Dieses Buch steht für sich allein, ist aber zugleich eine Weiterführung der Incerto-Reihe: eine Kombination aus a) praktischen Erörterungen, b) philosophischen Geschichten und c) wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit und zu der Frage, wie wir unter dem Vorzeichen von Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, uns amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. Zwar ist es einer breiten Leserschicht zugänglich, doch man lasse sich nicht täuschen: Incerto ist ein Essay, keine Popularisierung von Aufsätzen, die an anderer Stelle in langweiliger Form erschienen sind (sehen wir einmal vom technischen Anhang von Incerto ab).
Skin in the Game handelt von vier Themen unter einem gemeinsamen Oberthema: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen (sowohl praktischem als auch wissenschaftlichem Wissen, vorausgesetzt, dass hier ein Unterschied vorliegt), oder weniger vornehm ausgedrückt: Bullshit-Entlarvung; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Dass diese vier Themen eng miteinander zusammenhängen und nicht voneinander getrennt werden dürfen, ist offensichtlich, wenn man … seine Haut aufs Spiel setzt.[1]
Skin in the Game ist nicht nur erforderlich im Zusammenhang mit Fairness, kommerzieller Effizienz und Risikomanagement: Skin in the Game ist erforderlich, um die Welt zu verstehen.
Erstens dient es als Bullshit-Identifikator und Filter, es deckt also den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, Kosmetik und echtem Expertenwissen sowie zwischen der (im schlechten Sinn des Wortes) akademischen Welt und der wirklichen Welt auf. Hier wäre ein Yogiberismus angebracht: In der akademischen Welt gibt es keinen Unterschied zwischen der akademischen und der wirklichen Welt, in der wirklichen Welt hingegen schon.
Zweitens geht es um Symmetrie- und Reziprozitätsverzerrungen im Leben: Wenn Sie von etwas profitieren, dann müssen Sie auch etwas aufs Spiel setzen; Sie dürfen nicht andere für die Fehler bezahlen lassen, die Sie begehen. Wenn Sie Risiken auf andere übertragen und diese werden dadurch geschädigt, müssen Sie dafür einen Preis bezahlen. Sie sollten andere so behandeln, wie Sie selbst behandelt werden wollen, und genauso sollten Sie die Verantwortlichkeit für Ereignisse ohne Ungerechtigkeit und Ungleichheit teilen.
Wenn Sie einen Rat geben und eine andere Person richtet sich danach, dann sind Sie moralisch verpflichtet, sich den Konsequenzen zu stellen. Falls Sie eine Erklärung im Bereich Wirtschaft abgeben:
Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrer Meinung; sagen Sie mir einfach, was Sie in Ihrem Portfolio haben.
Drittens behandelt das Buch die Frage, wie viel Information man praktischerweise mit anderen teilen sollte, was ein Gebrauchtwagenhändler Ihnen über das Auto, für das Sie einen Großteil Ihrer Ersparnisse hinblättern würden, sagen – oder verschweigen – sollte.
Viertens geht es um Rationalität und die Prüfung durch die Zeit. Rationalität in der wirklichen Welt hat nichts mit dem zu tun, was Ihr Journalist im New Yorker für sinnvoll hält oder irgendein Psychologe, der mit naiven Modellen erster Ordnung arbeitet; bei Rationalität geht es vielmehr um etwas sehr viel Tieferes, Statistisches, das mit Ihrem Überleben zusammenhängt.
Sie dürfen Skin in the Game im hier verwendeten Sinn nicht lediglich für ein Motivationsproblem halten: dass man einfach an den Vorteilen partizipiert (so wird es gemeinhin im Finanzwesen verstanden). Nein. Es geht vielmehr um Symmetrie, eher darum, den Schaden zu teilen, eine Strafe zu zahlen, wenn etwas misslingt. Genau dieser Gedanke verknüpft Vorstellungen wie Anreize, Gebrauchtwagenkauf, Moral, Vertragstheorie, Lernen (im realen Leben / an der Universität), den kantischen Imperativ, kommunale Macht, Risikowissenschaft, den Kontakt zwischen Intellektuellen und der Wirklichkeit, die Verantwortlichkeit von Bürokraten, probabilistische soziale Gerechtigkeit, Optionstheorie, anständiges Verhalten, Bullshit-Anbieter, Theologie miteinander … Ich mache hier erst einmal Schluss.
Die weniger offensichtlichen Aspekte von Skin in the Game
Ein treffenderer (wenn auch sperrigerer) Titel dieses Buchs hätte lauten müssen: Die weniger offensichtlichen Aspekte von Skin in the Game – Von verborgenen Asymmetrien und ihren Folgen. Ich lese einfach ungern Bücher, die mich über das Selbstverständliche informieren. Ich werde gern überrascht. Und da für Skin in the Game Gegenseitigkeit kennzeichnend ist, werde ich den Leser nicht auf eine Reise mitnehmen, die vorhersehbar ist wie eine dröge Uni-Vorlesung, sondern eher auf die Art von Abenteuer, die ich selbst schätze.
Entsprechend ist das Buch folgendermaßen organisiert: Mehr als rund sechzig Seiten sind nicht nötig, um dem Leser die Relevanz und Allgegenwart von Skin in the Game (also Symmetrie) in seinen wichtigsten Aspekten zu vermitteln. Lassen Sie sich nie auf detaillierte Erklärungen ein, warum etwas Wichtiges wichtig ist: Durch endloses Rechtfertigen entwertet man ein Prinzip nur.
Die nichtdröge Route wird darin bestehen, sich auf den zweiten Schritt zu konzentrieren, auf die überraschenden Implikationen – jene verborgenen Asymmetrien, die einem nicht sofort in den Sinn kommen – sowie die weniger offensichtlichen Konsequenzen, von denen einige ziemlich ungemütlich sind und viele überraschend hilfreich. Wenn wir die Mechanismen von Skin in the Game begreifen, ermöglicht uns das auch das Verständnis ernstzunehmender Rätsel, die der feinkörnigen Matrix der Realität zugrunde liegen.
Beispielsweise:
Wie kommt es, dass äußerst intolerante Minderheiten die Welt regieren und uns ihren Geschmack aufzwingen? Auf welche Weise zerstört Universalismus die Völker, denen er eigentlich helfen will? Wie kommt es, dass heute mehr Menschen als Sklaven gehalten werden als zu Zeiten der Römer? Warum sollten Chirurgen nicht wie Chirurgen aussehen? Warum bestand die christliche Theologie auf einer menschlichen Natur Jesu Christi, die sich notwendigerweise von der göttlichen Natur unterscheidet? Inwiefern führen uns Historiker in die Irre, wenn sie Krieg und nicht Frieden thematisieren? Wie kommt es, dass billiges Signalegeben (ohne etwas aufs Spiel zu setzen) sowohl im ökonomischen als auch im religiösen Bereich scheitert? Wie kommt es, dass Kandidaten für ein politisches Amt mit offensichtlichen Charakterschwächen realer wirken als Bürokraten mit makellosen Qualifikationen? Warum verehren wir Hannibal? Warum gehen Firmen in genau dem Moment pleite, wo sie professionelle Manager beschäftigen, die daran interessiert sind, Gutes zu tun? Warum ist die Verteilung von Heidentum in Bevölkerungsgruppen symmetrischer?
Wie sollte Außenpolitik betrieben werden? Warum sollte man nie karitativen Organisationen Geld geben, es sei denn, sie operieren in ausgesprochen distributiver Weise (»uberized« im englischen Neusprech)? Warum breiten sich Gene und Sprachen unterschiedlich aus? Warum spielt Gruppengröße eine Rolle (die Grundhaltung einer Gruppe von Fischern schlägt von partnerschaftlich auf feindselig um, wenn man den Umfang, also die Anzahl der beteiligten Personen, um eine Einheit verschiebt)? Warum hat Verhaltensökonomie nichts mit dem Verhalten von Individuen zu tun – und warum haben Märkte nur wenig zu tun mit den Neigungen der Beteiligten? Inwiefern geht es bei Rationalität um Überleben und nur darum? Wie sieht die grundlegende Logik von Risikotragfähigkeit aus?
Für den Autor geht es bei Skin in the Game vor allem um Gerechtigkeit, Ehre und Opfer, um das also, was für den Menschen existentiell ist.
Skin in the Game, als Regel eingesetzt, reduziert die Auswirkungen folgender Divergenzen, die sich aus der Zivilisation ergeben: Divergenzen zwischen Handeln und billigem Geschwätz (tawk), Konsequenz und Absicht, Praxis und Theorie, Ehre und Ruf, Erfahrungswissen und Scharlatanerei, dem Konkreten und dem Abstrakten, dem Ethischen und dem Legalen, zwischen echt und kosmetisch, Händler und Bürokrat, Unternehmer und Geschäftsführer, Stärke und Darstellung, Liebe und Goldgräberei, Coventry und Brüssel, Omaha und Washington, D. C., menschlichen Wesen und Ökonomisten, Autoren und Verlegern, Gelehrsamkeit und Universität, Demokratie und Regierung, Wissenschaft und Szientismus, zwischen Politik und Politikern, Liebe und Geld, dem Geist und dem Buchstaben, Cato dem Älteren und Barack Obama, Qualität und Werbung, Hingabe und Zurschaustellung und, ganz zentral, zwischen dem Kollektiven und dem Individuellen.
Wir wollen zunächst mit zwei Skizzen einige wenige Punkte aus dieser Liste verbinden, um eine erste Ahnung davon zu vermitteln, wie die Idee die Kategorien übersteigt.
Anmerkungen
[1] Damit einem klar wird, warum Ethik, moralische Verpflichtungen und Kompetenzen im wirklichen Leben nicht einfach auseinanderzudividieren sind, überlege man sich Folgendes: Wenn Sie einer Person in verantwortlicher Position – nehmen wir an, Ihrem Buchhalter – sagen: »Ich traue Ihnen«, meinen Sie dann, 1. dass Sie ihn für moralisch vertrauenswürdig halten (er wird kein Geld nach Panama umlenken), 2. dass Sie seiner Kompetenz als Buchhalter trauen, oder 3. beides? In diesem Buch geht es um nichts anderes, als dass es in der realen Welt schwierig ist, Moral...