VIII Der Name „Ullr“
Die Bedeutung des Namens „Ullr“
Der altnordische Göttername „Ullr“ lautete im frühen Germanischen „Wulthuz“. Seine Bedeutung ist „Glanz, Ruhm“. Die Bedeutung „Ruhm“ wird eine naheliegende Sekundärbildung zu „Glanz“ gewesen sein, die z.B. dadurch entstanden sein könnte, daß die Götter, Fürsten und Helden immer wieder der Sonne verglichen wurden. „Wulthuz“ im Sinne von „Ruhm“ könnte daher ursprünglich „sonnengleich“ bedeutet haben. „Ruhm“ ist sozusagen „sozialer und politischer Glanz“.
Altenglisch
In der altenglischen Sprache bedeutet „wuldor“ ebenfalls „Ruhm“. Dieser Begriff taucht auffallend häufig in Kenningarn für den christlichen Gott auf wie z.B. „wuldorfather“ („Ruhm-Vater“) oder „wuldor al-wealda“ („Ruhmreicher Allbeherrscher“). Diese häufige Verwendung von „wuldor“ in den Kenningar für den christlichen Gott Vater könnte darauf zurückzuführen sein, daß „wuldor“ sowohl den Ruhm als auch den „sonnengleichen“ Gott Ullr bezeichnete und die Verwendung dieses Namens/ Wortes in Bezeichnungen für den christlichen Gott daher sehr naheliegend war – einfach weil „Ullr“ zugleich „Ruhm“ und „Gott“ bedeutete.
Ein weiterer Grund wird ein, daß sowohl Gott Vater als auch Christus sehr oft der Sonne (und somit Tyr/Ullr) verglichen worden sind.
Kelten
Die Kelten kannten einen Gott, König oder Helden mit dem Namen Uillin, der dem Namen des germanischen Gottes Ullr recht ähnlich klingt. Er war der Enkel des Gottes Nuada, der wie Tyr ein einarmiger Schwert- und Sonnengott ist – sowohl Nuada als auch Tyr sind eine Weiterentwicklung des indogermanischen Göttervater Dyaus. Die Wahrscheinlichkeit ist daher sehr groß, daß Uillin und Ullr identisch sind.
Diese spezielle Übereinstimmung zwischen Kelten und Germanen liegt vermutlich darin begründet, daß es das Motiv des Sonnenschildes, das in etwa den Namen „wul“ („Leuchtendes“) getragen haben könnte, bereits um 1.800 v.Chr. gegeben hat, als sich die Germanen von den gemeinsamen Vorfahren der Kelten und Römer getrennt haben. Zu dieser Zeit müßte es dann schon eine recht ausgeprägte Sonnenschildsymbolik gegeben haben, die sich dann bei den Germanen zu Ullr und bei den Kelten zu Uillin weiterentwickelt und verselbständigt hat.
Es wäre natürlich auch denkbar, daß „wul“ zunächst die Sonnenscheibe bezeichnete und erst später bei den Germanen zum Sonnenschild des Ullr geworden ist. Die Wichtigkeit der Sonnenscheibe an sich ist jedoch klar an den frühen germanischen Felsritzungen erkennbar.
Der keltisch-irischen Überlieferung zufolge soll Uillin ein irischer König gewesen sein. In dem Text heißt es:
Uillin, Enkel des Nuada mit der silbernen Hand, König von Irland zwölfhundert Jahre vor Christi Geburt, besiegte in einer Schlacht Orbsen MacAlloid, der allgemein wegen seines Geschickes in der Schifffahrt Manannan („der Mann von der Insel Man“) MacLir („Sohn des Meeresgottes Lir“) genannt wurde, und befahl ihn zu töten.
Uillin erscheint in dieser Sage als der Mörder des Lir, der der keltische Gott des Meeres und der Unterwelt war. Der Name des Nuada, dessen Enkel Uillin war, setzt sich aus „Nua-da“ zusammen, daß auf „Nua-dyaus“ zurückgeht und „Göttervater im Wasser (Wasserunterwelt)“ bedeutete. Die Zeitangabe „zwölfhundert Jahre vor Christi Geburt“ ist wohl nur als „vor langer Zeit“ aufzufassen.
Auch der keltische Gott der Richtigkeit, also der „keltische Baldur“ ist eng mit der Sonne verbunden: der Sonnengott Lugh.
Uillin könnte ursprünglich wie Ullr ein Jenseitsgott gewesen sein.
Slawen
Auch von den Slawen, die sich um ca. 1.900 v.Chr. von den gemeinsamen Vorfahren der Germanen, Kelten und Römer getrennt haben, ist ein Gott bekannt, der einen Namen trägt, der dem des Ullr und des Uillin und noch stärker dem älteren „Wuldor“ ähnelt. Er wird Veles, Velnius, Velnias, Volos, Welos oder Welnos genannt. Die Stammsilbe in diesem Namen ist „Vel“, „Wel“ oder „Uel“ – die drei Buchstaben „w“, „v“ und „u“ sind, wenn sie am Anfang eines Wortes stehen, kaum unterscheidbar.
Der slawische Gott Veles war der Gott der Rinder und der Beschützer der Herden. Veles war auch der Gott der „Schatten“, d.h. der „Totengeister“. Diese beiden Funktionen sind letztlich dasselbe, weil die Slawen sich die Toten im Jenseits als Stiere und Kühe vorstellten. Der Grund für diese Vorstellung ist der Brauch, für die Toten bei ihrer Bestattung ein Rind zu opfern und sie in das Fell des Rindes einzuhüllen. Veles ist somit der Totengott oder zumindestens ein „Gott im Jenseits“.
Er hatte die Gestalt einer Schlange oder eines Drachen und er hatte Stier- oder Ziegenhörner sowie einen langen Bart. Seine Schlangengestalt kennzeichnet ihn als einen Gott, der den Weg in die Unterwelt kennt. Seine Hörner zeigen, daß er ein „Stier-Mann“, d.h. ein Ahn im Jenseits ist.
Diese bisherigen Eigenschaften passen alle recht gut zu Ullr. Veles hat jedoch auch einige ganz andere Eigenschaften als Ullr. Der slawische Drachengott führt einen endlosen Kampf mit dem Donnergott Perun und nimmt daher die Position ein, die bei den Germanen die Midgartschlange und die Riesen innehaben. In den slawischen Mythen kriecht Veles den Weltenbaum hinauf und raubt Perun die Frau, die Söhne und die Rinder – dies erinnert an den Kampf zwischen Baldur und Hödur um die Königstochter Nanna in der Gesta danorum des Saxo grammaticus.
Am Ende erschlägt Perun den Veles jedoch stets mit seinen Blitzen, woraufhin die Frau, die Söhne und die Rinder des Perun wieder frei werden und es zu regnen beginnt.
Veles wurde von den Slawen entsprechend seinem auf die Unterwelt bezogen Charakter in den Ebenen verehrt und der Donner- und Regengott Perun auf den Bergen.
Der Kampf des Donner- und Regengottes gegen die Regenräuberschlange, die die sommerliche Dürre verursacht, ist ein weitverbreitetes mythologisches Thema bei den indogermanischen Völkern. Veles hat bei den Slawen dieselbe Unheilstifter-Rolle wie Loki bei den Germanen. Wie Loki ist Veles auch der Gott der Magie. Diese Rolle ist bei Veles so ausgeprägt, daß er der „Großvater der Zauberer“ genannt wird und sich sogar die slawische Bezeichnung für Zauberer („Volhov“) von seinem Namen ableitet.
Ullr hat bei den Germanen zwar einen anderen Charakter als Veles, aber er wird zumindestens als der Sohn des Loki angesehen.
Die Namen „Ullr/Wuldor“, „Uillin“ und „Veles“ sind von ihrer Stammsilbe „wel“ her so ähnlich, daß sie sehr wahrscheinlich auf denselben indogermanischen Gott zurückgehen werden.
Um die frühe Geschichte des Gottes „wel“ herauszufinden, ist es daher zunächst einmal notwendig, nach weiteren „wel“-Göttern bei den übrigen Indogermanen zu suchen.
Balten
Bei den Balten, die den Slawen am nächsten verwandt sind, gibt es den gehörnten Gott Velnias, der mit dem Donnergott Perkunas kämpft. Im Gebiet der Balten fließt ein Fluß mit dem Namen Vilnius, dessen Namen möglicherweise auch auf die Wurzel „wel“ zurückgeht.
Der Kampf zwischen Veles/Velnias und Perun/Perkunas reicht daher mindestens bis zu der Trennung der Slawen und der Balten um 1.400 v.Chr. zurück.
Griechen
Die Griechen kannten zwar keinen „Wel“-Gott, aber sie kannten die Eleusinischen Felder, mit denen sie das Jenseits bezeichneten. Dort weideten die Verstorbenen in der Gestalt von Rindern. Dieses Motiv hat auch den Namen „Eleusinische Felder“ entstehen lassen, der auf deutsch übersetzt „Rinderweide“ bedeutet. Ein „Elys“ ist im Griechischen ein Stier. Das Wort „Elys“ stammt wie „Ullr“ und „Veles“ ebenfalls von der indogermanischen Wurzel „wel“ ab.
Diese Rinderweiden und die Rinder auf ihnen gehörten dem Sonnengott Helios und dem Apollo, der der Gott der Richtigkeit und ebenfalls ein Sonnengott gewesen ist. Ihm entspricht bei den Germanen der Gott Baldur. Bei den Griechen besteht noch ein enger Zusammenhang zwischen dem „wel“ und dem Sonnengott.
Der Ursprung des „wel“-Gottes scheint also im Jenseits bei den rindergestaltigen Ahnen oder dem Stier-gestaltigen Sonengott-Göttervater zu liegen. Dieses Motiv muß bis ca. 2.800 v.Chr. zu den gemeinsamen Vorfahren von Germanen, Kelten, Slawen, Balten und Griechen, also bis zu den ursprünglichen Indogermanen zurückreichen.
Inder
Auch die Inder zählen zu den indogermanischen...