Die HEINSOHN-These
Da die so genannten frühchristlichen Kirchenbauten des 4. und 5. Jh. aus Sicht des Autors zu früh in unserer Geschichte eingeordnet sind, ist für diese die Zuweisung in eine spätere Zeit erforderlich. Für die Verbringung dieser Bautengruppe in eine spätere Zeit benötigt es jedoch einen glaubhaften Ansatz.
Der Autor sieht diesen Ansatz in der von Gunnar HEINSOHN ab 2013 vorgestellten These zur Revision unserer Chronologie, nachfolgend als HEINSOHN-These bezeichnet.
Da HEINSOHN seine These noch nicht pupliziert hat, möchte ich zumindest den Ansatz hier kurz vorstellen. Für eine tiefergehende Beschäftigung mit der HEINSOHN-These einschließlich HEINSOHNs Nachweisführung für seine These muss der Autor den Leser leider auf die bevorstehende Veröffentlichung durch HEINSOHN verweisen. Grundzüge seiner These hat HEINSOHN auf der Webseite von Alfred de Grazia www.Q-mag.org/gunnar-heinsohns-latest.html jedoch schon zugänglich gemacht (in Englisch).
Gemäß der HEINSOHN-These sind die in der Chronologie nacheinander eingeordneten Zeitabschnitte 1 - 230 (Antike), 290 - 520 (Spätantike) und Anfang 8.Jh. - 930 (Frühmittelalter) in Wirklichkeit zeitgleich und sind nur regional unterschiedliche Aspekte eines einzigen etwa 230 Jahre währenden Zeitabschnittes der Römischen Kaiserzeit. Während der erste Zeitabschnitt dabei regional Westrom zugehörig ist, sind der spätantike Abschnitt Ostrom/Byzanz und der frühmittelalterliche Abschnitt dem Norden und Nordosten zuzuordnen.
Am Ende dieses ca. 230-jährigen Zeitabschnittes sieht HEINSOHN eine Mega-Katastrophe, die heute aufgrund der Auftrennung in drei Zeitabschnitte durch die derzeit gültige Chronologie als drei Katastrophen um 230, um 520 und um 930 erscheinen.
HEINSOHN erarbeitete seine These auf der Grundlage der Auswertung von vorhandenen Stratigraphien einer Großzahl von antiken, spätantiken und frühmittelalterlichen archäologischen Stätten.
Bei HEINSOHN verbleiben dem ersten Jahrtausend letztendlich nur ca. 300 reale Jahre. Die aktuelle Chronologie enthält nach ihm also im ersten Jahrtausend ca. 700 Phantomjahre. Das von HEINSOHN in Vorbereitung befindliche Buch hat gegenwärtig den Arbeitstitel "Wie lange währte das erste Jahrtausend".
HEINSOHN behauptet zwar, möglicherweise um sich von ILLIG abzugrenzen, der die Zeit von 614 bis 911 ersatzlos aus der Chronologie streicht, dass er nach seiner These keine Phantomzeit postuliert, dass er Geschichte also nicht löscht, sondern Geschichtsschreibung ermögliche, indem er über drei Perioden zerhackte Quellen wieder zusammenführe. Er eliminiere keine plausiblen Quellen, so HEINSOHN.
Das Problem dabei: Was sind plausible Quellen? Nach welchen Kriterien erfolgt die Einordnung in plausibel bzw. nicht plausibel? Der Autor erinnert an das bekannte Problem der Fälschungen im Mittelalter, wobei davon auszugehen ist, dass bis heute noch keinesfalls alle aufgedeckt sind. "Die sogenannte Quellenkritik ... ist nicht in der Lage, eine sehr gute Fälschung von einer echten Quelle zu unterscheiden." [ARNDT, 65]
Auch die Ansage HEINSOHNs, dass er bei seiner These keine Phantomzeit postuliere, ist es nach Ansicht des Autors nur eine Frage der Definition von Phantomzeit. In Bezug auf die traditionelle Chronologie sind die entfallenden 700 Jahre im ersten Jahrtausend letztendlich nicht existente, somit phantomzeitliche Jahre, unabhängig davon, wie man die überlieferte Ereignisgeschichte in diesen Jahren behandelt.
BEAUFORT, der HEINSOHN folgt, sieht drei isolierte, zeitversetzte Datierungsstränge, die antike, die spätantike und die frühmittelalterliche Datierung. Letztere entspricht der heute gebräuchlichen Zeitrechnung nach unserer Zeit. Als Zeitversatz zwischen der antiken und der spätantiken Datierung schlägt BEAUFORT 284 Jahre vor, zwischen der spätantiken und frühmittelalterlichen Datierung, die der aktuellen Zeitrechnung entspricht, 418 Jahre. Die Katastrophe hätte antik um 238, spätantik um 522 und nach u. Z. um 940 stattgefunden.
Die Verschiebung zwischen der antiken und der spätantiken Datierung sieht BEAUFORT im Zusammenhang mit der Einführung der Inkarnationszählung, d. h. die Zählung ab Christi Geburt, die im 6. Jh. von Dionysius Exiguus vorgeschlagen worden sein soll. Mit der durch Dionysius Exiguus vorgenommenen Verschiebung von Christi Geburt gegenüber der Diokletiansära um 284 Jahre in die Vergangenheit wurde die Geschichte des antiken Roms ebenfalls verschoben. Somit ist heute die Geschichte des antiken Roms und damit ganz Westroms auf der Zeitachse um 284 Jahre gegenüber der Geschichte von Byzanz versetzt. Die Verschiebung zwischen der spätantiken und der heutigen Datierung erfolgte in einer zweiten Aktion nach der Regierungszeit Justinians I. Als Protagonisten dieser Aktion sieht BEAUFORT den byzantinischen Universalgelehrten und Geschichtsschreiber Michael Psellos den Jüngeren. Damit ist in unserer Chronologie heute insgesamt eine Phantomzeit von ca. 700 Jahren enthalten.
Beda Venerabilis (672-735) soll erstmalig die Inkarnationszählung nach Dionysius Exiguus in seiner Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum verwendet haben. Bemerkenswert ist, dass diese Zeitrechnung erst nach der Jahrtausendwende allgemein in Gebrauch gekommen sein soll, also mehr als 400 Jahre nach Dionysius Exiguus. Die Kirche führte sie erst 1431 ein.
Nach JOHNSON ist Bedas Historia ein Pseudepigraph des 16. Jh. [ARNDT, 113].
Die etablierte Wissenschaft geht noch heute davon aus, dass die angeblich von Dionysius Exiguus vorgeschlagene Zeitrechnung mit unserer Zeitrechnung identisch ist.
Wie kam es zu der Chronologiemisere? Wie bekannt, wurde unsere derzeitige Chronologie im ausgehenden 16. Jh. von Joseph Justus Scaliger aufgestellt. Der im 16. Jh. erarbeiteten Chronologie lag natürlich die zur damaligen Zeit aktuelle und noch heute gültige Zeitrechnung nach u. Z. zugrunde. Davon, dass die Chronologie schon damals aufgrund der oben beschriebenen Manipulationen an der Zeitrechnung die etwa 700 phantomzeitlichen Jahre enthielt, ahnten die Ersteller der Chronologie offensichtlich nichts.
Scaliger & Co. konnten sich für ihre Chronologie nur auf die verfügbaren historiographischen Quellen stützen. Dass diesen unterschiedlichen Zeitrechnungen zugrunde lagen, wussten sie nicht. Sie ordneten die Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen, wobei eigentlich parallele Geschehnisse nacheinander gefügt wurden, womit im Endeffekt die verlängerte, falsche Chronologie entstand.
Um zum tatsächlichen Ablauf der Geschichte zu kommen, ist zwangsläufig eine Bereinigung der Datierungen erforderlich. Letztendlich kann in der Chronologie der Zeitabschnitt von ca. 230 Jahren natürlich nur einmal enthalten sein.
Welche zwei von den drei Zeitabschnitten zu streichen sind, ist im Grunde dem Betrachter freigestellt. Lässt man z. B. den Zeitabschnitt 8. Jh. bis um 930 in der Chronologie, so sind die antike und spätantike Geschichte in diesen Zeitraum zu verschieben. Diese Variante wird von HEINSOHN präferiert. Möchte man die Spätantike von 290 bis um 520 belassen, so wären die antike und die frühmittelalterliche Geschichte in diesen zu verschieben. Der Autor bevorzugt eine andere Betrachtungsweise. Als geeignete Zäsur sieht er das Katastrophenjahr 238 (antik), 522 (spätantik) bzw. 940 (frühmittelalterlich = u. Z.). Damit bleiben die antiken Datierungen bis 238 beibehalten und die Geschichte würde im Jahr 940 fortsetzen. Die Spätantike (284-522) und das Frühmittelalter (8. Jh.-940) verschwinden nicht, sondern werden in die Antike verschoben.
Damit behalten die uns geläufigen antiken Datierungen, z. B. die Regierungszeiten der Kaiser Augustus, Tiberius, Caligula etc. und die Datierungen ab etwa Mitte des 10. Jh. zunächst Gültigkeit. Die Zeit von 238 bis 940 wäre als Phantomzeit aus der Chronologie zu entfernen.
Bei dieser Betrachtungsweise gehört Konstantin I. in die 1. Hälfte des 1. Jh. Das Mailänder Edikt datiert damit in das Jahr 29. Theodosius I. regierte am Beginn des 2. Jh. und das Edikt des Theodosius datiert in das Jahr 107; die bekannte Reichsteilung von 395 in das Jahr 111.
Selbstverständlich enden die drei Datierungsstränge nicht mit der Katastrophe. Die Geschichte ging natürlich danach weiter. Nach der traditionellen Geschichte gibt es in Rom im 3. und 4. Jh. kaum Substanzielles. Erste konkrete Daten, wie die Einnahme und Plünderung durch die Westgoten unter Alarich im Jahr 410 sind schon byzantinisch datiert und gehören korrigiert vor die Katastrophe.
Im Norden und Nordosten sind traditionell 919 die Ottonen an die Macht gekommen und begründen das Heilige Römische Reich. Dazu mehr unten (siehe Exkurs "Erschaffung der karolingischen und ottonischen Baukunst").
In Konstantinopel kommt Kaiser Justinian I. an die Macht. Er macht den Katholizismus zur Reichsreligion und begründet die Reichskirche, aus Sicht des Autors der terminus post quem für den monumentalen Kirchenbau.
Bezogen auf den frühmittelalterlichen Datierungsstrang, der - wie oben bereits erwähnt - unserer aktuellen Datierung entspricht, verschiebt sich diese spätantike Ereignisgeschichte in...