» gab es kaum zehn Prozent richtige Antworten (der gegen Frankreich 1870/71) – oft aber Kritik: So was brauche man nicht mehr zu wissen, dafür sei der Computer da.
Was ein mehrstufiger Unsinn ist. Denn: 1. Im Live-Interview kann man den Computer nicht befragen. 2. Wer auch die wichtigsten Daten und Zusammenhänge nicht im Kopf hat, muss für jeden Text dutzendfach ins Internet und versaut seine Termine. 3. Wenn es ihm an einem Mindestvorrat an Daten und einem universalen Hintergrundwissen fehlt, wird er die Fallstricke seiner Vorlage nicht erkennen und dutzendfach Unsinn in die Zeitung lassen. War es nicht genug, dass der Feuilletonchef der Zeit über Goethes gespanntes Verhältnis zum Frankfurter Güterbahnhof berichtete?
Wissenslücken also können Akademiker haben, dass es einer Sau graust. Dazu kommt ein zweiter Einwand gegen eine kritiklose Hochschätzung des Studiums: Seine meisten Befürworter sagen, es sei ganz egal, ob einer Germanistik, Astrophysik oder Zahnmedizin studiert habe; Hauptsache, er habe gelernt, gründlich zu recherchieren, wissenschaftlich zu arbeiten, Zusammenhänge herzustellen und darzustellen.
Ob er das wirklich gelernt hat, da haben wir unsere Zweifel. Aber selbst wenn er es gelernt haben sollte – spricht denn irgendetwas dagegen, dass er das wissenschaftliche Arbeiten an einem Thema übt, das journalistisch auch noch von Nutzen ist?
Natürlich, kein Studium ist gänzlich überflüssig, irgendein Vorteil springt immer heraus. Aber wenn jemand Germanistik studiert, dann kann er in derselben Zeit leider nicht Romanistik, Slawistik oder Sinologie studieren – und hätte nicht jede Redaktion viel mehr davon, dass ein Redakteur Polnisch, Chinesisch oder Portugiesisch spricht, als dass er sich mit Walther von der Vogelweide mittelhochdeutsch unterhalten könnte?
Irgendetwas studiert haben, Hauptsache «studiert» haben: Ist das wirklich eine wohlabgewogene Forderung – oder hat es am Ende eine psychologische Verwandtschaft mit jenen Heiratsanzeigen, in denen Akademikerwitwen herrisch fordern, auch ihr Künftiger müsse ein Akademiker sein?
Jura und Volkswirtschaft – das sind gute Studien für Journalisten, weil die wirtschaftlichen und juristischen Probleme allgegenwärtig sind. Naturwissenschaften sind hochwillkommen: Man denke an einen Physiker, der über Atomkraftwerke nicht nur mit Emotionen schreiben kann, sondern auch mit Sachkenntnis!
So lautet unser Rat an junge Leute, die Journalisten werden sollen: «Da die meisten Chefredakteure Akademiker bevorzugen, müsst ihr wohl studieren. Aber dann studiert erstens zügig und zweitens etwas Handfestes, worüber Bescheid zu wissen dem Journalisten und seinen Lesern nützt – also nicht Germanistik, Literaturwissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Soziologie!»
Jenen Chefredakteuren, die auf einem akademischen Abschluss bestehen, möchten wir drittens zu bedenken geben: Wenn einer, statt vier bis sieben Jahre in Göttingen oder Tübingen zu studieren, vier bis sieben Jahre Entwicklungshelfer gewesen wäre – wäre der euch wirklich weniger wert? Der wüsste doch, wie es auf der Welt zugeht, und ist nicht ebendies eine journalistische Kardinaltugend? Wie viel Weltkenntnis erwerbe ich durch meinen innigen Umgang mit Wolfram von Eschenbach, verglichen mit sieben Jahren unter den Hungerleidern dieser Erde?
Weltkenntnis – das ist ein zentrales Stichwort. Denn es wimmelt von Journalisten, die nicht wissen, wie es auf unserer Erde aussieht. Und es wimmelt von Journalisten, die ihre privaten Aha-Erlebnisse mit einer Zäsur der Weltgeschichte verwechseln und sie mit diesem Anspruch als Leitartikel unter die Leute bringen.
Da gab es den Chefredakteur einer großen Zeitschrift, den mit plötzlicher Erschütterung die Einsicht traf, dass in Berlin «die große Verlogenheit» ausgebrochen sei. Verlogenheit ist aber nichts,...