Wie funktioniert das Nervensystem?
Jeder Mensch hat ca. 30 Milliarden Nervenzellen. Sie bestehen aus einem Zellkörper mit Fortsätzen (Dendriten) und dem sogenannten Axon (Nervenfaser). Die Nervenzellen sind nicht direkt miteinander verbunden, sondern stehen über einen kleinen Zwischenraum - der sogenannten Synapse – miteinander in Kontakt.
Die Nervenzellen übertragen Informationen, indem sie elektrisch durch die Nervenfaser weitergeleitete Signale an den Synapsen in chemische Substanzen (Signalsubstanzen oder Botenstoffe) umwandeln und dort freisetzen. Die Signalsubstanzen übertragen die Information von einer Zelle zur nächsten.
Die wichtigsten Signalsubstanzen (Transmittersubstanzen) sind Acetylcholin, Dopamin, Glutamat, Noradrenalin und Serotonin. Das Wissen um die Aufgaben der Signalsubstanzen wird bei der Entwicklung und der Gabe von Medikamenten zur Linderung der die Demenz begleitenden Symptome eingesetzt.
Bedeutung der Signalsubstanzen
- Acetylcholin – u.a. Gedächtnis
- Dopamin – u.a. motorische Funktionen und Gefühlsleben
- Glutamat – u.a. Denken, Problemlösen, Planen und Ausführen von Handlungen, Lernen und Gedächtnis
- Noradrenalin – u.a. Regulieren von Schlaf/Wachzuständen, Stimmungslage
- Serotonin – u.a. Regulieren von Schlaf/Wach- und Tag/Nacht-Rhythmus, Aggressivität, Hunger/Sättigung, Schmerzkontrolle
Was passiert nun bei einer Demenzerkrankung?
Die demenziellen Erkrankungen zeigen in den verschiedenen Krankheitsphasen unterschiedliche Symptome, die beim einzelnen Menschen nicht alle zur gleichen Zeit und in gleicher Ausprägung auftreten. Man unterscheidet kognitive, psychiatrische, körperliche/somatische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten.
I Kognitive Symptome
Zu den kognitiven Symptomen gehören Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, des Lernvermögens, aber auch der Orientierung, der exekutiven Fähigkeiten (Denken, Planen, Handeln) sowie Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen. Außerdem zählen die Apraxie, die mangelnde Fähigkeit, motorische Aktivitäten auszuführen, und die Agnosie, die mangelnde Fähigkeit, Gegenstände zu identifizieren bzw. wiederzuerkennen, zu den kognitiven Symptomen. Ebenso zählen dazu die Aphasie (Sprachstörung), Alexie (Lesestörung), Akalkulie (Rechenstörung), die Dysphagie (Schluckstörung) und andere mehr.
Gedächtnis
Zunehmende Vergesslichkeit über mehrere Monate und Jahre ist bei fast allen Demenzformen – bis auf die Frontallappen und die Lewy body Demenz (vgl. → S. 37) – das erste Anzeichen für eine beginnende Demenz. Im Laufe der Demenz werden immer mehr Gedächtnisfragmente gelöscht. Das, was zuletzt erlernt oder erlebt wurde, verschwindet meist als erstes.
In der frühen Phase der Demenz ist zunächst das Kurzzeitgedächtnis betroffen und damit das Lernvermögen. Aktuelle und wichtige Erfahrungen, Erlebnisse, Gelesenes,
Gehörtes oder neu Gelerntes können nicht mehr gespeichert werden. So wird etwa ständig der Haustürschlüssel gesucht oder die Brille verlegt. Selbstverständliche Worte oder Begriffe werden nur unter großer Mühe erinnert, bekannte Wege zunehmend nicht mehr gefunden und Termine vergessen. Dazu passen Aussagen wie „Ich habe noch nichts gegessen“ oder „Bei mir hat niemand angerufen“, obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Ausgeruht und stressfrei kann der Erkrankte sich häufig noch besser erinnern als in unruhigen und hektischen Momenten. Das können Phasen akuter Erkrankung sein, aber auch Ortswechsel wie Urlaubsreisen oder eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus.
Erst nach und nach erlöschen auch Erinnerungen an Episoden aus dem eigenen Leben wie Hochzeit, Arbeit, Ferienerlebnisse oder das persönliche Tagebuch. Eine Aussage wie „Geheiratet habe ich nie“ kann dann für den Ehepartner zu einem großen Schock werden.
Relativ lange bleibt die Erinnerung an erlerntes „gemeinsames“ Wissen – das „Lexikon-“ oder „Kulturwissen“ – erhalten. Dieselbe Person, die sich an den aktuellen Besuch ihrer Kinder oder an ihre eigene Hochzeit nicht mehr erinnern kann, weiß dagegen noch immer, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, kann problemlos lange Gedichte aufsagen oder sich aktiv an der Liturgie des Gottesdienste beteiligen.
Ziemlich spät geht das Wissen um erlernte Abläufe wie Schwimmen, Radfahren und Tanzen verloren.
Orientierungsvermögen
Sehr früh im Krankheitsverlauf ist das Orientierungsvermögen eingeschränkt. Dabei ist der zunehmende Verlust der zeitlichen Orientierung eine echte Herausforderung. Nach und nach gehen das Gefühl für den Tagesrhythmus oder auch die Jahreszeiten verloren. Da Zeit etwas sehr Abstraktes ist und sich stetig verändert, brauchen Demenzerkrankte unterstützende Orientierungspunkte wie eine gut sichtbare Uhr, die Tageszeitung, einen gut lesbaren Kalender oder einen strukturierten Tagesplan.
Auch Probleme mit der örtlichen Orientierung nehmen im Lauf der Demenz zu. Oft betrifft das zunächst nur neue Umgebungen, doch dann auch den Wohnort und die eigene Wohnung. Bekannte Wege zum Einkaufen, zum Friseur und wieder nach Hause werden zunehmend nicht mehr gefunden und Wege wie ins Schlafzimmer oder zur Toilette nicht mehr erkannt. Das ist für Demenzkranke wie Angehörige mit vielen Komplikationen im Alltag verbunden. Wenn zu diesen Orientierungs- und Gedächtnisproblemen Veränderungen in der Umgebung hinzukommen, geraten Menschen mit einer Demenz schnell unter Stress. Das kann die Urlaubsreise, aber auch der Wechsel in eine Wohngruppe oder Altenhilfeeinrichtung sein.
Viele Menschen haben gerade im fortgeschrittenen Stadium der Demenz Probleme, sich im Raum zu orientieren und ihre eigene Lage im Raum zu bestimmen. Das führt häufig zu Fehltritten und Stürzen. Überraschenderweise bleibt die personenbezogene Orientierung, also das Empfinden für die eigene Person, trotz des Wegfalls der Lebenserinnerungen relativ lange erhalten.
Sprache und Rechenvermögen
Zu Beginn der Erkrankung funktioniert die Sprache noch relativ gut. Allerdings kann es immer wieder zu Wortfindungsstörungen kommen. Im Verlauf der Demenz wird der Wortschatz karger. Die an Demenz erkrankte Person verliert schnell den roten Faden und kann auch der Unterhaltung nur noch schwer folgen. In der Schlussphase ist das Sprachvermögen nur noch sehr rudimentär vorhanden.
Thorstens Vater (74) lebt noch allein. Er hat eine vaskuläre Demenz. Seit einiger Zeit versteht er seine Post nicht mehr. Das letzte Anschreiben vom Finanzamt wegen einer Steuernachzahlung hat er auf dem Küchentisch liegen lassen. Als Torsten seinen Vater fragt, warum er nicht auf der Sparkasse war, um die Steuern zu zahlen, fließen Tränen. Er versteht die Briefe nicht mehr.
Wichtig ist: trotz aller Schwierigkeiten genießen Menschen mit einer Demenz die Begegnung und das Gespräch mit anderen. Deshalb macht es Sinn, mit ihnen auf vielfache Weise in Kontakt zu bleiben.
Typische Sprachveränderungen
Frühe Phase
- Verlangsamung des Sprechtempos
- Wortfindungs- und Benennungsstörungen
- Verlieren des Gesprächsfadens
- Schwierigkeiten mit dem Textverständnis
- Unfähigkeit zur Abstraktion
- Verwenden von Floskeln
Mittlere Phase:
- Leseverständnis besser als Hörverständnis
- Wortfindungsstörungen im Kernwortschatz
- Wiederholungen
- Lesen und Nachsprechen komplexer Texte gestört
Späte Phase:
- Sprachverständnis nimmt ab
- Sprache und unterstützende Gestik nehmen ab
- Lange Perioden, ohne ein Wort zu sagen
- Echolalien (zwanghaftes Nachsprechen von Worten)
- Sprache ist ungeeignet als Mittel der Kommunikation, besser sind Körpersprache und Mimik
Geistige Fähigkeiten und Aufmerksamkeit
Mit dem nachlassenden Sprachvermögen wird es für den demenziell veränderten Menschen immer schwieriger, Gedankengänge zu formulieren und sich verständlich zu machen. Was für den Erkrankten in seiner Welt logisch erscheint, muss nicht zwangsläufig mit der Welt der Anderen übereinstimmen.
Schwierig wird es für die Erkrankten, wenn zu viele Reize aus der Umgebung auf sie einströmen. Die Geschehnisse können nicht mehr richtig gefiltert werden. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit lassen nach. Diese Reize können sowohl akustischer Natur sein, wie laute Musik bei den Mahlzeiten, als auch visueller Art, wie zu viele Gegenstände auf dem Tisch. Das führt dazu, dass der Erkrankte sich nicht mehr auf die eigentliche Mahlzeit konzentrieren kann.
„Exekutive Funktionen“ – Denken, Planen, Handeln
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