Abenteuer oder Alltag?
Er: » Ich kann hier nicht der sein, der ich eigentlich bin.«
Sie: »Ich stecke immer zurück.«
Der Mann betritt, gefolgt von seiner Frau, dynamisch das Zimmer und schüttelt mir mit festem Druck die Hand. Als ich ihn frage, ob er anfangen möchte, erzählt er sofort, redegewandt, in der Manier: mein Haus, mein Boot, mein Pferd ... Ganz offensichtlich ist er beruflich nicht ohne Erfolg. Seine Frau rutscht unruhig auf dem Sessel hin und her, bis sie schließlich dazwischengeht: Über diesen Mann da draußen wolle sie nicht reden, sondern über den, mit dem sie verheiratet sei.
» Zu Hause ist er nämlich nicht mehr als eine leere Hülle. Entweder sitzt er bei uns am Abendbrottisch und ist innerlich noch im Büro oder sonstwo. Oder er ist die ganze Zeit auf dem Sprung wie ein gehetztes Tier. Auch wenn er gerade erst nach Hause gekommen ist, hat man das Gefühl, eigentlich will er am liebsten gleich wieder weg. Egal ob an den Computer, aufs Rad, in den Job oder zu irgendeiner Verabredung – Hauptsache weg!« Die Frau ist sichtlich von ihrem Mann enttäuscht. » Ich glaube, keiner da draußen um ihn herum kann sich auch nur ansatzweise vorstellen, wer er ist, wenn zu Hause die Luft aus ihm raus ist.«
Zwei Seelen in der Brust
So oft kommen Männer zu mir, deren Leben scheinbar perfekt ist. Frau. Kinder. Das Haus gebaut. Der Job in festen Bahnen, die Altersversorgung gesichert. Im Club ist der Mann ein anerkanntes Mitglied. Eigentlich müsste er zufrieden sein. Aber da kämpfen zwei Seelen in seiner Brust. Auf der einen Seite ist er zufrieden, dass die Lebensplanung aufgegangen und alles niet- und nagelfest ist. Er ist bereit, Verantwortung zu übernehmen, Sicherheit zu bieten und für die Familie da zu sein. Mit seiner Frau bildet er ein eingespieltes Team, und gemeinsam sind sie stolz auf das, was sie erreicht haben.
Aber dann sitzt der Mann abends neben dieser Frau auf der Couch und wird unruhig. Denn da ist noch dieser andere Mann in ihm, der sich in dem komfortablen, perfekten Heim wie ein Gefangener fühlt. Dem das alles zu eng wird. Der Herausforderungen sucht, dem kein Berg zu hoch ist, der nicht lange fackelt, sondern auch mal Gas gibt und etwas wagt. Der sich weiterentwickeln möchte und sich nach mehr Unabhängigkeit sehnt. Der Abenteurer.
Der Mann mir gegenüber schaut jetzt nicht mehr forsch und geschäftig , sondern sichtlich berührt, als ich von diesem Abenteurer rede.
» Stimmt! So klar hätte ich das nicht ausdrücken können. Mir schnürt es zu Hause einfach die Luft ab. Überall warten Herausforderungen auf mich.«
Wie so viele Männer hat auch er das Gefühl, dass es für seine Lebendigkeit und Kraft daheim keinen Platz gibt.
Seine Frau scheint das anders zu sehen: » Das ist doch verrückt. Glaubst du wirklich, dass ich diese leere Hülle will? Ich würde mir wünschen, dass du zu Hause mal was Spannendes wagst und irgendwas Interessantes in unser gemeinsames Leben bringst!«
Wenn Sie als Mann das Gefühl haben, dass es für den Abenteurer in Ihnen in den eigenen vier Wänden keinen Platz gibt, sollten Sie sich unbedingt einmal fragen, ob das wirklich wahr ist. Oder ob Sie es vielleicht selbst sind, der diese Seite in sich aus den Augen verloren hat. Kann es sein, dass Sie selbst ihn schon seit geraumer Zeit wie automatisiert jedes Mal vor der Tür stehen lassen, wenn Sie abends nach Hause kommen? Glauben Sie vielleicht unterschwellig, dass dieser Mann auf dieser Couch, bei dieser Frau, in diesem Alltag nichts zu suchen hat? Dass er nicht hierher in die heile, strukturierte, sichere Welt gehört, wo Menschen, die Ihnen nah sind, Erwartungen an Sie stellen, wo es Pflichten und Routine gibt?
In unserem Gespräch wird dem Mann klar, dass er einen Teil von sich zu Hause jahrelang verleugnet hat.
Seine Frau wird stiller. » Ich wollte das nie. Er hat sich selbst an der Garderobe abgegeben, wenn er nach Hause gekommen ist. Manchmal war ich regelrecht neidisch, wenn ich ihn mit seinen Freunden so ausgelassen lachen sah.«
Dem Mann wird langsam bewusst, wie sehr er sich in zwei Teile dividiert hat. » Ich hatte eigentlich immer nur so ein diffuses Gefühl, zu Hause nicht richtig runterzukommen. Irgendwie fühlte ich mich angetrieben und musste immer etwas erledigen.«
Kennen Sie das auch, zu Hause unruhig zu werden und eigentlich immer etwas Wichtigeres zu tun zu haben? Oder haben Sie sich mit den getrennten Welten abgefunden? Legen Sie schon ganz selbstverständlich den Schalter um, wenn Sie die Haustür von außen hinter sich zumachen? Sind dann plötzlich lebendig, finden abends kein Ende umd flirten gern?
Ich frage den Mann ganz direkt: » Warum trauen Sie sich nicht, Ihre Lust auf Abenteuer und Ihre Lebendigkeit in die Familie zu tragen? Haben Sie je darüber nachgedacht, dass dieses Leben für Ihre Frau genauso wenig erfüllend ist wie für Sie? Dass sie Sehnsucht hat nach diesem anderen Mann? Haben Sie sich je gefragt, was passieren würde, wenn Sie den anderen Mann mit nach Hause brächten? Ihn Ihrer Familie mal vorstellen würden? Er Ihrer Frau gestehen würde, dass ihn das alles schon lange nicht mehr ausfüllt? Wenn dieser Mann sie überraschen und wachrütteln würde? Den Trott in Frage stellen würde? Sich zu Hause mit neuen Ideen und neuer Aufmerksamkeit einbringen würde? Wovor haben Sie Angst? Vor Auseinandersetzung und Disharmonie? Davor, auf Unverständnis und Desinteresse zu stoßen? Oder davor, dass Ihre Frau gar nicht richtig mit dem Mann in Ihnen umgehen kann?«
Der Mann erkennt, dass er ein festes Bild von sich als Ehemann und Vater in sich trägt. Und dass er gar nicht weiß, wie er in seiner Partnerschaft wirklich er selbst sein kann.
Soll Leben nur draußen stattfinden?
Viele von uns haben nie etwas anderes kennengelernt, als zu Hause zu funktionieren. Haben Eltern erlebt, die sich ganz selbstverständlich in ihren vorgegebenen Rollen eingerichtet haben. Die beide ihre eigenen Sehnsüchte und Begabungen zurückgesteckt oder heimlich gelebt haben. Gefühle wurden kontrolliert, und die Kraft kam nur draußen im Beruf zum Einsatz. Viele haben Väter vor allem als abwesend erlebt und als Männer, von deren Leben da draußen sie wenig wussten. So haben sie ganz selbstverständlich verinnerlicht: Herausforderung, Lebendigkeit, Leidenschaft und Wachstum gehören nicht in die Familie. Zu Hause muss immer unauffällige Mittellage herrschen. Wildheit, Wut oder zärtliche Gefühle waren nicht erwünscht.
Funktionieren. Und einem bestimmten Bild entsprechen. Das war in vielen Familien oberste Priorität. Familie und Ehe waren meist keine Orte der Selbstverwirklichung. Kein Platz, an dem man sich gehen lassen und sein inneres Wesen zeigen konnte. Liebe und Bestätigung bekam der, der sich gut ins System einpasste.
Und heute haben die Männer nicht die geringste Ahnung, wie sie es anders machen könnten. Wie sie ihr eigenes System entwickeln, das dafür sorgt, dass Zuhausesein Spaß macht. Die Sehnsucht ist vielleicht da, aber ihnen fehlt die Erfahrung, sie auch konkret umzusetzen. Vielleicht war ihnen dieser Zusammenhang nicht mal klar. Vielleicht haben sie nur bemerkt, dass sie mit den Jungs, beim Sport oder im Job einfach ein anderer sind – lässiger, cooler, mutiger, freier, lustiger. Vielleicht war es ihnen lediglich unangenehm, wenn ihre Frau wieder mal nach mehr Nähe, Zweisamkeit und Zärtlichkeit gerufen hat. Da kam dann sofort der Fluchtimpuls. Und weg waren sie ...
Dabei will ihre Frau doch nur eins: Sie will mehr an seinem Leben teilhaben. Den Mann wiederentdecken, in den sie sich damals verliebt hat. Frauen spüren die emotionalen Beziehungslöcher oft einfach nur früher als Männer und versuchen sie dann aktiv zu stopfen. Sie stellen fest, dass da alles Mögliche ausgeklammert wird, obwohl es immer noch in beiden schlummert. Aus diesem Grund werden viele Frauen zickig und nörgeln an ihren Männern herum. Weil sie an sie herankommen wollen. Manch eine Frau zieht sich auch komplett zurück. Auch das heißt nicht, dass sie ihren Mann nicht mehr will. Oft steckt dahinter die Angst vor Zurückweisung oder schlicht die Ohnmacht, ihn nicht mehr erreichen zu können.
Wenn Sie den » anderen Mann« in sich mit nach Hause bringen, dann besteht die Herausforderung nicht nur darin, dass Sie lebendig wie mit Ihren Freunden oder zielstrebig und waghalsig wie im Job da draußen sind, sondern auch darin, dass Sie bereit und in der Lage sind, Ihrer Frau und Ihren Kindern mit Engagement über deren Ängste und Grenzen hinwegzuhelfen. Da kommt vielleicht Ungeduld oder auch Scham ins Spiel. Das ist in Ordnung. Reden Sie einfach drüber.
Seien Sie sich sicher: Am Ende werden Ihre Frau und Ihre Kinder Ihnen danken, dass Sie den Laden aufgemischt...