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E-Book

Der Fragebogen

AutorErnst von Salomon
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl1056 Seiten
ISBN9783644023710
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
«Mit der Wahrheit kann man am besten lügen!»  Erschienen 1951, heftig umstritten und einer der größten Bucherfolge der Nachkriegszeit, auch international: Aus der peinlich genauen, provozierend ausführlichen Beantwortung der 131 Fragen des Großen Fragebogens, mit dem die amerikanische Militärregierung Täter und Mitläufer ermitteln wollte, machte Ernst von Salomon einen autobiographischen Roman ohne Vorbild. Es ist ein ironischer, bisweilen zynisch klingender Bericht über ein Leben, dessen Teile - Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Terrororganisation, Liebe zu Frankreich und zu einer jüdischen Frau - nicht zueinander passen wollen; zugleich ein nach wie vor packendes literarisches Zeugnis deutscher Nachkriegsmentalität, die nicht von der Schuld der Besiegten sprechen mochte, ohne zugleich Selbstgerechtigkeit und Siegermentalität der Besatzer anzuprangern. Mit einem Nachwort von Michael Töteberg.

Ernst von Salomon, 1902 in Kiel geboren, wurde bereits ab 1913 in einer preußischen Kadettenanstalt militärisch erzogen. Nach dem Ersten Weltkrieg kämpfte er als Angehöriger verschiedener Freikorps während des Spartakus-Aufstands in Berlin, im Baltikum und in Oberschlesien. Als Mitglied der rechtsterroristischen Organisation Consul war er an dem Attentat auf den Außenministers Walter Rathenau mitbeteiligt. Wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Zuchthaus und wegen eines weiteren Mordversuchs erneut verurteilt, wurde er bald begnadigt und machte sich in den folgenden Jahren als Schriftsteller wie als Publizist der sog. Konservativen Revolution einen Namen. Sein erster Roman, 'Die Geächteten', erschien 1930 bei Rowohlt. Im NS-Staat, zu dem Salomon nicht nur seiner jüdischen Lebensgefährtin wegen ein zwiespältiges Verhältnis pflegte, arbeitete er in der Filmbranche. Nach Kriegsende wurde Salomon seiner politischen Vergangenheit wegen von der amerikanischen Besatzungsmacht in Haft genommen. Die Erlebnisse dieser Zeit hat er in seinem erfolgreichsten Buch 'Der Fragebogen' verarbeitet, das in der Bundesrepublik und in Frankreich ein Bestseller wurde. Später engagierte sich Salomon in der internationalen Friedens-Bewegung. Er starb 1972 in Winsen.

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Leseprobe

A. Personal / 
A. Persönliche Angaben


1. List position for which you are under consideration (include agency of firm). – 2. Name (Surname). (Fore Names). – 3. Other names which you have used or which you have been known. – 4. Date of birth. – 5. Place of birth. – 6. Height. – 7. Weight. – 8. Colour of hair. 9. Colour of eyes. – 10. Scars, marks or deformities. – 11. Present address (City, street and house number). – 12. Permanent residence (City, street and house number). – 13. Identity card type and number. – 14. Wehrpass No. – 15. Passport No. – 16. Citizenship. – 17. If a naturalized citizen, give date and place of naturalization. – 18. List any titles of nobility ever held by you or your wife or by the parents or grandparents of either of you. – 19. Religion. – 20. With what church are you affiliated? – 21. Have you ever severed your connection with any church, officially or unofficially? – 22. If so, give particulars and reason. – 23. What religious preference did you give in the senses of 1939? – 24. List any crimes of which you have been convicted, giving dates, locations and nature of the crimes. –

1. Für Sie in Frage kommende Stellung:
siehe Anlage.

Zu 1. Es ist wohl bedacht, wenn ich mit dem Hinweis beginne, dass an der entscheidenden Ecke meines Lebens eine Frau gestanden hat. Das mag weder mich noch sonst jemanden wundernehmen, die Statistik weist aus, dass die Zahl der Männer und der Frauen annähernd gleich ist, nach Weltkriegen pflegen die Frauen sogar überall in der Überzahl zu sein, sodass Männer, die ohne Scham zugestehen, sich vorzugsweise in weiblicher Gesellschaft behaglich zu fühlen, nicht eben selten sein mögen. Aber die Frau, die ich meine, gehörte zu einer Art von Frauen, die offenbar für mich eine gewisse Vorliebe hegen, und ich will gleich bekennen, dass ich diese Vorliebe erwidere. Es sind dies nicht die mütterlichen Frauen, ich habe gewiss nichts gegen sie und bin der Letzte, der den Segen bestreitet, den sie unermüdlich um sich streuen, aber ich bin zeit meines Lebens ohne sie ausgekommen. Es sind dies auch nicht die jungen Mädchen, zahllos in ihren Abarten wie die Blumen, die man ja ebenfalls in zunehmendem Alter immer mehr schätzen lernt. Ich meine vielmehr einen Typ Frauen, den jeder Mann unserer Zeit wohl zu beachten Anlass finden sollte. Nun werden Typen bekanntlich in Serien hergestellt, welches Verfahren recht eigentlich eine Erfindung unseres Jahrhunderts ist. Und wirklich ist dieser Typ Frauen auch erst in unserem Jahrhundert entstanden, wobei ich gleich hinzufügen möchte, dass ich noch keinen Typ Mann gefunden habe, von dem ich das Gleiche behaupten könnte.

Es ist dies eine ganze Generation jener jungen Mädchen von damals, die etwa um die Jahrhundertwende, etwa zur Zeit meiner Geburt, sich aufmachten, gegen eine Welt von Vorurteilen die politischen, ökonomischen und sittlichen Rechte ihres Geschlechtes durchzusetzen, und heute grauhaarig und derbsohlig, in schlichtem Kleid, nur um den Hals noch ein bisschen was Freundliches, und mit einem formlosen, aber eigenwillig aufgestülpten Filz auf dem klugen Kopf, unerschütterlich dahinstapfen und nach wie vor unsichtbar das Banner unseres Jahrhunderts schwingen. Sie sind just die rechten Personen, um an den Kreuzwegen des Lebens zu stehen und die armen, fahrenden Ritter unserer Zeit an den Rockschößen zu packen und ins rechte Gleis zu bringen.

Allen diesen Frauen ist gemeinsam, dass sie einmal unvermutet aus ihrer gesitteten und gesicherten bürgerlichen Umwelt aufbrachen, weil sie, die Nase kühn im Wind, gerochen hatten, dass sich unter der Kruste der Gesellschaft Dinge anbahnten, denen es galt, einmal gewachsen zu sein. Manchmal war der Absprung abstrus, oft warfen sie zuerst das Herz über die Hürden, zugebend, dass der Kopf dabei bedenklich wackelte, aber fast alle landeten sie sicher vermöge ihrer ausgezeichneten Eigenschaft, mit Entschlossenheit den Zipfel zu fassen, wenn Gottes Mantel vorüberweht, und die Dinge mit Humor zu betrachten, wenn weit und breit von Gott und seinem Mantel nicht die Rede ist.

Eine von ihnen war Fräulein Dr. Querfeldt. Ich weiß nicht, was sie bewogen haben mochte, seinerzeit nach Paris zu gehen, um dort auf Leinewände, ebenso jungfräulich wie sie selber, mit teueren Farben Blumen und ein Stück Käse nebst einem Hummer neben einem Weinglas aufzutragen. So harmlos auch die Auswirkungen ihres Tuns gewesen sein mögen, deren Beginn stand sicherlich unter dem Zeichen heftiger häuslicher Wirbel voller Muttertränen und des Vatergedonners: «Was werden die Leute dazu sagen?» Der Umstand, dass Fräulein Querfeldt sich nicht daran kehrte, was die Leute dazu sagten, ist gar nicht hoch genug zu werten. Damals sagten alle Leute das Gleiche, nämlich, dass es kein gutes Ende nehmen werde mit Fräulein Querfeldt; aber die Leute sagten auch, es sei im zwanzigsten Jahrhundert ganz unmöglich, dass ein Krieg ausbrechen könne.

Der Krieg brach aus – nicht der erste im zwanzigsten Jahrhundert und auch nicht der letzte –, und Fräulein Querfeldt beschloss, jede Art von Stillleben aufzugeben, was zweifellos nur als ein gutes Ende zu bezeichnen ist. Sie marschierte von Paris aus, zu Fuß, mitten durch die kämpfenden Armeen und schlug sich zu den deutschen Truppen durch. Gottes Mantel hatte, in vielen Formen flatternd, hier die Gestalt der Zelthülle eines Feldlazarettes. Fräulein Querfeldt diente vier Jahre lang als Hilfsschwester, und als der Krieg zu Ende war, hatte sie andere Verwendungen für Leinewände kennengelernt, als sie in Paris je für möglich gehalten hatte. Sie holte ihr Abitur nach und begann, Medizin zu studieren. Als ich ihr begegnete, war sie Dr. med., Oberärztin, grauhaarig und derbsohlig im schlichten Kleid, nur um den Hals noch ein bisschen was Freundliches, und stand an der Ecke, die für meinen Weg entscheidend war.

Ich hatte keine Ahnung, dass da eine Ecke war. Ich war in diesem Augenblick gerade von dem kleinen Glück erfüllt, vorzufahren. Es war schon immer der Höhepunkt meiner knabenhaften Träume, im Fond eines Wagens, lässig zurückgelehnt, auf einem sorgsam mit Kies bestreuten Parkwege unter hohen Bäumen dahinzufahren, bis der Wagen mit einem kleinen, behaglichen Ruck an der Terrasse hielt.

Der Wagen hielt, und auf der Terrasse stand, grauhaarig und derbsohlig, das Schicksal selbst.

«Guten Morgen», sagte das Schicksal mit rauer Stimme, «Sie wohnen nicht im Haupthaus, sondern in der Arztvilla.»

Ich sprang aus dem Wagen. Da stand ich nun, mager, mittelgroß, sechsundzwanzig Jahre alt und von dem lästigen Bewusstsein erfüllt, nicht richtig angezogen zu sein, und tat alles, was ich mir nicht zu tun vorgenommen hatte. Ich machte eine Verbeugung, die «knapp» war, indem ich die Hacken zusammenschlug, und ich nannte, als ich meinen Namen nannte, meinen vollen Namen mit allem Zubehör.

«Querfeldt», sagte die raue Stimme, «kommen Sie rein!» Ein paar Stufen führten zu einem kleinen, für Landhäuser geeigneten Eingang. Vor der verschlossenen Tür blieb ich stehen und dachte: «Das ist die Arztvilla, nicht das Haupthaus, ich scheine doch kein schwerer Fall zu sein.» Fräulein Dr. Querfeldt kam die Stufen hoch und zögerte, als sie mich zögern sah. Dann sagte sie: «Ach so», nichts weiter als das, sie machte die Tür auf, und ich ging durch die Tür, im gleichen Augenblick bedenkend, dass ich ihr den Vortritt hätte lassen sollen, aber ich kam gar nicht dazu, dem Gedanken, dass ich an diesem Tage verdammt sei, wieder alles falsch zu machen, weiter nachzuhängen, denn ich musste mich in dem kleinen, dämmerigen Vorraum einer verwirrenden Menge von Menschen bekannt machen.

Ich weiß nicht, wie es anderen ergeht, aber mir ist der fatale Augenblick wohlbekannt, an dem ich merke, dass mir trotz der besten Vorsätze alles danebengerät. Ich hätte mich gar nicht schlechter einführen können, als ich es tat, in diesem Hause, in welchem ich den größten Wert darauf legen musste, mich möglichst unauffällig und normal zu benehmen. Ich hatte von einem Sanatorium für Nervenkranke durchaus die landläufige Vorstellung, es sei nichts anderes als eine Art Irrenanstalt für reiche Verrückte, und wenn ich auch sicherlich nicht zu befürchten hatte, ich werde beim geringsten Verstoß gegen Anstand und Sitte in die Zwangsjacke gesteckt und ins «Haupthaus» übergeführt, so war ich mir doch bewusst, als ich beim Mittagessen nicht weniger als drei Gläser hinter meinem Teller stehen sah, wie sehr wichtig es sein musste, das richtige mit dem richtigen Getränk zu füllen. Ich vermochte mir sehr wohl auszumalen, dass es der ärztlichen Gewissenhaftigkeit ganz bedeutend mehr auf Fakten ankommen musste als auf Meinungen. Niemals konnte ich imstande sein, mit Worten begreiflich zu machen, dass ich so weit ganz gesund sei, und wenn ich mit Engelszungen redete; ich konnte es nur immer schlimmer machen. Jeder der Anwesenden musste ja wissen, was mit mir los war, die stattliche, dunkle Dame mit dem resoluten Wesen, die von den anderen mit «Frau Sanitätsrat» angeredet wurde, ihre Tochter, das auffallend hübsche Mädchen mit den gesunden Farben an ihrer Seite, ihr Sohn, der gebräunte...

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