Die Externalisierung älterer Arbeitnehmer ist im Rahmen der Personalpolitik eine gängige Methode, die häufig mit sinkender Leistungsfähigkeit und abnehmender Produktivität Älterer begründet wird. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist also ein wichtiger Parameter für die betriebliche Entscheidung über die Aufnahme, Fortsetzung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses. Im folgenden Kapitel erfolgt eine Definition und Einordnung des Altersbegriffs in den beruflichen Kontext. Darauf aufbauend werden die drei grundlegenden Faktoren von Leistungsfähigkeit skizziert und die Situation der älteren Arbeitnehmer in den Unternehmen und in der Gesellschaft untersucht.
Die Unterscheidung zwischen jüngeren und älteren Beschäftigten ist eine soziale Zuschreibung, die sich an branchen-, unternehmens- und arbeitsmartrelevanten Faktoren orientiert. Dem Begriff Alter ist somit keine eindeutige Definition zuzuordnen und es gibt verschiedene Blickwinkel in der Betrachtung und Abgrenzung. Aus dem soziologischem Blickwinkel erfolgt die Zuordnung am ehesten in kalendarischer Hinsicht unter Bezugnahme auf die Gesetze zu den Sozialversicherungssystemen. Demzufolge wird der Beginn des Alters gleichgesetzt mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben[58]. Aus sozialpolitischer Sicht zählen Beschäftigte zu den älteren Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Alters mit einem überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeitsrisiko konfrontiert sind.
Die Bundesagentur für Arbeit bezeichnet in ihren Statistiken Menschen ab dem 55. Lebensjahr als „älter“[59]. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ordnet der Gruppe „Älterer“ Beschäftigte zu, die in der zweiten Hälfte des Berufslebens stehen, das Rentenalter noch nicht erreicht haben, gesund und arbeitsfähig sind[60]. Da sowohl der Eintritt in das Berufsleben wie auch der Austritt branchen- und unternehmensspezifisch variieren, ist über diese Definition keine generelle Zuordnung möglich. Im alltäglichen Gebrauch in Unternehmen werden überwiegend die unter 35-Jährigen als jüngere und die über 50-Jährigen als ältere Mitarbeiter eingeordnet.
Die gebräuchlichen Zuschreibungen der letzten Jahrzehnte decken sich jedoch schon aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer weniger mit der Realität.
Eine sinnvolle Bestimmung von Altersmarken gestaltet sich schwierig, da „Altern“ ein sehr individueller Prozess ist und von unterschiedlichen persönlichen Wahrnehmungen und wandelbaren gesellschaftlichen Einflussfaktoren abhängt. Im Fazit gelingt es nicht zufrieden stellend „Altern“ als allgemeinen Prozess anhand einer spezifischen Grenze zu definieren. Eine Zuordnung ausschließlich anhand des kalendarischen Alters kann in keinem Fall genügen, da der Alterungsprozess eines Menschen entscheidend durch die individuelle Biographie beeinflusst wird[61].
Ob eine Alterung der Belegschaft aber überhaupt als personalpolitisches Problem betrachtet werden muss, hängt davon ab, wie in den Betrieben die Leistungsfähigkeit Älterer eingeschätzt wird. Ein Schlagwort ist hier das „Defizitmodell des Alters“, welches das Altern mit Abbauprozessen, insbesondere körperlicher Art, verknüpft[62]. Die gerontologische Forschung wendet sich seit langem gegen die Pauschalisierung, dass mit dem Alter die Leistungsfähigkeit im Bezug auf körperliche und geistige Fähigkeiten generell abnimmt[63].
In Bezug auf die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit kann nicht primär von einem Altersrisiko gesprochen werden. Es besteht ein nicht alleiniger, aber doch ursächlicher Zusammenhang zum ausgeübten Beruf. Hohe Frühverrentungsraten sind vor allem bei Personen in körperlich anstrengenden Berufen zu verzeichnen, die zudem über einen geringen Qualifizierungsgrad und geringe Entscheidungs-spielräume bei der Berufsausübung verfügen. In Berufen mit vorwiegend kognitiven Anforderungen und einem hohem Sozialprestige scheiden wesentlich weniger Menschen vorzeitig aus dem Beruf aus[64].
Die biologischen Veränderungen des menschlichen Körpers sind von genetischen und äußeren Faktoren abhängig. Sie rufen verschiedene Einschränkungen in der Wahrnehmung, wie eine nachlassende Sehschärfe, geringeres Hörvermögen oder ein eingeschränktes Gesichtsfeld sowie eine abnehmende Motorik und Muskelkraft hervor[65]. Dabei bestehen gravierende Unterschiede im physischen Leistungsvermögen innerhalb einer Altersgruppe. Ursache hierfür ist der Vorgang des arbeitsinduzierten Alterns, der in Abhängigkeit von den vorherrschenden Arbeitsbedingungen den biologischen Alterungsprozess beschleunigen oder verzögern kann.
Bei physisch belastungsintensiven Tätigkeiten wie dem Heben und Tragen von Lasten eventuell zusätzlich verbunden mit hoher Staub-, Lärm- oder Hitzebelastung, kann der Alterungsprozess der Beschäftigten schneller voranschreiten als bei einer gleichaltrigen Gruppe von Beschäftigten, die diesen Einflüssen nicht ausgesetzt ist. Außerdem ist es möglich, den Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Ideale und Lebenseinstellungen zu bremsen. Durch regelmäßige Fitness- und Wellnessaktivitäten kann es einem 60- Jährigen gelingen, die Leistungsfähigkeit eines 40- Jährigen zu erhalten[66].
Der kognitiven Leistungsfähigkeit ist die Intelligenz subaltern. Sie umfasst einen Komplex verschiedener Leistungen und Dispositionen. Nach dem Zwei- Komponenten- Modell Catells wird zwischen der kristallinen und der fluiden Intelligenz unterschieden. Die fluide Intelligenz umfasst die biologische Komponente der kognitiven Leistungsfähigkeit und des kognitiven Leistungspotenzials zu denen unter anderem Reaktionsmechanismen, das episodische Gedächtnis und das Aufmerksamkeitsvermögen zählen. Zu der kristallinen Intelligenz als kulturelle Dimension der interkulturellen Entwicklung, zählen das prozedurale Gedächtnis, die soziale Intelligenz, erworbene Fähigkeiten sowie ein stabiles Selbstkonzept[67].
Das Konzept der fluiden und kristallinen Intelligenz baut auf zwei Prämissen auf. Im Verlauf des Alterungsprozesses nimmt die fluide Intelligenz ab, während Grad und Ausmaß der kristallinen Inteligenz im Laufe des Lebens stabil bleiben oder sich sogar erhöhen. Sowohl im Beruf wie im alltäglichen Leben können Einbußen der fluiden Intelligenz durch Leistungen der kristallinen Intelligenz kompensiert werden[68]. Die Verknüpfung von fluider und kristalliner Intelligenz stellt eine wesentliche Voraussetzung für Innovationen dar. Um die Innovationskraft eines Unternehmens zu stärken und seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, ist es also notwendig, die fluide Intelligenz zu erhalten bzw. deren Abbau zu verlangsamen und den Aufbau der kristallinen Intelligenz zu forcieren. Unter Berücksichtigung der in Kapitel 2 dargestellten Aspekte zur Alterung der Gesellschaft kann davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Jahren nicht genügend „frische“ fluide Intelligenz in die Unternehmen strömt. Daher muss die vorhandene fluide Intelligenz und somit der Spannungsbogen des Lernens, bis in das hohe Alter erhalten bleiben. In Zukunft müssen Mitarbeiter sowohl Träger der kristallinen als auch der fluiden Intelligenz sein[69].
Es lässt sich feststellen, dass der defizitäre Ansatz, nach dem sich mit zunehmendem Alter Leistung, Lernfähigkeit und Interesse an modernen Entwicklungen verringern und im Gegenzug ein verstärkter Wunsch nach Rückzug und Alleinsein besteht, überholt ist[70]. Nach dem Differenzmodell ist davon auszugehen, dass die individuelle Leistungsfähigkeit im Alter sowohl von individuellen Variablen der Beschäftigten wie auch von exogenen sozialen Einflüssen abhängig ist. Faktoren wie Schul- und Berufsausbildung, Motivation und Training haben einen wesentlichen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit im Alter[71].
Die physische und kognitive Leistungsfähigkeit wird um die Dimension des Erfahrungswissens ergänzt. Bei der Abnahme der Leistungsfähigkeit übernimmt das Erfahrungswissen eine kompensierende Rolle und ist für die Erfüllung komplexer Aufgabenstellungen, für Entscheidungsprozesse allgemein und Führungstätigkeiten im Besonderen unabdingbar. Erfahrungswissen ist eine hochentwickelte Form des Handlungswissens. Bei dieser Wissensform sind das explizite Wissen, also das mitteilbare, verbalisierbare oder deklarierbare Wissen und das implizite Wissen, also das nicht verbalisierbare, sogenannte silent oder tacit knowledge in einer Weise organisiert und strukturiert,...