Gut geschlafen
Riesenfirma, Riesengewicht, mit einer massiven Burn-out-Anamnese. Schluckt schon diverse Mittelchen, leider ohne Erfolg. Ein hochgebildeter, empfindsamer Mensch. Woher ich das weiß? In meinem Wartezimmer liegen Gedichtbändchen aus. Der Patient blättert darin und schaut mich im Sprechzimmer mit großen Augen an.
»Ich könnte heulen. Bei diesen Gedichten. Schon so lange keine mehr lesen können. Seit zehn Jahren kein Urlaub. Arbeite jeden Tag zehn Stunden, schlafe höchstens vier Stunden. Will raus aus dem Teufelskreis.«
Hat mir richtig leidgetan. Also habe ich mit ihm gesprochen, ihn motiviert, Ratschläge gegeben, Blut abnehmen lassen zur Analyse. Am nächsten Tag folgte dann eine Mail, die mir freilich jede Hoffnung raubte:
»Ich bin mit meiner Leistungsfähigkeit am Ende. Werde mich ausschließlich auf ihren Medikamentenplan konzentrieren. Das Buch, das Sie mir gestern mitgegeben haben, habe ich bereits zur Hälfte gelesen. Insgesamt war gestern ein anstrengender Tag für mich, zum Abendessen gab es Tofu mit Kartoffelbrei und Reis, und beim Essen habe ich an Sie gedacht … danach habe ich noch vier Bier getrunken. Heute früh habe ich meine Armada von Sportschuhen im Schrank gesehen, zum morgendlichen Joggen früh um 5.00 Uhr fehlte mir einfach die Kraft.«
So kann’s nicht gut gehen
»Oh mei!«, habe ich gedacht. Kartoffelbrei und Reis. Nach meinem Vortrag. Und dann vier Bier. Und dann keine Energie mehr zum Laufen. Hätte ich auch nicht. Wo soll das enden?
Nun, das Ende war überraschend glücklich. Wenige Monate später kam die folgende Mail. In einer völlig anderen Tonart. Freuen Sie sich doch einfach einmal mit:
»Seit meinem Besuch bei Ihnen hat sich einiges bei mir getan. Es hat mehrmals Klick in meinem Kopf gemacht.
Ergebnis: Ich jogge täglich früh um 5.30 für 30 bis 40 Minuten. Habe nach dem Besuch bei Ihnen 14 kg abgenommen.
Leicht und locker täglich zu joggen macht mir großen Spaß, und ich freue mich jeden Tag, früh in meine Sportschuhe zu schlüpfen und die frische Luft in meinem Körper zu spüren.
Kohlenhydrate habe ich komplett aus meinem Leben gestrichen. Ich freue mich auf Obst, Nüsse, Salat, Fleisch, Fisch und Gemüse. Was kann ich sagen, Herr Dr. Strunz, mein Leben hat sich wesentlich positiv verändert. Ich kann wieder durchschlafen, ich freue mich jeden Tag auf meine Familie und auf meine Tätigkeit hier.
Ich fühle mich topfit!!!!!
Ihnen ein ganz großes DANKE!!!!!
Diese Veränderung ist wirklich großartig!!!!!«
Nun, das sind ziemlich viele Ausrufungszeichen … also doch noch gewonnen. Glück gehabt. Ich habe tief durchgeschnauft. Nach dem Kartoffelbrei, dem Reis und den vier Bier hatte ich dieses Wunder eigentlich nicht mehr erwartet. Nun: Der gut gemeinte »Tritt in den Hintern« hat wohl schlussendlich doch gewirkt.
Lassen Sie uns ins Thema Schlafen einsteigen mit ganz grundsätzlichen Fragen:
Warum kann »gut schlafen« von Mensch zu Mensch so unterschiedlich aussehen? Und welche Schlafstörungen sind eigentlich etwas ganz anderes als Störungen?
Wie funktioniert unsere »innere Uhr«? Und wo ist diese Uhr überhaupt?
Wie kommt es, dass Schlafmangel krank macht? Umgekehrt aber auch: Warum rauben uns Krankheiten den Schlaf?
Gut schlafen heißt: gut leben!
Stress zwischen Autobahn und Büro, Stress mit Chef und Kollegen, Stress zwischen Steuererklärung und Fitnessstudio, Facebook und Netflix, Überstunden und Deadlines, Pubertät der Zöglinge und eigener Midlifecrisis, zwischen tausend Verpflichtungen und verpassten Chancen. Das ist die Liste der leidigen Schlafräuber, die uns zuerst in den Sinn kommt, wenn wir an Schlafstörungen denken. Ist auch alles nicht falsch. Aber: Ist es das wirklich? Das allein? Nein.
Ernährung: Richtig essen, gut schlafen
Was viel weniger bekannt ist, sind die durch Fehlernährung verursachten Schlafstörungen. Dabei sind die Zusammenhänge einfach: Wenn dem Körper Bausteine fehlen, kann er für den Schlaf entscheidende Hormone nicht »bauen«, dann kann er Sauerstoff nicht binden, dann kann er Stress nicht abbauen – und dann schlafen wir schlecht. Manchmal gar nicht.
Schlafen klappt nur, wenn der Körper gesund ist. Das heißt: Wenn wir nicht grobe Defizite im Blut haben. Bei sehr tiefem Magnesiumspiegel werden wir niemals innere Ruhe finden. Dann können wir auch nicht meditieren und die Meditation auch nicht dazu nutzen, endlich besser zu schlafen. Mit einem leeren Eisenspeicher werden wir niemals lang genug joggen können. Geht nicht. Dann werden wir das Laufen auch nicht nutzen können, um Stress abzubauen, um müde zu werden und schließlich ganz friedlich … zu schlafen.
Wenn es um gutes, um heilendes Schlafen geht, steht statt der Supermatratze etwas ganz anderes am Anfang: Molekularmedizin! Heißt übersetzt nichts anderes als ein einigermaßen funktionierender Körper. Und für Sie wiederum: Blutanalyse. Bluttuning. Eine unerlässliche Voraussetzung.
Bewegung: Wer nicht läuft, schläft auch nicht
»Weshalb Sie nicht schlafen können? Weil Sie nicht leben wollen«, das habe ich einem meiner Patienten kürzlich auf den Kopf zugesagt. »Sie akzeptieren nicht die Realitäten der Natur!« Der schaute dann ganz erschrocken. Aber es ist doch so: Der Körper ist geschaffen für harte Arbeit. Täglich. Ist geschaffen für das Laufen. Täglich. Eine ungemütliche Wahrheit.
Beweis? Wir haben nachweislich Muskeln. Wozu haben wir Muskeln? Um am Schreibtisch zu sitzen, zu denken, um uns unablässig zu ärgern? Dafür haben wir Muskeln? Natürlich nicht. Wir sind mit und aus Muskeln geschaffen. Damit wir diese benutzen. Täglich. Hart arbeiten. Lange laufen. Hinter der Beute her. Um am Abend, körperlich erschöpft … von selbst einzuschlafen.
Tief drin in den Zellen, in den Genen, da sitzt die gesamte knochenharte Geschichte der Menschheit. Die fordert ihren Tribut. Niemand kann seinen Körper betrügen. Nein: können Sie nicht. Der zahlt es Ihnen heim. Mit Schlafstörung.
Denken: Raus aus dem Rattenkäfig
Die dritte Baustelle nach Ernährung und Bewegung: klares Denken. Entspannung. Doch der Mensch sitzt im Rattenkäfig. Eingesperrt. Von allen Seiten bedrängt. Sorgen, Mühe, Plage, Stress, Mobbing, die Familie, der Chef, das Finanzamt, die Politik … Sie kommen aus diesem Käfig gedanklich nie mehr heraus. Und solange Sie im Rattenkäfig eingesperrt sind, werden Sie Schlafstörungen haben. Weil der Käfig Sie ja auch abends im Bett nicht loslässt. Weil Sie nicht etwa – so war das gedacht – nachts innerlich frei werden und … einschlafen. So wie Ihnen das jedes Kleinkind vormacht.
Es ist paradox: Vielen von Ihnen gelingt das entspannte Gleiten in den Schlaf deshalb nicht, weil sie es unbedingt wollen. Statt einfach Leben zuzulassen, wollen Sie! Sie wollen Ihr Leben mit harter Hand steuern. Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Familie, acht Stunden Schlaf. Gefälligst. Sie glauben felsenfest an streng geregelte Abläufe. Viele von Ihnen können nicht mehr »lassen«. Das Leben zulassen.
Mein Vorschlag: Vergessen Sie das mit dem Schlaf, der nicht kommt. Lassen Sie die Tablette einfach mal weg. Leben Sie einfach. Bleiben Sie wach. Einen Tag, zwei Tage, drei Tage, vier Tage … Der Schlaf wird kommen! Unausweichlich. Spätestens nach sieben Tagen. Gut, einverstanden: Die Übergangszeit ist unschön … der Schlaf aber ist heilsam.
Es trifft ja auch auf mich selbst zu. Nach 40 Jahren als Arzt darf ich Ihnen versichern: Es nutzt nichts, wenn wir an den Gitterstäben des Käfigs rütteln. Wir kommen ohnehin nicht raus aus dem Alltagsstress, aus den Sorgen, aus den Anforderungen, die Welt lässt sich nicht stoppen.
Gehen wir also den geschmeidigeren Weg. Statt uns gegen die Welt zu stemmen, ändern wir uns lieber selbst. Machen wir unser Innerstes unverwundbar, selbstbewusst, stark und öffnen wir so das Türchen des Rattenkäfigs. Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Zwei Techniken, die jeder lernen kann, genauso wie die meisten von uns Radfahren erlernt haben:
Laufen. Ganz gleich, ob stundenlang am Fluss entlang, durch den Park oder den Wald. Wenn wir laufen, lassen wir den Rattenkäfig hinter uns zurück. Mental.
Meditieren. Täglich. Reine Übungssache. Damit öffnen wir das Türchen zum Unterbewusstsein. Wir treten hinaus in eine andere Welt. Und das können wir auch nachts im Bett tun. Und … einschlafen.
Gut schlafen heißt: gut leben!
»Wir sind die Hälfte unseres Lebens über blind«, hat der französische Denker und Naturforscher Jean-Jacques Rousseau einmal sehr treffend gesagt. Wir sind blind, ohne Kontrolle, ohne Bewusstsein, und das ausgerechnet in der unheimlichen Nacht. Kein Wunder also, dass wir den Schlaf gerne ausblenden. Und statt in Ruhe und voller Vertrauen einzuschlafen, lieber via Pille uns selbst das Licht ausknipsen.
Viele Menschen, oft sind es die besonders leistungsfähigen, wollen am liebsten gar nicht schlafen und stattdessen etwas Effektiveres tun: trainieren, arbeiten, irgendwas. Nur nicht »nichts« tun. Schon werden Mittel ersonnen, um die Schlafdauer zu optimieren – was für die meisten heißt: zu verkürzen. Tippen Sie gerne »Sleep Hacks« ins Netz, wenn Sie sich wundern wollen. Oder gruseln.
Wir stellen uns Leistung gerne als steilen, stets nach oben zeigenden Pfeil auf der XY-Achse vor. Verstehen das als Lebensprinzip. Das ist unser Antrieb. Die Anspannung. Das Machen. Das Tun. Das Wollen. Um tätig zu werden, müssen wir uns anspannen, sowohl geistig wie auch...