VORWORT
Die heutige Zeit stellt hohe Ansprüche an uns Frauen: Wir wünschen uns Erfüllung in unserem Frausein, in unseren Beziehungen, in unserer Sexualität, im Beruf und in der Familie. Alles unter einen Hut zu bringen, ist eine Gratwanderung zwischen Heraus- und Überforderung. Es ist unser Wunsch, unser Potential auszuschöpfen und unsere Energie für das einzusetzen, was uns wichtig ist.
Wir alle sind sehr schnell wechselnden Veränderungen ausgesetzt – vor allem was das Rollenverständnis von Frau und Mann betrifft und somit auch unsere Sexualität. In Europa hat das Patriarchat seinen Höhepunkt überschritten, und das Matriarchat ist Vergangenheit. Die heutige Zeit bietet uns viele Möglichkeiten und stellt neue Herausforderungen.
Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, unsere männliche Seite zu leben: Unsere Wünsche und Bedürfnisse auszusprechen und sie bis zu einem gewissen Grade auch einzufordern. Unseren Weg zu gehen und dem näher zu kommen, was wir wollen. Der Alltag verlangt von den meisten Frauen, diese männlichen Eigenschaften zu akzeptieren und zu leben, während in unseren Beziehungen und vor allem in der Sexualität die weibliche Seite gefragt ist: Hingabe, das Zulassen von Nähe und das Verschmelzen mit einem Partner oder einer Partnerin.
Die Balance zu halten ist kein leichtes Unterfangen. Tagsüber sollen wir unsere Frau stehen und abends aufnehmend, hingebungsvoll und offen sein. Frauen (wie Männer) sind dazu aufgefordert, einen neuen Umgang mit diesen Qualitäten und Anforderungen zu finden – die eigene Individualität zum Blühen zu bringen und neue Wege des Miteinanders zu entdecken.
Wissen allein genügt nicht
Die Sexualenergie kann uns auf diesem Weg zu Eigenständigkeit, Beziehungs- und Liebesfähigkeit unterstützen. Denn sie verbindet uns nicht nur mit unserer Lebensenergie, sondern auch mit unserem Körper und unseren Gefühlen. Der Körper, die Gefühle und die Sexualenergie machen zu einem großen Teil unser Frausein aus. Das heißt nicht, daß der Intellekt nicht wichtig wäre, im Gegenteil. Nur ist der Verstand durch unser Schulsystem und durch unsere Lebensart bereits sehr gut ausgebildet. Wir können ihn für unseren Weg und unsere Absichten einsetzen. Doch das Wissen allein genügt in der Regel nicht.
Wirkliche Veränderungen geschehen erst, wenn der Körper und die Gefühle mit einbezogen sind. Und deshalb spielt der Körper eine zentrale Rolle auf dem Weg zum Frausein und zu unserer Sexualität. Wir wohnen ein Leben lang in unserem Körper. Er paßt sich an, verändert sich und ist im wahrsten Sinne des Wortes der Tempel unserer Seele.
Ebenso wichtig sind unsere Sinne. Sie sind die direkte Verbindung zu unserem Körper und Erdendasein und spielen somit auch bei der Freisetzung der Sexualenergie eine zentrale Rolle. Ein anderes entscheidendes Element sind die Gefühle. Wenn wir wirklich mit unseren Gefühlen in Kontakt sind, auch ihren oft schnellen Wechsel wahrnehmen und sie in Fluß bringen, entsteht eine immer intensivere Berührung mit uns selbst.
Unsere Sexualenergie, unser Wissen, unser Körper, unsere Sinne und unsere Gefühle unterstützen uns dabei, aus unserer Mitte heraus die anstehenden Schritte zu machen – sie bilden das Potential, aus dem wir unsere Kraft schöpfen können.
Das Paradoxe ist jedoch, daß wir uns gerade in Bezug auf die Sexualität auf sehr unsicherem Boden befinden. Auch mir erging es früher ähnlich: Während meiner Schulzeit wurde mir viel Wissenswertes beigebracht. Ich lernte Sprachen, Geschichte, Mathematik und vieles mehr – es gab jedoch keine einzige Unterrichtsstunde, in der ich etwas über Liebe, Sexualität und Beziehungen erfuhr. Dabei sind doch gerade diese Themen von eminenter Bedeutung im Leben jedes Menschen.
Da ich diese Themen in der Schule vermißte, sehnte ich mich nach einer Lehrerin, die mir in dieser Hinsicht mehr Wissen vermitteln konnte. Erst viel später habe ich erfahren, daß es früher diese Art Unterricht tatsächlich gab. Ich begegnete einer solchen Lehrerin in der Gestalt der Sappho von Lesbos, die zwischen 617 und 560 v. Chr. in Griechenland lebte. Die Priesterin vermittelte jungen Frauen den Kult der Aphrodite und der Musen und lehrte, daß sexuelle Liebe zu Schönheit und Schönheit zu Ekstase führt. In ihrem Hause bereitete sie junge Frauen auf die Liebe und Heirat vor (siehe auch Glossar).
Auf meiner persönlichen Suche
Meine Sehnsucht und Ahnung, daß Sexualität und Spiritualität von zentraler Bedeutung sind und zusammengehören, bewog mich, bereits als junge Frau auf die Suche zu gehen. Um meine Neugier zu stillen, machte ich verschiedene Ausbildungen, in denen überall der Mensch im Mittelpunkt stand. Mein Weg führte mich über die Sozialarbeit zu verschiedenen Formen der Körper- und Gesprächstherapie.
Noch offene Fragen zum Thema Sexualität motivierten mich weiterzugehen. So fand ich schließlich zum Tantra, weil dieser Ansatz im Gegensatz zu den meisten anderen spirituellen Lehren die Sexualität als den »Königsweg« zu Ekstase und Glückseligkeit ehrt.
Tantra hat mich wohl deshalb so berührt, weil es mich in meinem ganzen Wesen mit all meinen Aspekten erfaßt – mit meinen von mir geliebten und den von mir gehaßten Eigenschaften, mit meiner männlichen und meiner weiblichen Seite. Meine männlichen Fähigkeiten hatte ich bis dahin schon gut entwickelt. Ich hatte keine Probleme, meine Ziele zu verfolgen und mich durchzusetzen. Die weiblichen Fähigkeiten – Hingabe und Geschehenlassen – empfand ich jedoch als Fremdworte.
Den tantrischen Weg zu gehen war für mich auch deshalb faszinierend, weil die Tantriker Frauen verehren und die Werte, die sie vermitteln, achten. Der Frau wird im Tantra ein ganz besonderer Stellenwert zugestanden. Es ging mir vor allem um die Wiederentdeckung von weiblichen Gottesbildern, um das Entdecken von Frauen mit spirituellen Erfahrungen als Lehrerinnen, Wegweiserinnen und Meisterinnen. Ich suchte Frauen, die Sexualität und Spiritualität miteinander verbinden und die im Bewußtsein der Gleichwertigkeit mit einem Mann in Beziehung treten können. Aus dem Wissen, daß es solche Frauen gab und gibt, habe ich sehr viel Kraft geschöpft. Sie motivierten mich, meiner Ahnung und meiner inneren Stimme zu folgen.
Genau so wichtig war es für mich, einen Weg zu finden, den ich allein oder auch mit einem Partner gehen kann. Und es sollte ein Weg sein, der dort beginnt, wo ich gerade stehe, und der mir mein Potential und nicht meinen Mangel aufzeigt. Diese Qualitäten und Möglichkeiten habe ich im Tantra gefunden.
Mein beruflicher Weg
Meine ganz persönlichen Fragen zu meinem Frausein und meiner Sexualität brachten mich dazu, mich auch professionell mit dieser Thematik zu beschäftigen. Meine Arbeit über die weibliche Sexualität basiert auf zwei wichtigen Pfeilern: Zum einen vertraue ich auf meine persönlichen Erfahrungen, meine intensive und tiefe Auseinandersetzung mit meiner eigenen Sexualität, meiner Beziehungs- und Liebesfähigkeit und meinem ganz individuellen Frausein. Zum anderen kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Seminarleiterin schöpfen – die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind für mich nach wie vor eine große Quelle der Inspiration.
Seit 1988 arbeite ich als Körper- und Sexualtherapeutin in Zürich. Zusammen mit meinem Partner Aman Peter Schröter biete ich Tantra-Seminare und Trainingskurse für Frauen und Männer an. In unserer gemeinsamen Arbeit und durch unsere Beziehung ist mir bewußt geworden, daß Frauen andere Fragen und einen anderen Zugang zur Sexualität haben als Männer. Dies hat mich bewogen, 1990 die Liebesschule für Frauen zu gründen. Mein Anliegen ist, Frauen auf eine weibliche Art zu unterstützen, damit sie zu sich selbst und zu ihrer Kraft und Würde finden.
Mein Ziel ist es, zu einem fruchtbaren Dialog zwischen Frau und Mann anzuregen. Ich möchte mein eigenes Potential umsetzen, mein Frausein stolz und kraftvoll leben und meinen Weg mit offenem Herzen gehen. Gestärkt durch diese Quelle in mir bin ich bereit, mich mit der Vergangenheit zu versöhnen und Hand in Hand mit meinem Partner einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Immer wieder fragen mich Frauen, was es heißt, in der heutigen Gesellschaft Frau zu sein. Es wäre vermessen, diese Frage mit Rezepten zu beantworten, denn für jede Frau sieht der Weg anders aus – abhängig davon, woher sie kommt, wo sie im Moment gerade ist und wohin sie gehen will. Für mich ist es eine Reise zu mir und mit mir – und etwas Spannenderes gibt es wohl kaum.
Häufige Aussagen von Frauen
In meinen Seminaren sprechen viele Frauen über ihre Unsicherheit in der Sexualität. So ist die häufigste, meist indirekt gestellte Frage: Bin ich normal, so wie ich empfinde und fühle? Gibt es so etwas wie eine freie Sexualität? Was muß ich machen, um mich hinzugeben? Gibt es eine natürliche Begabung für Sexualität? Wie bringe ich Sexualität und Beziehung zusammen? Wie kann ich das Feuer des Anfangs in einer langjährigen Beziehung aufrecht erhalten? Was hat Sexualität mit Spiritualität zu tun?
Es berührt mich jedesmal von neuem, von all den Unsicherheiten und Verletzungen in Bezug auf unsere Sexualität zu hören. Es ist damit zu erklären, daß die Sexualität alle Lebensbereiche berührt: Sie spielt in unseren Beziehungen eine wichtige Rolle und konfrontiert uns mit unserer Identität als Frau, sie verbindet uns mit unserem Körper und unseren Sinnen, und sie beeinflußt unsere Gesundheit, auf allen Ebenen – physisch, psychisch und geistig.
Die meisten Frauen sind erleichtert, wenn sie erfahren, daß sie mit ihren Unsicherheiten und Fragen nicht allein sind. Deshalb ist so wichtig, sich auszutauschen und dieses...