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Der Augustputsch 1991

Das Staatskomitee zur Rettung der Sowjetunion. Acht Akteure erinnern sich

VerlagEdition Berolina
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783958415263
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
1991 stand die Sowjetunion am Rand des politischen Kollapses. Das Baltikum hatte sich abgespalten und andere Republiken wollten nachziehen. Staatspräsident Gorbatschow agierte hilflos gegen die zerstörerischen Kräfte. Wie könnte das weitere Auseinanderdriften der Unionsrepubliken verhindert werden? Der 19. August 1991 begann in Moskau mit einer Lüge: Ein »Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der UdSSR«, hinter dem sich führende Funktionäre aus der KPdSU, der Armee, dem Innenministerium und dem KGB verbargen, verkündete im Rundfunk, der Staatspräsident müsse die Amtsgeschäfte »krankheitsbedingt« ruhen lassen. Die Wahrheit: Michail Gorbatschow befand sich in Foros auf der Krim, wo er in der Staatsdatscha bewacht und festgehalten wurde. Panzer rollten in die sowjetische Hauptstadt ein. Es war der Auftakt zu einem Staatsstreich, der die Welt drei Tage lang den Atem anhalten ließ. Im vorliegenden Buch kommen die wichtigsten »Verschwörer« jener Tage zu Wort, unter ihnen der Verteidigungsminister, der KGB-Chef sowie der Vizepräsident der UdSSR. Sie erklären ihre Ziele und Motive und warum sie trotz aller Entschlossenheit, die Union zu retten, vor dem Einsatz von militärischer Gewalt zurückscheuten. Über sie ist bisher nur aus westlicher Sicht berichtet worden, nun erzählen die Putschisten aus erster Hand, was sie in diesen Augusttagen bewegte.

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Leseprobe

Gennadij Janajew

Gennadij Iwanowitsch Janajew (* 26. August 1937;
† 24. September 2010), Fachmann für Landwirtschaft, wurde in Perewos, Gebiet Gorki, geboren. Er trat 1962 der KPdSU bei und begann seine Parteilaufbahn als Komsomolfunktionär in der Oblast Gorki, wo er die Funktion des Zweiten (1963–1966) und später des Ersten Sekretärs des Gebietskomitees des Komsomol (WLKSM) innehatte. 1968 wurde er zum Vorsitzenden des Komitees der Jugendorganisationen der UdSSR ernannt. Ab 1980 war er Stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums der Vereinigung sowjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Beziehungen zu anderen Ländern.

Im Verlauf der »Perestroika« bekleidete Janajew einen bedeutenderen Posten, den des Sekretärs des Allunionszentralrats der Gewerkschaften (WZSPS) für internationale Aufgaben (1986–1989), anschließend übernahm er das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden des All­unionszentralrats der Gewerkschaften (1989–1990). Von April bis Juni 1990 leitete er den WZSPS als Vorsitzender. Auf dem XXVIII. Parteitag der KPdSU wurde er zum Mitglied des Zentralkomitees (ZK) gewählt (1990–1991); dieses wiederum bestätigte Janajew als Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK für Internationale Beziehungen (14. Juli 1990). Am 27. Dezember 1990 verhalf ihm Präsident M. S. Gorbatschow zum Posten des Vizepräsidenten der UdSSR. Zeitnah nach der Wahl (durch den Kongress der Volksdelegierten der UdSSR) beendete Janajew die Arbeit im Politbüro und im Sekretariat des ZK (31. Januar 1991).

Am 19. August 1991 proklamierten er und sieben andere hohe sowjetische Führungskräfte die Bildung des Staatskomitees für den Ausnahmezustand und verkündeten die Machtübernahme im Land durch das Komitee. Es wurde bekanntgegeben, dass Präsident Gorbatschow aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage wäre, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Janajew übernahm die Vollmachten des Präsidenten der UdSSR. Die schlecht geplante Machtergreifung scheiterte am dritten Tag. Janajew wurde am 22. August 1991 festgenommen und wegen Landesverrats angeklagt. Die Gerichtsverhandlung über Janajew und elf andere politische Funktionäre zog sich bis zum Mai 1993 hin. Im Februar 1994 nahm die Staatsduma der Russischen Föderation den Gesetzesentwurf über eine Amnestie an, somit wurde die Strafverfolgung beendet.

Gennadij Iwanowitsch, in Ihren Monologen, Antworten auf Fragen unzähliger Interviews, in handschriftlich verfassten Notizen erwähnen Sie sehr oft Gorbatschow. Das könnte bei schlecht informierten Menschen den Eindruck erwecken, auf Ihnen laste eine tiefe persönliche Kränkung, eine echte innere Feindseligkeit gegen ihn.

Das Wort »Kränkung« passt hier augenscheinlich nicht. Was die persönliche Feindseligkeit betrifft, habe ich, wie jeder normale Mensch, auf so etwas ein volles Recht. Haben Sie etwa schon viele Menschen getroffen, die absolut frei von einem solchen Gefühl sind? Kaum. Ja, ich empfinde Abneigung gegenüber Gorbatschow und versuche nicht, es zu verbergen. Aber dies ist, wie ich denke, nicht hinderlich für die richtige Erörterung, Bewertung all dessen, was in unserem Land in den achtziger bis neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts passiert ist. Die Schuld Gorbatschows am Zusammenbruch der UdSSR ist unstrittig, und keinerlei persönliche Abneigung kann das Verständnis für diese einfache Wahrheit mindern.

Gorbatschow war der erste und letzte Präsident der UdSSR. Sie waren der erste und letzte Vizepräsident der UdSSR. Es wäre eine logische Vermutung, dass auch Sie in bekanntem Maße schuld am Zerfall des Staates sind.

Es wäre auch logisch anzunehmen, dass wir alle, auch ich, auch Sie und andere ehemalige Sowjetbürger, die den Zerfall nicht verhindern konnten oder wollten, schuldig sind, aber … In Wahrheit ist doch aber die Schuld, die Verantwortung für eine hausgemachte globale Katastrophe immer personifiziert. Anders würden wir zum Beispiel wenig an Hitler erinnern, sondern würden über die »schlimmen Deutschen« reden, die unzähliges Leid über die Menschheit gebracht haben. Das wäre nicht richtig, denn sogar unter den Offizieren der Hitlerarmee fanden sich welche, die eine Liquidierung des Führers anstrebten. Und unsere Zeitgenossen stehen bekanntlich eher positiv zu ihnen … Sie haben sicher den bemerkenswerten amerikanischen Film, ein Gleichnis, Einer flog über das Kuckucksnest gesehen. Dort versuchte der Hauptdarsteller in einer psychiatrischen Anstalt ein schweres Waschbecken aus dem Fußboden herauszureißen. Selbstverständlich gelang ihm das nicht, aber er wandte sich mit einem Gefühl der erfüllten Pflicht an seine Leidensgenossen und sagte: »Ich habe es wenigstens versucht.«

Ihnen könnte entgegnet werden: Sie sind zu lange »zum Waschbecken« gegangen. Warum haben Sie nicht eher versucht, es loszureißen?

Zum Ende der achtziger, zu Beginn der neunziger Jahre war ich schon über fünfzig. Und in diesem Alter sind die Chancen gering, sich augenblicklich in einen Che Guevara zu verwandeln. Wie hat Churchill gesagt: »Wer in der Jugend kein Radikaler war, der hat kein Herz, wer im Alter kein Konservativer ist, der hat keinen Verstand.« Unter »reifem Konservatismus« verstehen wir nicht nur eine politische Richtung, sondern den uns eigenen Konformismus (wenn man so will, eine gewisse Analogie zum Selbsterhaltungstrieb), ein Abwenden von radikalen Handlungen und der Wunsch nach Bewältigung der dringendsten Probleme nicht auf revolutionärem Weg, sondern durch ausgewogene, klar durchdachte Entscheidungen. Ja, manchmal ist ein solcher »Konservatismus« äußerst kontraproduktiv für den Staat und die Gesellschaft, aber dagegen kann man nichts machen. So ist nun einmal die Welt, wie man so sagt … Noch dazu sind wir mehrheitlich geneigt, unsere eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu überschätzen. Mir erschien es in der Nähe von Gorbatschow zum Beispiel so, als ob ich auf die eine oder andere Weise Einfluss auf seine Politik nehmen und damit dem Land nützlich sein könnte. Das gelang nicht, die Illusionen sind verflogen. Jetzt stehe ich nicht in ihren Diensten und kann unvoreingenommen viele Dinge neu bewerten.

Gennadij Iwanowitsch, erzählen Sie bitte kurz über Ihre »prägnantesten« Eindrücke im Gefängnis. Und berichten Sie auch kurz über den zweiten Bestandteil eines bekannten Sprichworts – über Ihren »Bettelstab«. Im Vergleich zur überwiegenden Mehrheit der früheren sowjetischen Elite sind Sie doch, man kann es so sagen, arm. Kein Auto, keine Villa, keine anderen Lifestyle-Attribute eines »abgesicherten Lebens« …

Ich beginne mit der Antwort auf den zweiten Teil der Frage und sage eine banale Sache: Das Glück liegt nicht beim Geld. Tatsächlich verfüge ich über keines der erwähnten Dinge, keine Bankkonten, keine Scheckhefte, keine Firmenaktien. Meine Ehefrau und ich verfügen über eine gewöhnliche »sowjetische« Wohnung und eine einfache Datsche auf 600 Quadratmetern in einer kooperativen Gartengenossenschaft. Das genügt mir vollkommen. Wir hatten es auch schon schlechter. Zum Beispiel als ich aus dem Gefängnis kam, konnte ich »aus verständlichen Gründen« nirgendwo Arbeit finden. Und dann schließlich bot mir Walerij Aleksandrowitsch Kwartalnow (bereits verstorben), Rektor der Internationalen Tourismusakademie, im Jahr 2002 die Stelle eines Dozenten an der von ihm gegründeten Hochschule an. Seitdem arbeite ich dort und bin diesem wunderbaren Menschen bis an mein Lebensende dankbar dafür.

Zum Gefängnis. Ja, man kann dort existieren. Es hat mich weder gebrochen noch demoralisiert. Die, wie Sie es ausgedrückt haben, »prägnantesten«, die unvergesslichsten Eindrücke verbinde ich mit der Haft und den ersten Tagen der Gefangenschaft. Am 22. August um sechs Uhr morgens erschien der Generalstaatsanwalt der RSFSR Stepankow in Begleitung von zwei operativen Einsatzkräften in meinem Kremlarbeitszimmer. Sie brachten mich in die Staatsanwaltschaft der Republik (obwohl die der Union noch existierte), und man übergab mich in die Hände der Ermittlergruppe. Es folgte ein langes Verhör – bis zum späten Abend. Die Ermittler erwiesen sich als umgängliche Menschen, liefen während des Verhörs hinaus, kehrten mit einem Körbchen Brot zurück und gaben mir zu essen. Um neun Uhr abends wurde ich wieder weggebracht – wohin und warum sagte man mir nicht. Bei der Ankunft erfuhr ich es: in die Kaschinskijer Untersuchungshaft­anstalt im Gebiet Twer. Ich teilte meine Zelle mit einem Schutzgelderpresser, scheinbar kein schlechter Junge.

Am 26. August nachts brachte man mich zur »Ma­trosskaja tischina« (»Matrosenruhe«). Dort befanden sich bereits die anderen Gekatschepisten [Mitglieder des Staatskomitees für den Ausnahmezustand, Anm. ­d. Ü.]. Man wies mir gemeinsam mit einem »Informanten« eine Zelle zu, der sich als »Vergewaltiger« ausgab – ein altes, erprobtes Verfahren bezüglich derjenigen, von denen man »Geständnisse« brauchte. Danach brachte man noch einen weiteren Inhaftierten in die Zelle, der jedoch nicht lange blieb. Dafür brachte man Jura, der gegen ein Bestechungsgeld in Höhe von dreitausend Rubel Feuer gelegt hatte … Zu Beginn zogen mich die Verhältnisse etwas herunter: das grelle Licht der am Tag und in der Nacht eingeschalteten Lampen, der harte Gefängnisalltag und anderes. Aber ich konnte mich etwas daran gewöhnen …

In Ihren früheren Gesprächen mit Journalisten haben Sie nicht nur einmal Zweifel darüber geäußert, dass sich B. K. Pugo...

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