Der demographische Wandel in Deutschland ist bereits in vollem Gange. Es handelt sich dabei um eine historisch einmalige Begebenheit, für die es keine analogen Präzedenzfälle gibt. Der Begriff bezeichnet die Veränderung der Zusammensetzung von Größe und Struktur einer Bevölkerung und wird durch deren Geburtenrate, Lebenserwartung und das Wanderungssaldo sowie die Veränderung dieser Größen beeinflusst. In seiner aktuellen Gestalt des schnellen Alterungsprozesses, führt es zu großen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die damit begonnen haben, sich auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse und Strukturen auszuwirken. Die sich in wesentlichen Aspekten ändernde Bevölkerungsstruktur hat unter anderem einerseits Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsstandort, andererseits auf die Zukunft der schon jetzt belasteten sozialen Sicherungssysteme.
Die Alterung unserer Gesellschaft wird durch den im Laufe der letzten 30 Jahre massiven Rückgang der Geburten verstärkt. Seit der deutschen Vereinigung ist die Zahl der Neugeborenen von 830.000 (1991) um 18% auf 638.000 (2008) zurückgegangen. Die Natalität betrug in Deutschland im Laufe der letzten fünf Jahre zwischen 1,33- 1,38[3] Geburten pro Frau, was ein im internationalen Vergleich niedrigen Wert darstellt. Deutschland folgt mit der Stagnation der Geburtenziffer auf niedrigen Niveau einem Trend, der viele Industrienationen betrifft, gehört jedoch aufgrund seines Wertes zu den Ländern mit einer besonders niedrigen Natalität. Die Geburtenrate reicht seit vier Jahrzehnten nicht aus[4], um eine Bevölkerungserneuerung und damit eine stabile Einwohnerzahl ohne Migrationszugänge zu gewährleisten. Um eine ausgeglichene Bevölkerungsbilanz ohne Einwanderung zu erreichen, wird eine Natalitätsrate von 2,1 Geburten pro Frau benötigt. Zu Beginn des demographischen Wandels in den 70er Jahren, wurde der anfänglich noch schwache Bevölkerungsrückgang aufgrund der hohen Migrationsbewegung durch den Zuzug von Gastarbeitern und im späteren Verlauf durch den Nachzug ihrer Familien verzögert. Seit 1991 ist mit Ausnahme weniger einzelner Jahre eine positive Wanderungsbilanz zu verzeichnen: Das jährliche Saldo aus Zu- und Fortzügen war positiv. Dies bedeutet, die Einwanderung übertraf die Auswanderung. Die Migrationsbilanz bewegte sich im Zeitraum 1991-2008 zwischen 129.000 und 354.000 Zuzügen jährlich.
Trotzdem war der Bevölkerungssaldo von 2003 bis 2010 rückläufig[5]. Dieser Trend konnte 2011 unterbrochen werden. 2011 gab es eine Bevölkerungszunahme von 50.000 Einwohner die vorrangig auf die Lockerung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für junge EU-Staaten zurückzuführen und wahrscheinlich nicht als Trendwende zu interpretieren ist[6].
Die Sterblichkeit ist seit der Wiedervereinigung bis 2001 kontinuierlich zurückgegangen, was sich auf die verbesserte Lebenserwartung zurückführen lässt. Jedoch bleibt die natürliche Bevölkerungsdifferenz, also die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen, seit der Wiedervereinigung durchgängig negativ.
Da es sich bei dem demographischen Wandel um einen schleichenden Prozess handelt, werden seine Auswirkungen bisher nur langsam bemerkbar.
Seit Mitte der 1960er Jahre erstellt das Statistische Bundesamt Bevölkerungsvorausrechnungen, die auf der Grundlage von plausiblen Annahmen zur Geburtenentwicklung, Lebenserwartung und Migrationsbewegungen verlässliche Aussagen zum Spektrum wahrscheinlicher Szenarien der Bevölkerungsentwicklung aufzeigen. Daraus lassen sich mögliche Folgen der demographischen Veränderungen prognostizieren. Das wahrscheinlichste Szenario basiert auf der Annahme einer Fortsetzung der aktuell beobachteten Trends: eine Natalitätsrate von 1,4 Geburten je Frau , konstante Erhöhung der Lebenserwartung (Anstieg bei Jungen um 8 bei Mädchen um 7 Jahre bis 2060, eine Nettoeinwanderung von 200.00 Personen pro Jahr ab 2020[7]. Die 2011 erstellte Berechnung für die Periode bis zum Jahr 2030 sagt ein weiteres Auseinanderklappen zwischen der Zahl der Geborenen und Gestorbenen, also ein Geburtendefizit voraus, das nicht durch Zuwanderung zu überwinden ist[8].
Einwohnerzahl
Das bereits eingeleitete Schrumpfen der deutschen Bevölkerung wird sich wie in Abbildung 1 dargestellt weiterentwickeln, so dass im Jahr 2030 voraussichtlich nur noch ca. 77,4 (2008: 82,0) Millionen Einwohner in Deutschland leben werden. Dies stellt einen Rückgang von fast fünf Millionen Personen (-5.,7%) im Vergleich zum Jahr 2008 dar und ist auf das sich verschärfende Geburtendefizit zurückzuführen. Dies wird sich voraussichtlich bis 2030, um bis zu 150% auf 410.000 jährlich erhöhen.
Abb. 1: Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur (Stand Ende 2009) Bevölkerung in absoluten Zahlen, Anteile der Altersgruppen in Prozent,
Quelle: Statistisches Bundesamt, 12. koordinierte Bevölkerungsberechnung 2009
Bevölkerungsstruktur
Insbesondere anhand der Zusammenstellung der Alterskohorten machen sich die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur bemerkbar. Anhand des Altersaufbau der Bevölkerung kommen sowohl retrospektiv die bisher stattgefundenen demographische Veränderungen, zum Beispiel die Auswirkungen des 2. Weltkrieges oder des Babybooms, als auch die zu erwartende zukünftige Bevölkerungsentwicklung zum Ausdruck. Ersichtlich wird dies unter anderem anhand der in Abbildung 2 dargestellten Verteilung der jeweiligen Altersgruppen. Im Jahr 2030 stellt die Altersgruppe 65 Jahre und älter mit 22,3 Mio. Personen 29% (2008 16,7 Mio. 20 %), die Altersgruppe unter 20 Jahre mit 12,9 Mio. 17 % (2008 15,6 Mio. 19%) der Gesamtbevölkerung dar[9]. Der Altersquotient, der das Verhältnis zwischen dem mindestens 65jährigen Bevölkerungsanteil und der Bevölkerung im Erwerbsalter (20-65 Jahre alt) ergibt, wird sich im Vergleich zu 1995 bis 2040 auf 48,4% verdoppeln. Das bedeutet, zwei Personen im Erwerbsalter sind für die Versorgung einer sich im Ruhestand befindenden Person verantwortlich.
Abb. 2 Jugend-, Alter- und Gesamtquotient in Deutschland, 1871 bis 2060
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2011
Geburtenrate
Die wahrscheinlichste Vorausberechnung prognostiziert künftig ein konstantes Geburtenniveau. Jedoch ist im Laufe der nächsten Jahrzehnte von einem Sinken der Zahl der Neugeborenen auszugehen. Die Geburtenzahl dürfte bis zum Jahr 2030 um weitere 15 % auf ca. 580.000 jährlich zurückgehen. Diese Entwicklung ist das Resultat der deutlich zu niedrigen Geburtenhäufigkeit seit vier Jahrzehnten. Solange das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kinder je Frau nicht erreicht wird, wird jede Generation an potentiellen Mütter kleiner, da die Mädchenjahrgänge immer kleiner als die ihrer Mütter sein werden. Ein zahlenmäßiger Ersatz der eigenen Generation ist nicht gewährleistet. Darüber hinaus wird erwartet, dass das Durchschnittsalter, in dem Frauen zum ersten Mal Mutter werden, um etwa 1,6 Jahre bis zum Jahr 2020 ansteigt (aktuell mit 26 Jahren).
Sterberate & Lebenserwartung
Durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung ist mit einer Zunahme jährlicher Sterbefälle zu rechnen. Dies ist trotz der weiter steigenden Lebenserwartung, mit dem zukünftigen Altersaufbau zu erklären[10].
Die Lebenserwartung, die im Durchschnitt der Jahre 2006 -2008 für Jungen 77,2 Jahre und für Mädchen 82,4 Jahre beträgt, wird bis zum Jahr 2030 voraussichtlich weiterhin für Jungen knapp vier, für Mädchen drei Jahre zunehmen. Daraus resultieren weitere Belastungen für die Sozial- und Rentensysteme, da Menschen nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben eine deutlich erhöhte Lebenszeit erwartet.
Migration
Bei der Entwicklung der Migrationsströme ist eine aussagekräftige Prognose schwer zu erstellen, da sie starken Schwankungen ausgesetzt sind. Jedoch wird sich kurzfristig die ab Mai 2011 eingeführte volle Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen aus weiteren EU-Ländern (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn) positiv auf die Wanderungsbilanz auswirken[11]. Mittel- und langfristig geht die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung davon aus, dass aufgrund der rapiden Alterung unserer Gesellschaft die entstehende Personalunterdeckung der deutschen Wirtschaft sich als Motivationsgrund für zusätzliche Zuwanderung erweisen wird, nach Deutschland zu kommen, um dort zu arbeiten. Ein Anstieg des jährlichen Zuwanderungssaldos auf 200.000 ist bis 2020 zu erwarten, der ab diesem Zeitpunkt konstant bleibt. Eine Zuwanderung in einem Ausmaß, der das Altern der Gesellschaft und das fehlende Arbeitskräftepotential vollständig ersetzt, die so genannte „replacement migration[12]“, ist wie bereits dargestellt nicht realistisch. Allerdings könnte eine neu definierte Einwanderungspolitik als Steuerungsinstrument zur gezielten Anwerbung von benötigten Arbeitskräften verwendet werden. Bisher gibt es wenige Anreize für qualifizierte, gut...