7Einleitung
Ursprünglich hatte der Pförtner vorgehabt, eine Genealogie des ökonomischen Subjekts zu verfassen. Aber er ziehe den Anachronismus vor. Deswegen sei er Pförtner geworden. Oder bestand der Anachronismus darin, eine Genealogie des ökonomischen Subjekts zu schreiben?1
Dass Unternehmen eine Seele haben, sei »wirklich die größte Schreckensmeldung der Welt«, wetterte der französische Philosoph Gilles Deleuze Anfang der 90er-Jahre.[2] Übertroffen wird sie allenfalls durch die Forderung, jeder solle sich bis in die letzten Winkel seiner Seele zum Unternehmer in eigener Sache mausern, wie sie heute zahllose Motivationsgurus und Selbstmanagementtrainer, aber auch Wirtschaftswissenschaftler, Bildungsexperten, Trendforscher und Politiker (fast) aller Couleur verkünden. Von dieser Forderung, von dem gesellschaftlichen Sog, den sie auslöst, von dem Kraftfeld, das sich um sie herum aufbaut, handelt das vorliegende Buch. Das unternehmerische Selbst, das ihm den Titel gibt, steht für ein Bündel aus Deutungsschemata, mit denen heute Menschen sich selbst und ihre Existenzweisen verstehen, aus normativen Anforderungen und Rollenangeboten, an denen sie ihr Tun und Lassen orientieren, sowie aus institutionellen Arrangements, Sozial- und Selbsttechnologien, die und mit denen sie ihr Verhalten regulieren sollen. Anders ausgedrückt, und um selbst eine Modevokabel aus der Unternehmenswelt aufzugreifen: Das unternehmerische Selbst ist ein Leitbild.
In diesem Sinne führt es auch der Abschlussbericht der »Kommission für Zukunftsfragen Bayern – Sachsen« aus dem Jahre 1997 an, ein Schlüsseldokument für die deutsche Diskussion, das diese Figur dezidiert in den Rang einer politischen Zielvorgabe erhebt und in seinem Grundtenor vieles von dem vorwegnimmt, was seither in Reformagenden gegossen wurde. »Das Leitbild der Zukunft ist das Individuum als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge«, heißt es da. »Diese Einsicht muß geweckt, Ei8geninitiative und Selbstverantwortung, also das Unternehmerische in der Gesellschaft, müssen stärker entfaltet werden.«[3] In der »unternehmerischen Wissensgesellschaft« des 21. Jahrhunderts seien nicht mehr »die perfekten Kopisten vorgegebener Blaupausen« gefragt, wie sie die »arbeitnehmerzentrierte Industriegesellschaft« des 20. Jahrhunderts benötigt und hervorgebracht habe. Wirtschaft und Gesellschaft seien vielmehr angewiesen auf »schöpferische, unternehmerisch handelnde Menschen, die in höherem Maße als bisher bereit und in der Lage sind, in allen Fragen für sich selbst und andere Verantwortung zu übernehmen«. Aufgabe des Staates sei es, bei diesem Übergang Hilfestellung zu leisten; die Politik müsse »wieder einen ordnenden Rahmen setzen und die Gesellschaft wertorientiert steuern«. Jene Maßnahmen, die ein »Mehr an unternehmerischer Betätigung und Verantwortung« stimulieren sollen, führten dabei »geradewegs zu einem Weniger an Sozialstaat«, was indes »keineswegs nur Verlust, sondern gleichzeitig auch Gewinn für den Einzelnen und die Gesellschaft« bedeute – eine Einsicht, der sich allerdings große Teile der Bevölkerung noch verschlössen. Neben der Politik müssten daher auch Wissenschaft und Medien den Willen der Bevölkerung stärken, mit dem Wandel Schritt zu halten. Der imperativische Ton, gekoppelt mit der Drohung, der in Deutschland »im internationalen Vergleich fast einzigartige materielle Wohlstand gepaart mit sozialem Frieden, einem hohen Maß an innerer wie äußerer Sicherheit, viel Freizeit u. a. m.« könnten »wie ein Kartenhaus zusammenfallen«, wenn »individuelle Sicht- und Verhaltensweisen sowie kollektive Leitbilder« nicht auf unternehmerisches Handeln hin ausgerichtet werden,[4] macht den Bericht selbst schon zu einem Bestandteil jenes Kraftfelds, das er erzeugen will.
Auf die Funktionsweise dieses Kraftfelds, auf die Energien, die darin gebunden oder freigesetzt werden, auf die Richtung beziehungsweise die widersprüchlichen Richtungen, in die es die Einzelnen zieht, und nicht zuletzt auf die Verfahren, mit denen sie ihre eigenen Bewegungen auf den Sog einstellen, richtet sich das 9Augenmerk der hier vorgelegten Studie. Wie der Kommissionsbericht begreift sie das unternehmerische Selbst als ein Regierungsprogramm. Während die in staatlichem Auftrag erstellte Expertise jedoch mit Nachdruck die Einlösung dieses Programms fordert, konzentriert sich die vorliegende Arbeit darauf, dessen strategische Elemente herauszupräparieren, aber auch die konstitutionelle Überforderung sowie die Logik der Exklusion und Schuldzuschreibung sichtbar zu machen, denen es die Einzelnen aussetzt. Zugleich erweitert sie, darin Michel Foucaults Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität[5] und den an diese anschließenden Studies of Governmentality[6] folgend, den Begriff des Regierens über die Sphäre staatlicher Interventionen hinaus und bezieht ihn auch auf andere Formen planvollen Einwirkens auf menschliches Handeln. Das Kraftfeld des unternehmerischen Selbst speist sich aus vielen 10Quellen, nicht nur aus den Entscheidungen der politischen Administration und den Empfehlungen ihrer wissenschaftlichen Berater.
Entsprechend heterogen sind die Materialien, die für die hier vorgelegte Arbeit herangezogen wurden: Analysiert werden – unter anderem – nationalökonomische, psychologische und soziologische Theorien, außerdem Managementprogramme, Kreativitäts-, Kommunikations- und Kooperationstechniken sowie populäre Ratgeber, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, dass sie die Ratio unternehmerischen Handelns ausbuchstabieren und/oder Verfahren bereitstellen, mit denen die Menschen ihr Verhalten dem Leitbild annähern können. Das Kraftfeld des unternehmerischen Selbst ist ein Diskursfeld, doch es ist zugleich mehr als das. Die Arbeit stützt sich auf Bücher, Zeitschriftenaufsätze und andere veröffentlichte Schriften, aber es handelt sich zu einem guten Teil um Texte mit unmittelbar praktischem Anspruch: Trainingsmanuale, Lehrbücher, Erfolgsratgeber und ähnliche Handreichungen versuchen weniger zu überzeugen als das Handeln anzuleiten (und glänzen denn auch nur selten durch intellektuelle Brillanz, sondern schlagen entweder einen ausgesprochen technischen oder einen charismatisch-beschwörenden Ton an). Sie definieren einen Raum des Sag- und Wissbaren, aber vor allem zielen sie auf das Machbare. Sie geben nicht nur Antworten auf die Frage »Was soll ich tun?«, sondern vermitteln detaillierte Anweisungen, wie ich das, was ich tun soll, auch tun kann.
Selbstverständlich erlaubt die Vermessung des unternehmerischen Kraftfelds keine Aussagen darüber, wie die Menschen sich tatsächlich in ihm bewegen. Welchen Regeln und Regelmäßigkeiten (auch in Bezug auf das Abweichen von den Regeln) ihr Verhalten folgt, dafür interessiert sich die folgende Arbeit nur insofern, als die Strategien und Technologien des unternehmerischen Selbst darauf Einfluss nehmen – und zu diesem Zweck sich auch der Verfahren quantitativer wie qualitativer Sozialforschung bedienen. Untersucht wird also ein Regime der Subjektivierung, nicht was die diesem Regime unterworfenen und in dieser Unterwerfung sich selbst als Subjekte konstituierenden Menschen tatsächlich sagen oder tun. Die Frage lautet nicht, wie wirkmächtig das Postulat, unternehmerisch zu handeln, ist, sondern auf welche Weise es seine Wirkung entfaltet. Es geht um eine Grammatik des Regierens und Sich-selbst-Regierens, nicht um die Rekonstruktion subjektiver 11Sinnwelten und Handlungsorientierungen oder Verschiebungen in der Sozialstruktur. Bildlich ausgedrückt: Untersucht wird die Strömung, welche die Menschen in eine Richtung zieht, und nicht, wie weit sie sich davon treiben lassen, sie nutzen, um schneller voranzukommen, oder aber versuchen, ihr auszuweichen oder gegen sie anzuschwimmen.
Der Gefahr, in der Konzentration auf die Rationalitäten und Programme ebenjene Unausweichlichkeit zu reproduzieren, welche diese suggerieren, versucht die Arbeit zu entgehen, indem sie die diesen inhärenten Antinomien – etwa zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, rationalem Kalkül und Handeln unter Ungewissheit, Kooperation und Konkurrenz – herauspräpariert und damit die Kluft zwischen entgrenztem Anspruch und seiner stets nur begrenzten Einlösung offen hält. Es geht im Folgenden nicht nur um das, was die Einzelnen tun sollen und wie sie dazu in die Lage versetzt werden, sondern auch darum, dass ihre Anstrengungen immer wieder fehlgehen und sie den Anforderungen niemals vollends genügen können.
Ein solches Vorhaben liegt quer zu den gängigen Ressortaufteilungen soziologischer Forschung, genauer, es lässt sich mehreren Ressorts zuordnen: Die hier vorgelegte Studie versteht sich zunächst als Beitrag zu einer politischen Soziologie, die politisches Handeln nicht auf »Haupt- und Staatsaktionen« reduziert, sondern sich auch für die Mikropolitiken des Alltags, für Governancestrukturen und überhaupt für die Wege interessiert, auf denen Individuen, öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln.
Unternehmerisches Handeln stellt zweifellos eine spezifische Form ökonomischen Handelns dar, und das, was hier Kraftfeld genannt wird, umschreibt eine Dynamik der Ökonomisierung. Die im Weiteren verfolgte Fragestellung ist insofern wirtschaftssoziologisch, als sie untersucht, wie dieser Handlungstyp plausibel gemacht wird und gesellschaftlich diffundiert. Ein älteres Bonmot des amerikanischen Ökonomen James Duesenberry besagt, die Ökonomie habe es mit Wahlhandlungen zu tun, während die Soziologie zeige, dass die Akteure nichts zu wählen...