Stufe 1
Im graphischen Modell der Pyramide erscheinen die Ebenen mit gleicher Stärke, tatsächlich ist die Basis-Ebene der ersten Stufe aber so ‚breit’, wie es der uns alle betreffenden ökonomischen Wirklichkeit entspricht. Sie umfasst die Lebenswelt der Menschen von der Geburt bis zum Ende, ihr Aufwachsen, Lernen, Tätig Sein ebenso wie ihr Beziehungsnetz, Familienleben, Freundschaften und Nachbarschaft. Die Mechanismen der Konformität und Opportunität sind gleichsam die kohäsiven Kräfte, die diese Ebene als ein schon in sich selbst differenziertes Organ innerhalb des ‚pyramidalen Macht-Körpers’ beschreibbar machen. Jede wissenschaftliche Disziplin wird dies mit der ihr eigenen Axiomatik und Sprache tun (Soziologie, Ökonomie, Kulturgeschichte, etc.). Diese Basis wird überwölbt von den Kondensaten des Marktwillens (die sich als Stufe 2 über der Basis auskristallisiert), die als Bündelung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausdrucks der Gemeinschaft, wiederum zurück wirkend, ihrerseits prägend für unsere Sicht auf die Welt sind. Die darüber liegenden Ebenen sind jeweils von zunehmender Abstraktion, von der Lebenswirklichkeit im Bereich unserer Erfahrung, gekennzeichnet. In dem Maße, wie die Exklusivität der Stufen-Ebenen steigt, wird der Kreis der einbezogenen Personen kleiner, so, daß die oberen Lagen entsprechend dünn beschaffen sind, ihr Einfluß ist von subtiler Art und nur indirekt nachweisbar.
Die unterste Stufe stellt die „Wurzelschicht“ dar, sie ist die Substrat-Ebene zur Gewinnung und Abschöpfung von ‚Lebensenergie’, quasi durch Abmelken des Mehrwertes aus der dynamischen Produktivität der Wirtschaftskreisläufe zum Erhalt der „pyramidalen Maschine“.
Die produktive Dynamik wird erzeugt über die Einpflanzung von Wünschen, Begehren, sowie durch die Befeuerung von Trieben und deren Kanalisierung. In der Gefangenschaft von ‚Teufelskreisen’ aus Aufstiegs-Erwartungen und Abstiegsängsten, in hastiger Aufeinanderfolge von Zerstreuung und Erschöpfung, geschieht die Aufrechterhaltung von Illusionen und beständiger Unzufriedenheit.
Identität und Individualität sollen untergraben werden, um das Einschmelzen der Einzelnen in Gruppen und Massenorganisationen zu befördern (gewissermaßen in einem Prozess der Fermentation). Das muß nicht unbedingt bedeuten, daß der Einzelne sich in einer bewußten Wahl zu einem größeren Verband bekennt. Er wird bereits als ökonomisch atomarer Bestandteil einer kalkulierbaren Masse von Produzenten und Konsumenten aufgefaßt. Dieser zermürbende Prozess geht in einer pausenlosen Konvektion von Platzwechsel, Ortswechsel, Standpunktwechsel, mit fluktuierenden Rudimenten von Meinung und Haltungen, vonstatten. Die entkernten ‚Ichs’ finden ein neues ‚Über-Ich’ in Gruppen und Vereinen, als gläubige Mitglieder, begeisterte Fans, um dort der sozialen Kontrolle unterstellt zu werden. Hier lernt es (das ursprüngliche Ich) auch sich in Hierarchien einzupassen (Hinweis: in repressiven Systemen ist der Druck auf den nicht berechenbaren Einzelnen stets größer gewesen, als der auf Gruppierungen und Vereine, die sich über Satzungen, Finanzrecht, Lokalität, Mitgliederdaten, Anwesenheitszeiten, Protokolle besser überwachen lassen).
Bis in die private Existenz hinein soll sich der Masse-Mensch als Produzent, Konsument, Klient, Kunde und Patient der Verwertbarkeit verfügbar halten. Es ist auffällig, daß Gespräche außerhalb dieser Rollen-Zuweisungen selbst innerhalb der Familien kaum mehr stattfinden.
„Eltern pflanzen ihren Kindern materielle Werte ein, Kinder treten mit ihren materiellen Wünschen an die Eltern heran“, so könnte der Vorwurf an die Familien lauten, die die Kraft nicht haben, den Zumutungen unseres Wirtschaftssystem ein eigenes Wertgefüge entgegen zu setzen. Aber das ist nicht ganz gerecht, denn längst ist die Familie als zellulärer Automat des Wirtschaftssystems den Nachstellungen des Marktes hilflos ausgeliefert. Um sich der Einmischung bis in intimste Lebensbereiche zu entziehen, und bei der Erziehung der Kinder nicht in Konkurrenz mit den Medien treten zu müssen, würde nur das Ziehen aller Stecker bis auf die für die Haushaltsgeräte helfen (solange die noch nicht im Internet der Dinge vernetzt sind).
Da der erzieherische Anteil von wenigstens einem Elternteil, wenn nicht beiden, wegen der übermäßigen Arbeitsbelastung, den eigenen Kindern vorenthalten wird, ist die Ausformung der narzisstischen Störung inzwischen die Regel geworden. Aus dem mangelnden Selbstverständnis der eigenen Persönlichkeit heraus, wird die äußerliche materielle Ausstattung zum Interieur des Ichs umfunktioniert. Das Sehnen und Trachten geht auf den Erwerb von Dingen, und bestätigt fortwährend das ursprüngliche System, indem diese Not erst geschaffen wurde.
Das ‚pyramidale’ Etappenziel des selbstinduzierenden Flusses der Dinge, ist vergleichbar mit dem Traum vom widerstandslos supraleitenden Strom, einer Art Wahn vom elektromagnetischen Perpetuum mobile zweiter Ordnung (also eines, wobei nicht nur keine zusätzliche Energie mehr zugeführt werden muß, sondern noch Überschüsse produziert werden). Daher ist die Liquidierung jeder menschlichen Beziehung auch die Schiene, auf der dieser Utopie, übertragen auf das soziale Netzwerk, nachgejagt werden soll.
Der nachfolgenden Generation eine besondere Steigerung der Ich-Bezogenheit vorzuwerfen, ist voreilig. Der vermeintliche Individualismus der wohlständigen Jugend ist in Wahrheit keiner, denn in Stil und Gebaren wird sie sehr streng durch die vernetzte Medienwelt an die jeweiligen Trends gebunden. Der Anteil derer, denen der Anschluß an die Hipster nicht gelingt, finden in einem randständig radikalisierenden Umfeld die entsprechende Form der Ausrichtung. Richtiger müßte von einer ökonomisch getriebenen Gegenbewegung zum Individualismus gesprochen werden, mit Hinweis auf den Druck einer ganzen Generation zur Einpassung in eine künstlich erzeugte Ego-Konfiguration. Somit ist die Jugend als Beute des kapitalistischen Verwertungsbetriebes tatsächlich nichts weniger als egozentriert, sie ist marktkonform noch in ihren provokantesten Stilausprägungen.
In der christlichen Gemeinde gelten vielfach, Krankheiten, Misserfolge, schwierige Lebensumstände quasi als „Erfolglosigkeit“ im Glaubensleben, oder gar als individuelle Schuld. Auch Christen erliegen in der Konkurrenz untereinander einer hyperaktiven Gier nach äußeren Ereignissen (der spektakuläre Urlaub, der Erwerb prächtiger Dinge, den Kult um den eigenen Körper), als Fluchtpunkte vor der Stille, die als bloße Leere wahrgenommen wird.
Besonders in den freikirchlichen Gemeinden wir ein starker Wert auf die Extroversion des Christen gelegt, und die Innerlichkeit der ‚Stillen im Lande’, inzwischen als eine unbillige Abkehr von den Erfordernissen der Zeit gewertet. Zuweilen wird auch von einem Charisma gesprochen, bzw. charismatischer Bewegung, wobei hier nicht die individuelle Charakterisierung einer Person gemeint ist, sondern die ekstatische Außenwirkung gemeinde-christlicher Performance. Diese wendet sich wiederum an die Gemeinde selbst, innerhalb einer selbstreferenziellen Rückkopplung, die zur positiven Verstärkung der Selbstvergewisserung dient.
Eine kritische Würdigung der Haltung der Christen
Es ist bemerkenswert, daß auch überzeugte Christen, das ‚pyramidale’ Primat des Ökonomischen nicht erkennen, oder es einfach unhinterfragt hinnehmen, ja, sogar für die eigene Sache übernehmen. Dies ist etwa im Umfeld christlich freikirchlicher Publizistik zu beobachten, wenn Marketingstrategien und Merchandising-Taktiken, die der Werbebranche entlehnt werden, mit ‚biblischen’ Inhalten zum Einsatz kommen (dazu gehören oberflächliche Comics für Kinder, Kaffeetassen, Anhänger, ästhetisch mindestens fragwürdig gestaltete Kalender und seichte Bücher, deren Autoren den Leser massiv zu unterschätzen scheinen – der christliche Buchhandel betreibt diese Art Ausverkauf auf penetrante Weise). Als entschiedener Christ, ist es schwierig, sich dagegen zu verwahren, da rasch der Verdacht besteht, sich gegen den christlichen Missionsauftrag selbst zu stellen. Bei der Umsetzung dieses Auftrages selbst liegt ein kardinales Mißverständnis vor, wie noch zu zeigen sein wird.
Der gleichsam ‚atomisierte’ Mensch, entfremdet seiner Kultur, familiär entwurzelt (wegen der Einbindung aller Familienangehörigen in den Verwertungskreislauf, oder infolge dysfunktionaler Gemeinschaft) ist somit so flexibel und ungebunden wie der Geldfluß und die Waren- und Datenströme es sind. Die großen Befreiungs- und Emanzipationsbewegungen haben ihren durchschlagenden Erfolg nicht unmittelbar dem kirchen-christlichen Menschenbild zu verdanken. Dieses war über Jahrhunderte hinweg mit der Rechtlosigkeit von Frauen und Kindern, sowie mit Rassismus und Sklaverei vereinbar.
In den Forderungen fundamentaler christlicher Gemeinden finden sich bis zum heutigen Tag solche Bezüge. Vereinzelt wird auf Züchtigung als legitimes Instrument der Erziehung bestanden, oder auf der...