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Das Runde im Eckigen. Fußball in der deutschsprachigen Literatur

Fußball in der deutschsprachigen Literatur

AutorMichael Pöppl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl154 Seiten
ISBN9783638366878
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 1999 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: sehr gut, Freie Universität Berlin (Fachbereich Germanistik), 128 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Fußball ist ein wenig beachtetes Thema in der Germanistik, das sich jedoch, ähnlich wie andere Modernisierungsphänomene des zwanzigsten Jahrhunderts, in allen Bereichen der Literatur wiederfindet. Neben dem Film und der Popmusik hat sich der Sport zu einer typischen Massenerscheinung entwickelt. Dies gilt bis heute: Jede Saison ziehen bis zu 10 Millionen Zuschauer in die Fußballstadien, über acht Millionen Fernsehzuschauer hat die Bundesliga jeden Samstag in der Spielzeit. Während der Weltmeisterschaften werden sogar ansonsten uninteressierte Menschen zu Fußballfans. Mit dieser Arbeit wird versucht, zwei scheinbar unvereinbare Dinge zusammenzubringen: Fußball und Literatur. Die Idee dazu kam mir durch die Lektüre des Romans 'Ballfieber (Fever Pitch)'1 des englischen Autors Nick Hornby, der im Frühjahr 1996 in kürzester Zeit zu einem Kultbuch unter Fußball- und Literaturbegeisterten wurde. Hier war die Verbindung von Fußball und Literatur bestens geglückt. 'The best football book ever was written'2 begeisterte auch die Kritiker des Feuilletons, und die tageszeitung (taz) schwärmte: '»Fever Pitch« gehört mindestens zu den besten Büchern der neunziger Jahre.' Wie kommt es, daß in der deutschen Literatur ein derartiges Massenphänomen wie Fußball nur als Marginalie vorkommt? Um diese Frage zu beantworten, war es auch nötig, die Ursprünge des Fußballs in Deutschland anhand von literarischen Texten zu betrachten. Das machte eine umfangreiche Recherche nötig. Außer in satirischen oder ironischen Texten, in Kolportagegeschichten, in der Kategorie 'Heiteres' und im Jugendbuch waren mir Fußballtexte bis dahin kaum bekannt. Bei der weiteren Suche stellte sich heraus, daß aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg keine Texte zu finden waren. Dies hing offensichtlich mit der mangelnden gesellschaftlichen Präsenz des Fußballs im Kaiserreich zusammen. Im zweiten und dritten Kapitel soll deshalb gezeigt werden, wie mit der zunehmenden Popularisierung des Sports in Deutschland auch der Fußball ein literarisches Thema wurde. Mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt sich das vierte Kapitel. Hier sollen die Zusammenhänge von Fußball und Gesellschaft des 'Dritten Reichs' behandelt werden... -------- 1 Nick Hornby: Ballfieber - Die Geschichte eines Fans, Hamburg 1996 2 René Martens: Ich träume von George - und Charlie N., in: die tageszeitung (taz) vom 20.4.96, S.24

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Leseprobe

3. Die zwanziger Jahre - Fußball als Modernisierungsphänomen


 

3.1. "Der Fußballwahn ist eine Krank-" - Joachim Ringelnatz


 

Eines der frühesten Werke fußballerischer Lyrik ist das Gedicht "Fußball (nebst Abart und Ausartung)" von Joachim Ringelnatz  aus dem Jahr 1919. Er beschreibt die Geschichte eines vom Fußball Besessenen, der "psychopathisch rundum und generell auf alles reagiert, was sich ihm auch nur in fußballähnlicher Form offe­riert"[17], so Karl Riha. Der Titel des Gedichts ist Programm: "Fußball (nebst Abart und Ausartung)".

 

"Der Fußballwahn ist eine Krank-

Heit, aber selten, Gott sei Dank.

Ich kenne wen, der litt akut

An Fußballwahn und Fußballwut.

Sowie er einen Gegenstand

In Kugelform und ähnlich fand,

So trat er zu und stieß mit Kraft

Ihn in die bunte Nachbarschaft."

Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel

Ein Käse, Globus oder Igel,

Ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar,

Ein Kegelball, ein Kissen war,

Und wem der Gegenstand gehörte,

Das war etwas, was ihn nicht störte."[18]

 

Ringelnatz'  Gedicht erinnert den Leser an ähnlich klingende literarische Vorfahren, etwa die Gedichte Wilhelm Buschs[19] oder die Reime im "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann[20], und ähnlich altpädagogisch wird im Text auch versucht, den kickenden Helden zu bremsen:

 

"Kein Abwehrmittel wollte nützen,

Nicht Stacheldraht in Stiefelspitzen,

Noch Puffer außen angebracht,

Er siegte immer, 0 zu 8.

Und übte weiter frisch, fromm, frei

Mit Totenkopf und Straußenei."[21]

 

"Frisch, fromm, (fröhlich), frei" war der Leitspruch der ursprünglich demokrati­schen Bewegung des "Turnvater Jahn". Dessen Nachfolger, die angesprochenen "Brüder Jahns"[22], insbesondere deren Verband, die Deutsche Turnerschaft, hatten diesen von Ringelnatz inszenierten "Fußballwahn" zu Kaiserzeiten stets selbst kriti­siert. Die "Fußlümmelei"[23] galt im Gegensatz zum militärischen Turnen als un­deutsch. Ringelnatz' Persiflage steht in der Kontinuität seiner "Turngedichte", in denen er sich über die Deutschtümelei lustig macht:

 

"Erschreckt durch seine wilden Stöße,

Gab man ihm nie Kartoffelklöße.

Selbst vor dem Podex und den Brüsten

Der Frau ergriff ihn ein Gelüsten,

was er jedoch als Mann von Stand

Aus Höflichkeit meist überwand."[24]

 

Man muß sich als Leser der Gedichte stets Ringelnatz in Aktion vorstellen, denn sie waren für den öffentlichen Vortrag geschrieben: "Ringelnatz brauchte keine Deko­rationen, Requisiten und Kostüme. In seinem Matrosenanzug mit den weiten Hosen und dem offenen Halskragen verwandelte er sich in jede Rolle. Seine Beweglichkeit und ausdrucksvolle Mimik ließen den Zuschauer sehen, was er sprach. Man meinte, die unsichtbaren Requisiten mit Händen zu greifen. Seine Turngedichte exerzierte er wie in der Turnhalle und zugleich verspottete er damit den deutschen Spießer und hirnlosen Vereinsmeier"[25], so der Zeitzeuge und Ringelnatz-Biograph Herbert Günther.

Zum Gedicht über den Fußball existiert noch eine weitere Imaginationshilfe, um die Vortragssituation noch plastischer zu machen: "Ringelnatz [...], dieses furiose Ein-Mann-Theater, wurde einmal von seinem Freund Otto Linnemann beim Vortrag dieses Gedichtes gezeichnet: die Hände tief in den Taschen der Matrosenhose, den Ball in Gestalt einer Erdenkugel auf der gereckten rechten Fußspitze balancie­rend..."[26] und gleichzeitig deklamierend:

 

"Was beim Gemüsemarkt geschah,

Kommt einer Schlacht bei Leipzig nah.

Da schwirrten Äpfel, Apfelsinen

Durchs Publikum wie wilde Bienen.

Da sah man Blutorangen, Zwetschen

An blassen Wangen sich zerquetschen.

Das Eigelb überzog die Leiber,

Ein Fischkorb platzte zwischen Weiber.

Kartoffel spritzten und Zitronen,

Man duckte sich vor den Melonen.

Dem Krautkopf folgten Kürbisschüsse.

Dann donnerten die Kokosnüsse."[27]

 

Und stets die vermeintliche Gefahr, die über dem Publikum schwebte, den imagi­nären Ball (oder was auch immer) an den Kopf zu bekommen.

 

"Genug! Als alles dies getan,

Griff unser Held zum Größenwahn."[28]

 

Und endet, wie auch die Hoffmannschen Protagonisten und die Helden Wilhelm Buschs stets enden mußten, tragisch:

 

"Schon schäkernd mit der U-Bootsmine

Besann er sich auf die Lawine.

Doch als pompöser Fußballstößer

Fand er die Erde noch viel größer.

Er rang mit mancherlei Problemen.

Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen?

Dann schiffte er von dem Balkon

Sich ein in einem Luftballon.

Und blieb von da an in der Luft,

Verschollen. Hat sich selbst verpufft.-"[29]

 

Weggeflogen wie der fliegende Robert und "verpufft" bzw. "geschrotet" wie Max und Moritz, so endet's immer mit den bösen Buben, und auch die nun notwendi­gerweise folgende Moral läßt Ringelnatz nicht aus:

 

"Ich warne euch, ihr Brüder Jahns,

vor dem Gebrauch des Fußballwahns!"[30]

 

So endet die Geschichte vom Fußballwahnsinnigen und beginnt gleichzeitig ein Stück deutscher Fußballgeschichte und die Geschichte des Fußballs in der deut­schen Literatur.

Die zunehmende Bedeutung des Sports in der Weimarer Republik wirkte sich auch auf andere Bereiche aus. In Rundfunk und Presse, Film und Theater gewinnt das Thema zunehmende Bedeutung. Die Berliner Dadaisten titelten ihre erste Zeitschrift: "Jedermann sein eigener Fußball."[31] Der Philosoph Max Scheler bemerkte 1927: "Kaum eine übernationale Gesamterscheinung gegenwärtiger Zeit verdient so sehr eine soziologische und psychologische Durchleuchtung als der an Umfang und Wertschätzung unermeßlich gewachsene Sport."[32]

In den europäischen Großstädten trifft sich die akademische und künstlerische Elite in den Sportarenen und am Boxring. Kein Berliner Sechstagerennen im Sportpalast findet ohne Prominenz aus Kino-, Theater- und Halbwelt und die "Asphaltliteraten" statt. Der Sport wird ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Der Boxfan Bertolt Brecht fordert "Mehr guten Sport" und dient ihn dem Theater als Vorbild an: "Die Verderbtheit unseres Theaterpublikums rührt daher, daß weder Theater noch Publikum eine Vorstellung davon haben, was hier vor sich gehen soll. In den Sportpalästen wissen die Leute, wenn sie ihre Billette einkaufen, genau, was sich begeben wird; und genau das begibt sich dann, wenn sie auf ihren Plätzen sitzen […]."[33]

 

3.2. Der Ball auf der Bühne - Fußballspieler und Indianer


 

Auch in Prag spielte der Sport in den zwanziger Jahren eine nicht zu unterschät­zende Rolle, tschechische Sportler und Clubs wie der "Intellektuellenclub" Sparta Prag waren in ganz Europa bekannt und gefürchtet. Der Schriftsteller Franz Kafka, selbst Anhänger von Hakoah Prag, machte sich 1923 in einem Brief an seinen Schwager Josef David über die Versuche von konservativer Seite lustig, den Fuß­ball in der Öffentlichkeit zu verdammen: "Schlage übrigens die letzte Selbstwehr auf. Professor Vogel schreibt dort wieder gegen den Fußball, vielleicht hört der Fußball jetzt überhaupt auf."[34]

Im Stück "Fußballspieler und Indianer" seines Kollegen Melchior Vischer von 1924 erfährt der Fußball eine dramaturgische Würdigung, "justament als der Nürnberger Club mit Stuhlfauth im Tor Meister wurde".[35] In diesem expressionistischen Drama geht es um Aufstieg und Fall eines Fußballspielers. Der Held Bill Week ist ein Zuhälter und Mittelstürmer, der zwischen Zivilisation und Urwaldwildnis zer­rieben wird. Der ungestüme und rücksichtslose Bill ist vermutlich Brechts Baal nachempfunden, über den der Journalist Vischer selbst begeistert in der Prager Presse schrieb: "Unter und mit der Hefe des Volkes lebend, gossen- und blaublü­tige Weiber verzehrend, mit Kutschern, Taglöhnern und andern rohen Gesellen hausend, so lebt Baal. Ein Stück Vieh, dessen Fleisch eine Schale Hirn ein­schließt."[36]  Vischers Geschichte weist einige verblüffende Parallelen zur heutigen Kritik am Fußballgeschäft auf: Die erste Szene spielt auf der "Fußballbörse", bei der Fußballspieler wie Vieh versteigert werden.[37] Bill Week wehrt sich anfänglich noch gegen die finanziellen Anfechtungen durch die...

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