Freigelegte Erinnerungslandschaft und urbaner Begegnungsraum Die Sicht des Historikers auf den neu gestalteten Eduard-Wallnöfer-Platz
Horst Schreiber
Die baukünstlerische, architektonisch-formale und inhaltliche Herausforderung bei der Neugestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes war enorm. Zum einen ist er mit Ausnahme des von Lois Welzenbacher gebauten Verwaltungsgebäudes der Innsbrucker Kommunalbetriebe in der Salurner Straße auf allen Seiten von architektonischer Banalität umgeben. Der neu zu gestaltende Platz musste sich notgedrungen aus sich selbst heraus behaupten können.
Zum anderen ging es darum, sich erinnerungspolitisch mit dem Landhaus als nationalsozialistischem Repräsentationsbau und dem Befreiungsdenkmal als inhaltlichem Kontrapunkt zu beschäftigen; samt der Tatsache, dass das Befreiungsdenkmal die nationalsozialistische Ästhetik aufnimmt, da es wie eine Spiegelung des Eingangsportals des ehemaligen Gauhauses erscheint. Die Dominanz dieser beiden Objekte repräsentierten nicht nur Auftrag und Last der Vergangenheit, die nach einem geschichtssensiblen neuen Umgang verlangten. Sie erzeugte auch eine bedrückende Atmosphäre, die den PassantInnen die Lust zum Verweilen vergällte.
ARGE LAAC/Stiefel Kramer/Christopher Grüner stellten kein gärtnerisches Projekt vor, das das Denkmal hinter Bäumen verborgen und so die Chance einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit dem steinernen Erbe des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit vertan hätte. Ihre künstlerische Intervention am Befreiungsdenkmal nahm behutsam Veränderungen vor, ohne es in seiner zeitgebundenen Entstehung unkenntlich zu machen. ARGE LAAC/Stiefel Kramer/Christopher Grüner schufen eine urbane Bodenplastik, die sich als «Topographie sanfter Hügel» über den Platz erstreckt, ihn bewegt und eine neuartige Landschaft kreiert, die einen spannenden Gegensatz zur Umgebung bildet. Darin eingebettet ist das Befreiungsdenkmal, dem eine leicht geneigte Basis zugrunde gelegt wurde, die die Symmetrie zwischen Denkmal und Landhaus bricht. Durch die Einbeziehung des Sockelbereichs in die Bodenplastik fielen mehrere Stufen weg. Diese Niveauveränderungen milderten den imperialen Charakter des Befreiungsdenkmals.
Christopher Grüner, verantwortlich für die künstlerische Intervention am Befreiungsdenkmal, betont, dass die GestalterInnen eine unbändige Lust verspürten, zu modellieren, etwas Neues zu bauen und einen urbanen, demokratischen Platz zu schaffen, auf dem sich die BürgerInnen offen und ungehindert bewegen, treffen und aufhalten können. Die in Beton gegossene Bodenplastik erweist sich nicht nur als futuristische Landschaft, die völlig neue Ausblicke und Perspektiven ermöglicht im Vergleich zur bisherigen einschüchternden Geschlossenheit des Platzes, der 1972 durch den Bau des Hochhauses des Hotels «Holiday Inn» (heute «Hilton» und Casino) seinen einzigen schönen Ausblick verlor. Sie verweist in ihrer äußeren Beschaffenheit auf eine Schwemmlandschaft und erinnert daran, dass die Stadt Innsbruck auf einem derartigen Schwemmland gebaut wurde.1
TÄTERBAU, WIDERSTANDSDENKMAL UND OPFERMAHNMAL: EIN NEUER BLICK AUF DIE VERGANGENHEIT
Landhaus (ehemaliges Gauhaus), Befreiungsdenkmal, Pogrom-Mahnmal
Auf dem neuen Eduard-Wallnöfer-Platz wurden Bäume gepflanzt, die in wenigen Jahren für zusätzliche Abwechslung und Bereicherung in seiner Funktion als Erholungsraum sorgen werden. Die Absicht des Planungsteams war es, so die Architektin Kathrin Aste, einen öffentlichen Raum ohne Konsumzwang zu schaffen und die Denkmäler inhaltlich besser zur Geltung zu bringen.2 Die Umgruppierung der Mahn- und Denkmäler stärkte die Funktion des Eduard-Wallnöfer-Platzes als Erinnerungslandschaft, zugleich gewann er auch als Ort der Begegnung. Die ArchitektInnen und der Künstler rückten das Pogromdenkmal vom südlichen Ende des Platzes stärker ins Zentrum und schufen so eine deutlich wahrnehmbare Erinnerungslandschaft, die Bezug auf den Nationalsozialismus nimmt. Täterbau, Widerstandsdenkmal und Opfermahnmal stehen nun in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zueinander. Der Blick auf diese Vergangenheit wurde geschärft, eine neuartige, bewusstere Rezeption möglich. Die anderen Denkmäler – der Vereinigungsbrunnen und das Monument zur Erinnerung an 600 Jahre Tirol bei Österreich 1363–1963 – wurden dezent an die Peripherie des Platzes verlegt. Auf diese Weise lösten die ArchitektInnen und der Künstler die frühere Beliebigkeit der Erinnerungslandschaft auf. Sie berücksichtigten die nachrangige Bedeutung dieser beiden Objekte im öffentlichen Gedenken im Vergleich zu den Denkmälern, die in einem Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen. ArchitektInnen und Künstler gliederten den Vereinigungsbrunnen und den Gedenkstein für die Zugehörigkeit Tirols zu Österreich in jenen Bereich des Platzes ein, der der Begegnung und Erholung dient. So wurde der Vereinigungsbrunnen von seiner ihn verunstaltenden gekachelten «Wanne» befreit und auf einer schräg abfallenden,Wasser führenden Fläche neu platziert.
EIN DENKMAL FÜR ALLE GRUPPEN DES WIDERSTANDS
Die schmiedeeisernen Gitter des Befreiungsdenkmals mit den Wappen der Bundesländer in Form eines Kreuzes zeugen von der Qualität Tiroler Handwerkskunst, inhaltlich war diese Zeichensetzung jedoch äußerst fragwürdig, da sie den nicht katholisch motivierten Widerstand ausschloss. Christopher Grüner nahm einen bemerkenswerten Eingriff vor. Er öffnete die Gittertore und befreite das Denkmal von dieser einseitigen Interpretation, die dem konservativen Tiroler Geschichtsverständnis der Nachkriegszeit entsprach. Der Eduard-Wallnöfer-Platz gewann an Leichtigkeit, weil das Befreiungsdenkmal seitdem begehbar ist. Es fügt sich harmonischer in den Ort ein als früher, macht unverstellte Blicke möglich und verbindet nun die Nord- und Südseite des Platzes, den die Jugend nutzt, um sich hier zu treffen und zu skaten. Landesrätin Beate Palfrader stellte fest:
«Die Öffnung der Tore vermittelt eine deutliche Botschaft: Die Offenheit unserer Gesellschaft ist eine wesentliche Bedingung unserer Freiheit. Die Öffnung der Tore des Denkmals ist aber auch ein Bekenntnis des Landes Tirol: Unsere Geschichte ist nicht abgeschlossen, wir sind offen für Veränderungen und bereit, uns auch immer wieder auf eine kritische Prüfung unseres Herkommens und unserer Werte einzulassen. – Dies sind wir den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen, aber auch der Freiheit unserer Kinder schuldig.»3
Durch die Öffnung der Gitter schließt das Befreiungsdenkmal nicht mehr nur den katholisch-konservativen Widerstand, sondern alle Gruppen des Widerstands mit ein. 2011
DIE PERSONALISIERUNG DES WIDERSTANDS
Die bedeutsamste Veränderung durch die künstlerische Intervention am Befreiungsdenkmal im Jahr 2011 betrifft seine beiden Schmalseiten, auf denen die Namen jener Frauen und Männer zu lesen sind, die wegen ihres Widerstands gegen den Nationalsozialismus ums Leben kamen. Indem sie als konkret benennbare Menschen dem Vergessen entrissen werden, treten sie ins kollektive Gedächtnis und in die Erinnerungskultur Tirols ein. Ihre Namen setzen sich aus Aluminiumlettern zusammen, die am Denkmal in nicht-alphabetischer Reihenfolge angebracht sind.4 Damit ist eine Erweiterung des Personenkreises gewährleistet, denn die Recherche ist naturgemäß unabgeschlossen.
Der in der Ukraine geborene Franzose Adolphe Mouron veröffentlichte anlässlich der Pariser Weltausstellung 1937 eine neue Schrift: «Peignot».5 Markus Weithas brachte sie für das Projekt ins Spiel. «Peignot» fand für die Anbringung der Namen am Denkmal deshalb Verwendung, weil sie modern, einfach, klar und vor allem nicht imperial wirkt. Zudem ergibt sich eine Verbindung zu Frankreich als Auftraggeber des Befreiungsdenkmals.
2015 entwarf Christopher Grüner ein künstlerisches Konzept, das am Denkmal die Rolle der Alliierten für die Befreiung Österreichs sichtbar macht. Er ließ die lateinische Inschrift des Denkmals in die Sprachen der alliierten Befreier übersetzen und brachte die neue Textierung an der Attika auf der Südseite des Denkmals an. Die Übersetzung von «Pro Libertate Austriae Mourtuis» auf Französisch, Englisch und Russisch macht den Zweck des Befreiungsdenkmals für seine Betrachterinnen und Betrachter klar verständlich. Sie wird der ursprünglichen Absicht Frankreichs, an den Widerstand Einheimischer und an die im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallenen alliierten Soldaten zu erinnern, in besonderem Maß gerecht. Der Widerstand in Tirol war verdienstvoll, doch ohne den militärischen Sieg der Alliierten hätte Österreich nicht vom Nationalsozialismus befreit werden können. Zur 70. Wiederkehr des Kriegsendes setzt das offizielle Tirol mit der neuerlichen Intervention am Befreiungsdenkmal ein klares Zeichen. Der 8. Mai 1945 war nicht ein Tag der Niederlage, sondern der Freude: «Österreich ist frei.» Er war ein Tag der Befreiung von der Barbarei des Nationalsozialismus, ein Tag, der die...