Einleitung: Leistung und Erschöpfung
In den letzten Jahren fand in Deutschland eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen »Burnout« statt, in der das Ausbrennen der Leistungsgesellschaft und die Beobachtung einer grassierenden Erschöpfung zum medienwirksamen Thema wurden. Kaum eine Zeitschrift, die Burnout nicht als Aufmacher hatte, kaum ein Fernsehmagazin, das darüber nicht berichtet hätte. Schon bald jedoch nahm die Debatte eine Wende, und es erschienen Artikel, die das Erschöpfungssyndrom wahlweise als Medienblase abtaten und den hierzu schreibenden Journalisten das wahre Burnout bescheinigten, Burnout als Ausdruck reiner Larmoyanz beschrieben oder als Modekrankheit entlarvten. Die Vorhaltung, Burnout sei eine pathologische Mode, zielt auf die mangelnde anthropologische Konstanz des Syndroms ab und darauf, dass sich recht unterschiedliche Beschwernisse mit ihm verbinden. Genau diese Unbestimmtheit und Zeitgebundenheit jedoch ist es, die Burnout zu einem besonders lohnenden Gegenstand soziologischer Gegenwartsanalyse macht. Mithilfe des Burnout-Syndroms wird offenbar ein Unbehagen am Leistungsdruck im heutigen Berufsleben, an der Beschleunigung von Arbeit und Kommunikation, an alltäglicher Überforderung und neu empfundenen Formen von Entfremdung artikuliert, die den persönlichen Zumutungen einer entfesselten Wettbewerbsgesellschaft den Rang einer öffentlich debattierten Pathologie verleihen.
Viel ist über die Ätiologie, über die individuellen Präventionsstrategien und Behandlungsmöglichkeiten von Burnout geschrieben worden. Wege zur Stärkung der Resilienz und zur wirksamen therapeutischen Eigenbehandlung sind gefragte Wissensgebiete. So hilfreich die Selbsttechniken der Erschöpfungsvermeidung auch sein mögen, so erkennbar folgen sie einer Ideologie der Eigenverantwortung, die Krankheit als Mangel an Selbstsorge und Scheitern als persönliche Schwäche deklariert. »Als würde man den Arbeitern einer Asbestfabrik empfehlen, zu Hause besser Staub zu wischen, um ihre Lungen vor Krebs zu schützen« (Minkmar 2012), richten sich die öffentlichen Empfehlungen zur Stressprophylaxe auf eine vermeintlich persönliche Misere, die ihre Ursachen ebenso in den sozialen Lebensmodellen der Gegenwart hat wie ihre Lösungen gesellschaftliche Veränderungen erforderlich machen.
Gleichwohl ist zur Vorbeugung und Therapie von Burnout inzwischen ein neuer Markt entstanden, auf dem mithilfe der blühenden Ratgeberliteratur ein präventives Verhaltensregime angepriesen wird. Auffallend ist dabei vor allem die Symbolik des Burnout-Begriffs. Obgleich sich Burnout-Symptome klinisch nicht wesentlich von denen einer Depression unterscheiden, scheint die Popularität des Burnout nicht zuletzt damit erklärbar zu sein, dass sich seine Diagnose als »eine Art Verwundetenabzeichen« (Schmidbauer 2012, S. 159) der Leistungsgesellschaft tragen lässt. Wer ausgebrannt ist, muss zuvor für etwas gebrannt haben, was die Erkrankung vom Stigma des individuellen Versagens befreit. Wo Märkte immer weitere Möglichkeiten des Wachstums erschließen, die Person umfassend ökonomisch in Wert gesetzt werden muss und die Konkurrenz um die Employability an der subjektiven Lebensführung zerrt, da erscheint der Erschöpfte als leidender Antiheld einer Erfolgskultur, deren alleiniges Maß der eigene Vorrang im Wettbewerb ist.
Schon der Begründer der Burnout-Forschung jedoch, der New Yorker Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger, hat bei der ätiologischen Beschreibung von Burnout neben der schieren Überlastung die Erwartungsenttäuschung ins Zentrum gestellt. Ausbrennen bedeute, »sich selbst bei dem Versuch zerstören, unter Aufbietung aller Kräfte unrealistische Erwartungen zu verwirklichen, die selbstgesetzt oder vom Wertsystem der Gesellschaft aufgezwungen sind« (Freudenberger/Richelson 1983, S. 38). Bezog Freudenberger seine Burnout-Forschungen der siebziger Jahre auf soziale Berufe, bei denen übergroßes Engagement aufgebracht wurde, um Klienten, Schülerinnen oder Patienten zu helfen, so sind die Leistungserwartungen in der heutigen Arbeitswelt weit über soziale Berufe hinaus vielfach maßlos und unrealistisch geworden. Beschäftigte aller Branchen sind angehalten, sich umfassend mit ihren Unternehmen zu identifizieren, als diente deren Erfolg zugleich einem höheren Zweck, der nur durch den vollständigen Einsatz der Mitarbeiterinnen zu verwirklichen sei.
Der Blick zurück auf die Anfänge der Burnout-Forschung erschließt daher interessante Zusammenhänge zwischen der Genealogie des Burnout und jener der modernen Berufswelt der Gegenwart. In den siebziger und achtziger Jahren expandierten die sozialen Dienste im öffentlichen Betreuungs- und Fürsorgebereich. Eine Generation angehender Sozialarbeiter wurde ausgebildet, die nicht nur ihren Klienten helfen wollten, sondern auch versuchten, durch die eigene Arbeit zu einer sozialeren und gerechteren Welt beizutragen. Die entstandenen Stellen wurden mit Absolventinnen besetzt, die voller Idealismus und mit dem Willen zur Veränderung mit Schülern, Klienten und Patienten zu arbeiten begannen. Sie brachten ihre Subjektivität, ihr Mitgefühl, ihre politisch-utopischen Ansichten und ihr Wertesystem in ihre Arbeit ein. Wenn sie merkten, dass ihre Klienten sich nicht helfen ließen, nicht dankbar waren für das Engagement, das ihnen zuteilwurde, wenn sie feststellten, dass bürokratische Abläufe in Behörden ihrem Engagement entgegenarbeiteten, dass die Arbeit, mit der sie sich stark identifizierten, ihren Ansprüchen nicht gerecht wurde, dann zeigten diese Sozialarbeiterinnen Anzeichen emotionaler und körperlicher Erschöpfung. Sie wurden zynisch und grenzten sich aggressiv von ihren Klienten ab, denen sie eigentlich helfen sollten.
Herbert Freudenberger, der sich in der Sozialarbeit mit Drogenabhängigen in New York engagierte, war es, der diesen Prozess erstmals als »Burnout« beschrieb. Freudenberger wurde 1927 in Deutschland geboren und floh als Zwölfjähriger vor den Nazis in die USA, wo er bei einer Tante in New York aufwuchs. Er engagierte sich neben seiner eigenen psychotherapeutischen Praxis in der Free-Clinic-Bewegung in Spanish Harlem (vgl. Kury 2012, S. 276) und beobachtete bei sich und seinen Kollegen zunehmende emotionale Entleerung, Müdigkeit und zynische Einstellungen gegenüber den Klienten. 1974 erschien sein viel zitierter Aufsatz »Staff burn-out« im Journal for Social Issues (Freudenberger 1974). Die Diagnose »Burnout« erlebte in diesen Jahren eine große Konjunktur in den helfenden Berufen. Die damals entstehende Literatur richtete sich an ein politisch-kulturelles Milieu, in dem sich viele Angehöriger dieser Berufe bewegten. Freudenberger selbst begründete im Jahre 1975 in seinem Aufsatz »The staff burn-out syndrome in alternative institutions« die besonders hohe Gefahr des Ausbrennens bei freiwilliger Arbeit mit Drogenabhängigen oder beim Engagement in Frauengruppen mit der großen Hingabe der Mitarbeiterinnen. Weil man sich in seinem eigenen alternativen Helfermilieu als sozial, politisch, spirituell oder intellektuell erleuchtet begriff und nichts weniger anstrebte, als dies auch anderen zu ermöglichen, war die Fallhöhe in solchen Gruppen und Institutionen besonders hoch (vgl. Freudenberger 1975, S. 74).
Auch die schwedischen Autorinnen Barbro Bronsberg und Nina Vestlund, die in der Erwachsenenbildung arbeiteten, beschrieben 1988 im Vorwort ihres Buches Ausgebrannt. Die egoistische Aufopferung, wie sie im alternativen Milieu der achtziger Jahre zur Beschäftigung mit Burnout kamen:
»Wir hielten beide Kurse zum Selbstbewußtseinstraining ab. Es waren anregende, interessante und lehrreiche Kurse, in denen nicht nur wir, sondern auch die Teilnehmer alles hergaben. Ein kurzer Abriß über das Ausgebranntsein weckte ganz besondere Aufmerksamkeit. […] Mit der Zeit veranstalteten wir eigene Kurse über das Ausbrennen und seine Vermeidung, und viele, viele kamen. An jenem Tag, als eine Großkommune bei uns anfragte, ob wir in ihrem Bereich 16 (sechzehn!) Kurse über das Ausbrennen halten wollten, machten wir uns vor Verzweiflung und Begeisterung durch lautes Schreien Luft.« (Bronsberg/Vestlund 1988, S. 7)
Die Ursachen für Burnout wurden in dieser Zeit in verschiedenen Formen der Einschränkung und Verhinderung von beruflicher Selbstverwirklichung und Kreativität gesehen; verkrustete, unflexible Strukturen und bürokratische Abläufe würden Mitarbeiter am Selbstausdruck hindern und zu Burnout führen.
»Was schöpferische Tätigkeit behindert. Hemmungen. Furcht vor Blamage. Eingefleischte Gewohnheiten. Unterdrücken der Phantasie. Verhinderung neuer Schritte durch Worte wie ›unmöglich!‹, ›unrealistisch!‹. Mechanisches Reagieren auf die Umgebung. […] Um kreativ zu sein, muß man gegen althergebrachte Regeln verstoßen.« (Bronsberg/Vestlund 1988, S. 31)
Der Kampf gegen Burnout war gerahmt als politischer Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Gestaltungsspielräume und größere Möglichkeiten der Selbstentfaltung bei der Arbeit. Für den amerikanischen Social-Policy-Professor Howard Karger war er auch ein Kampf gegen den Kapitalismus insgesamt. In seinem Aufsatz »Burnout as alienation« entwickelte er einen marxistischen Burnout-Begriff, mit dem er Burnout in sozialen Berufen als Äquivalent zur Entfremdung von Industriearbeitern konzipierte (vgl. Karger 1981).
Die bekanntesten Forschungen...