1. Rapport – Die Resonanz in der Klasse
1.1 Vom Unterschied, der den Unterschied macht
Beispiel
Die 9 b gilt als schwierige Klasse. Die Schüler sind oft laut, unkonzentriert und unhöflich. Frau Seiler hat es besonders schwer. Sie geht nur mit großen Vorbehalten in den Unterricht und ist froh, wenn sie die Stunde einigermaßen gut überstanden hat. Wenn es mal wieder besonders unruhig ist, lässt sie einen Test schreiben – um die Schüler unter Kontrolle zu halten, und damit sie die Konsequenzen ihres Verhaltens spüren. Sie hat keine andere Wahl. Meint jedenfalls Frau Seiler.
Herr Kruse empfindet die 9 b ebenfalls als schwierig, betrachtet die Jugendlichen aber eher als Herausforderung. Sie fordern sein ganzes pädagogisches Können. Deshalb stellt er in den ersten zehn Minuten jeder Unterrichtsstunde in der 9 b die Weichen für einen erfolgreichen Unterricht. Meist mit Erfolg.
Frau Konrad versteht ihre Kollegin, Frau Seiler, sehr gut. Sie hat ebenfalls ihre liebe Not mit der 9 b. Im Gegensatz zu Frau Seiler versucht Frau Konrad es aber mit Freundlichkeit und meidet jede Auseinandersetzung. Sie gibt sich einfach nett. Doch damit hat sie auch keinen Erfolg. Bei ihr bestimmen oft die Schülerinnen den Ablauf und das Tempo der Stunde. Die Folge: Zum Schuljahresende gerät Frau Konrad mit dem Stoff in Verzug, sie und die Klasse geraten unter Druck.
Als wir die Schüler der 9 b befragen, erhalten wir erhellende Antworten. „Frau Seiler kann uns nicht leiden“, sagt die 13-jährige Bea. „Sie kommt herein und zieht ein schlecht gelauntes Gesicht. Ich habe sie noch nie lächeln sehen. Meist ist sie mit ihren Unterlagen beschäftigt. In ihrem Fach ist sie sicher gut, aber wir Schüler sind ihr egal.“
„Herr Kruse ist anders“, fährt der 14-jährige Marcus fort. „Der weiß, wie er mit uns umgehen muss. Bevor er mit dem Unterricht anfängt, schaut er uns in die Augen. Dabei lächelt er und zwinkert einem zu. Wir spüren, dass er uns mag, und wir mögen ihn auch sehr.“
Über Frau Konrad sagt Johanna (13): „Die hat Angst vor uns, das spürt man ganz genau. Ihre Freundlichkeit bedeutet nicht, dass sie uns mag – sie will einfach keinen Stress. Sie denkt, dann sind wir auch freundlich zu ihr. Aber immer nur freundlich – das ist einfach nicht echt. Deshalb mögen wir Frau Konrad nicht.“
Was ist der Unterschied, der den Unterschied macht zwischen Frau Seiler, Herrn Kruse und Frau Konrad? Es ist die Art und Weise, wie die drei Lehrer ihre jeweilige Beziehung zu ihren Schülern gestalten. Die Resonanz zwischen Menschen ist das A und O für gelingende Kommunikation. Sie mögen methodisch und didaktisch gut sein, Ihr Fachwissen mag dem neuesten Stand entsprechen – wenn Sie Ihre Schüler nicht erreichen, wird Ihnen das nichts nützen. Wir schlagen vor, zuerst die Führung des Kommunikationsprozesses und damit die Beziehungsgestaltung im Klassenzimmer in den Fokus zu nehmen – davon hängt alles Weitere ab: Ob Schüler freundlich-zugewandt sind oder patzig und aufsässig, ob sie interessiert Ihren Worten und Demonstrationen folgen oder ob sie ablehnend, unkonzentriert, desinteressiert agieren und stören. Schulische Rahmenbedingungen, Schulpolitik, pädagogische Methoden – das alles sind Aspekte, die vielen Diskussionen und Reformen unterliegen. Das aktive Beziehungsmanagement in der Schule ist dagegen selten Gegenstand der pädagogischen Diskussion. Beziehung, so die gängige Vorstellung, ergebe sich einfach so. Das ist ein Irrtum.
Eine gute, tragfähige Beziehung wird im NLP als „Rapport“ bezeichnet. Bei Menschen, die einander lieben, gern haben oder wertschätzen, entsteht dieser Zustand von selbst. An ihnen können Sie besonders gut beobachten, wie es aussieht, wenn Menschen miteinander in Rapport sind. Was sehen Sie zum Beispiel, wenn Sie ein verliebtes Paar in einem Restaurant beobachten? Die beiden sitzen, aus der Ferne betrachtet, in etwa der gleichen Körperhaltung. Sie könnten in Ihrer Fantasie um das Paar einen Rahmen visualisieren – und sie hätten aus zwei unterschiedlichen Wesen eine neue, perfekte Einheit gebildet, beweglich und doch stabil, fast rund. Wenn Sie näher herangehen, würden Sie wahrscheinlich wahrnehmen, dass die beiden Liebenden ähnliche Worte benutzen, im gleichen Tempo und in gleicher Tonhöhe sprechen, eventuell sogar in gleichem Tempo atmen. Wenn sie ein Thema kontrovers diskutieren, so sind sie in erster Linie daran interessiert, die Auffassung des anderen zu verstehen.
Vergleichen Sie das, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, mit einem streitenden Paar. Zeichnen Sie den gedachten Rahmen auch um dieses Paar. Was kommt dabei heraus?
Ihr Rapport-Projekt auf dem Schulhof
Oder führen Sie eine kleine Rapport-Forschung auf dem Schulhof durch. Nutzen Sie die Hofpause dafür, herauszufinden, welche Schüler auf welche Art miteinander in Rapport sind und wie Sie das erkennen können. Halten Sie Abstand – Sie brauchen für diesen Versuch nichts über die Inhalte der Gespräche zu wissen. Alles, was Sie brauchen, zeigen die Schüler Ihnen: Stehen Sie zugewandt da oder wenden Sie sich voneinander ab? Sind die Körperhaltungen identisch oder wenigstens ähnlich? Wird gelacht? Wie hören sich Tonlage (Höhe, Tiefe, Tempo) und Lautstärke an? Sehen die Schüler insgesamt aus wie ein Team oder eine verschworene Gruppe? Oder wie Konkurrenten, die einander, wenn sie könnten, am liebsten austricksen wollen?
Im Alltag finden Sie viele weitere Gelegenheiten, die Anzeichen für resonante oder dissonante Beziehungen zu beobachten und damit ihre eigenen Kriterien zu entwickeln. Beobachten Sie Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Talkshows, im Lehrerzimmer oder in Vorträgen. Achten Sie dabei weniger auf den Inhalt dessen, was gesagt wird, sondern auf Körperhaltung, Gesten, Mimik oder zustimmendes Nicken. So erwerben Sie rasch die Beobachtungskriterien für die Art von Rapport, der sich von allein einstellt – einfach, weil die Menschen miteinander in Resonanz sind. Und Sie sehen auch das Gegenteil davon: die Dissonanz.
Im Begleitheft finden Sie weitere Anregungen sowie einen Beobachtungsbogen für Ihre Rapport-Forschung auf dem Schulhof sowie im Alltag.
Im NLP werden solche Beobachtungen methodisch genutzt. Wenn sich Rapport nicht von allein einstellt, so die Idee, dann helfen wir nach. „Manipulation“, schreit es da in Ihnen? Ja, vielleicht: Vielleicht ist es Manipulation, wenn wir unserer Beziehung zu anderen Menschen besonders dann eine Chance geben, wenn es schwierig wird. Dann stellen wir bewusst und zielgerichtet Resonanz her. So können aus einem aggressiven Schüler oder einer zickigen Schülerin plötzlich liebenswerte und interessante Wesen werden, deren Augen strahlen, während sie sich Ihnen und Ihrem Unterricht mit freudiger Aufmerksamkeit zuwenden. Ist das nicht ein erstrebenswertes Ziel? Rapport kann Freundlichkeit beinhalten, muss aber nicht, und hat schon gar nichts mit Kumpanei, Selbstaufgabe oder Anbiederung zu tun.
Nähern wir uns diesem Begriff: In der Militärsprache ist Rapport eine Meldung. In der Textilkunde ist mit Rapport ein regelmäßiges Muster in einem gewebten Stoff gemeint. Im Englischwörterbuch finden wir Übersetzungen wie Übereinstimmung, enge oder innere Beziehung, harmonisches Verhältnis. „To build rapport with somebody“ meint „eine gute Beziehung zu jemandem aufbauen“, und „to have rapport with somebody“ meint das Ergebnis, also „eine gute Beziehung zu jemandem haben“.
„Spiegeln“ heißt die Grundtechnik des Rapport-Aufbaus. Die NLP-Erfinder haben bereits Anfang der 70er-Jahre bei Virginia Satir und Milton Erickson beobachtet, dass diese Ihre Klienten permanent „spiegelten“, das heißt, sich ihnen in Mimik, Gestik und Wortwahl anglichen. Sie definierten diese Technik als „Pacen“ (= Spiegeln).
1.2 Rapport und die Entdeckung der Spiegelneurone
Erst in den letzten Jahren lieferte die Neuropsychologie mit der Entdeckung der Spiegelneurone die Beweise für diese außerordentlich nützliche Gabe und ihre Wirkung: Der Mensch verfügt von Geburt an über die Fähigkeit, Rapport zu anderen Menschen aufzubauen. Schon das kleine Baby „spiegelt“ die Mama und zeigt ein wonnevolles Lachen und Strampeln, wenn auch die nächsten Bezugspersonen die Bewegungen oder Töne des Babys nachahmen. „Nervenzellen, die darauf spezialisiert sind, bilden in unserem Gehirn das System der Spiegelneurone“, schreibt dazu der Neurobiologe, Psychotherapeut und Psychiater Joachim Bauer. „Spiegelnervenzellen ‚übersetzen‘ das, was wir sehen oder miterleben, in eine Art diskretes inneres ‚Mit-Tun‘.“ (Bauer, 2008, S. 28) Der Mensch ist dank seiner Spiegelneurone in der Lage, Handlungen, Empfindungen und Gefühle gedanklich nachzuvollziehen. Denken Sie nur an das Phänomen Mitleid: Sie sehen, vielleicht im Fernsehen, vielleicht auf dem Schulhof, einen Menschen, der sich verletzt hat. Kennen Sie die Erfahrung, den Schmerz des Mitmenschen zu empfinden, „seine“ Tränen weinen zu wollen? Haben Sie angesichts des Schicksals eines Mitmenschen oder einer bewegenden Filmszene schon einmal geweint? Diese wunderbare Gabe, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, ist die Grundlage für die Fähigkeit, Rapport aufzubauen und in Resonanz zu kommen. Die Spiegelneurone sind die neurobiologische Voraussetzung dafür.
Hinzu kommen psychologisch wichtige menschliche Grundbedürfnisse, die verdeutlichen, warum Rapport so wichtig ist: Da ist zum einen das Bedürfnis nach Bindung als erstes und grundlegendstes Begehren im Leben eines jeden Menschen. Diese Art der Bindung zwischen Mutter und Kind ist eine großartige Erfindung der Natur, denn sie sichert...