Unsere vermeintlich rational gesteuerten Entscheidungen sind in Wirklichkeit das Ergebnis zahlreicher Denkfehler, Abkürzungen im Denken und emotionaler Bewertungen, die wir nachträglich rationalisieren. Leider ist uns das nur selten bewusst. Wer die Fallen kennt, die uns unser Gehirn stellt, entscheidet besser.
Das A und O für Entscheidungen: der Rahmen, in dem sie präsentiert werden
Im Leben treffen wir tagtäglich unzählige Entscheidungen. Wir entscheiden, wann wir aufstehen, was wir anziehen, was wir frühstücken, wie wir unsere Zeit einteilen, welcher Beschäftigung wir wann nachgehen, was wir kaufen oder auch nicht … Die Liste ließe sich endlos erweitern. Sie reicht von den ganz kleinen alltäglichen Dingen bis hin zu weitreichenden Weichenstellungen für unser Leben. Und sie umfasst nicht nur Handlungen. Auch das Nichtstun, das Innehalten, das Unterlassen von Handlungen beruht auf einer Entscheidung.
Wie aber entscheidet nun ein Mensch? Wenn Sie dazu in einem Lehrbuch für Psychologie nachschlagen, werden Sie lesen können, dass wir nicht nur rein ökonomisch sinnvolle oder kalkulierte Entscheidungen treffen. Nein, eher das Gegenteil ist der Fall: Wir beurteilen Situationen intuitiv auf der Basis unserer Erfahrungen und Zielsetzungen und wählen zwischen den gebotenen Optionen mit einem Minimum an gedanklicher Kapazität aus. Hierbei spielen emotionale Präferenzen eine entscheidende Rolle. Und diese werden wiederum dadurch bestimmt, in welchem Rahmen uns mögliche Entscheidungsoptionen präsentiert werden. Kahneman spricht hier, wie alle weiteren Verhaltensökonomen, vom Framing Effekt. Um diesen Effekt zu verdeutlichen, hier ein paar Beispiele. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und überlegen Sie: Für welche Optionen entscheiden Sie sich?
- Stellen Sie sich vor, Sie bekommen zwei Steaks angeboten, eines mit einem Anteil von 98 % reinen Muskelfleisches, das andere mit einem Fettanteil von 2 %. Welches nehmen Sie?
- Wenn Sie Arzt sind und eine riskante Operation vor sich haben: Würden Sie zur OP raten, wenn der Patient eine Überlebenschance von 90 % hat? Und wie würden Sie entscheiden, wenn die Sterblichkeitsrate innerhalb eines Monats bei 10 % liegt?
- Würden Sie in einer Lotterie spielen, die Ihnen eine Chance von 10 % bietet, 95 Euro zu gewinnen, und eine 90 %-Chance, 5 Euro zu verlieren? Oder präferieren Sie eine Lotterie, bei der Sie 5 Euro zahlen, verbunden mit einer 10 %-Chance, 100 Euro zu gewinnen bzw. einer 90 %igen Chance, nichts zu gewinnen?
Ich hoffe, Sie konnten – zumindest nach kurzem Überlegen – feststellen, dass die Optionen in den Beispielen jeweils gleichwertig sind. Und trotzdem setzt die Art der Formulierung einen Rahmen, in dem wir uns – je nach emotionaler Präferenz – für die eine oder andere vermeintliche Option entscheiden. Dies wurde auch in Untersuchungen nachgewiesen.
Doch nicht nur Worte setzen den Rahmen für unsere Entscheidungen. Denken Sie mal an ein paar wichtige Situationen in Ihrem Leben und die Entscheidungen, die Sie dazu getroffen haben. Betrachten Sie, wie sich die Umstände der Entscheidung darstellten. Wie viele Entscheidungsoptionen hatte Sie und wie waren diese ausgestaltet und begründet? Wie kamen Sie auf die Optionen? Wie wurden sie Ihnen schmackhaft gemacht? Sicherlich haben Sie eines der folgenden Phänomene dabei erleben können.
Von durchgestrichenen Preisen und falschen Schätzungen: der Ankereffekt
Wer kennt sie nicht, die durchgestrichenen Preise auf Angebotsschildern und in Katalogen? Daneben steht – natürlich größer – der neue niedrigere Verkaufspreis. Man könnte den Eindruck bekommen, dass die alten Preise in den Prospekten und auf Etiketten tatsächlich nie aktuell waren. Wahrscheinlich sind sie genauso Fantasie-Preise wie die Original-Preise von Küchen, die in schöner Regelmäßigkeit mit massiven Discounts beworben werden. Ich bin sicher nicht die einzige Person, die das denkt. So kann man sich also fragen, warum die Anbieter auf diese Weise agieren.
Der Grund ist denkbar einfach: Die durchgestrichenen Preise sorgen in unserem Unterbewusstsein für eine Referenz. Immer dann, wenn wir etwas abschätzen müssen, orientieren wir uns an einer solchen Referenz – die noch nicht einmal zwingend Bezug zur Fragestellung haben, geschweige denn richtig sein muss. Unser Gehirn nutzt die Referenz quasi als Anker, an dem es einen Bezugsrahmen festmacht. Daher sprechen die Psychologen hier auch von Ankerheuristik.
Kahneman und sein Kollege Tversky machten bereits Mitte der 1970er-Jahre dazu ein interessantes Experiment: Zwei Gruppen wurden gebeten, die Ergebnisse zur folgenden Aufgabe möglichst spontan zu schätzen:
- Die Gruppe A bekam diese Schätzaufgabe: Was ist das Produkt (Ergebnis), wenn man die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 miteinander multipliziert?
- Die Gruppe B sollte sich mit folgender Fragestellung befassen: Was ist das Produkt (Ergebnis), wenn man die Zahlen 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2 und 1 miteinander multipliziert?
Sie werden sicherlich bemerkt haben, dass es sich jeweils um die gleichen Ausgangswerte handelt. Die Ergebnisse der Schätzung waren jedoch nicht gleich, im Gegenteil: Die beiden Gruppen kamen zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen. Gruppe A schätzte intuitiv im Durchschnitt Ergebnisse um die 150, während es bei Gruppe B Zahlen um die 900 waren. Offensichtlich spielte dabei eine Rolle, in welcher Reihenfolge die Zahlen genannt wurden. Der Grund für diese unterschiedlichen Ergebnissen, liegt – Sie ahnen es schon – an der Arbeitsweise unseres Gehirns: Es nimmt die ersten ein bis zwei Zahlen der genannten Folge als Rahmen und multipliziert sie, um dann, ausgehend von dieser ersten Schätzung, weiter hochzurechnen.
Auffallend ist an diesem Experiment aber auch noch etwas anderes: Das richtige Ergebnis der Rechnung wurde von beiden Gruppen dramatisch unterschätzt. Es liegt, wenn man nachrechnet, immerhin bei über 3,6 Millionen. Offensichtlich hat unser Gehirn ein Problem mit der Abschätzung von Größenordnungen bei Zahlenwerken. Damit werden wir uns noch ausführlicher im Kapitel »Zahlen, Daten, Fakten« beschäftigen.
Orientierung bei Vergleichen: der Kontrasteffekt
Doch damit nicht genug. Wir scheinen auch noch in anderer Hinsicht Probleme mit Größenordnungen und deren Beurteilungen zu haben. Nehmen wir zwei ganz einfache Beispiele:
Sind Sie sicher, dass die Linien unterschiedlich lang und die inneren Kreise unterschiedlich gefärbt sind? Den meisten wird es jedenfalls so erscheinen, weil ihr Gehirn im Vergleichsmodus ist. Wir haben so unsere Probleme mit absoluter Beurteilung und starten immer wieder unwillkürlich, ähnliche oder miteinander verbundene Dinge zu vergleichen und Unterschiede zu erkennen. Entscheidend ist, in welcher Umgebung, welchem Rahmen wir etwas sehen. In Wirklichkeit sind alle Linien gleich lang und die Farben der mittleren Kreise gleich. Man nennt dies auch den Kontrasteffekt.
Eine Information, eine Tatsache, ein Merkmal oder ein Vorschlag kann sehr unterschiedlich auf uns wirken. Diese Wirkung hängt stark von der Umgebung ab, in der sie uns präsentiert wird, den unmittelbaren Vergleichsmöglichkeiten und den ersten Referenzgrößen, die wir erkennen können.
Achten Sie also das nächste Mal darauf, wen Sie beim Ausgehen mitnehmen. Wenn Sie Ihre Chancen erhöhen wollen, jemanden neu kennenzulernen, dann sollten Sie sich nicht von Ihrer hübschesten Freundin oder Ihrem attraktivsten Freund begleiten lassen – es sei denn, Sie wollen ihr oder ihm eine Freude machen.
Warum wir Neues ablehnen und Altes lieben – der Status-quo- oder Default-Effekt
Unsere natürliche Neigung ist, Dinge so zu lassen, wie sie derzeit sind. Wir schätzen Veränderungen nicht. Sie werden von unserem Gehirn als unbequem bis bedrohlich klassifiziert, als etwas Neues und Unbekanntes, auf das wir uns erst einmal einstellen müssen, was uns aus unserer Komfortzone herausholt. Da fällt es schon leichter, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen oder beim Althergebrachten zu bleiben. Dieser Status-quo-Effekt oder Default-Effekt wirkt im Kleinen wie im Großen.
Ein paar Beispiele: Als Sie zuletzt ein neues Smartphone in Betrieb genommen haben, haben Sie da die Helligkeit des Bildschirms adjustiert? Haben Sie bei der letzten Software-Aktualisierung der Standard-Installation zugestimmt, wie es 80 bis 90 % aller Nutzer machen? Haben Sie sich dafür entschieden, Organspender zu sein? Der Status-quo oder Default-Wert ist, dass Sie kein Organspender sind, zumindest in Deutschland. Hier müssen Sie sich aktiv einen Organspendeausweis besorgen, wenn Sie anderen post mortem helfen wollen. Was wäre, wenn wir nun alle per Gesetz grundsätzlich als Organspender fungierten, es sei...