Einleitung
Wer noch nicht davon überzeugt ist, in einer Science-Fiction-Welt zu leben, der werfe einmal einen Blick auf sein Handy. Dieses nette, unglaublich nützliche Hochglanzteil nimmt mittlerweile einen derart zentralen Platz in unserem Leben ein, dass es für uns schon ganz selbstverständlich geworden ist. Anscheinend ist es völlig normal, dieses Gerät an jedem beliebigen Ort der Erde aus der Tasche zu ziehen und damit mit jemandem zu sprechen, ganz gleich wo auf dem Planeten derjenige sich gerade befindet.
Doch jeden Morgen, wenn wir unser Handy einstecken, lassen wir uns mit dem Betreiber auf einen stillen Handel ein: »Ich möchte mobil telefonieren und erreichbar sein, im Gegenzug erlaube ich diesem Unternehmen, immer zu wissen, wo ich mich befinde.« Diesen Handel regelt kein Vertrag, er gehört aber unabdingbar zum Service. Wahrscheinlich haben Sie sich darüber bisher gar keine Gedanken gemacht, doch nachdem ich Sie nun darauf aufmerksam gemacht habe, könnten Sie denken, dieser Handel sei eigentlich ziemlich gut. Handys sind schließlich echt toll, und damit sie funktionieren, muss die Mobilfunkgesellschaft ja wissen, wo Sie gerade stecken, also muss sie Sie überwachen.
Es handelt sich um eine sehr intime Form der Überwachung. Ihr Handy gibt an, wo Sie wohnen und wo Sie arbeiten. Es gibt an, wie oft Sie zur Kirche gehen (und in welche Kirche), wie viel Zeit Sie in Kneipen verbringen und ob Sie zu schnell fahren. Außerdem – da es all die anderen Telefone in Ihrer Umgebung ebenfalls kennt –, gibt es an, mit wem Sie tagsüber zu tun haben, wen Sie zum Mittagessen treffen und mit wem Sie ins Bett gehen.1 Diese gesammelten Informationen geben wahrscheinlich exakter darüber Aufschluss, wie Sie Ihre Zeit verbringen, als Sie selbst das können, denn Daten sind nicht so lückenhaft wie die menschliche Erinnerung.2 Im Jahr 2012 konnten Analysten anhand solcher Daten bis auf 20 Meter genau voraussagen, wo eine Person sich in 24 Stunden befinden würde.3
Wollte man vor dem Siegeszug der Handys all diese Informationen über Sie haben, hätte man Sie beschatten lassen müssen. Man hätte einen Privatdetektiv angeheuert, der Ihnen überallhin folgt und sich Notizen macht. Das ist nun nicht mehr notwendig: Das Handy in Ihrer Tasche erledigt das ganz automatisch. Es ist natürlich nicht gesagt, dass jemand wirklich auf diese Informationen zugreift, doch sie stehen auf Abruf bereit.
Die Information, wo Sie sich befinden, ist wertvoll, und jeder möchte Zugriff darauf haben. Die Polizei ganz bestimmt. Die Analyse von Handystandortdaten ist in mehrfacher Hinsicht nützlich für polizeiliche Ermittlungen.4 Die Polizei kann einem bestimmten Telefon eine stille SMS schicken, um es zu orten, sie kann anhand des Datenverlaufs feststellen, wo es war, und sie kann sämtliche Mobilfunkortungen eines bestimmten Gebiets analysieren, um zu ermitteln, wer sich wann dort aufgehalten hat.5 Immer häufiger verwendet die Polizei diese Daten genau zu diesen Zwecken.6
Regierungen nutzen dieselben Daten zu Einschüchterungsversuchen und sozialer Kontrolle. Im Jahr 2014 schickte die ukrainische Regierung folgende wahrlich orwellianische SMS an Personen in Kiew, deren Handys sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befanden: »Sehr geehrter Kunde, Sie wurden als Teilnehmer an einem Massenaufruhr erfasst.«7 Doch glauben Sie bloß nicht, so etwas beschränke sich auf totalitäre Staaten! Im Jahr 2010 holte die Polizei von Michigan Informationen über jedes eingeschaltete Mobiltelefon in der Nähe eines erwarteten Streiks ein8 – einen richterlichen Beschluss hielt sie nicht für notwendig.
Ein ganzer Industriezweig hat sich darauf verlegt, zu orten, wo Sie sich gerade befinden. Firmen verwenden Ihr Handy, um Sie in Geschäften zu lokalisieren und zu verstehen, wie Sie einkaufen; um Sie auf der Straße zu orten und zu bestimmen, wie weit entfernt Sie sich von einem bestimmten Laden befinden; und um Ihnen passende Werbung auf Ihr Handy zu schicken, je nachdem, wo Sie gerade sind.9 Ihre Standortdaten sind so wertvoll, dass Mobilfunkanbieter sie nun an Datenbroker weiterverkaufen,10 die sie wiederum jedem Zahlungswilligen feilbieten. Firmen wie Sense Networks11 sind darauf spezialisiert, anhand dieser Daten von jedem von uns ein persönliches Profil zu erstellen.
Mobilfunkbetreiber sind aber nicht die einzige Quelle für Mobilfunkdaten. Das US-Unternehmen Verint verkauft Ortungssysteme an Unternehmen sowie Regierungen weltweit.12 Auf der Firmenwebsite heißt es, die Firma sei »ein weltweit führendes Unternehmen in Actionable-Intelligence-Lösungen für die Optimierung des Kundendialogs, Sicherheitsüberwachung und Betrug, Risiko und Compliance« mit Kunden bei »mehr als 10 000 Organisationen in über 180 Ländern«.13 Die britische Firma Cobham verkauft ein System, mit dem man still ein anderes Telefon anrufen kann – es klingelt nicht und der Anruf ist auch nicht zurückverfolgbar. Doch dieser stille Anruf zwingt das Mobiltelefon, auf einer bestimmten Frequenz zu senden, sodass der Anrufer das Telefon auf einen Meter genau orten kann.14 Stolz brüstet sich das Unternehmen, dass Regierungen aus Algerien, Brunei, Ghana, Pakistan, Saudi-Arabien, Singapur und den Vereinigten Staaten zu seinem Kundenkreis zählen.15 Das ominös in Panama registrierte Unternehmen Defentek verkauft ein System, das »jede Telefonnummer der Welt orten und verfolgen kann … ohne Spuren im Netzwerk, beim Betreiber oder der Zielperson zu hinterlassen«.16 Das sind keine leeren Versprechungen, der Telekommunikationsexperte Tobias Engel demonstrierte genau dies 2008 bei einer Hackerkonferenz.17 Heutzutage haben längst Kriminelle diese Technik für sich entdeckt.
Diese Form der Standortbestimmung basiert auf dem Mobilfunknetz, doch in Ihrem Smartphone ist noch ein ganz anderes und viel exakteres Ortungssystem integriert: GPS. Damit werden die verschiedenen Apps auf Ihrem Telefon mit Standortdaten versorgt. Manche Apps benutzen diese Informationen, um eine Dienstleistung zu erbringen: Google Maps, Uber, Yelp. Andere, wie Angry Birds, wollen sie nur sammeln und verkaufen.18 Auch Sie selbst können diese Technologie nutzen: Hello Spy ist eine App, die Sie heimlich auf dem Smartphone einer anderen Person installieren können, um diese dann regelmäßig zu orten.19 Ideal für die ängstliche Mutter, die ihrem Teenager hinterherspionieren will – oder für den eifersüchtigen Mann, der Ehefrau oder Freundin überwachen will.20 Arbeitgeber haben solche Apps auch schon zur Überwachung ihrer Angestellten genutzt.21
Die nationale Sicherheitsbehörde der USA (National Security Agency, kurz NSA) und ihr britisches Äquivalent, das Government Communications Headquarters (GCHQ), verwenden Standortdaten, um Menschen zu überwachen. Die NSA sammelt Mobilfunkdaten verschiedener Quellen: von den Mobilfunktürmen, mit denen sich Mobilfunkgeräte vernetzen, vom Standort von Wi-Fi-Netzwerken, in die sich Handys einloggen, und von GPS-Daten von Internet-Apps.22 Zwei interne NSA-Datenbanken mit den Decknamen Happyfoot und Fascia enthalten umfangreiche Standortdaten von Mobilfunkgeräten weltweit. Die NSA nutzt diese Datenbanken, um die Bewegungen von Menschen zu überwachen, um Personen zu identifizieren, die mit für die NSA interessanten Personen Umgang haben, und um Drohnenangriffe zu steuern. Angeblich kann die NSA Handys auch dann orten, wenn sie abgeschaltet sind.23
Bisher ging es nur um Standortdaten aus einer Quelle – dem Handy –, doch das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Die Computer, die Sie nutzen, generieren ständig ganz intime, persönliche Informationen über Sie. Das beginnt mit Ihren Vorlieben bei Lektüre, Filmen und Musik, geht weiter damit, mit wem Sie kommunizieren und was Sie sagen, und hört damit auf, worüber Sie sich Gedanken machen – zumindest wenn diese Gedanken Sie ins Internet und zu Suchmaschinen führen. Wir leben im goldenen Zeitalter der Überwachung.24
Der CEO von Sun Microsystems, Scott McNealy, sagte es bereits 1999 geradeheraus: »Du hast sowieso keine Privatsphäre. Gewöhn dich dran.«25 Natürlich hat er nicht recht damit, wie wir auf diese Überwachung reagieren sollten, doch dass es immer schwieriger wird, Überwachung zu umgehen und die eigene Privatsphäre zu wahren, stimmt. »Überwachung« ist ein politisch und emotional sehr aufgeladener Begriff, dennoch verwende ich ihn ganz bewusst. Das US-Militär definiert Überwachung als »systematisches Beobachten«.26 Wie ich später noch ausführen werde, ist die moderne elektronische Überwachung genau das. Jeder von uns ist sowohl für Regierungen als auch für Unternehmen ein offenes Buch; ihre Möglichkeiten, unser kollektives persönliches Leben zu durchleuchten, sind umfangreicher denn je.
Der Handel, auf den Sie sich immer wieder mit verschiedenen Firmen einlassen, heißt Überwachung im Austausch für kostenlose...