Einleitung
Das Themengebiet Demokratie und Nachhaltigkeit ist ein sehr breites Feld mit unterschiedlichen Positionen und Zugängen. Einige davon werden im vorliegenden Sammelband aufgegriffen und diskutiert. Neben einer eingehenden Beschäftigung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit an sich wird dessen Verhältnis zu demokratiepolitisch relevanten Forschungsfeldern herausgearbeitet: der Weiterentwicklung demokratischer Instrumente einerseits sowie neuen Konzepten von Staatsbürgerschaft und Citizenship und ihren Implikationen für Bildung andererseits.
Nachhaltigkeit kann als ein zentrales handlungsleitendes Prinzip für ein menschenwürdiges Leben verstanden werden. Als solches spielt das vieldiskutierte Konzept in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen eine Rolle. Nachhaltigkeit ökologisch verstanden bezieht sich meist auf den ressourcenschonenden Umgang mit dem Lebensraum Erde. Nachhaltigkeit in einem ökonomischen Sinne bezieht sich auf das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft und fokussiert auf eine aus dem Blickfeld gerückte Kontrolle der Wirtschaft durch das demokratische System. Nachhaltigkeit kann aber auch sozial verstanden werden – hierbei rücken Begriffe wie Solidarität oder soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund. Zusammengefasst geht es um die zukünftige Balance zwischen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Zielen.
Nachhaltigkeit, verstanden als handlungsleitendes Prinzip in den verschiedenen Bereichen, funktioniert nur, wenn Bürger und Bürgerinnen in Entscheidungsprozesse eingebunden und dazu fähig und bereit sind, sich am Prozess der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. Neben dem Wissen darüber, wie der/die einzelne BürgerIn zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann, beeinflussen aber auch andere Faktoren wie beispielsweise die Höhe des Einkommens und gesellschaftliche Stellung, Zeit und Muße sich zu engagieren, die Möglichkeiten und Bereitschaft der BürgerInnen, sich am Prozess einer nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. Welche Rolle aber spielt in diesem Zusammenhang ein demokratisches System? Kann Demokratie in Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung einen Beitrag leisten und wenn ja wie? Gerade in der Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache, also demokratischer Partizipation, Repräsentation und Legitimation, sehen manche Chancen sowohl für die Demokratie als politisches System als auch für eine nachhaltige Entwicklung.
Dieser Sammelband geht daher auch der Frage nach, inwieweit demokratische Strukturen in der Lage sind, eine nachhaltige Gesellschaftsform zu organisieren oder zu fördern, wie umgekehrt eine nachhaltige Entwicklung demokratische Strukturen stärken kann und welche Rolle dabei kommunale und regionale Initiativen und Konzepte spielen.
Nach einem einleitenden Beitrag von Susanne Reitmair-Juárez, in dem verschiedene Definitionen und Kontexte des vielfältig verwendeten Begriffs der Nachhaltigkeit vorgestellt und diskutiert werden, beschäftigt sich der Politologe Ulrich Brand kritisch mit global governance als möglichen Weg zu einer nachhaltigen Demokratie. Im Zuge einer immer stärker voranschreitenden Globalisierung auf allen Ebenen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entstehen neue wissenschaftliche Ideen und politische Ansätze, wie die Politik darauf reagieren kann oder soll. Als stärkstes Konzept – auch in der Praxis – hat sich bisher global governance erwiesen: „Regierungsarbeit“ ist nicht mehr auf die nationalstaatliche Ebene beschränkt, sondern ist zunehmend auf internationale Zusammenarbeit im Mehrebenensystem angewiesen. Häufig wird damit auch die Hoffnung verbunden, dass universale Normen und Werte wie Menschenrechte oder Demokratie dabei stärker handlungsleitend seien. Das Potenzial des Konzeptes der global governance für eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen wird vom Autor näher beschrieben und ausgeführt, der konkrete Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, exemplifiziert am Beispiel der internationalen Klimapolitik, wird aber äußerst kritisch und bescheiden eingeschätzt.
Es folgen Beiträge und Analysen, die sich mit Demokratieentwicklung und nachhaltigen Beteiligungsformaten auseinandersetzen. In vielen Staaten wird immer wieder der Ruf nach Reformen des demokratischen Systems laut. Vielfach werden Krisenerscheinungen der repräsentativen Demokratie diagnostiziert, wie etwa sinkende Wahlbeteiligung oder „Politikverdrossenheit“. Im Beitrag der Politikwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst zur Nachhaltigkeit durch politischen Konsum und Internetaktivismus wird daher die Frage gestellt, vor welchen Herausforderungen die repräsentative Demokratie derzeit steht und welche Wünsche und Bedürfnisse die Gesellschaft heute an Partizipationsmöglichkeiten äußert. Der Beitrag zeigt mögliche alternative Partizipationsformen, wie bewussten Konsum oder Möglichkeiten des Web 2.0, auf und analysiert deren Stärken und Schwächen als nachhaltige Instrumente zur demokratischen Beteiligung. Dabei werden der Wunsch und die Notwendigkeit zu vermehrter politischer Beteiligung mit den gewandelten Möglichkeiten und Realitäten des 21. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt. Häufig wird die Weiterentwicklung bzw. Stärkung von direktdemokratischen Instrumenten dabei als wichtiger Schritt zu einer „nachhaltigen Entwicklung“ von Demokratie gesehen. Der Beitrag von Christoph Konrath zeigt verschiedene Ansätze zu Reformprojekten in verschiedenen Staaten auf, insbesondere in Österreich, ergänzt um Reformprojekte in Finnland und Irland, und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den dahinterstehenden Überlegungen und Zielsetzungen.
Die Forderung nach mehr und intensiverer Beteiligung von BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Initiativen wirft die Frage nach notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturen auf, die für eine nachhaltige Entwicklung solcher Prozesse notwendig sind. Evaluierungen von bereits abgehaltenen Beteiligungsformaten wie etwa BürgerInnenräte haben gezeigt, dass die Faktoren Bildung, Einkommen, und Geschlecht die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, einer Einladung zur Beteiligung tatsächlich zu folgen. Der Beitrag von Eva More-Hollerweger analysiert, welche Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass zivilgesellschaftliches Engagement von Individuen, Gruppen oder Organisationen im Dreieck der Interessen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt auftreten kann.
Ein konkretes Praxisbeispiel dazu liefert der Politikwissenschaftler und Aktivist Bruno Kaufmann mit der Beschreibung der Aktivitäten in der „Demokratiestadt“ Falun. Die schwedische Stadt Falun möchte eine Democracy City werden und hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre BürgerInnen zu aktivieren, für demokratische Prozesse auch und gerade auf der kommunalen Ebene zu interessieren und ihre Vorschläge und Wünsche bei der Konzeption von Projekten einzubeziehen. Aktive Bürgerbeteiligung wird als die Software bezeichnet, welche die Hardware (die repräsentative Demokratie) ergänzen und ausgestalten müsse.
Ein anderes Praxisbeispiel liefert die Raumplanerin Barbara Saringer-Bory mit der Smart City Wien. Wachsende Städte wie Wien, stehen auch vor enormen Herausforderungen, wie etwa steigendem Ressourcenverbrauch und neue Anforderungen an eine nachhaltige Stadtentwicklung. Das Konzept der Smart Cities versucht, durch produktiven Einsatz von innovativen Technologien vorhandenes Wissen und Strukturen zu bündeln und weiterzuentwickeln, dabei ressourcenschonend vorzugehen und im Sinne der Nachhaltigkeit und der Steigerung der Lebensqualität eine ganzheitliche Sichtweise einzunehmen. Die Stadt Wien hat ebenfalls Smart City-Projekte entwickelt und sieht sich hier in einer Vorreiterrolle. Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern das Konzept der Smart Cities geeignet ist, Fragen der Nachhaltigkeit und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung zu beantworten und welchen Mehrwert die verstärkte Einbindung von BürgerInnen in die Stadtentwicklung für deren Nachhaltigkeit bringt.
Zwei abschließende Beiträge befassen sich mit dem Aspekt der Bildung im Kontext von Demokratie und Nachhaltigkeit. Bildung vermittelt Menschen das notwendige Wissen und Kompetenzen, um die Gesellschaft künftig mit gestalten zu können. Bildung ist somit ein gesellschaftlicher Prozess und beeinflusst wesentlich mit, wohin eine Gesellschaft sich künftig entwickeln wird. Der Artikel von Franz Rauch beleuchtet die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft sowie zwischen Bildung und Gesellschaft. Welche Rolle Bildung bei der Gestaltung der künftigen Gesellschaft spielt, wird am Konzept „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – BNE“ dargestellt.
Der abschließende Beitrag von Gertraud Diendorfer und Susanne Reitmair-Juárez gibt einen Überblick über die Herausforderungen, welche an historisch gewachsene und nationalstaatlich strukturierte Konzepte von Staatsbürgerschaft gestellt werden und zeigt auf, dass auch auf staatlicher bzw. internationaler Ebene eine nachhaltige Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen im Gang ist. Das Konzept der Global Citizenship Education bietet einen möglichen Rahmen, um „Staatsbürgerschaft“ global und in Mehrfachidentitäten zu begreifen und dieses breite Verständnis von Citizenship in das Bildungssystem zu integrieren und dergestalt auf nachhaltige Entwicklung hinwirken zu können. Damit wird das Verhältnis zwischen Bildung und Gesellschaft aus der Perspektive der Global Citizenship Education analysiert.
Gertraud Diendorfer,...