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Der gelungene Einstieg in die Pflegepraxis

Die schlimmsten Situationen und wie man sie übersteht. Der Fach-Ratgeber für Azubis in der Pflege.

AutorOksana Baitinger
VerlagSchlütersche
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783842688193
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Auszubildende in der Pflege werden dringend gesucht. Umso wichtiger ist es, dass ihnen der Start in die Praxis gelingt! Sie müssen adäquat für schwierige Situationen gerüstet sein, etwa im Umgang mit übergriffigen Bewohnern, Ekel bei der Wundversorgung oder der Scheu vor sterbenden Patienten. Ohne eine gute Begleitung vor dem 'Praxisschock' geht das nicht. Dieses praxisnahe Buch zeigt jene Situationen, die Auszubildende als besonders beängstigend empfinden. Es gibt wertvolle Tipps und Informationen, wie der Einstieg in die Pflegepraxis ohne Angst und Hemmungen gelingen kann. Auf den Punkt gebracht: Ohne Angst in die Pflegepraxis starten. Gute Vorbereitung ist das A & O.. Lernen anhand von Praxisbeispielen. Problematischen Situationen sicher und kompetent begegnen.

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Leseprobe

EIN GELUNGENER START?


Praxisbeispiel: Der erste Tag auf Station

Anna freut sich sehr auf den ersten Tag ihrer Praxisphase, obwohl sie auch etwas unsicher ist. »Wie wird es morgen in der Praxis – wie werde ich mich anstellen?« Am Sonntagabend verabschiedet sie sich früher als sonst von ihren Facebook-Freunden und geht zeitig ins Bett. »Schließlich muss ich morgen früh aufstehen und fit sein.« Das ist allerdings gewöhnungsbedürftig und löst auch Bedenken bei ihr aus: »Muss ich nun immer so früh zu Bett gehen und verpasse ich dann nicht zu viel?« Doch Aufregung und Freude auf den ersten Praxiseinsatz sind größer und überdecken ihre Sorgen.

Montag, 06:15 Uhr

Am Montag ist Anna pünktlich um 06:15 Uhr auf der Station. Die Wohnbereichsleiterin Monika begrüßt sie, fragt, ob sie Anna duzen darf. Dann zeigt sie ihr ihren Schrank, lässt sie schnell umziehen und führt sie auf die Station. »Deine Aufgabe!«, sagt sie und deutet auf die weißen Türen der Etage. »Zuerst Körperpflege und danach Frühstück um acht Uhr. Alle Utensilien findest du auf diesem Wagen. Wir sind heute unterbesetzt, so wie leider fast immer. Du hast ja alles Notwendige für den Anfang in der Schule gelernt, somit kommst du bestimmt alleine klar. Beeile dich ein bisschen!«

Dann verschwindet Monika schnell. Anna steht da und hat sieben weiße Türen vor sich. »Was kommt auf mich zu? Werde ich klarkommen? Werde ich alles richtig machen?« Fragen über Fragen kreisen durch ihren Kopf. Aber sie ist ja nicht zum Denken, sondern zum Arbeiten hier. Anna öffnet die erste Tür …

Im Einbettzimmer ist es noch dunkel. Anna öffnet vorsichtig die Vorhänge, dreht sich um und begrüßt die alte Dame, die sie freundlich aus dem Bett heraus anguckt. »Guten Morgen, ich bin Pflegeschülerin Anna! Heute ist mein erster Tag.« Die Frau nickt, lächelt Anna an und stellt sich vor. Frau Müller heißt sie und ist 78 Jahre alt. Anna hilft Frau Müller beim Aufstehen, begleitet sie ins Bad. Die Morgenpflege mit der Bewohnerin klappt wie im Lehrbuch. Anna wird immer sicherer und fühlt sich wohl.

Am Ende bekommt sie dankbare Blicke und ein Lob von Frau Müller. Stolz verlässt Anna das Zimmer und ist mit ihrer ersten »Amtshandlung« zufrieden. Die nette Frau Müller hat sie gleich bei ihrer ersten Pflegehandlung gut kennengelernt.

07:00 Uhr

Im Flur trifft Monika auf Anna: »Wie viele hast du geschafft?« Als Monika hört, dass Anna nur bei Frau Müller war, ist ihre Empörung groß. »Eine professionelle Pflegekraft muss schnell sein – sonst ist das alles nicht zu schaffen!« Jetzt müssen Annas Kollegen wegen ihrer Trödelei noch mehr schuften.

Analyseschwerpunkt: Selbstverständnis des Pflegeberufs

Um die Situation professionell zu lösen, muss die Pflegekraft …

das Problem erkennen, benennen sowie

Lösungswege entwickeln, die dann

umgesetzt und erprobt sowie schließlich

hinsichtlich ihrer Ergebnisse reflektiert und ggf. korrigiert werden.

Schritt 1 – Das Problem erkennen: Was ist Professionalität in der Pflege?


»Eigentlich habe ich alles richtig gemacht«, denkt Anna. »Ich habe mich an die Pflegeabläufe im Lehrbuch gehalten und mir Zeit für Frau Müller genommen.« Auf der anderen Seite stehen aber die Anforderungen des Pflegealltags, die Monika unmissverständlich geäußert hat: Eine professionelle Pflegekraft muss die Grundpflege bei mehr als einem Patienten in einer Stunde »schaffen«. Diese Anforderung steht jedoch im Konflikt zu Annas Vorstellungen aus dem Theorieunterricht. Deshalb fragt sich Anna nun: »Können gute Pflege und schnelles Arbeiten miteinander vereinbart werden? Ist das dann professionell?«

Anna vermutet das Problem in einem Widerspruch zwischen »Theorie und Praxis«: Quasi dem Gegensatz der professionellen Rolle und der professionellen Arbeit (Theorie) wie sie gelehrt und gelernt wird und deren Umsetzung unter den realen Bedingungen im Alltag einer Einrichtung (Praxis). Was verbirgt sich unter dem Wort »Professionalität« und wie setzt man Professionalität im Alltag um?

Pflegekräfte erfüllen vielfältige Aufgaben. Anna erinnert sich an eine Mind-Map, die sie im Unterricht anhand eines Lehrbuches gemacht hat (vgl. Bohnes et al. 2012).

 

Abb. 1: Aufgaben der Pflegekräfte – eine Übersicht.

Das besondere Profil des Berufes wird neben den medizinisch-pflegerischen Aufgaben auch durch die sozialpflegerischen Aufgaben bestimmt. Der Aufbau einer Beziehung zum älteren Menschen bleibt elementarer Bestandteil des Berufsbildes. Aus diesem Grund hat sich Anna nichts vorzuwerfen – sie nahm sich Zeit für Frau Müller, ging auf die Bedürfnisse der alten Dame ein und unterstützte sie bei der Morgenpflege. Dabei gab sie zwar Hilfestellungen, unterstützte aber auch die Selbstständigkeit der alten Dame, indem sich diese in ihrem eigenen langsamen Tempo zum Teil selbst waschen konnte.

Jedoch ist auch die Sichtweise der Wohnbereichsleitung nachvollziehbar: Heute müssen in Krankenhäusern und Heimen zunehmend schwerstpflegebedürftige sowie demenzkranke Personen betreut werden, die etwa bei der Grundpflege, der Nahrungsaufnahme, der Inkontinenzversorgung sowie der Schmerzbehandlung zum Teil intensive pflegerische Versorgungen brauchen.

Die Aktivierung vorhandener Ressourcen von Frau Müller während der Morgenpflege und die Beziehungsarbeit haben Zeit »gekostet«, die weder im Leistungspaket der Pflegeversicherung noch im straffen Dienstplan der Einrichtung vorgesehen war.

Problemerläuterung: Berufliche Rollenkonflikte durch unterschiedliche Erwartungen

Anna ist mit ihrem ersten beruflichen Rollenkonflikt konfrontiert: Führt sie die Grundpflege patientenorientiert durch und fördert dabei deren Selbstständigkeit? Oder passt sie sich den ökonomischen Gepflogenheiten an? Sie befindet sich in einer Zwickmühle – dem Rollenkonflikt.

Rollenkonflikte im Beruf entstehen, wenn eine Person als Träger der beruflichen Rolle widersprüchlichen, oft nicht miteinander vereinbaren Erwartungen ausgesetzt ist.

Der Pflegealltag ist durch …

fachspezifische, pflegerische Anforderungen,

Erwartungen und Bewertungen der Kunden und der Gesellschaft sowie

gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen beeinflusst.

Neben der Leistungsverpflichtung der jeweiligen Einrichtung zur umfassenden Pflege besteht also eine hohe Erwartung der Kunden an eine grenzenlose ganzheitliche Versorgung – eine Art »Rundum-glücklich-Paket«. Dies kann im Widerspruch zu den Anforderungen der Pflegeversicherung stehen, wonach die Leistungen wirtschaftlich sein müssen und das »Maß des Notwendigen« nicht übersteigen dürfen.

Auch Anna ist in ihrer beruflichen Tätigkeit mit mehreren unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert, hierzu zählen:

1. Gesellschaftliche Erwartungen, die an die Qualität der Pflege und die Professionalität der Pflegekräfte gestellt werden und sich in den wissenschaftlich erarbeiteten Standards und Anforderungen wiederfinden: Eine professionelle Kraft ist zuständig für das körperliche, gesundheitliche und emotionale Wohlbefinden der Bewohner. Diese Erwartungen hat Anna durch den Schulunterricht und durch die Lektüre von Lehrbüchern und Fachliteratur verinnerlicht.

2. Erwartungen der pflegebedürftigen alten Menschen (oder ihrer Angehörigen) an die Qualität der Pflege und die Professionalität der Pflegekräfte, die sich aus der Lebenssituation dieser Menschen ergeben. Pflegebedürftigkeit wird durch die gesetzliche Pflegeversicherung definiert: Wer durch ein körperliches, geistiges und seelisches Leiden voraussichtlich für mindestens sechs Monate oder länger Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, gilt als pflegebedürftig.

Ein Teil der alten Menschen ist in den letzten Lebensjahren auf intensive Unterstützung durch andere Menschen angewiesen. Wer zu Hause nicht (mehr) gepflegt werden kann, muss eine institutionelle Betreuung in Anspruch nehmen. Heimbewohner sind alte Menschen, die ihr Lebensende in einer Institution verbringen (müssen). Sie haben jedoch ihre eigenen Bedürfnisse, die nicht nur durch ihre Pflegebedürftigkeit entstehen. Sie sind Menschen, die ein Recht auf Lebensqualität haben – dazu zählen auch Beziehungen zu anderen Menschen und sinnvolle Beschäftigungen. Kein Mensch darf auf seine Diagnose bzw. seinen Pflegebedarf reduziert werden! Anna versteht, dass Heimbewohner das Lebensende in einer Institution verbringen und dabei Menschen mit eigener Biografie sowie eigenen Bedürfnissen und Gefühlen bleiben. Sie...

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